Nach einer radikalen Prostatektomie wegen Prostatakrebs können Störungen von Kontinenz und Potenz auftreten. Allerdings in der Regel nicht für immer. Auch nach einem Jahr, unter Umständen sogar noch später, können sich diese Funktionen wieder vollständig erholen.
Der Hausarzt betreut häufig Patienten, die eine radikale Prostatektomie (RP) bei Prostatakarzinom hinter sich haben. Für sie sind – neben den krebsrelevanten Faktoren nach der Operation – auch die funktionellen Ergebnisse entscheidend, nämlich Kontinenz und Potenz [1]. Bis diese beiden Funktionen nach einer RP wiedererlangt werden, vergeht allerdings geraume Zeit. Mit der Unsicherheit vieler Patienten sehen sich Urologen und Hausärzte deshalb gleichermaßen konfrontiert.
Einflussfaktoren
In der Literatur sind zahlreiche Faktoren beschrieben, welche die Wiedererlangung von Kontinenz und Potenz nach RP begünstigen. Dazu gehören etwa ein jüngeres Patientenalter [2], ein geringerer Body-Mass-Index (BMI) [3, 4], ein kleineres Prostatavolumen [5] sowie eine fehlende vorausgegangene [6] oder darauffolgende Bestrahlung (sowohl adjuvante als auch salvage) [7]. Diese Angaben haben jedoch nur informativen Charakter.
Für eine aktive Verbesserung der Prognose der funktionellen Ergebnisse sind hingegen operative Aspekte ausschlaggebend. Zu den intraoperativen Faktoren zählt hier vor allem der sogenannte intrafasziale Nerverhalt. Der Erhalt der Gefäß-Nerven-Bündel ist mit verbesserten postoperativen Kontinenz- und Potenzraten assoziiert [8] und sollte daher stets angestrebt werden, solange die onkologische Sicherheit dadurch nicht beeinträchtigt wird [9]. Zur Ausweitung des Nerverhalts können intraoperative Schnellschnitte beitragen, die jedoch nicht jede Klinik vornehmen kann (in der Martini-Klinik wird dieses Verfahren Neurovascular Structure-adjacent Frozen-section Examination, kurz: "NeuroSAFE" genannt) [10].
Bei der Präparation der Harnröhre ist zudem auf die Erhaltung eines möglichst langen externen Sphinkters der Urethra zu achten. Schon eine Woche nach der Katheterentfernung lassen sich hier verbesserte Kontinenzraten beobachten [11]. Darüber hinaus gibt es vereinzelt Hinweise, dass die roboterassistierte radikale Prostatektomie im Vergleich zur offenen Operation zu einer leicht verbesserten Wiedererlangung der Kontinenz [3] und der Potenz [8] [12] nach RP führen kann. Neben diesen Fortschritten in der intraoperativen Technik sind außerdem die besseren funktionellen Ergebnisse bei Patienten zu nennen, die in einem "High-Volume"-Zentrum operiert wurden [13].
Wiedererlangung von Kontinenz und Potenz
Die Angaben zur Wiedererlangung der Kontinenz und der Potenz schwanken in der Literatur je nach Definition und Beobachtungszeitraum. Ältere Studien postulierten zudem, dass zwölf Monate nach RP keine relevante weitere Verbesserung zu erwarten sei [14, 15].
In unserer Klinik zeigte sich durch die genannten operativen Techniken eine Wiedererlangung der Kontinenz (definiert als die Verwendung von keiner oder einer Sicherheitsvorlage) bei 76,1 % der Patienten nach drei Monaten und bei 91,9 % nach einem Jahr (Tabelle 1). Nach drei Monaten benötigen 18,2 % ein bis zwei Vorlagen in 24 Stunden, 5,0 % drei bis fünf und nur 0,7 % mehr als fünf Vorlagen pro Tag. Nach zwölf Monaten liegen die Zahlen für ein bis zwei, drei bis fünf und mehr als fünf Vorlagen in 24 Stunden bei 6,4 %, 2,1 % und 0,5 %. Somit besteht eine relevante Inkontinenz, die sich auch auf die Lebensqualität auswirkt, sowohl nach drei als auch nach zwölf Monaten nur bei einem sehr geringen Anteil der Patienten (circa 5 – 6 % nach drei und 2 – 3 % nach zwölf Monaten). Die Wahrscheinlichkeit für eine Erektion, die ausreichend für den Geschlechtsverkehr ist, lag drei Monate (zwölf Monate) nach der Operation bei 46,3 % (63,7 %) für Patienten mit einem beidseitigen Nerverhalt [16]. Verglichen mit anderen Kliniken sind dies insgesamt sehr gute Ergebnisse [3, 8].
Was passiert aber mit Patienten, die nach zwölf Monaten noch keine Kontinenz oder Potenz erreicht haben? Ist trotzdem auch im weiteren Verlauf die Erlangung der Kontinenz oder der Potenz möglich? Neue Studien haben Patienten, die nach zwölf Monaten noch inkontinent oder impotent waren, mit einem langfristigen Follow-up weiter beobachtet. Eine Arbeitsgruppe aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York konnte beziffern, dass bei Inkontinenz nach einem Jahr die Wahrscheinlichkeit zur Erlangung der Kontinenz nach zwei Jahren bei 30 % und nach drei sogar bei 49 % lag. Bei Impotenz zwölf Monate nach RP waren es 22 % nach 24 Monaten und 32 % nach 36 Monaten [17].
Diese Ergebnisse konnte unsere Klinik anhand unserer Datenbank mit mehr als 24.000 Patienten nach RP eindeutig bestätigen: Die Erlangung der Kontinenz lag bei 39 % nach 24 Monaten und bei 50 % nach 36 Monaten. Auch Patienten, die zwölf Monate nach der Operation impotent waren, hatten 31 % und 37 % nach 24 bzw. 36 Monaten doch noch eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion [18]. Über ähnliche Ergebnisse zur Wiedererlangung der Kontinenz nach 24 und 36 Monaten berichtet das National University Hospital in Seoul (Tabelle 2) [19].
Als Faktoren, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Erholung der funktionellen Ergebnisse im Verlauf erhöhen lässt, wurden in den Studien vor allem die mildere Inkontinenz oder die Impotenz nach zwölf Monaten festgelegt. Patienten, die nur wenige Vorlagen am Tag brauchen und noch eine gewisse Gliedsteife erreichen – auch wenn diese aktuell nicht für den Geschlechtsverkehr reicht – , kann man demnach auch als Hausarzt Mut machen: Durch intensiviertes Beckenbodentraining und die Gabe von PDE-5-Hemmern oder ähnlichen Medikamenten lässt sich der funktionelle Zustand verbessern.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (19) Seite 67-69