Diagnostik und Therapie chronischer muskuloskelettaler Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind für Behandelnde und Betroffene eine Herausforderung. Der Schmerz ist oft schwer erklärbar und beeinträchtigt die Bewegungsfreude und Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien [7]. Im Artikel werden häufige Probleme und ihre Lösungen vorgestellt.

Kasuistik: Teenager mit Bein- und Rückenschmerzen

14-jähriges Mädchen, Beginn der Schmerzen vor zwei Jahren am rechten Fuß nach Umknicken beim Volleyball. Nach drei Monaten Ausbreitung der Schmerzen auf rechtes Knie und Lendenwirbelsäule (LWS) bis heute. Schmerzintensität durchschnittlich 6/10 (NRS 0–10), stärkster Schmerz 10/10 LWS.
Bisherige Diagnostik: Sonografie Gelenke, MRT rechtes Knie und LWS, neurologische Untersuchung ohne wegweisende Befunde.
Bisherige Medikamente/Therapien: Ibuprofen, Metamizol, Tramadol, Rücken- und Kniebandage, Physiotherapie, Osteopathie, Gehstützen.
Psychosoziale Anamnese: Lebt mit Eltern und 10-jährigem Bruder (gesund). Vater ganztägig berufstätig. Seit zehn Jahren Rückenschmerzen nach Bandscheibenvorfall, zweimal Reha ohne Verbesserung der Beschwerden. Mutter halbtags berufstätig, gesund.
Bio-psycho-soziale Folgen: Schonhaltung, Fehlbelastung. Angst vor Bewegung, Vermeiden von sportlichen oder sozialen Aktivitäten. Zwei Schulfehltage/Woche.
Krankheitsmodell: somatisch orientiert.

Therapie:

  • Edukation zu bio-psycho-sozialem Krankheitsmodell chronischer Schmerzen.
  • Aktivierung: anfangs spielerisch, im Verlauf Laufband, medizinische Trainingstherapie.
  • Psychologische Gespräche: Edukation Angst-Vermeidungsverhalten. Erarbeitung zuversichtlicher Gedanken (Bewegung tut gut). Imagination freudiger Bewegung
    bis hin zur Umsetzung. Entspannungsverfahren zur Reduktion körperlicher und emotionaler Anspannung.
  • Elternarbeit: Trennung der Erkrankung der Tochter und der Rückenschmerzen des Vaters. Reduktion von Gesprächen über die jeweiligen Schmerzen. Schmerzunabhängige positive Interaktionszeit (spazieren gehen, Spieleabend). Förderung von Autonomie.

Empfehlungen:

  • Ambulante Psychotherapie zur weiteren Reduktion
    der Ängste.
  • Wiederaufnahme Volleyball.
  • Durchführung der erlernten Aktivierungs- und
    Entspannungsübungen.
  • Keine Medikamenteneinnahme.


Von chronischen Schmerzen spricht man bei Kindern und Jugendlichen, wenn sie seit mindestens drei Monaten anhalten oder häufig wiederkehren. Unterschieden werden zwei Formen chronischer Schmerzen: somatisch bedingte und unabhängig von einer somatischen Ursache auftretende Schmerzen [10] (vgl. Infokasten 1). Wenn sie aufgrund einer dauerhaften oder wiederkehrenden Schädigung auftreten (z. B. rheumatische Erkrankung), hat der Schmerz eine Warn- und Alarmfunktion und deutet auf die zugrundeliegende Schädigung hin.

Schmerzen können jedoch auch ohne diese Funktion auftreten. Der ursprüngliche somatische Auslöser, sollte er vorhanden gewesen sein, ist ausgeheilt oder erklärt das Ausmaß und die Dauer der Schmerzen nicht. Man spricht hier von chronischen Schmerzen im Sinne einer Schmerzstörung. Mit zunehmender Dauer entsteht ein Gefühl der Hilflosigkeit und es kommt zu Einschränkungen im Alltag und zu sozialem Rückzug. Psychische Belastung, reduzierter Schulbesuch, verminderte Freizeitaktivitäten, Schlafprobleme und eingeschränkte Unternehmungen mit Freundenund Familie haben erhebliche Auswirkung auf das emotionale Wohlbefinden [4, 5, 9].

Vor allem bei chronischen Schmerzen im Sinne einer Schmerzstörung haben Eltern und Kind auf der Suche nach somatischen Ursachen zahlreiche frustrierende Arztbesuche hinter sich. Die für den Behandelnden freudige Aussage, dass "da nichts ist", bedeutet für die Betroffenen, dass sie sich mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen fühlen. Die Aufgabe des Behandelnden ist es, im Gespräch ein Verständnis für die bio-psycho-soziale Genese der Erkrankung zu wecken und zu vermitteln, dass auch chronischer Schmerz real und nicht eingebildet ist.

Chronische muskuloskelettale Schmerzen

Schmerzen am Bewegungsapparat sind bei Kindern und Jugendlichen nach Bauch- und Kopfschmerzen die am häufigsten genannte Lokalisation und werden je nach Studie mit einer Prävalenz von 4 bis 40 % beschrieben [11, 13]. Der Schmerz kann in Intensität, Lokalisation, Qualität und Dauer fluktuieren und an einer oder mehreren Körperregionen auftreten.

Eine besondere Form der lokalisierten muskuloskelettalen Schmerzstörung stellt das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) dar, welches nicht nach seiner Dauer definiert wird und sich durch eine hohe Schmerzintensität und sensorische, vaso- und sudomotorische und motorische/trophische Veränderungen, v. a. an den Extremitäten, auszeichnet [3] (vgl. Infokasten 2).

Eine Besonderheit von Schmerzen am Bewegungsapparat ist die erhöhte Angst vor Bewegung (Angst-Vermeidungsmodell, z.B. [1]). Aufgrund der Überzeugung, dass sie schädlich sein könnte, wird Bewegung reduziert, was zu Muskelabbau und Schonhaltungen führt. Dadurch erhöht sich das Risiko eines weiteren Schmerzerlebens, welches die Angst steigert. Wichtig ist hier die Reduktion von Bewegungsängsten und eine körperlich angemessene Aktivierung.

Diagnostik

Selbstverständlich sollte bei Schmerzen die jugendliche Patient:in körperlich untersucht werden. Nicht jeder Schmerz ohne offensichtlichen somatischen Auslöser ist gleich ein chronischer Schmerz. Einige Gesundheitszustände (Red Flags) weisen zudem auf gravierende Erkrankungen hin, die dringend eine ärztliche Abklärung erfordern (vgl. Tabelle [14, 15]).

Chronische Schmerzen gehen häufig einher mit psychischen Komorbiditäten, welche auslösend, aufrechterhaltend oder verstärkend wirken können [12]. Angststörung, Depression oder die Folgen körperlichen/seelischen Missbrauchs sollten in der Differenzialdiagnostik bedacht werden (vgl. Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V./AWMF: 027/073; Kind/Jugendlicher mit muskuloskelettalen Schmerzen: ein Algorithmus).

Video-Link 1
"Das komplexe regionale Schmerzsyndrom bei Kindern und Jugendlichen" auf dem YouTube-Kanal "Rheuma Kinderklinik" und dem Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen

Diagnosen

Während bei Erwachsenen überwiegend die Diagnose des Fibromyalgiesyndroms (M 79.70) steht, wird bei Kindern und Jugendlichen bevorzugt die "chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren" (bei vorhandener ursprünglich somatischer Ursache, F 45.41) oder die "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" (bei im Vordergrund stehenden emotionalen Ursachen, F 45.40) vergeben. Gründe hierfür sind u.a., dass die beim Fibromyalgiesyndrom vorgeschriebenen sieben Schmerzlokalisationen bei Kindern und Jugendlichen seltener gegeben sind. Zudem wird in den Kriterien der F-Diagnosen die psychosoziale Komponente deutlicher hervorgehoben, was das Krankheitsmodell besser darstellt und für die psychotherapeutische und sozialpädiatrische Therapie wegweisend ist.

Video-Link 2
"Wissenswertes zum Schmerz" auf dem YouTube-Kanal "Rheuma Kinderklinik" und dem Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen

Therapie

Auf der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten haben Eltern und Jugendliche meist zahlreiche und erfolglose Maßnahmen zur Therapie rein körperlicher Ursachen ausgeschöpft. Üblicherweise helfen auch medikamentöse Therapieversuche bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen nicht.

Wird der chronische Schmerz rechtzeitig erkannt, können z. B. Physiotherapie (Detonisierung, physiologische Bewegungsabläufe, Atemübungen), Ergotherapie (ergonomisches Sitzen, Ablenkstrategien, Stifthaltung), Psychotherapie (Reduktion von Ängsten, Depressivität) oder die Anleitung zu sportlicher Aktivierung der weiteren Chronifizierung vorbeugen und die Manifestation der Erkrankung verhindern. Von rein passiven Maßnahmen wie Massage ist abzuraten, in Kombination mit aktivierenden Ansätzen können sie den Behandlungserfolg jedoch erhöhen [2].

In der Therapie chronischer Schmerzen sollte nicht die Reduktion der Schmerzstärke im Vordergrund stehen, sondern u. a. die Wiederherstellung eines jugendgerechten Alltags, die Reduktion von Medikamenten, das Vermeiden weiterer diagnostischer oder invasiver Verfahren, der Abbau von Bewegungsängsten und die Teilhabe an sozialen, sportlichen und schulischen Aktivitäten. Infolge dieser Prozesse kann der Schmerz nachlassen, dies jedoch sollte nicht das primäre Ziel sein. Grundlage hierfür ist eine ausführliche Edukation zum bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell chronischer Schmerzen (vgl. Infokasten 3 und Abb. 1).

Stationäre Therapie

Führt die ambulante Versorgung nicht zu einer Verbesserung der Erkrankung, sollte eine stationäre interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST) in Erwägung gezogen werden [6, 8]. Kriterien hierfür sind u. a. seit mindestens sechs Monaten bestehende Schmerzen, die Motivation zur Therapie und die Bereitschaft der Eltern, eingebunden zu werden.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen gehen häufig mit psychischen Komorbiditäten einher.
  • Bei Schmerzen im Bewegungsapparat besteht oft eine Angst vor Bewegung.
  • Medikamentöse Therapieversuche helfen meist nicht.


Literatur:
1) Asmundson, G. J., Noel, M., Petter, M., & Parkerson, H. A. (2012). Pediatric fear-avoidance model of chronic pain: foundation, application and future directions. Pain Res Manag, 17(6), 397-405.
2) Calvo Muñoz, I., Gomez Conesa, A., & Sanchez-Meca, J. (2013). Physical therapy treatments for low back pain in children and adolescents: A meta-analysis. BMC musculoskeletal disorders, 14, 55. doi:10.1186/1471-2474-14-55
3) Draheim, N., Hoefel, L., Schnoebel-Mueller, E., & Haas, J. P. (2016). Das komplexe regionale Schmerzsyndrom. Akt Rheumatol, 41(4), 316-325.
4) Forgeron, P. A., Evans, J., McGrath, P. J., Stevens, B., & Finley, G. A. (2013). Living 4) with difference: exploring the social self of adolescents with chronic pain. Pain Res Manag, 18(6), e115-123. doi:10.1155/2013/120632
5) Forgeron, P. A., & Stinson, J. (2014). Fundamentals of chronic pain in children and young people. Part 1. Nurs Child Young People, 26(8), 29-34. doi:10.7748/ncyp.26.8.29.e498
6) Hechler, T., Kanstrup, M., Holley, A. L., Simons, L. E., Wicksell, R., Hirschfeld, G., & Zernikow, B. (2015). Systematic Review on Intensive Interdisciplinary Pain Treatment of Children With Chronic Pain. Pediatrics, 136(1), 115-127. doi:10.1542/peds.2014-3319
7) Hoefel, L. (2022, im Druck). Chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen: junge Menschen und ihre Angehörigen kompetent und einfühlsam begleiten. Paderborn: Junfermann Verlag.
8) Hoefel, L., Draheim, N., Haas, J. P., & Ebinger, F. (2021). Schmerzmedizinische Versorgung chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme [Medical pain care for children and adolescents with chronic pain in Germany : An inventory]. Schmerz, 35(2), 94-102. doi:10.1007/s00482-020-00510-9
9) Hoefel, L., Draheim, N., Häfner, R., & Haas, J. P. (2016). [Pain syndrome of the musculoskeletal system in children and adolescents] Schmerzsyndrome des Bewegungsapparates bei Kindern und Jugendlichen. Z Rheumatol, 75(3), 292-302. doi:10.1007/s00393-016-0061-y
10) Hoefel, L., Draheim, N., Schramm, A., Georgi, M., & Haas, J. P. (2021). Rheumaschmerz und chronischer Schmerz bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen [Rheumatic pain and chronic pain in children, adolescents and young adults]. Z Rheumatol, 80(3), 234-242. doi:10.1007/s00393-020-00956-3
11) King, S., Chambers, C. T., Huguet, A., MacNevin, R. C., McGrath, P. J., Parker, L., & MacDonald, A. J. (2011). The epidemiology of chronic pain in children and adolescents revisited: a systematic review. Pain, 152(12), 2729-2738. doi:10.1016/j.pain.2011.07.016
12) Konijnenberg, A. Y., de Graeff-Meeder, E. R., van der Hoeven, J., Kimpen, J. L., Buitelaar, J. K., Uiterwaal, C. S., & Pain of Unknown Origin in Children Study, G. (2006). Psychiatric morbidity in children with medically unexplained chronic pain: diagnosis from the pediatrician‘s perspective. Pediatrics, 117(3), 889-897. doi:10.1542/peds.2005-0109
13) Krause, L., Sarganas, G., Thamm, R., & Neuhauser, H. (2019). Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 62(10), 1184-1194. doi:10.1007/s00103-019-03007-8
14) Malleson, P. N., & Beauchamp, R. D. (2001). Rheumatology: 16. Diagnosing musculoskeletal pain in children. Cmaj, 165(2), 183-188.
15) Weller-Heinemann, F., & Huppertz, H.-I. (2019). Differenzialdiagnosen bei Schmerzen am Bewegungsapparat – Teil 1. Pädiatrie up2date, 14(02), 119-137.


Autor:innen

Dr. rer. nat. Lea Höfel (Foto)

Dr. med. Anja Schramm
Prof. Dr. med. Johannes-Peter Haas
Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen
Rheuma-Kinderklinik
82467 Garmisch-Partenkirchen
Interessenkonflikte: Die Autor:innen haben keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (8) Seite 14-17