Immer wieder kommt ein Notarzt selbst in Not. Er wird zu einem hochbetagten Patienten gerufen, dessen Leben sich zu Ende neigt. Nimmt er ihn mit in die Klinik, wird eher das Leiden als das Leben verlängert. Lässt er ihn zu Hause oder im Pflegeheim, könnte ihm evtl. unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen werden. Eine frühzeitige und sorgfältige Versorgungsplanung ist in dieser Situation Gold wert.

In der Kürze der Zeit lässt sich der Patientenwille oft nicht feststellen. Auf lebensverlängernde Maßnahmen könnte er verzichten, wenn eine entsprechende Patientenverfügung vorläge. Doch nicht immer liegt eine solche vor oder ist schnell verfügbar. Oft sind die Dokumente unklar formuliert, lassen sich nur schwer auf die aktuelle Situation übertragen oder sind schon lange nicht mehr aktualisiert worden. Daraus ergibt sich die Frage: Wie lässt sich in einer solchen Situation der Wille des Patienten feststellen und eine wohlüberlegte Entscheidung im Interesse des Patienten treffen?

Beim einwilligungsfähigen Patienten stellt der Arzt die Diagnose und schlägt eine indizierte Behandlung vor. Er bespricht mit dem Patienten in einem Aufklärungsgespräch die Diagnose, die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen. Der wohlinformierte Patient ist jetzt in der Lage, sich selbst ein Bild zu machen und im Rahmen seiner Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen (informed consent). Er kann die vorgeschlagene Maßnahme akzeptieren oder ablehnen. Die endgültige Entscheidung trifft der Patient. Der Arzt, auch wenn er die Maßnahme für lebensnotwendig erachtet, kann sich über die Entscheidung des Patienten nicht hinwegsetzen.

Sollte ein Patient auf Dauer nicht mehr entscheidungsfähig sein, z. B. aufgrund einer Demenz oder einer anderweitigen Hirnschädigung, dann kann eine Patientenverfügung hilfreich sein. Die Schwachpunkte dabei sind allerdings: Die derzeitige Situation war bei der Erstellung oft nicht voraussehbar. Ohne eine medizinische Beratung ist unklar, ob der Patient die notwendigen medizinischen Informationen für eine solche Vorausverfügung hatte. Somit lassen sich oft nur vage Anhaltspunkte erkennen, wie sich der Patient in dem konkreten Fall wohl entschieden hätte. Gelegentlich lassen sich diese Anhaltspunkte durch Aussagen von Vertrauenspersonen (Angehörigen, Hausärzten) genauer darlegen und damit die Basis für eine Entscheidung untermauern. Letztendlich bleibt aber oft eine gewisse Unsicherheit. Wichtig ist, dass ein gesetzlicher Vertreter (Bevollmächtigter oder Betreuer) diese Entscheidungsfindung betreibt und auch die Entscheidung mitverantwortet. Dieser Prozess ist gesetzlich geregelt und höchstrichterlich bestätigt.

Im Notfall kommen allerdings weitere Probleme hinzu. Kann der Notarzt eine Patientenverfügung in der Kürze der Zeit lesen, interpretieren und daraus eine wohlüberlegte Entscheidung treffen? Es geht schließlich um Leben und Tod. Von vielen Notärzten wird dies verneint. Deshalb wurde nach anderen Lösungen gesucht.

Ein authentischer Fall zeigt die Problematik

Frau H. G. (88 Jahre) lebt seit einigen Jahren wegen einer fortgeschrittenen Demenz im Pflegeheim. Außerdem hat sie eine kompensierte Herzinsuffizienz, eine Coxarthrose und eine multifaktorielle Sturzneigung. Anfang des Jahres überstürzten sich die medizinischen Ereignisse. Ende April kam die Patientin wegen einer Pneumonie ins Krankenhaus, Anfang Mai dann wegen eines Dünndarmileus, der laparoskopisch behandelt wurde. Ende Mai erfolgte dann eine erneute Aufnahme wegen einer kardialen Dekompensation mit Beinödemen und Stauungsdermatitis. Im Juli erfolgte schließlich eine notfallmäßige Aufnahme aufgrund mehrerer Stürze und einer kurzen Bewusstlosigkeit mit anschließender Eintrübung. Im Krankenhaus wurde die Tochter als Betreuerin über den mutmaßlichen Willen der Patientin befragt (eine Patientenverfügung existierte nicht) und schließlich einvernehmlich auf weitere diagnostische und lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet und die Patientin auf Wunsch der Betreuerin in das Pflegeheim zurückverlegt.

Wie können solche Verläufe verhindert werden?

Geregelt ist die gesundheitliche Versorgungsplanung in § 132 g SGB V: Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe können (!) den Versicherten eine "gesundheitliche Versorgungsplanung" für die letzte Lebensphase anbieten. Dabei sollen sie über die medizinisch-pflegerische Versorgung und Betreuung in der letzten Lebensphase beraten und über Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung informieren. In Fallbesprechungen sollen u. a. Notfallsituationen besprochen und die palliativ-medizinische und -pflegerische Versorgung dargestellt werden.

An den Fallbesprechungen sollen der behandelnde Hausarzt und auf Wunsch der Bewohnerinnen und Bewohner deren Angehörige und weitere Vertrauenspersonen beteiligt sein. Für mögliche Notfallsituationen soll die erforderliche Übergabe des Versicherten an relevante Rettungsdienste und Krankenhäuser vorbereitet werden. Auch andere regionale Betreuungs- und Versorgungsangebote sollen einbezogen werden, um die umfassende medizinische, pflegerische, hospizliche und seelsorgerische Begleitung nach Maßgabe der individuellen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase sicherzustellen. Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe können das Beratungsangebot selbst oder in Kooperation mit anderen regionalen Beratungsstellen durchführen.

Inhalte und Anforderungen der Versorgungsplanung werden derzeit zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Trägervereinigungen ausgehandelt. Die Finanzierung des Beratungsangebots erfolgt durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Sorgfältige Vorbereitung und Erstellung der Patientenverfügung

Folgendermaßen könnte man sich die gesundheitliche Versorgungsplanung im Beispielfall vorstellen: Beim Aufnahmegespräch in das Pflegeheim werden Frau H. G. und ihre Tochter als gesetzliche Betreuerin gefragt, ob eine Patientenverfügung vorliege. Da dies verneint wird, bietet das Pflegeheim ein Beratungsgespräch an. Dieses sondierende Gespräch führt die Sozialarbeiterin des Hauses mit der Patientin und ihrer Tochter. Die Patientin äußert, dass sie nicht "an Schläuchen hängend" sterben wolle und eine Krankenhausbehandlung ablehne, wenn sie nichts mehr vom Leben habe. Sie erhält eine Patientenverfügung, damit sie sich zusammen mit ihrer Tochter mit der Thematik beschäftigen kann. Erst in einem vertiefenden Gespräch unter Beteiligung des langjährigen Hausarztes wird im Hinblick auf den potenziellen Krankheitsverlauf die Patientenverfügung besprochen und, nachdem alle Fragen geklärt sind, unterschrieben. Es wird vereinbart, dass man sich bei gravierenden gesundheitlichen Änderungen insbesondere mit Therapiezieländerung bespricht.

Der Krankheitsverlauf könnte sich jetzt folgendermaßen gestalten: Nach der Behandlung der Lungenentzündung im Krankenhaus wird mit der Patientin und ihrer Tochter der Behandlungsplan überprüft. Am Ende einer demenziellen Entwicklung treten erfahrungsgemäß gehäuft Pneumonien auf. Wie soll in Zukunft verfahren werden, wenn weitere Pneumonien auftreten? Spätestens nach der Behandlung des Dünndarmverschlusses müsste die Behandlungsstrategie geklärt werden. Soll der Schwerpunkt der Behandlung auf der Palliativbehandlung liegen? Wann soll auf kurative Maßnahmen verzichtet werden? Soll die Patientin noch in ein Krankenhaus eingewiesen werden? Wann soll die spezialisierte, ambulante Palliativversorgung (SAPV) einbezogen werden? Die Beratungsgespräche werden kurz protokolliert. Für Notfallsituationen wird eine Behandlungsanweisung (Patientenanweisung für lebenserhaltende Maßnahmen, PALMA) erstellt, die von der Patientin bzw. der Betreuerin sowie dem Hausarzt und der Pflegedienstleitung unterschrieben wird. Damit soll sichergestellt werden, dass nicht doch noch zum Lebensende lebensverlängernde Maßnahmen unternommen werden oder gar ein unnötiger Transport in die Klinik erfolgt. Die akute kardiale Dekompensation wäre dann im Pflegeheim durch den Hausarzt ambulant behandelt worden, eventuell mit Unterstützung durch die SAPV. Bei fehlender Konsequenz wäre schließlich die Krankenhauseinweisung bei der zunehmenden Eintrübung nach einem Sturz vermeidbar gewesen. Durch die gesundheitliche Vorausplanung (Advance Care Planning; ACP) lässt sich das Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf den häufig geäußerten Wunsch "zu Hause sterben" besser verwirklichen, als lediglich durch den einmaligen Akt der Vorausverfügung durch eine Patientenverfügung. Allerdings sind dazu entsprechende Rahmenbedingungen erforderlich: Beratung durch ein qualifiziertes, multiprofessionelles Team, Versorgungsplanung in vernetzten Versorgungsstrukturen unter Einbeziehung des gesetzlichen Vertreters und valider Vorausverfügungen, fürsorgliche Begleitung im Krankheitsverlauf und schließlich Umsetzung der Palliativversorgung bis zum Lebensende.

Schlüsselrolle der Hausärzte

In diesem Versorgungskonzept hat der Hausarzt eine Schlüsselrolle. Er hat das Vertrauen des Patienten, das notwendige Wissen und die Kontakte im regionalen Versorgungsnetz. Wichtig ist seine Herangehensweise an die Versorgungsplanung. Ist sie ressourcenorientiert oder defizitorientiert? Stellt er sich der Frage, was der Patient derzeit noch kann und was in naher Zukunft evtl. an Unterstützungsleistungen erforderlich sein wird, dann sind die Entscheidungen eher auf das Leben als auf die Krankheit fokussiert. Bei einer defizitorientierten Herangehensweise kommt es eher zu Überversorgung oder zu Leistungskürzungen ("das lohnt sich doch nicht mehr"). Gesundheitliche Versorgungsplanung darf auf keinen Fall wie ein "standardisiertes Sterbeprojekt" durchgezogen werden, sondern kann lediglich zu individuellen Handlungsrichtlinien führen. Die Wünsche des Patienten sind ausschlaggebend und wenn er sich auf keine Vorausplanung einlassen möchte, ist diese Entscheidung zu respektieren. Auf keinen Fall darf gesundheitliche Vorausplanung lediglich zur Kostendämpfung am Lebensende verwendet werden.


Literatur
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1662043
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Patientenverfuegung.pdf
http://www.bmg.bund.de/ Kabinettvorlage_HPG_18-15032.pdf - S. 35
http://www.aerzteblatt.de/archiv/167725
http://www.medknowledge.de/abstrakt/med/med2010/06-2010-18-versorgungsplan.html
http://www.agswn.de/sites/default/files/PALMA-Formular%20Vers.3.1.%20AGSWN.pdf



Autor:

© Bühler
Dr. med. Ernst Bühler

Kreiskliniken Esslingen gGmbH
73230 Kirchheim/Teck

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 14-17