Mit einer Prävalenz von rund 5 % kann man die Urolithiasis als Volkskrankheit bezeichnen. Diagnostik und Therapie haben in den vergangenen Jahrzehnten einen grundlegenden Wandel erfahren. Heute werden fast ausschließlich nicht- oder minimal-invasive Verfahren eingesetzt. Der folgende Beitrag soll neue Entwicklungen auf allen Sektoren des Harnsteinleidens für die tägliche Praxis zusammenfassen.

In fast allen industrialisierten Ländern hat die Häufigkeit des Harnsteinleidens in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In Deutschland hat sich die Inzidenz von 1980 bis 2000 etwa verdreifacht (auf 1,54 %), die Prävalenz ist von 4 auf rund 5 % gestiegen. Bedeutsam ist auch die Steigerung der Patienten mit Rezidivsteinen von 0,42 auf 0,75 % [5]. Als Ursachen sind einerseits die vielen Residualfragmente nach ESWL, andererseits die breite Vernachlässigung der Sekundärprävention anzusehen. Kalziumoxalat (CaOx)- und Harnsäuresteine haben zugenommen, Phosphatsteine abgenommen [3, 4, 8].

Metabolik

Nach heutiger Ansicht gibt es unterschiedliche Wege für die Steinentstehung, die in unsterschiedlichen Steinarten resultieren [2]:

  1. Ablagerung von Kalziumphosphat in Form von Plaques an der Nierenpapille. Als Ursache wird oxidativer Stress diskutiert. Bei Übersättigung des Urins bilden sich hier CaOx-Ablagerungen (Abb.1). Dieser Mechanismus kommt am häufigsten bei der idiopathischen CaOx-Urolithiasis, aber auch beim primären Hyperparathyreoidismus vor.
  2. Kristallisation von Tubuluszellen mit nachfolgender Steinbildung an geschädigten Tubuluszellen. Auch hier wird oxidativer Stress als Ursache postuliert. Diese Mechanismen können wir bei allen Steinarten mit Ausnahme der idiopathischen CaOx-Urolithiasis beobachten.
  3. Steinbildung über freie Kristallisation im Tubuluslumen. Aus physikalischen Gründen (Transitzeit) ist dies nur bei extremer Übersättigung des Urins wie bei der Zystinurie oder der primären Hyperoxalurie möglich.

Eine mögliche Erklärung für die Zunahme der Urolithiasis liegt in der immer dicker werdenden Bevölkerung und dem vermehrten Auftreten des metabolischen Syndroms. Die damit verbundene Insulinresistenz führt zu einer Säurestarre des Urins und stellt damit einen wichtigen Risikofaktor für Harnsäure-, aber auch für CaOx-Steine dar. Wie unsere eigenen Untersuchungen zeigen, beeinflusst das metabolische Syndrom jedoch nicht den Schweregrad bzw. den Verlauf der Harnsteinerkrankung [11].

Diagnostik

Der Arbeitskreis Harnsteine der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat vor kurzem neue S2-Leitlinien für Diagnostik und Therapie des Harnsteinleidens erarbeitet und publiziert [6, 7]. Die primäre Diagnostik muss den Verdacht auf einen Harnstein erhärten bzw. einen Stein ausschließen. Im Falle eines Steines soll sie die Voraussetzungen für die optimale Therapie schaffen. Bildgebende Verfahren nehmen hier eine Schlüsselrolle ein.

In den letzten Jahren hat sich die Computertomographie (CT) zunehmend in der Diagnostik des akuten Flankenschmerzes etabliert. Auch wenn dies die Methode mit der höchsten Genauigkeit ist, ist die konventionelle Diagnostik nicht wesentlich schlechter. Für die Auswahl des jeweils am besten geeigneten Verfahrens müssen zudem die Verfügbarkeit, Strahlenbelastung und Kosten berücksichtigt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt empfehlen wir bei Harnleiterkolik als Primärdiagnostik die Sonographie. Je nach Verfügbarkeit sind als weiterführende Diagnostik Ausscheidungsurographie oder CT möglich [10]. Abb. 2 zeigt den diagnostischen Algorithmus für die Abklärung von Flankenschmerzen.

Therapie

Größe, Lage und Gestalt eines Steines entscheiden über die Art der Therapie.

Spontanabgang, Koliktherapie

Mit einem Spontanabgang kann bei Patienten mit einer Steingröße < 6 mm gerechnet werden. Steine > 6 mm haben eine geringe Abgangswahrscheinlichkeit. Bei Steinen > 6 mm ist die aktive Steinentfernung grundsätzlich indiziert, bei kleineren Konkrementen bei ausbleibendem Spontanabgang sowie bei begleitender Harnwegsinfektion und therapierefraktären Koliken.

Bewährt hat sich bei akuten Koliken die Gabe von Metamizol i.v. (2 - 5 ml = 1 - 2,5 g). Anschließend kann die Metamizoltherapie in Form einer Infusion (z. B. 5 ml in 500 ml Trägerlösung) über mehrere Stunden fortgesetzt werden. Es besitzt außer der analgetischen auch eine starke spasmolytische Wirkung. In der akuten Kolik sollte auf eine forcierte Diurese verzichtet werden, da dadurch die Schmerzen verstärkt werden können. Der Spontanabgang kann durch verschiedene Maßnahmen begünstigt werden wie Diurese, Phytotherapeutika, Alphablocker und Nifedipin. Vergleichsstudien gibt es nur für Tamsulosin und Nifedipin. Sie reduzieren Passagezeit, Analgetikaverbrauch und Interventionen. Allerdings sind die beschriebenen Zeiten mit bis zu 45 Tagen sehr lang. Daher sollte man diese Therapie auf Steine < 4 mm im distalen Ureter beschränken, da hier die Passagezeit mit bis zu zwölf Tagen vertretbar erscheint. Hierbei handelt es sich jedoch um eine nicht zugelassene Indikation [9].

Aktive Steintherapie

Die Säulen der interventionellen Steintherapie sind heute die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL), die perkutane Nephrolithotomie (PCNL) und die Ureterorenoskopie (URS). Lage und Größe des Steins entscheiden über die Differenzialindikation (vgl. Abb. 3 und 4). Generell zeigt sich ein Trend zur Verdrängung der ESWL, da die endourologischen Verfahren eine höhere Erfolgs- bei vergleichbarer Komplikationsrate besitzen.

Prävention (Metaphylaxe)

Da die oben skizzierten Pathomechanismen der Steinbildung derzeit ursächlich noch nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße angegangen werden können, bleibt für eine Prävention bzw. Metaphylaxe nur die Beeinflussung der Harnübersättigung. Durch geeignete Ernährungs- und ggf. durch medikamentöse Maßnahmen lässt sich die Rezidivrate auf etwa 10 % senken. Heute wird eine risikoadaptierte Metaphylaxe empfohlen. Bei allen Steinpatienten sind allgemeine Maßnahmen indiziert: Trinkmenge mindestens 2,5 l/Tag, ausgewogene, vegetabil orientierte ballaststoffreiche Ernährung, BMI < 25 kg/m², Bewegung und Stressbegrenzung. Bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko sind spezielle Maßnahmen empfehlenswert, die von der jeweiligen Steinzusammensetzung und metabolischen Faktoren abhängen [1].'


Literatur
1. S2 guidelines on diagnostic, therapy and metaphylaxis of urolithiasis. Part 2: Metabolic diagnostic and metaphylaxis]. Urologe A 48:1084-1093, 2009
2. Coe FL, Evan AP, Worcester EM, Lingeman JE: Three pathways for uman kidney stone formation. Urol Res. 38:147-160, 2010
3. Daudon M, Dore JC, Jungers P, Lacour B: Changes in stone composition according to age and gender of patients: a multivariate epidemiological approach. Urol Res. 32:241-247, 2004
4. Gault MH, Chafe L: Relationship of frequency, age, sex, stone weight and composition in 15,624 stones: comparison of resutls for 1980 to 1983 and 1995 to 1998. J.Urol 164:302-307, 2000
5. Hesse A, Brandle E, Wilbert D, Kohrmann KU, Alken P: Study on the prevalence and incidence of urolithiasis in Germany comparing the years 1979 vs. 2000. Eur.Urol 44:709-713, 2003
6. Knoll T: [S2 guidelines on diagnostic, therapy and metaphylaxis of urolithiasis : Part 1: Diagnostic and therapy]. Urologe A 48:917-924, 2009
7. Knoll T: [S2 guidelines on diagnostic, therapy and metaphylaxis of urolithiasis. Part 2: Metabolic diagnostic and metaphylaxis]. Urologe A 48:1084-1093, 2009
8. Mandel N, Mandel I, Fryjoff K, Rejniak T, Mandel G: Conversion of calcium oxalate to calcium phosphate with recurrent stone episodes. J.Urol 169:2026-2029, 2003
9. Strohmaier, W. L. Expulsive therapy. Chaussy, C, Haupt, G., Jocham, D., and Köhrmann, K. U. Therapeutic energy applications in urology II. 30-34. 2010. Stuttgart, New York, Georg Thieme Verlag. Ref Type: Generic
10. Strohmaier WL, Bartunek R: [Diagnostic imaging--the end of intravenous urography?]. Urologe A 47:556, 558-556, 562, 2008
11. Strohmaier, W. L., Wrobel, B. M., and Schubert, G. Metabolisches Syndrom beim Harnsäuresteinleiden. Urologe 49 S1, 74. 2010. Ref Type: Generic

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Walter Ludwig Strohmaier


Kontakt:
Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Walter Ludwig Strohmaier
Chairman International Urolithiasis Society
Klinik für Urologie und Kinderurologie
regioMed-Kliniken, Klinkum Coburg
96450 Coburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (18) Seite 14-17