Das Symptom "Hinken beim Kind" sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sogenannte Wachstumsschmerzen sind in der Regel nicht mit Hinken assoziiert. Die notwendige Diagnostik umfasst neben Anamnese und körperlicher Untersuchung inklusive Funktionstests ggf. auch bildgebende Verfahren. Im folgenden Beitrag soll zudem auf häufige Krankheitsbilder und solche, die dringend einer Abklärung bedürfen, eingegangen werden.

Kasuistik
Eine Mutter kommt mit ihrem vier Jahre alten Sohn in Ihre Sprechstunde. Sie erklärt aufgeregt, dass ihr Kind seit zwei Tagen hinkt. Er könnte im Kindergarten auf das linke Bein gefallen sein, wird Ihnen berichtet. Auch ist das Kind seit Wochen verschnupft und hatte vor einigen Tagen eine erhöhte Temperatur. Auf die Frage, wo es wehtut, zeigt der Bursche auf seinen linken Oberschenkel. Was ist nun zu tun?

Als Hinken wird ein abnormales Gangbild beschrieben. Es bestehen in der Literatur unterschiedliche Klassifikationen von Hinken. Eine einfache Einteilung unterscheidet zwischen Schonhinken, Hüfthinken, Verkürzungshinken und neurologischem Hinken (vgl. Tabelle 1). Auch Mischformen sind möglich. Im vorliegenden Artikel wird primär auf das neu aufgetretene Schonhinken eingegangen.

Anamnese

Folgende Fragen sollten Sie immer vom Kind oder den Begleitpersonen beantworten lassen:

Wann hat das Hinken begonnen? Ein akut auftretendes Hinken deutet auf eine Entzündungsreaktion oder ein Trauma hin. Hinter einem chronischen Verlauf könnte eine rheumatische Erkrankung oder z. B. ein Morbus Perthes stecken. Eltern versuchen oft ein Bagatelltrauma als Ursache für die Beschwerden herzuleiten. Manchmal versteckt sich aber hinter einer Trauma-Anamnese eine Infektion!

Bestehen Schmerzen? Kinder können Schmerzen oft schwierig beschreiben und lokalisieren. Beschwerden in Ruhe und/oder in der Nacht können auf eine Entzündung oder einen Tumor hinweisen. Schmerzbesserung bei Bewegung weist eher auf ein rheumatisches Problem hin.

Körperliche Untersuchung

Grobe Funktionstests können schnell klären, wie akut das Problem ist, und grenzen die Region als Ursache für das Hinken (Abb. 1) ein. Um z. B. in die tiefe Hocke gehen zu können, müssen alle Hauptgelenke des Beines (Hüfte, Knie, Fuß) uneingeschränkt beweglich sein. Im Einbeinstand kann man die Belastungsfähigkeit einer Extremität testen. Gehen auf den Zehenballen und auf den Fersen sind einfache neurologische Tests. Da insbesondere bei kleineren Kindern häufig in der Hüfte die Ursache für das Hinken lokalisiert ist, ist eine Prüfung v. a. der Innenrotationsfähigkeit und der Abspreizfähigkeit beider Hüftgelenke im Liegen notwendig. Zudem ist auf Gelenkschwellungen/-überwärmung, Hautveränderungen und Druckschmerzen zu achten.

Infektionszeichen

Sollten bei einem hinkenden Kind Entzündungszeichen vorliegen, ist neben der Fiebermessung umgehend ein Basislabor mit Blutbild/Leukozytenzahl, Blutsenkung (BSG) und CRP zu erheben. Dies kann im Verdachtsfall durch eine Blutkultur und ein Screening auf Rheumatoide Arthritis ergänzt werden. Eine sterile Gelenkspunktion ist oft aus organisatorischen Gründen in der Hausarztpraxis nicht möglich.

Ein hinkendes Kleinkind mit Fieberanamnese (> 38,5° C), das sein Bein nicht voll belasten kann, hat eine ca. 60 %ige Wahrscheinlichkeit für eine septische Coxitis. Bei einer BSG > 40 mm/h und Leukos > 12.000/mm3 erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit auf fast 100 % [2]. Der CRP-Wert ist zudem ein unabhängiger Faktor, eine septische Coxitis von einer transienten Synovitis zu unterscheiden [3].

Bildgebende Verfahren

Mittels Ultraschalluntersuchung der Hüften im Seitenvergleich ist eine Ergussbildung einfach feststellbar. Leider kann durch dieses Verfahren nicht sicher zwischen einer septischen Coxitis und einer transienten Synovitis unterschieden werden. Sollte aber kein Hüftgelenkserguss vorliegen, ist eine septische Coxitis unwahrscheinlich.

Sollte sich bei der körperlichen Untersuchung eine Körperregion als mögliche Ursache für das Hinken zeigen, ist von dieser ein Nativröntgen in zwei Ebenen im Seitenvergleich durchzuführen. Das Röntgen kann vor allem Frakturen, Osteolysen und avaskuläre Nekrosen aufzeigen. Bei V. a. auf eine Hüftpathologie sind immer eine Beckenübersichtsaufnahme ap und beide Hüftgelenke axial anzufordern (Abb. 2).

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist der bildgebende Goldstandard bei Entzündung/Infektion, Tumor und Stressreaktion. Der Nachteil liegt in der Verfügbarkeit und in der notwendigen Compliance des Kindes während der Untersuchungsdauer. Zumeist können ab dem Schulalter Kinder ohne Sedierung mittels MRT untersucht werden. Kleinkinder können auch für die Untersuchungsdauer mittels Gips ruhiggestellt werden.

Andere bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) oder nuklearmedizinische Untersuchungen haben beim hinkenden Kind aus Strahlenschutzgründen keinen Stellenwert.

Wichtige Krankheitsbilder

Hinken kann viele Ursachen haben (vgl. Abb. 3). Durch das Alter des Kindes und durch das Fehlen oder Vorhandensein von Schmerzen kann man aber die Zahl der möglichen Diagnosen eingrenzen (vgl. Tabelle 2).

Transiente Synovitis der Hüfte/Coxitis fugax

Die transiente Synovitis der Hüfte ("Hüftschnupfen") ist die häufigste Ursache für ein Hinken im Kleinkindalter. Die Ursache dafür ist unbekannt. Bei Vorliegen eines milden Hinkens (Belastung der betroffenen Hüfte möglich) ohne Infektzeichen in Kombination mit einer Hüftergussbildung im Ultraschall sollten diese Kinder zur Abheilung ihre Hüfte schonen und gegebenenfalls orale nicht-steroidale Antirheumatika erhalten (vgl. Abb. 4). In der Regel bessern sich die Symptome so innerhalb weniger Tage. Engmaschige klinische Kontrollen sind notwendig, um bei einem protrahierten Verlauf eine andere Erkrankungsursache (z. B. Erstsymptom eines Morbus Perthes) nicht zu übersehen.

Morbus Perthes

Unter dem Morbus Perthes versteht man eine aseptische Nekrose des Hüftkopfs, eventuell mit Begleitveränderungen an Femurmetaphyse und Hüftgelenkspfanne im weiteren Verlauf. Die Krankheit verläuft über Jahre mit möglicher Abduktions- und Innenrotationseinschränkung der betroffenen Hüfte. Initial kann sich beim hinkenden Kind im Röntgen eine verminderte Strahlentransparenz der betroffenen Hüftkopfepiphyse zeigen (Abb. 5). In weiterer Folge kommt es zu einer Reduktion der Epiphysenhöhe im Seitenvergleich und eventuell zu einer Extrusion des Hüftkopfs aus der Pfanne, bevor radiologisch das typische Fragmentationsstadium eintritt. Die Behandlung des Morbus Perthes gehört in die Hände erfahrener Kinderorthopäden.

Septische Coxitis/Osteomyelitis

Eine bakterielle Entzündung des Hüftgelenks (oder anderer Gelenke), eventuell mit Knochenmitbeteiligung (Osteomyelitis), ist ein orthopädischer Notfall, der in der Regel ein chirurgisches Vorgehen notwendig macht. Kinder mit septischer Coxitis sind stark beeinträchtigt und haben klinische und laborchemische Infektzeichen. Bei einer knöchernen Mitbeteiligung der Hüftkopfmetaphyse kann man sonographisch neben dem Gelenkerguss eventuell eine zusätzliche Periostverdickung sehen. Zur weiteren Abklärung ist eine MRT der betroffenen Region für die chirurgische Therapieplanung hilfreich.

Hüftdysplasie und erworbene Hüftluxation

Ein im mitteleuropäischen Raum geborenes Kind, das im zweiten Lebensjahr aufgrund einer Hüftluxation und konsekutiver funktioneller Beinlängendifferenz zu hinken beginnt, ist sehr selten zu finden. Dies ist dem Hüftsonographie-Screening in den ersten Lebenswochen zu verdanken. Im Gegensatz dazu führen dysplastische Hüftgelenkspfannen anfangs zu keinen Beschwerden. Diese Patienten werden erst im zweiten Lebensjahrzehnt symptomatisch und berichten dann über Leistenschmerzen bei Belastung, weniger über ein Hinken.

Epiphyseolysis capitis femoris

Bei diesem Erkrankungsbild kommt es zu einem Abrutschen der Hüftkopfepiphyse nach medial-dorsal. Dies führt zu einer typischen Außenrotationshaltung des Beines neben dem Hinken. Die Abrutschbewegung kann langsam voranschreiten (chronischer Verlauf, oft bei adipösen Kindern) oder schnell eintreten (akuter Verlauf, oft bei sportlichen Kindern). Daneben gibt es Mischformen im Verlauf (acute on chronic-Typ). Die Diagnose Epiphyseolysis capitis femoris ist ein orthopädischer Notfall, da bei zunehmendem Abrutschwinkel die Durchblutung des Hüftkopfs gefährdet ist.

Fazit

Ein neu aufgetretenes Hinken bei einem Kind bedarf immer einer genauen Anamneseerhebung und körperlichen Untersuchung in Kombination mit Zusatzbefunden, um orthopädische Notfälle wie z. B. eine Epiphyseolysis capitis femoris oder eine septische Arthritis rechtzeitig zu entdecken und behandeln zu können.


Literatur
1. Choban S et Killian JT, Evaluation of acute gait abnormalities in preschool children. J Pediatr Orthop. 1990 Jan-Feb;10(1):74-8.
2. Kocher MS et al, Differentiating between septic arthritis and transient synovitis of the hip in children: an evidence-based clinical prediction algorithm. J Bone Joint Surg Am. 1999 Dec;81(12):1662-70.
3. Caird MS et al, Factors distinguishing septic arthritis from transient synovitis of the hip in children. A prospective study. J Bone Joint Surg Am. 2006 Jun;88(6):1251-7.



Autor:

Dr. med. Matthias ­Pallamar

Orthopädisches Spital Wien Speising,
Abteilung für Kinderorthopädie und Fußchirurgie
A‒1230 Wien

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (8) Seite 32-35