Schmerzen am Bewegungsapparat sind im Kindes- und Jugendalter ein häufiger Vorstellungsgrund in der ärztlichen Praxis. Die große Zahl möglicher Ursachen und die oft schwierige Zuordnung beteiligter anatomischer Strukturen stellen eine besondere diagnostische Herausforderung dar. Neben den kurzfristig und selbstlimitierend verlaufenden Erkrankungen sollen chronische Erkrankungen, Notfallsituationen und potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen früh erfasst und einer gezielten Therapie zugeführt werden. Schmerzcharakter und klinisches Bild können hier wegweisend sein. Die folgende Darstellung gibt einen Überblick der wichtigsten Krankheitsursachen.

Die Assoziation des Schmerzes mit Bewegung führt häufig zur Schilderung von Gelenkschmerzen, auch wenn nicht unmittelbar der Gelenkraum erkrankt oder verletzt ist. Am Bewegungsapparat sind Nervensystem, Muskulatur, Sehnen und Bänder, Knorpel- und Knochengewebe beteiligt. Dies erklärt auch das umfangreiche Krankheitsspektrum, das in der Differenzialdiagnose von Gelenkschmerzen im Kindes- und Jugendalter berücksichtigt werden muss (Tabelle 1).

In der Anamnese kommt den Schmerzcharakteristika eine besondere Bedeutung zu. Erfasst werden sollten Lokalisation, Ausdehnung, tageszeitliches Auftreten, Spontanschmerz sowie Druck-, Bewegungs- und Belastungsabhängigkeit des Schmerzes. Zusammen mit einer gezielten klinischen Untersuchung, einschließlich aktiver und passiver Bewegungs- und Funktionsprüfung, kann so häufig eine erste anatomische Zuordnung erfolgen [1]. Beispielsweise ist für eine Entzündung der Gelenkhaut bei einer Arthritis ein unmittelbar auf das Gelenk lokalisierter Schmerz nach längerer Bewegungspause, z. B. am Morgen, typisch, der nach Fortsetzung der Bewegung rückläufig sein kann. Dabei werden Schmerz und Bewegungseinschränkung, insbesondere bei maximaler Streckung oder Beugung, erkennbar. Demgegenüber können ossäre Schmerzen an unterschiedlichen Regionen, auch gelenkfern, oft spontan am Abend oder in der Nacht wahrgenommen werden. Sie nehmen bei periostaler Reaktion schon bei leichter Berührung deutlich zu oder sind belastungsabhängig.

In Verbindung mit der Kenntnis alterstypischer Grunderkrankungen sind diese klinischen Charakteristika die Grundlage einer frühen Differenzialdiagnostik. Weitere Untersuchungen, wie die Auswahl geeigneter bildgebender Verfahren, können dann gezielt zur Bestätigung eingesetzt werden. Ablauf und Zielsetzung des differenzialdiagnostischen Vorgehens bei "Gelenkschmerzen" im Kindes- und Jugendalter sind in Abb. 1 dargestellt.

Nach diesem Vorgehen können in der Differenzialdiagnostik Erkrankungen mit artikulären Schmerzen von denen mit primär ossären Schmerzen im Kindes- und Jugendalter unterschieden werden. Tabelle 2 gibt einen Überblick über Erkrankungen, die sich bei Kindern und Jugendlichen mit artikulären Schmerzen äußern.

Postinfektiöse Gelenkschmerzen

Im Anschluss an eine meist unkompliziert verlaufene akute Infektion, z. B. einen Luftwegsinfekt, kann es im Rahmen der immunologischen Antwort zu passageren, nicht-infektiösen Entzündungen der Gelenkhaut kommen [2]. Diese postinfektiösen Arthritiden sind im Kindes- und Jugendalter neben Verletzungen die häufigste Ursache artikulärer Schmerzen. Die Lokalisation kann erheblich variieren. Der häufigste monoartikuläre Verlauf tritt als transiente Coxitis in Erscheinung. Bei einem sonst völlig unbeeinträchtigten Kind kommt es zu Spontan-, "Anlauf-" oder belastungsabhängigen Schmerzen in Projektion auf eine Leiste. Das Gehen kann beeinträchtigt sein. In der klinischen Untersuchung werden Schmerzen bei maximaler Beugung, Streckung und vor allem bei Adduktion und Innenrotation der Hüfte registriert. Sonographisch zeigt sich ein typischer Hüftgelenk-Erguss. Daneben kann eine infektionsassoziierte Arthritis auch oligo- oder polyartikulär verlaufen. Dabei kann es innerhalb von Stunden oder Tagen zu deutlich schmerzhaften Bewegungseinschränkungen an vielen Gelenken kommen. An oberflächlichen (sichtbaren) Gelenken sind bereits klinisch die typischen Zeichen der Arthritis objektivierbar. Diese Form der Arthritis verläuft selbstlimitierend, meist innerhalb von ein bis zwei Wochen, weshalb eine rein symptomatische Therapie ausreichend ist.

Bei Verdacht auf traumatische Ursache ist neben der genauen Anamnese und klinischen Kontrolle in der Regel eine bildgebende Untersuchung zur Klärung des Ausmaßes der Verletzung und Therapieführung notwendig.

Rheumatische Gelenkerkrankungen

Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist mit einer Prävalenz von 100/100.000 Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren keine seltene Erkrankung [6]. Sie ist eine der häufigsten chronisch-entzündlichen Erkrankungen in diesem Alter. Ohne erkennbare Ursache, bei im Übrigen völlig gesund wirkendem Kind, verläuft sie im Kleinkindesalter meist oligoartikulär. Typisch ist die Gelenkschwellung und Bewegungseinschränkung eines oder weniger Gelenke, wie Knie-, Sprung-, Hand- oder Ellenbogengelenk. Ohne Behandlung persistiert die Arthritis und führt zu massiven Folgeschäden am wachsenden Bewegungsapparat, beispielsweise zu Kontrakturen, Knorpelschäden und Wachstumsstörungen. In vielen Fällen ist die JIA mit einer Uveitis anterior assoziiert, die in diesem Alter initial symptomlos startet, weshalb zur Vermeidung von langfristigen Sehstörungen regelmäßige Spaltlampenuntersuchungen beim Augenarzt unerlässlich sind. Die JIA kann sich auch als polyartikuläre Erkrankung manifestieren. Hier sind die typischen klinischen Zeichen der Arthritis mit Schwellungen und schmerzhaften Bewegungseinschränkungen vieler Gelenke diagnostisch wegweisend.

Morbus Perthes

Die bekannteste aseptische Nekrose, der Morbus Perthes, betrifft meist Jungen im späten Kleinkindes- und frühen Schulalter. Sie zeigt anamnestisch, klinisch und sonographisch am Erkrankungsbeginn alle Kriterien einer transienten Coxitis. Sie unterscheidet sich allerdings durch die rezidivierende oder persistierende Symptomatik von dieser. Bei rezidivierendem Verlauf einer transienten Coxitis muss in erster Linie an eine ossäre Erkrankung des Hüftgelenks, am häufigsten an einen Morbus Perthes, gedacht werden.

Gelenkblutungen

Akute Gelenkblutungen durch sogenannte Bagatelltraumata sind eine typische Manifestation der Hämophilie. Jeder akute Gelenkschmerz sollte bei diesen Patienten zur sofortigen Substitutionsbehandlung führen, noch bevor klinische Zeichen einer Gelenkblutung manifest werden, um eine chronische Arthropathie zu vermeiden [8].

Erkrankungen mit ossären Schmerzen

Tabelle 3 fasst die wichtigsten Differenzialdiagnosen zusammen, die sich bei Kindern und Jugendlichen mit ossären Schmerzen äußern.
Fieber und lokalisierter Akutschmerz, meist hohe Schmerzintensität bei Berührung und Bewegung sowie deutliche Funktionseinschränkung sind charakteristisch für eine eitrige Ostitis oder septische Arthritis. Dies ist immer ein pädiatrisch-infektiologischer Notfall, der innerhalb weniger Stunden, unabhängig von der Tageszeit, zur sofortigen diagnostischen Klärung zwingt [4].

Ein verzögerter oder unzureichender Behandlungsbeginn geht bei eitriger Ostitis im Kindesalter aufgrund der Nähe zur Wachstumsfuge mit dem Risiko langfristiger Gelenkdestruktionen und bleibender Wachstumsstörungen einher, die zeitlebens mit deutlichen Funktionseinbußen verbunden sind.

Neoplasien des Bewegungsapparates

Ossäre Schmerzcharakteristika, wie oben beschrieben, die über mehrere Tage oder gar Wochen fortbestehen und für die keine eindeutige Ursache nachweisbar ist, sollten immer zu Differenzialdiagnostik einer onkologischen Erkrankung führen [3]. Wechselnde oder multiple Lokalisationen, gelenknah und gelenkfern, können durch eine Leukämie hervorgerufen werden, auch wenn keine anderen klinischen oder hämatologischen Manifestationen erkennbar sind. In diesen Fällen sollte deshalb immer eine pädiatrisch-onkologische Untersuchung mit Knochenmarkdiagnostik erfolgen [5].
Gelenknahe Knochenschmerzen, besonders im Bereich des Kniegelenkes (proximale Tibia und distaler Femur), sind beim Osteosarkom typisch [7]. Neben den Extremitäten kann das Ewing-Sarkom auch im Beckenbereich, im Bereich der Wirbelsäule und des Thoraxskeletts manifest werden. Die wichtige Differenzialdiagnose pädiatrisch onkologischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mit ossären Schmerzen hat zur Entwicklung einer multidisziplinär erarbeiteten S2-Leitlinie geführt [9]. Dazu gibt es einen online verfügbaren Leitfaden zur Primärdiagnostik muskuloskelettaler Schmerzen dieser Altersgruppe (www.muskel-knochenschmerzen.de).

Benigne funktionelle Beinschmerzen

Rezidivierende Episoden abendlicher oder nächtlicher Schmerzen, typischerweise in Projektion auf die proximale Tibia, mit Erstmanifestation im Kleinkind- und Grundschulalter, charakterisieren die benignen funktionellen Beinschmerzen (früher: sogenannte Wachstumsschmerzen) [10]. Wenn im Intervall oder am Morgen nach dem Ereignis stets völlige Beschwerdefreiheit des Kindes besteht und in der klinischen Untersuchung keine Schwellung, kein Druck- oder Bewegungsschmerz nachweisbar ist, kann die Diagnostik auf die ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung begrenzt bleiben. Nicht selten besteht eine Familiarität für die Symptomatik. In unsicheren Fällen sollte jedoch an die genannten Differenzialdiagnosen ossärer Schmerzen gedacht und eine entsprechende Diagnose veranlasst werden.

Nichtbakterielle Ostitis

Die nichtbakterielle Ostitis gehört zu den seltenen, aber gut bekannten Differenzialdiagnosen ossärer Schmerzen im Kindes- und Jugendalter. Sie ist gekennzeichnet durch einen protrahierten Verlauf über Jahre, mit rezidivierenden Schmerzen und Funktionseinschränkungen durch eine nichtbakterielle Entzündung des Knochengewebes. Hauptmanifestationsorte sind die Clavicula sowie die proximale und distale Tibia. Grundsätzlich können allerdings alle Skelettregionen einschließlich Wirbelsäule, Becken und Kopfskelett regional beteiligt sein. Zur Diagnosesicherung dienen die bildgebenden Verfahren und in unklaren Fällen die bioptische Sicherung zum Ausschluss onkologischer und infektiöser Erkrankungen.

Chronische Schmerzstörung

Neben den wichtigsten Differenzialdiagnosen muskuloskelettaler Erkrankungen, bei denen entweder artikuläre oder ossäre Schmerzen im Vordergrund stehen, nimmt die chronische Schmerzstörung mit Beteiligung des Bewegungsapparats eine Sonderstellung ein. Sie wird häufiger bei Jugendlichen manifest. Der Schmerzcharakter kann sowohl muskuläre, artikuläre oder ossäre Charakteristika zeigen [11]. Die Schmerzstörung kann mit deutlichen funktionellen Beeinträchtigungen im Alltag und sozialen Nachteilen, wie Schulausfall, einhergehen. Eine multimodale Therapie in einem Schmerzzentrum für Kinder und Jugendliche sollte hier angestrebt werden.


Literatur
1. Frosch M, Zernikow B (2015) Muskuloskelettale Schmerzen. In: Zernikow B (Hrsg.) Schmerztherapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Springer, Berlin - Heidelberg
2. Girschick HJ, Huppertz HI, Neudorf U. (2014) Reaktive und parainfektiöse Arthritiden. In: Wagner N, Dannecker G (Hrsg.)Pädiatrische Rheumatologie. Springer, Berlin - Heidelberg
3. Gonçalves M, Terreri MT, Barbosa CM, Len CA, Lee L, Hilário MO. (2005) Diagnosis of malignancies in children with musculoskeletal complaints. Sao Paulo Med J 123:21-23
4. Lamprecht E. (1997) Akute Osteomyelitis im Kindesalter. Orthopäde 26:868-78
5. Marwaha RK, Kulkarni KP, Bansal D, Trehan A. (2010) Acute lymphoblastic leukemia masquerading as juvenile rheumatoid arthritis: diagnostic pitfall and association with survival.Acute lymphoblastic leukemia masquerading as juvenile rheumatoid arthritis: diagnostic pitfall and association with survival. Ann Hematol 89:249-54
6. Prakken B, Albani S, Martini A. (2011) Juvenile idiopathic arthritis.Juvenile idiopathic arthritis.Lancet 377(9783):2138-49.
7. Ritter J, Bielack SS. (2010) Osteosarcoma.Osteosarcoma. Ann Oncol Suppl 7:vii320-5
8. Srivastava A, Brewer AK, Mauser-Bunschoten EP, Key NS, Kitchen S, Llinas A, Ludlam CA, Mahlangu JN, Mulder K, Poon MC, Street A. (2013) Treatment Guidelines Working Group on Behalf of The World Federation Of Hemophilia. Guidelines for the management of hemophilia. Haemophilia19:e1-47
9. Tallen G, Bielack S, Henze G, Horneff G, Korinthenberg R, Lawrenz B, Niehues T, Peitz J, Placzek R, Schmittenbecher P, Schönau E, Wessel L ,Wirth T, Mentzel HJ, Creutzig U. (2014) Musculoskeletal pain: a new algorithm for differential diagnosis of a cardinal symptom in pediatrics. Klin Padiatr 226:86-98
10. Zepp F. (2014) Wachstumsschmerzen. In: Wagner N, Dannecker G (Hrsg.) Pädiatrische Rheumatologie. Springer, Berlin- Heidelberg
11. Zernikow B, Gerhold K, Bürk G, Häuser W, Hinze CH, Hospach T, Illhardt A, Mönkemöller K, Richter M, Schnöbel-Müller E, Häfner R; Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften(2012) Definition, diagnosis and therapy of chronic widespread pain and so-called fibromyalgia syndrome in children and adolescents. Systematic literature review and guideline. Schmerz 26:318-30



Autor:

Prof. Dr. med. Michael Frosch (Foto)

Prof. Dr. med. Boris Zernikow
Deutsches Kinderschmerzzentrum
Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln
Universität Witten/Herdecke
45711 Datteln

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (13) Seite 16-21