Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig und verursachen bei den Betroffenen und deren Partnern einen hohen Leidensdruck. Dennoch wird das Thema Sexualität ärztlicherseits selten direkt angesprochen. Im folgenden Beitrag sollen Grundlagen zu Häufigkeit, Klassifikation und Diagnostik sexueller Funktionsstörungen dargestellt werden. Teil 2 in Ausgabe 20/2018 behandelt dann die Therapie und Sexualberatung in der Hausarztpraxis.

Gesprächsangebote zu sexuellen Problemen können bereits frühzeitig in ärztliche Routineuntersuchungen integriert werden, um dem Patienten das Ansprechen sexueller Probleme zu erleichtern. Ein Großteil der Diagnostik und Beratung kann bereits in der Hausarztpraxis durchgeführt werden.

Der sexuelle Reaktionszyklus

Zu den sexuellen Funktionsstörungen gehören Beeinträchtigungen des sexuellen Verlangens und des sexuellen Reaktionszyklus. Der sexuelle Reaktionszyklus beschreibt die physiologischen Vorgänge wie Erregung, Orgasmus und Rückbildung der Erregung und kann an jeder Stelle Beeinträchtigungen erfahren. Allerdings sind geschlechtsbezogene Unterschiede zu erkennen (Abb. 1a und 1b). Beide Geschlechter haben eine initiale Phase des sexuellen Verlangens, die in eine Plateauphase der Erregung mit körperlichen Veränderungen (Anschwellen des Penis bzw. der Schamlippen, Feuchtwerden der Scheide) übergeht. Die Orgasmusphase ist bei den Frauen variabler. Hier können längere Plateauphasen, ein uniformer Reaktionszyklus oder mehrere Orgasmen kurz hintereinander ohne längere Refraktärzeiten erfolgen [7].

Klassifikation und Häufigkeit sexueller Funktionsstörungen

Da die ätiologische Differenzierung (organisch, psychisch oder aber aufgrund beider Faktoren) nicht immer möglich ist bzw. im Verlauf der Erkrankung fast immer psychische Faktoren zur Aufrechterhaltung beteiligt sind, wurde im aktuellen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) diese Unterscheidung aufgehoben. Tabelle 1 zeigt die Diagnostik sexueller Funktionsstörungen nach ICD-10 [9] und DSM-5 [2].

Die Prävalenz der weiblichen Appetenzstörung wird mit 17 – 55 % angegeben. Dyspareunie liegt bei 14 – 27 %, Orgasmusstörung bei 16 – 25 % und Erregungs- und Lubrikationsprobleme bei 8 – 15 % [6]. Für die Erregungsstörung der Frau finden sich Prävalenzen von 11 – 31 % [5]. Bei den männlichen sexuellen Funktionsstörungen nimmt die erektile Dysfunktion in Abhängigkeit vom Alter von 2,3 % in der 3. Lebensdekade auf 53,4 % bei Männern über 70 Jahren zu [1, 4, 10]. Die häufigste sexuelle Funktionsstörung bei Männern unter 60 Jahren ist die Ejaculatio praecox mit einer Prävalenz von 20 – 30 %.

Die enormen Schwankungen der Prävalenzzahlen kommen zum Teil daher, dass nicht immer eine klare Diagnostik bezüglich des Störungscharakters und Leidens der Patienten erfolgt. In der medizinischen Versorgung sollte daher zwischen sexuellen Problemen und sexuellen Funktionsstörungen unterschieden werden. Bei sexuellen Funktionsstörungen kommen neben der Beeinträchtigung der sexuellen Funktion auch ein persönlicher Leidensdruck bzw. stärkere Beziehungsprobleme hinzu. Sexuelle Probleme im Gegensatz dazu treten immer wieder mal im Verlauf der Partnerschaftsbeziehung auf und sind meist vorübergehend (z. B. durch die Geburt eines Kindes, bei längeren Partnerschaften oder im höheren Alter). Jedoch sind beide behandlungsrelevant. Daher ist es zusätzlich wichtig, die sexuelle Zufriedenheit der Patienten zu erfragen.

Diagnostik

Bei der Sexualanamnese sollte ausreichend Zeit eingeplant werden und mit dem Patienten eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Die biopsychosoziale Anamneseerhebung macht in jedem Fall die Abklärung der Beschwerden des Patienten aufgrund verschiedener Dimensionen (ggf. auch durch den Partner) erforderlich.

Die Diagnostik erfolgt vor allem durch:
  • Anamneseerhebung (v. a. Sexualanamnese): Fragen zur genauen Symptomatik, der Situationsabhängigkeit, dem Verlauf und der subjektiven Krankheitstheorie, auch zu anderen Einflussfaktoren, z. B. körperliche Erkrankungen, Medikamente, partnerschaftliche, berufliche und soziale Aspekte, Lebensstil (Rauchen, Alkohol, Internetpornographie), sexuelle Bedenken und Ängste, sexuelle Präferenzen, Abneigungen, Mythen, Therapieziele
  • Somatische Untersuchungen: u. a. gynäkologische und urologische Untersuchungen, körperliche Untersuchung, Blutdruck, EKG, Gefäßdiagnostik, Laborparameter (z. B. Blutzucker, Lipide, Testosteron, Prolaktin)
  • Standardisierte Testverfahren/Fragebögen: Beurteilung des Ausprägungsgrades sexueller Funktionsstörungen und Differenzialdiagnostik: z. B. IIEF-5, FSFI-d, PEP [11, 3, 8].

Speziell entwickelte Kurz-Screener wie der "Fragebogen für sexuelle Funktionsstörungen" helfen gezielt, den beeinträchtigten Funktionsbereich zu identifizieren und ressourcen-orientiert auch die sexuelle Zufriedenheit abzubilden (Tabelle 2a, 2b). So kann der spezifische Behandlungsbedarf ermittelt und der Therapieerfolg abgebildet werden.


Literatur
1. Althof S ., et al. (2010) International Society for Sexual Medicine‘s guidelines for the diagnosis and treatment of premature ejaculation. The journal of sexual medicine 7(9): 2947-2969
2. Association A P (2013) Diagnostic and statistical manual of mental disorders (DSM-5®), American Psychiatric Pub
3. Berner M, et al. (2004) Überprüfung der Gültigkeit und Zuverlässigkeit des deutschen Female Sexual Function Index (FSFI-d). Geburtshilfe Frauenheilkunde 64(3): 293-303
4. Brau, M, et al. (2000) Epidemiology of erectile dysfunction: results of the ‘Cologne Male Survey’. International journal of impotence research 12(6): 305
5. Brotto LA, et al. (2010) Women‘s sexual desire and arousal disorders. The journal of sexual medicine 7(1pt2): 586-614
6. Lewis R W, et al. (2010) Definitions/epidemiology/risk factors for sexual dysfunction. The journal of sexual medicine 7(4pt2): 1598-1607
7. Masters W, Johnson V (1966) Human sexual response, Boston (Little, Brown and Company) 1966
8. Mathers M, et al. (2013) Premature ejaculation in urological routine practice. Aktuelle Urologie 44(1): 33-39
9. Organization WHO (1993). The ICD-10 classification of mental and behavioural disorders: diagnostic criteria for research, World Health Organization
10. Porst H, et al. (2007) The Premature Ejaculation Prevalence and Attitudes (PEPA) survey: prevalence, comorbidities, and professional help-seeking. European urology 51(3): 816-824
11. Rosen R C, et al. (1999) Development and evaluation of an abridged, 5-item version of the International Index of Erectile Function (IIEF-5) as a diagnostic tool for erectile dysfunction. International journal of impotence research 11(6): 319



Autor:

Dr. phil. Katja Brenk-Franz

Universitätsklinikum Jena
Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
07740 Jena

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (19) Seite 16-18