Harnsteine sind in Deutschland häufig und vor allem auf Überernährung und Bewegungsarmut zurückzuführen. Auch der Hausarzt ist mit einem solchen Befund, der meist zufällig im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung erhoben wird, konfrontiert. Was aber, wenn der Patient keinerlei Symptome wie Bauch-, Rückenschmerzen oder Koliken zeigt? Sollte man dennoch sofort eine Therapie einleiten oder besser abwarten?

Typischer Fall?!
So sollte es nicht sein: Ein 38-jähriger Mann stellt sich wegen unklarer Oberbauchbeschwerden mit Diarrhoe in der internistischen Praxis vor. Paraklinik inklusive Urin ist unauffällig. Im Ul-traschall wird ein winziges kalkdichtes Substrat im unteren Nierendrittel rechts entdeckt. Bisherige Steinepisoden gab es bei dem jungen Patienten nicht. Er wird zum Urologen überwiesen, der eine Nativ-Computertomographie veranlasst. Diese bestätigt einen kleinen Nierenkelchstein rechts (vgl. Abb.). Es erfolgt, fast automatisch – und sicher in gut gemeinter Intention –, die prophylaktische Harnleiterschieneneinlage. Weitere therapeutische Schritte sind geplant (ESWL?/URS/Mini-PNL?)

Warum geht das nicht anders? Nach Diagnose des kleinen, offensichtlich nicht die Oberbauchbeschwerden auslösenden Kelchsteins sollte die urologische ambulante Betreuung organisiert werden. Weitere diagnostische und therapeutische Konsequenzen sollte man erst einleiten, wenn sie wirklich nötig sind (vgl. Tabelle 1).

Bis zu 30 % aller Patienten in urologischen Kliniken werden wegen eines Harnsteinleidens behandelt. Eine aktuelle Prävalenzstudie aus den USA, die 121.110 Patienten von 2007 – 2010 untersuchte, konnte eine angestiegene Steinprävalenz von 8,8 % (Männer 10,6 %, Frauen 7,1 %) nachweisen und folgte so dem Trend aktueller Umfragen. Übergewichtige zeigten eine Krankheitshäufigkeit von 11,2 %, Normalgewichtige von 6,1 %. Das bedeutet: Ein Elftel der Menschen erkrankt an Urolithiasis.

In deutschen Arztpraxen werden – auch aufgrund der beinahe unbegrenzten Verfügbarkeit diagnostischer Ultraschallgeräte – immer mehr Nierensteine diagnostiziert, die bisher keinerlei subjektive Symptomatik verursacht haben. Der "Zufallsbefund" Harnstein ist tägliche Praxis. Steht die Diagnose erst mal im Raum, initiiert der Arzt nicht selten einen zunächst diagnostischen Aktionismus, der nicht immer nötig ist. Ob und wann eine Therapie sinnvoll ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Arzt und Patient sollten sich dabei abstimmen.

Nebenwirkungen beachten!

Urologen sind in der erfreulichen Lage, mit einem breitgefächerten Instrumentarium – ex-trakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL), mini-perkutane Nephrolitholapaxie (Mini-PCNL) oder Ureteroskopie (URS) – auch den kleinsten Stein aus dem Harntrakt zu eliminieren. Zwar mit verhältnismäßig geringer Invasivität, aber oft mit großem zeitlichen Aufwand. Trotzdem muss bedacht werden, dass auch ein noch so kleiner Eingriff unangenehme, manchmal sogar längerfristige Nebenwirkungen zur Folge haben kann.

Neben der medizinischen Fragwürdigkeit eines aktiven Vorgehens stellt sich auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Therapie eines Nierensteins, der bis zu seiner Entdeckung durch keinerlei Symptomatik aufgefallen ist. Die Einführung des DRG-Systems hat hier auch eine Nebenwirkung mit sich gebracht: Mit Blick auf die Klinikerlöse beeinflussen aufwendige, technisch anspruchsvolle Verfahren oft die Therapieentscheidung.

Die klar definierte Aufgabe des behandelnden Arztes ist es, symptomatische und nicht symptomatische Steine zu unterscheiden und, falls indiziert, die beste Therapie einzuleiten. Übertriebener Aktionismus und Erlösorientierung sollten dabei nicht die Ratgeber sein.

In den S3-Harnstein-Leitlinien (AWMF Nr. 043/025 von 2009) sind – neben der Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit des "Spontanabgangs" eines neu entdeckten Nierensteins – auch eine Reihe wichtiger Faktoren genannt, die dabei helfen, über eine Therapienotwendigkeit zu entscheiden (Tabelle 1). Zumeist sind Symptomatik, Steingröße, Steinwachstum und Lokalisation die maßgeblichen Faktoren, die eine Entscheidung für oder gegen eine Therapie bestimmen. In der täglichen Praxis ist es allerdings manchmal schwer, sich genau festzulegen, denn die Empfehlungen in der Literatur gehen oft weit auseinander.

Kriterien für eine Therapie

Eine eigene prospektive Arbeit sollte anhand von 104 Patienten mit "ruhenden" Kelchsteinen klären, welche Kriterien neben den typischen Symptomen wie Schmerzen, Koliken, Hämaturie und Harnwegsinfektionen zu einer Therapieentscheidung beitragen. Die Patienten (57 Männer und 47 Frauen im Durchschnittsalter von etwa 65 Jahren) wurden im Mittel 25 Monate beobachtet. Um die Therapienotwendigkeit zu beurteilen, wurden Anamnese, Ultraschalluntersuchungsbefunde der Harnorgane, Röntgendiagnostik (i.v.-Urogramm), Nierenfunktionsszintigrafie inklusive Sektoranalyse sowie Urin- und Blutuntersuchungen herangezogen. 28,8 % der Patienten waren übergewichtig, nur 2,1 % der Frauen und 35 % der Männer nahmen täglich ausreichend Flüssigkeit (> 2 l/d) zu sich. Die Durchschnittsgröße der Nierensteine betrug 7,7 mm, der häufigste Aufenthaltsort war mit 68,2 % die untere Kelchgruppe, 76 der 104 Patienten (61,5 %) hatten während des Untersuchungszeitraums keinerlei pathologische Befunde. Somit bestand bei diesen Patienten auch keine Therapienotwendigkeit.

64,1 % der Patienten waren in der Studienzeit vollkommen beschwerdefrei. Bei 35,9 % der steintragenden Nieren wurden röntgenologische Veränderungen wie Deformierungen oder Verplumpungen der Kelche nachgewiesen. Bei 36,6 % der szintigrafisch untersuchten Nieren war die Funktion des steintragenden Nierenpols reduziert. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen uro- und szintigrafischen Veränderungen der Nieren konnte gezeigt werden. Bei den betroffenen Patienten wurde eine geeignete Therapie initiiert (in abnehmender Häufigkeit ESWL, Mini-PNL oder URS). Interessanterweise konnte keine deutliche Assoziation zwischen Steingröße, Harnwegsinfekt oder Hypertonus gefunden werden.

Das Ergebnis: Es gibt den symptomlosen Nierenstein. Ob er diese Bezeichnung verdient, lässt sich nur durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen, idealerweise in der urologischen Praxis, feststellen. Durch die richtige Entscheidung können Übertherapie mit Unannehmlichkeiten für die Patienten vermieden und ökonomische Ressourcen geschont werden. Wichtig ist die Prophylaxe jedweder Harnsteinbildung. Die drei Grundregeln: ausreichende Trinkmenge (> 2 l/d), Vermeidung von Übergewicht und regelmäßige Bewegung sollte der Arzt dem Patienten nahebringen.

Eine Studie der Agency for Healthcare Research and Quality befasste sich in einer MEDLINE®-Analyse mit der Sinnhaftigkeit randomisiert kontrollierter Studien, die Harnstein-Präventionsstrategien untersuchten. Sie fanden insgesamt 28 mehr oder weniger unterschiedliche Strategien, davon acht mit Diät-Empfehlungen und 20 mit Medikamenten. Welche der Empfehlungen ist nun praxistauglich?

Patienten mit Kalziumoxalatsteinen, die z. B. in der Chemnitzer Region am häufigsten vorkommenden Konkremente, konnten mit einer gesteigerten Trinkmenge das Steinrisiko senken. Die reduzierte Zufuhr von tierischem Eiweiß und mehr pflanzliche Kost allein reduzierten das Harnsteinrisiko jedoch nicht. Männer, die viele Softdrinks konsumierten, konnten allein durch Reduktion dieser zuckerhaltigen Getränke ihr Rezidivrisiko senken. Wenig tierisches Eiweiß, ein hoher Früchte- und Gemüseanteil und die Reduktion purinhaltiger Nahrung ließ das Risiko gegenüber einer Kontrollgruppe sogar steigen. Eine individuelle Diätempfehlung, die auf der Basis einer erweiterten Serum- und Urinanalyse verordnet wurde, war gegenüber einer empirisch empfohlenen Diät im Vorteil. Die nachgewiesen einfachste Art der Steinprophylaxe ist eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Dass dies in der täglichen Praxis auf Hindernisse stößt, ist bekannt. Als Erklärung muss meist die mangelnde "Patienten-Compliance" herhalten.

Fazit

Eine generelle Indikation zur Therapie symptomloser Nierensteine gibt es nicht. Im Rahmen einer kompetenten, regelmäßigen urologischen Überwachung muss vor allem auf Harnwegsinfektionen, Nierenfunktions- und Harntransportstörungen, Steinwachstum, Hämaturie und subjektive Symptome des Patienten wie Schmerzen und Koliken geachtet werden und der betroffene Patient die passende Therapie erhalten. Vor allem junge Chefärzte sollten deshalb nicht primär ihre vielleicht vorhandene Vorliebe für endoskopische Aktivitäten oder die Erlössituation der urologischen Abteilung (vgl. Tabelle 2) zum Maßstab ihrer Therapieentscheidung machen.



Autor:

Prof. Dr. med. Dirk ­Fahlenkamp

Klinik für Urologie der Zeisigwaldkliniken Bethanien, Chemnitz
09130 Chemnitz

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (18) Seite 68-70