Nachsorge muss für jeden Krebskranken immer individuell festgelegt werden. Ein "Schema F" – gerne aus älteren Empfehlungen übernommen – wird der Aufgabe nicht mehr gerecht. Zunächst einmal sollten Art und Stadium der Tumorerkrankung, deren initiale Behandlung, Prognose und Risikofaktoren, mögliche Spätfolgen und schließlich die physische und psychische Leistungsbreite des Patienten und dessen medizinisches wie psychosoziales Umfeld beurteilt werden.

Die Erwartung, nach erfolgreich abgeschlossener primärer und ggf. adjuvanter Therapie durch eine engmaschige, mit Höchstaufwand durchgeführte Diagnostik Rückfälle früh zu erkennen und dadurch die Lebenserwartung zu verbessern, hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer weiter von der Realität entfernt. Krebsregister zeigen, dass zwar von Dekade zu Dekade mehr Menschen an Krebs erkranken, sich aber deren Heilungsraten altersbezogen signifikant verbessert haben. Dies verdanken wir u. a. der (neo-) adjuvanten Therapie. Neu ist nun, dass dagegen die Lebenserwartung nach Manifestation einer systemischen Metastasierung abgenommen hat [1, 2]. Offensichtlich ist die Tumorstammzellpopulation, die die vorausgegangene Therapie überlebt hat und wieder proliferiert, hochgradig resistent gegenüber jeder palliativen endokrinen und zytostatischen Therapie. Inzwischen lässt sich ein klinisch noch okkulter Progress mit Hilfe der Tumormarker und des Nachweises zirkulierender Tumorzellen oder Tumor-DNS, der sog. "liquid biopsy", vorzeitig erkennen. Vorläufig ist dies aber nur für die Eingrenzung der Prognose von Wert.

So zeichnet sich onkologische Kompetenz dadurch aus, den Augenblick zu erkennen, an dem auf eine diagnostische Maßnahme eine nutzbringende Behandlung folgen kann, die sich günstig auf das Befinden und die verbleibende Lebenszeit auswirkt. Dazu ist es wichtig, das Augenmerk von der auf das kranke Organ fokussierten Medizin auf die individuelle Persönlichkeit, den kranken Menschen und sein soziales Umfeld zu lenken und zu erweitern. Hierbei ist die Lebensführung von kritischer Bedeutung.

Da jede Art einer kausalen medikamentösen Therapie über kurz oder lang ihre Wirksamkeit verliert, sich das Tumorleiden dann ab der zweiten oder dritten Linie als unüberwindbar resistent erweist, ist deren Einsatz bei asymptomatisch progredienten Patienten ohne subjektive Erleichterung, wohingegen bei deren späterem Einsatz wenigstens eine Minderung der Symptomenlast zur Besserung der Lebensqualität beitragen kann.

"Die vorzeitige Dokumentation einer systemischen Metastasierung beim beschwerdefreien Patienten verlängert die Leidenszeit, nicht die Lebenszeit!" [3]. Dieses resignierende Diktum früherer Jahre hat immer noch seine Gültigkeit, auch wenn u. a. von Selbsthilfegruppen anders gewünscht und mit Forderungen nach ultramoderner und entsprechend teurer Frühdiagnostik verbunden. Außer Acht gelassen werden dabei auch durch die Routinediagnostik ausgelöste Ängste mit der bangen Erwartung des nächsten Befundes. Hinzu kommt die Problematik der falsch positiven wie falsch negativen Ergebnisse. Hämangiomata, Zysten, fokale Mehr- oder Minderverfettung in der Sonographie oder entzündliche Infiltrate, degenerative Veränderungen im Szintigramm usw. können zu einer erheblichen Verunsicherung und unnötigen zusätzlichen Belastung des Patienten und der die Kosten tragenden Solidargemeinschaft führen. Sicher gibt es wichtige Ausnahmen, etwa die isolierte Lebermetastase beim Kolonkarzinom, das Lokalrezidiv oder der Zweittumor beim brusterhaltend operierten Mammakarzinom, die isolierte Knochenmetastase. In aller Regel jedoch bedeutet der Nachweis einer Fernmetastase die "Spitze des Eisbergs", die einen sekundär kurativen Einsatz ausschließt.

Aber es gibt darüber hinaus nachhaltige Möglichkeiten, die Prognose in der palliativen Krankheitsphase zu verbessern bzw. das Wiederauftreten des Tumorleidens zu verzögern. Über Jahrtausende überliefertes Wissen um die Bedeutung einer gesunden Lebensführung mit täglicher Bewegung sowie ausgewogener obst- und gemüsereicher Ernährung hat sich jüngst wissenschaftlich im Sinne der evidenzbasierten Medizin eindrucksvoll sichern lassen.

Nachsorge als Vorsorge

Wichtiger Aspekt der Nachsorge ist deren "vorsorglicher" Charakter wie etwa die Frühdiagnostik von Zweitmalignomen, z. B. dort, wo eine genetische Verknüpfung bestimmter Karzinomentitäten, wie z. B. Mamma- mit Kolon-, Ovarial- mit Endometriumkarzinom, bekannt ist oder sich Suchtverhalten nicht ändert [4].

Entscheidend wichtig ist jedoch die Beeinflussung der Lebensführung mit Förderung von Bewegung und Sport bei kalorienbewusster, obst- und gemüsereicher Ernährung ("Fünf am Tag"). Jüngere Daten zeigen eindrucksvoll, wie durch tägliche, nur einstündige Bewegung die Lebenserwartung Krebskranker in einer Größenordnung verbessert werden kann, die der einer adjuvanten endokrinen wie zytostatischen Therapie entspricht [5, 6]. Gesunde Ernährung alleine reicht aber nicht aus [7], es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses von Kalorienzufuhr und -ausgabe. Hintergrund sind die Erkenntnisse über die Bedeutung des Insulinstoffwechsels als ein wichtiger Promotor malignen Zellwachstums [8, 9]. Es gilt, die "Signale" des Körpers an den Tumor umzustimmen, ganz konkret, die endogenen Wachstumsfaktoren weißer Fettzellen (Adipokine) zu hemmen und die der quergestreiften Muskulatur (Myokine) zu fördern. Dass hierdurch auch die Lebensqualität nachhaltig stabilisiert wird, Depressionen vorgebeugt und Körperfunktionen verbessert werden [10], ist "nur" ein Nebenaspekt, ebenso wie die Vorbeugung anderer Krebs- und alterstypischer Leiden.

Dem nachsorgenden Arzt kommt hier die Aufgabe zu, seine Patienten zu informieren, zu motivieren, in aller Regel ihr Verhalten zu ändern, die Lebensführung nachhaltig zu beeinflussen. Das setzt auf beiden Seiten eine erhebliche Mühe voraus, die sich im wahrsten Sinne des Wortes für den Einzelnen wie für unsere Solidargemeinschaft "lohnt".

Was ist also wichtig?

Die Grundpfeiler einer kompetenten Nachsorge umfassen die folgenden sechs Gebote (Tabelle):
  • Die Begleitung: Vordringlich ist eine individuell gestaltete, Prognose und Risikofaktoren berücksichtigende und auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmte Bereitschaft zur Begleitung. Das kann nicht ein einzelner Arzt, Haus- oder Facharzt. Hier ist das ganze onkologische Team gefordert: Onkologie, Pflege, Psychologie, Sozialarbeit, Ökotrophologie und Krankengymnastik. Dazu gehört auch der wichtige Kontakt zu Selbsthilfegruppen.
  • Die Früherkennung von Lokalrezidiven, Zweitmalignomen und von Therapiefolgestörungen sowie deren effektive Behandlung. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen adjuvanter zytostatischer und endokriner Therapien mit posttherapeutischen kognitiven Einbußen, Schlafstörungen, depressiver Verstimmung, Fatigue-Syndrom, Polyneuropathien, also der ganze belastende somatische und psychische Inhalt aus Pandoras onkologischer Büchse, lassen sich sehr viel schwerer lindern und es braucht Zeit und Geduld – auf Seiten des Onkologen wie des Patienten.
  • Gesunde Lebensführung und körperliche Aktivität: Eine lebenslange, somatische Rehabilitation und psychosoziale Begleitung mit Anleitung, Förderung und Überwachung einer gesunden Lebensführung, vordringlich Sport und Ernährung, die den Ehepartner und die ganze Familie mit einbezieht, ist das Wichtigste. Eine entscheidende Hilfe für rasche und effektive Besserung des Befindens und Wiedergewinnung von Selbstvertrauen bringt körperliche Aktivität. Und das so früh wie möglich. Ein "Ausruhen von den Strapazen" oder eine "Kur" im alten Sinne sind grundfalsch.
  • Motivation zur Mitverantwortung des Patienten für seine eigene Behandlung sowie Therapietreue. Zudem Mitarbeit von Angehörigen und Freunden, was Vorbeugung und Früherkennung angeht. Um Motivation muss man sich aber wieder und wieder bei jeder Nachsorgeuntersuchung bemühen, wobei die Landeskrebsgesellschaften wichtige Partner sind.
  • Schutz vor schädlicher Komplementär- und Alternativmedizin (KAM), die suggeriert, auf bequeme Weise das Schicksal verbessern zu können. Dagegen sind die ganz persönlichen Vorstellungen und Wünsche des Patienten mit einzubeziehen, wobei auf das "nihil nocere", speziell auf Interaktionen, zu achten ist. Die individuelle Persönlichkeit mit all ihrer Widersprüchlichkeit ist in die evidenzbasierte Medizin zu integrieren.
  • Sicherung der Prozess- und Ergebnisqualität sowie des therapeutischen Gesamtnutzens und Teilnahme an einem klinischen Krebsregister. Die Dokumentation der Krankheitsverläufe im Rahmen der Versorgungsforschung ist nicht nur entscheidend für den Beleg onkologischer Kompetenz, sie ist auch nötig als Grundlage gesundheitspolitischer Entscheidungen. Nur auf einer solchen Grundlage kann aus Fehlentwicklungen gelernt und der Nutzen unserer Bemühungen umfassend belegt werden.

Fazit für die Praxis
Zusammenfassend ist der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Nachsorge die umfassende Begleitung bei ggf. zu korrigierender Lebensführung. Tägliche Bewegung und kalorienbewusste Ernährung sind das Entscheidende. Es gilt, Geborgenheit zu vermitteln, wo es Sicherheit nicht geben kann.


Literatur
1. Schlesinger – Raab A., Eckel R, Engel J., Hölzel D. (2005): Metastasiertes Mammakarzinom: Keine Lebensverlängerung seit 20 Jahren. Dtsch. Ärztebl.; 102: A 2706–14
2. Kleeberg U.R., Fink M., Tessen H-W., Nennecke A., Hentschel S., Bartels S. (2013): Adjuvant therapy reduces the benefit of palliative treatment in disseminated breast cancer – own findings and review of the literature. Onkologie 36; 348 - 356
3. Kleeberg U.R. (1999): Nachsorge Krebskranker: Individuelle prognosebezogene Begleitung, somatische und psychosoziale Rehabilitation und Qualitätssicherung als zentrale Aufgabe der Nachsorge. InFoOnkologie 2:81-82
4. Kaufman E.L., Jacobson J.S., Hershman D.L. et al. (2008): Effect of breast cancer radiotherapy and cigarette smoking on risk of second primary lung cancer. J.Clin. Oncol. 26: 392-98
5. Kleeberg U.R. (2009): Prävention und Nachsorge: Körperliche Aktivität und Brustkrebs. Senologie 6: 80–82
6. Goodwin P.J. (2008): Insulin in the adjuvant breast cancer setting. A novel therapeutic target for lifestyle and pharmacologic interventions? J. Clin. Oncol. 26: 833–34
7. Van Gils C.H., Peeters P.H.M., Bueno-de-Mesquita H.B. et al. (2005): Consumption of vegetables and fruits and risk of breast cancer (EPIC Study). JAMA 293: 183–93
8. Goodwin P.J., Ennis M., Pritchard K.K. et al. (2002): Fasting insulin and outcome in early-stage breast cancer: Results of a prospective cohort study. J. Clin. Oncol. 20: 42–51
9. Chlebowski R.T., Pettinger M., Stefanick M. L. et al. (2004): Insulin, physical activity, and caloric intake in postmenopausal women: Breast cancer implications. J. Clin. Oncol. 22: 450 -13
10. Scheier M.F., Helgeson V.S., Schulz R. et al. (2005): Interventions to enhance physical and psychological functioning among younger women who are ending nonhormonal adjuvant treatment for early-stage breast cancer. J. Clin. Oncol. 23: 4298-4311


Autor:

Prof. Dr. med. Ulrich R. Kleeberg

Facharzt für Innere & Palliativmedizin, Hämatologie & Onkologie
MVZ Struenseehaus
22767 Hamburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (3) Seite 46-50