Nachdem in Teil 1 der Übersichtsarbeit zu sexuellen Dysfunktionen in Ausgabe 19/2018 Häufigkeit, Klassifikationen und Diagnostik behandelt wurden, soll es im Teil 2 um die therapeutischen Möglichkeiten und die Beratung in der Hausarztpraxis gehen. Niedrigschwellige Sexualberatung kann ohne viel Aufwand in der Hausarztpraxis angeboten werden und bedarf keines intensiven Zeit- und Ausbildungsaufwands. Bei steigender Behandlungsintensität können strukturierte Interventionsprogramme begleitend zur ärztlichen Behandlung hilfreich sein, die der Patient selbstverantwortlich durchführt. Bei schwerwiegenden sexuellen Problemen benötigt man eine Überweisung zum Fachspezialisten.

Die Behandlung sexueller Dysfunktionen ist seit den 1980er- und 1990er-Jahren zunehmend medikalisiert worden. Mit den erfolgreichen medikamentösen Behandlungen von Erektionsstörungen wurden andere therapeutische Optionen in den Hintergrund gedrängt. Die geeignete Behandlungsform sollte immer gemeinsam mit dem Patienten gefunden werden.

Neben medikamentösen, hormonellen und operativen Therapieoptionen stehen vor allem psychoedukative, sexualtherapeutische Interventionen und manuelle Hilfsmittel zur Verfügung. Zunehmend werden zum Beispiel männliche sexuelle Funktionsstörungen auch wieder vermehrt kombiniert (medikamentös und psychologisch) behandelt. Bei einer erektilen Dysfunktion kann die primäre sexuelle Funktion oft wirksam mittels Sildenafil (Viagra®) oder anderer PDE5-Inhibitoren, wie Tadalafil (Cialis®), Vardenafil (Levitra®) und Avanafil (Spedra®), behandelt werden, doch Versagensängste, Scham oder dysfunktionale Gedanken, die möglicherweise Auslöser waren oder die Störung aufrechterhalten, sollten ebenfalls (ggf. unter Einbeziehung des Partners) bearbeitet werden.

Bei weiblichen sexuellen Funktionsstörungen liegt der Schwerpunkt besonders im Bereich der Sexualberatung und auf den psychotherapeutischen Interventionen, da diese sich als besonders wirksam erwiesen haben. Zahlreiche Versuche, Medikamente zur Appetenzsteigerung oder zur Behandlung von Sexualstörungen bei Frauen zu etablieren, waren bisher wenig erfolgreich, da die Wirksamkeit als statistisch kaum nachweisbar gilt. Flibanserin (Addyi®) wurde in den USA im Jahr 2015 in Form von Filmtabletten zugelassen. Als Nebenwirkung der "Pink Viagra", die ursprünglich bei Boehringer Ingelheim als Antidepressivum entwickelt wurde, wird ein deutlicher Anstieg von Schwindel, Schläfrigkeit, Übelkeit und Erschöpfung berichtet [5].

Niedrigschwellige Behandlungen in der Hausarztpraxis

Nicht jede sexuelle Funktionsstörung bedarf einer spezifischen medikamentösen oder intensiven psychotherapeutischen Behandlung. Hier kommt den niederschwelligen Versorgungsangeboten wie Psychoedukation, Sexualberatung, Informationsbroschüren und Onlineratgebern eine besondere Bedeutung zu. Das sogenannte PLISSIT-Modell (vgl. Kasten) unterscheidet vier Stufen der Behandlungsintensität [1], wobei die Interventionen bis zur dritten Stufe (spezifische Vorschläge) problemlos von Hausärzten oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe durchgeführt werden können und als sogenannte niederschwellige Versorgungsangebote gelten.

Mögliche Therapie-Module

Angebote zur Sexualberatung sollten immer auch begleitend zur medizinischen Therapie eingesetzt werden und können in unterschiedlichen Settings erfolgen (Einzelgespräche, Gruppeninterventionen oder onlinebasierte Interventionen). Bei erektiler Dysfunktion können neben der etablierten medikamentösen Therapie Informationen über unrealistische Erwartungen und die Identifikation von sexuellen Bedenken hilfreich sein. Ebenso haben sich Beckenbodenübungen zur Steigerung der Erektionsfähigkeit bewährt [6]. Bei Ejaculatio praecox haben sich vor allem Psychoedukation und Masturbationstrainings als erfolgreich erwiesen [4].

Bei den weiblichen sexuellen Funktionsstörungen geht es häufig um sexuelle Ängste und Bedenken zum eigenen Körperbild [2]. Selbstmanagementprogramme, die Patientinnen selbstständig oder mit Anbindung an einen Hausarzt oder Therapeuten durchführen können, enthalten unterschiedliche Interventionsbausteine:
  • Module zur Psychoedukation (Merkmale weiblicher Sexualität, Störungen der Erregung, Körperbild, eigene Einstellung zur Sexualität, Mythenreduktion)
  • Achtsamkeitsübungen (achtsame Körperwahrnehmungen, Identifikation von fördernden und hemmenden Einflüssen auf die sexuelle Erregung, Übungen zum Körperbild, "Body Scan")
  • Übungen zur Sexualität (Erarbeiten sexueller Fantasien, Masturbationsübungen, Selbstreflexions- und Kommunikationsaufgaben)

Ziel dieser psychologischen Interventionsprogramme ist vor allem eine Steigerung der sexuellen Selbstwirksamkeit, eine Reduktion dysfunktionaler sexueller Erwartungen, eine Stabilisierung des Selbstwertes, eine Verbesserung der sexuellen Kommunikation und letztlich eine Steigerung der sexuellen Selbstbestimmtheit und Zufriedenheit. Eine Vielzahl empirischer Studien konnte bereits die Wirksamkeit solcher Interventionsmodule in Form einer Verbesserung des körperlichen und psychischen Empfindens bei sexuellen Funktionsstörungen belegen [3, 7].

Wir haben über die letzten Jahre papier- und onlinebasierte Selbstmanagementprogramme für Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen entwickelt, welche Hausärzte bei der Behandlung ihrer Patienten unterstützend einsetzen können. Dabei konzentrieren wir uns besonders auf:
  1. Frauen mit sexueller Appetenz- und Erregungsstörung oder geringer sexueller Selbstwirksamkeit
  2. Männer mit psychogen bedingten Erektionsstörungen
  3. Männer mit Ejaculatio praecox.

Wenn Sie Ihren Patienten behandlungsbegleitend ein praxisrelevantes Selbsthilfeprogramm anbieten möchten bzw. Programme mit weiterentwickeln möchten, wenden Sie sich gerne an uns ( katja.brenk-franz@med.uni-jena.de ).

Stufen der Behandlungsintensität nach dem PLISSIT-Modell
  1. Permission (Erlaubnis): Der Arzt vermittelt dem Patienten, dass bestimmte Empfindungen und damit einhergehende Bedenken nicht ungewöhnlich sind. Diese „Erlaubnis“ wirkt für viele Patienten bereits sehr entlastend. Unter Umständen sind sogar keine weiteren Interventionen notwendig.
  2. Limited Information (beschränkte Information): Der Arzt stellt Informationen über sexuelle Funktionen, Mythen, Einflussfaktoren zur Verfügung. Außerdem erfolgt eine Aufklärung über Nebenwirkungen von Medikamenten oder Entwicklung sexueller Bedürfnisse in bestimmten Lebenssituationen. Diese Elemente der Psychoedukation sind ebenfalls sehr wirksam, um unrealistische Erwartungen oder Bedenken zu verringern.
  3. Specific Suggestions (spezifische Vorschläge): Sollten die bisherigen Schritte nicht ausreichend sein, kann der Arzt praxisnahe Hinweise geben und konkrete Übungen, Programme oder Hilfsmittel empfehlen.
  4. Intensive Therapy (Intensive Therapie): Lediglich ein geringer Teil der Betroffenen benötigt eine intensive Therapie durch einen sexualmedizinischen oder therapeutischen Fachspezialisten.



Literatur
1. Annon JS (1976) The PLISSIT model: A proposed conceptual scheme for the behavioral treatment of sexual problems. Journal of sex education and therapy, 2(1): 1-15
2. Brenk-Franz K (2018) Sexuelle Funktionsstörungen. In Kohlmann C-W, Salewski Ch, Wirtz MA (Ed.), Psychologie in der Gesundheitsförderung: Hogrefe
3. Frühauf S, Gerger H, Schmidt HM, Munder T, Barth J (2013) Efficacy of psychological interventions for sexual dysfunction: a systematic review and meta-analysis. Archives of Sexual Behavior, 42(6):915-933
4. Hanel M J (2003) Ejaculatio praecox. Ejaculatio praecox–Therapiemanual. Thieme, Stuttgart
5. Jaspers L, Feys F, Bramer WM, Franco OH, Leusink P, Laan ET (2016) Efficacy and safety of flibanserin for the treatment of hypoactive sexual desire disorder in women: a systematic review and meta-analysis. JAMA internal medicine 176(4):453-462
6. Rosenbaum TY, Owens A (2008) The role of pelvic floor physical therapy in the treatment of pelvic and genital pain-related sexual dysfunction. The journal of sexual medicine 5(6):1513
7. Stephenson KR, Kerth J (2017) Effects of mindfulness-based therapies for female sexual dysfunction: a meta-analytic review. The Journal of Sex Research 54(7):832-849



Autorin:

Dr. phil. Katja Brenk-Franz

Universitätsklinikum Jena
Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
07740 Jena

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (20) Seite 38-40