Die demografische Entwicklung innerhalb der Hausärzteschaft spitzt sich zu, der Hausärztemangel erreicht inzwischen auch schon die großen Städte. Da liegt der Gedanke nahe, mehr ärztliche Leistungen an die nichtärztlichen Praxismitarbeiterinnen zu delegieren. Hausärzte und ihre Teams aus dem Raum Bremen haben sich im Rahmen eines interprofessionellen Workshops sehr konkret Gedanken gemacht, welche Leistungen unter welchen Voraussetzungen an MFAs delegiert werden könnten.

Mit Einführung der VERAH innerhalb der Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung sowie zur NäPa innerhalb des KV-Systems wurde nachvollziehend anerkannt, was zuvor in einem juristischen Graubereich praktiziert worden war: Speziell qualifizierte Mitarbeiterinnen impfen, führen Hausbesuche durch, betreuen Palliativpatienten und anderes mehr. In der zweiten Zukunftsposition der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM ) heißt es so auch: "Die Hausarztpraxis der Zukunft ist eine Teampraxis." Vor diesem Hintergrund trafen sich im Juni 2015 erstmals 12 Hausärzte und 13 MFAs aus Bremen und Umgebung zu einem interprofessionellen Workshop im Rahmen eines allgemeinmedizinischen Seminars, wie sie seit 2007 bislang nur mit Ärzten jährlich von der Akademie für hausärztliche Fortbildung durchgeführt werden.

Inhalte, Abläufe und Grenzen der Delegierbarkeit

Dieses Mal wurde in teilweise nach Berufsgruppen getrennten, teils gemischten Kleingruppen Inhalte, Abläufe sowie Grenzen der Delegierbarkeit hausärztlicher Leistungen definiert. Am "banalen Fall" der Gastroenteritis entstand beispielhaft ein Behandlungspfad für eine MFA-Sprechstunde – eine solche hatte auf der Wunschliste der MFAs ganz oben gestanden. Weitere die Mitarbeiterinnen interessierende Themen waren Anamneseerhebung, Routine-Hausbesuche, die Ausbildung von Auszubildenden sowie eigene Fortbildungen. In Kleingruppen entstanden dann Behandlungspfade zu den Beratungsanlässen "Grippaler Infekt", "Magen-Darm-Infekt", "Zeckenbiss" und "Ausschließlicher Wunsch nach Rezept bzw. Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung". Als Beispiel für die erarbeiteten Pfade sei hier der Behandlungspfad für Magen-Darm-Infekte dargestellt (Tabelle 1).

Aber auch für Patienten mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise für die Betreuung von Patienten im DMP Diabetes existieren bereits Vorlagen, die in den Praxen teilweise auch schon umgesetzt werden (Kasten links). Diese Standards wurden vom Team der Hausarztpraxis Egidi und Schelp in Bremen-Huchting erstellt (Kontakt: egidi-schelp@nord-com.net).

Voraussetzungen für Delegation

Die folgenden Voraussetzungen für eine Delegation müssen stets erfüllt sein:

  • fachliche Schulung der MFAs, die bis dahin rein ärztliche Leistungen übernehmen,
  • klare Definition von Bedingungen und Grenzwerten, bei deren Vorliegen bzw. Überschreiten der Arzt die Patienten sehen muss,
  • Feedback-Verfahren zwischen Ärzten und MFAs mit regelmäßigen Qualitätskontrollen und, last but not least,
  • die Zustimmung der Patienten, dass sie von einer MFA und nicht von einem Arzt gesehen werden.

In vielen europäischen Ländern mit gut etablierter Allgemeinmedizin wie England, den Niederlanden und Dänemark arbeiten nichtärztliche Professionen schon viel selbständiger als hierzulande. Eine Gefährdung der beruflichen Identität der Allgemeinmedizin war in diesen Ländern nicht nur nicht zu erkennen, vielmehr verbesserte sich sogar die Versorgung. So wird die INR-Einstellung antikoagulierter Patienten in Schweden von spezialisierten Hilfspersonen durchgeführt – und funktioniert, was die Zielerreichung angeht, im internationalen Vergleich am besten. In Großbritannien gibt es sogar ausschließlich von "Nurse Practitioners" geleitete "Clinics for minor diseases".

Die zusätzliche Verantwortlichkeit von MFAs kann dazu beitragen, Lücken in der Versorgung zu schließen. Und auch die unterschiedlichen Kompetenzen von Hausarzt und MFA können vorteilhaft sein: Die Hierarchien sind oft flacher, und manche Patienten erzählen eher einer MFA etwas als dem Arzt. Werden die MFAs einbezogen, können die Verfügbarkeit der "hausärztlichen Teams" und die Niedrigschwelligkeit der Ansprechbarkeit sogar verbessert werden. Und nicht zu vergessen: Die Patienten selbst müssen entscheiden können – so wird in Großbritannien nicht selten charmant gefragt: "Are you happy to see a nurse?"


Was können die MFAs beim DMP Diabetes übernehmen?

  • Füße untersuchen, bei diabetischer Neuropathie jedes Mal ansehen
  • Dopplern, wenn bislang keine periphere AVK bekannt ist und wenn die Pulse nicht eindeutig zu tasten sind. Wenn pAVK bekannt, jedes Mal die Füße ansehen, nicht mehr Pulse tasten und nicht mehr dopplern, aber nach der maximalen Gehstrecke fragen
  • Besprechen, ob das eigene HbA1c-Ziel erreicht wurde. Den Wert müssen die Ärzte für jeden Patienten festlegen
  • Besprechen, ob das eigene RR-Ziel erreicht wurde. Den Wert müssen die Ärzte für jeden Patienten festlegen
  • Bei fälliger Augenarzt-Untersuchung eine Überweisung mit HbA1c erstellen
  • Nach Schwierigkeiten bei der Gewichtsreduktion fragen
  • Nach Schwierigkeiten bei der Erreichung des Bewegungsziels fragen
  • Bei Patienten mit Glibenclamid oder Insulin nach Unterzuckerungen fragen
  • Bei Patienten mit Insulin die Spritzstellen ansehen
  • Eventuell neue Gewichts- oder Bewegungsziele vereinbaren
  • Darauf achten, wann wieder eine GU fällig ist
  • Patienten nach Luftnot und Herzenge fragen
  • Bei Patienten mit Insulin einmal im Jahr das BZ-Gerät überprüfen
  • Blutzucker-/Insulinprotokoll ansehen
  • Darauf achten, ob einmal im Jahr Krea bestimmt wurde

Patienten zum Arzt/zur Ärztin schicken:

  • Wenn das Blutdruck-Ziel nicht erreicht wird (müssen die Ärzte für jeden Patienten festlegen)
  • Wenn es häufiger Unterzuckerungen gibt bzw. HbA1c bei Insulin < 7,0 % ist
  • Bei Anstieg des HbA1c um mehr als 1 Prozentpunkt
  • Wenn es Zeichen von Luftnot oder Herzenge gab
  • Bei Auffälligkeiten am Fuß im Sinn der Wagner-Klassifikation
  • Wenn Helferin und Patient den Eindruck haben, dass mehr passieren muss
  • Wenn die Patienten es fordern
  • Wenn die individuellen BZ-Zielwerte im Spritz-Protokoll nicht erreicht wurden (müssen die Ärzte für jeden Patienten festlegen)
  • Bei Gewichtsveränderungen > 2 kg seit der letzten Dokumentation oder > 3 kg in einem Jahr (außer bei gewollter Gewichtsabnahme)

Autor:

Dr. Günther Egidi

Arzt für Allgemeinmedizin
28259 Bremen



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (9) Seite 16-19