Nicht jede Gruppe von Menschen ist a priori ein Team, und nicht jedes Team verfolgt die gleichen Ziele. Bei der Personalauswahl stellt sich die Frage, wer und was ein Team ausmacht und durch welche Mitarbeiter es bereichert werden kann.

Ein engagierter Allgemeinarzt - nennen wir ihn Dr. Meier – besuchte eines Tages seinen Zahnarzt. Der letzte Besuch lag schon eine Weile zurück und – da war sich Dr. Meier sicher – er hatte seit diesem Besuch noch keine Rechnung von seinem Zahnarzt erhalten. Also sprach er den Kollegen darauf an, weil er ja selbst aus seiner eigenen Erfahrung wusste, dass schon mal was aus dem Blick geraten kann, wenn man eine erfolgreiche Praxis führt. Nun, so wusste der Kollege zu berichten, das könne eigentlich gar nicht sein, denn die damit beauftragte Mitarbeiterin sei eine sehr gewissenhafte Person und habe das Rechnungswesen nach seiner Einschätzung bestens im Griff – er sei froh, dass er eine so engagierte Mitarbeiterin habe. Sie mache auf ihn einen toporganisierten Eindruck, und er könne sich blind auf sie verlassen. Sicher wäre die Rechnung dann beim nächsten Rechnungsversand dabei ...

Man kann sich nicht um alles kümmern

Wenn man Sie fragen würde, was Ihre Kernkompetenzen sind und welche Rolle Sie als Arzt und Chef in der Praxis ausfüllen, wie lautete Ihre Antwort? An welche Aufgaben denken Sie zuerst? Und welches sind die Prozesse, die "einfach so" reibungslos ablaufen müssen, damit Sie sich als Arzt um Ihre Kernkompetenzen, um die Versorgung Ihrer Patienten kümmern können? Wie viel Zeit möchten Sie darauf verwenden, dass diese Prozesse sauber aufgesetzt sind und die Arbeitsergebnisse regelmäßig kontrolliert werden?

Es verging einige Zeit, und Dr. Meier kam die Sache doch allmählich seltsam vor. Nicht nur die bereits vermisste Rechnung ließ auf sich warten, sondern auch der letzte Besuch wurde ihm nicht in Rechnung gestellt. Und so machte sich Dr. Meier wieder auf den Weg zu seinem Zahnarzt, denn er konnte so recht nicht glauben, dass er einen so umfangreichen Rabatt von seinem Kollegen zu erwarten hätte. Dieser erneute Hinweis veranlasste den Zahnarzt dann doch, der Sache einmal nachzugehen.

"Pacta sunt servanda", weiß der Lateiner. Daher ist es die Regel bei der Praxisübergabe oder der Fusion, dass manches Personal "schon da" ist und auf die Auswahl kein Einfluss besteht – auf Neueinstellungen in der Zukunft hingegen schon. Das betrifft nicht nur die MFA, sondern auch die Auswahl von ärztlichem Personal. Wie kann ich als Inhaber sicherstellen, dass der oder die Neue sich in mein Praxiskonzept integriert? Wie denken die Mitarbeiter darüber? Was macht uns als Praxisteam eigentlich aus? Welche Kultur trägt unser tägliches Miteinander, welche Kommunikation findet geplant statt und welche nur "zwischen Tür und Angel", weil gerade mal wieder keine Zeit war, sich um die Kleinigkeiten des Alltags zu kümmern? Legen Sie kurz diesen Artikel einmal zur Seite und schreiben Sie auf einen Zettel, wie viel Zeit im vergangenen Quartal eingeplant war: für Teambesprechungen, für Mitarbeitergespräche – und wie oft mussten dringende Fragen so "en passant" geregelt werden?

Der Zahnarzt hat seine Mitarbeiterin, die Stütze des Abrechnungswesens, auf Dr. Meiers Rechnung angesprochen. Sicher könne es doch nicht sein, dass Rechnungen verloren gingen. Vielleicht könne man sich auch auf die Post nicht mehr so verlassen …
Tatsächlich waren die Abrechnungsunterlagen nicht verloren gegangen – sie fanden sich fein säuberlich gesammelt in einer der hinteren Ecken der Schränke. Schon seit geraumer Zeit hatte es immer mal wieder Situationen gegeben, mit denen die Mitarbeiterin sich überfordert fühlte. Für sie kam es nicht in Frage, den Chef um Unterstützung zu bitten, denn die Abrechnung war schließlich ihre Aufgabe. Und sie machte ihren Job nach eigener Einschätzung gerne, gut und gewissenhaft: Sicher würde es ihrem Chef auch recht sein, dass alles seine Richtigkeit hatte, auch wenn sie dafür manchmal etwas länger brauchte. Und bei der Flut an Arbeit kann es schon mal vorkommen, dass etwas liegen bleibt … Doch es blieb immer mehr liegen, sie fühlte sich getrieben, auch manchmal überfordert. Aber Schwäche zeigen? Was hätten die Kolleginnen wohl gesagt? Sie liebt ihren Job! Wer sollte es denn sonst auch machen? Seit Jahren ist sie Mrs. Quartalsabschluss. Es gibt doch genug zu tun! Sie braucht ihren Job! Soll sie da dem Chef sagen, dass sie es nicht mehr schafft?

Stellenbeschreibung, Führung und Delegation

Das Rad muss nicht neu erfunden werden, denn es ist ja alles geordnet. Die Aufgaben der MFA sind definiert und beschrieben. Die Ärzte haben "den Hut auf" und sind weisungsbefugt. QM und Hygienepläne lassen keinen Zweifel daran, was im täglichen Arbeitsablauf geht und was nicht. Dienstanweisungen klären den Rest. Und dennoch gibt es in jedem größeren Team immer wieder gruppendynamische Verwerfungen, die auf der einen oder der anderen Seite Gefühle der Verwunderung bis Verärgerung auslösen. Wenn Menschen zusammentreffen, können unterschiedliche Erfahrungshintergründe und Lebensläufe zu divergierenden Vorstellungen über eine konkrete Vorgehensweise und letztlich auch über die zu erreichenden Ziele führen. Nicht jede Gruppe von Menschen ist a priori ein Team, und nicht jedes Team verfolgt die gleichen Ziele. Aber immer hat ein Team auch den Bedarf, an der Kommunikation und den Beziehungen unter den Mitgliedern des Teams zu arbeiten – wie in einer guten Ehe! Führungskräfte werden in der Regel durch ihre Position und Stellenbeschreibung eingesetzt; Autorität wird aber immer nur verliehen – und zwar von den Menschen, die der Führungskraft unterstellt sind.

Wir ziehen alle an einem Strang, nur nicht immer in die gleiche Richtung!

"Wir haben für unser Team ja bereits mit einem Coach die gesamte Mannschaft durch einen Persönlichkeitstest laufen lassen", erzählte neulich enttäuscht der betriebswirtschaftliche Geschäftsführer eines MVZ in einem ersten Gespräch. "Angesichts der Kosten war das Ergebnis nicht das, was wir erwartet hatten." Unter anderem war eine Fragestellung gewesen, welche der MFA aufgrund ihres Profils das Zeug zur Führungskraft habe. Die Profile seien sich aber so ähnlich gewesen, dass eine Entscheidung daraus nicht zu treffen gewesen sei. Die MFA hätten sich sowohl von der Durchführung als auch von der Auswertung eher überfordert gefühlt, als dass daraus ein Nutzen erkennbar gewesen wäre. "Wir brauchen anschauliche Anleitung und keine akademischen Gedankenkonstrukte", war sein Fazit.

Persönlichkeitstest versus Profiling

Böse Zungen behaupten, nach dem zweiten Semester seien Psychologiestudenten in der Lage, einen Persönlichkeitstest zu kreieren. Konsequenterweise ist der Markt an verschiedensten Messverfahren unübersichtlich und schwer durchschaubar, denn jeder Anbieter nimmt natürlich für sich in Anspruch, wenn auch nicht den Stein der Weisen, so aber doch ein hochvalides Verfahren in Händen zu halten, das nachhaltige Aussagen zulässt.

Das hinterlässt bei den unterschiedlichen Zielgruppen ganz unterschiedliche Assoziationen – die einen erliegen der Illusion, man könne doch weiter als die Stirn schauen, die anderen fühlen sich, als sei ein Seelen-Striptease als Einstellungsvoraussetzung der Einstieg in die Welt der gläsernen Mitarbeiter.

Profiling ersetzt daher nicht die Prüfung einer fachlichen Eignung, vermeidet aber den Fehler, vorauszusetzen, dass jeder in seiner Profession die gleichen Potenziale und Ziele hat. Es ist auch nicht Selbstzweck in einem prophetischen Sinne, dass eine tiefere Kenntnis von Persönlichkeitsmerkmalen ein Garantieversprechen für ein funktionierendes Team darstellt. Es ist auch kein hinreichendes Kriterium, ob Mitarbeiterin Meyer oder Mitarbeiter Müller in einer Führungsrolle erfolgreich werden wird. Ein Profiling, das sich sowohl der Stärken, aber auch der Grenzen des Verfahrens bewusst ist, wird in der Hand eines umsichtigen Beraters, der die Besonderheiten der Menschen im Blick behält, zu einem Hilfsmittel und zu einem Korrektiv, nicht aber zur allgemeingültigen Wahrheit. In dieser Weise werden Ressourcen frei, auf die Menschen in ihren jeweiligen Rollen zu schauen – den Arzt, den Unternehmer, den Geschäftsführer, die Fachangestellten. Jeder dieser Beteiligten kann gesehen werden mit seinen Erwartungen und Zielen, mit seinen Antreibern und Erlaubern. Sie alle sind aber auch Teil eines Teams, das in erster Hinsicht definiert ist über sein Ziel, aber immer in der Gestalt seiner Mitglieder wahrgenommen wird.

Wer sich im Praxisalltag die Zeit nimmt, den

Fokus von den Prozessen und Notwendigkeiten für eine Weile zu weiten, wird durch ein kommunikatives und konstruktives Miteinander belohnt, das die Menschen wahrnimmt, die alle diese Alltagsdinge möglich machen und bewegen, und gewinnt eine größere Freiheit und Freude an der Arbeit zum Wohle der Patienten.

Wen suchen wir? – Benchmarking

Bei aller Arbeit am "Ist" stellen wir uns abschließend noch die Frage nach dem "Soll". Wer gehört zu welchem Team, was macht das Team stark und was schwächt es? Die Frage nach dem Profiling mit Blick auf die Menschen und auf das Team zwingt einen Entscheider – oder auch das Team –, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wer und was ein Team ausmacht und wodurch es bereichert werden kann. Diese Frage führt im Idealfall zu einer Vorstellung, was für ein Mitarbeiter, was für eine Mitarbeiterin gesucht wird: die Benchmark, an der sich Kandidaten und Bewerber messen lassen.

Ein solches Team ist mehr als die Abkürzung "Toll, ein anderer macht’s" und wird auch nicht als integrative Geheimwaffe verstanden, dass ein Kuschelkurs schon irgendwann zum ganzheitlichen Erfolg mutieren müsse. Es nimmt die Menschen, die Teil eines Teams sind, ernst und begründet die Effizienz aus Erfolg und Wirtschaftlichkeit.

Personalentwicklung und Personalgewinnung

Personalgewinnung lässt sich schon lange nicht mehr nur darauf reduzieren, dass man eine Stellenannonce schaltet und sich ein paar Zeugnisse zeigen lässt. Personalmanagement ist mehr als nur das Verteilen der Aufgaben und Organisieren von Vertretungsregeln. Miteinander reden ist noch nicht dasselbe wie zielgerichtete Kommunikation im Praxisteam und – vielleicht können Sie’s schon nicht mehr hören – das Qualitätsmanagement ist mehr als nur der Ordner im Regal!

Auch hier geht es nicht darum, das Rad neu zu erfinden, die Praxis läuft doch und das Team steht zusammen, dass kein Blatt dazwischenpasst! Doch inzwischen holen die Zeitläufte auch die Medizinbranche ein, und was die Gesellschaft unter dem Stichwort "demografischer Faktor" und die Industrie 4.0 unter dem Begriff "War of Talents" sorgenvoll auf die Fragen der Personalentwicklung schauen lässt, wird auch die Gesundheitsbranche erfassen und verändern. Können Sie sich noch dran erinnern, wie das damals war mit dem "AiP", der Warteschleife auf dem Weg zum Assistenten und den richtigen Weichenstellungen hin zum Facharzt? Man reibt sich die Augen angesichts der heute groß angelegten Maßnahmen, die sich um die Sicherstellung ärztlicher Versorgung in einigen Landstrichen sorgen!

Was das mit Ihrer Praxis zu tun hat? Junge Ärzte auf der Suche nach IHRER Stelle ticken heute anders, sie stellen sich andere Fragen, sie haben Vorstellungen von IHREM Weg in die Zukunft. Und nicht nur die Lebensläufe der jungen Ärzte verlaufen heute nicht mehr notwendigerweise nach klassischem Muster. Individualisierung, Digitalisierung und höhere Mobilität sollen nur stichwortartig die Veränderungen anreißen. Und der demografische Wandel tut das Seine dazu!

Moderne, wissenschaftlich fundierte Verfahren, die Personalgewinnung und -management unterstützen, können nicht den Fachkräftemangel lösen. Aber sie können helfen, Grundlagen für eine nachhaltige Personalauswahl zu treffen. Sie können Kommunikationsstrukturen etablieren helfen, die einem reibungslosen Praxisablauf zuträglich sind.



Autor:

Marc A. Buchholtz

Diplom-Theologe, European Business Coach
35460 Staufenberg



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (14) Seite 72-76