Deutet der Kopfschmerz auf eine Hirnblutung hin? Ist der Schwindel Vorbote eines Schlaganfalls? Patienten mit unspezifischen neurologischen Symptomen konsultieren häufig zuerst den Allgemeinarzt, der dann entscheiden muss: Sollte der Patient in die Notaufnahme oder zum Facharzt überwiesen werden oder lässt sich das Problem in der eigenen Praxis lösen? Im letzteren Fall stellen sich weitere Fragen: Wie führt man einen "orientierenden" Neurostatus durch? Welche Instrumente benötigt man unter Praxisbedingungen? Ist eine Bildgebung sinnvoll?
Bei neurologischen Leitsymptomen bedarf es – neben der ärztlichen Erfahrung und des "Bauchgefühls" – der klaren Systematik und der Kenntnis der wichtigsten "Red Flags", um als Arzt zielführende Entscheidungen treffen zu können.
Die größte Herausforderung für den Hausarzt bei Patienten mit Kopfschmerz, Schwindel und fokalneurologischem Defizit ist es, eine wichtige Frage zu klären: Handelt es sich hier um einen
ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfall? Im ersten Schritt sind alle verwertbaren eigen- und fremdanamnestischen Angaben zur Akuität ("apoplektiformes" Auftreten der Symptome) wegweisend. Auch sind Hinweise auf Hemisymptome zu beachten. Diese können beim Arztbesuch schon nicht mehr vorliegen, etwa bei der transitorischen ischämischen Attacke (TIA). Je nach Risikoprofil liegt in den nächsten Tagen und Wochen die Gefahr eines behindernden Schlaganfalls bei 10 – 20 %.
Im nächsten Schritt sollte der orientierende Neurostatus auch subtile Symptome wie Horner-Syndrom, Okulomotorikstörungen, Pronation beziehungsweise Absinken im Armhalteversuch, Feinmotorikstörung einer Hand oder faziale Mundastschwäche beleuchten. Durch eine Gang- und Standprüfung ("Romberg"- und "Unterbergertest") kann man sensitiv nach gerichteten Fallneigungen suchen. Die Basisin-
strumente für eine solche Untersuchung sind – neben dem Einsatz der "fünf Sinne" – die Pupillenleuchte für die Lichtreaktion und der Reflexhammer. Eine Frenzelbrille zur Nystagmusbeurteilung bei Schwindelpatienten und eine Stimmgabel zur Kontrolle sensibler Defizite (z. B. bei Gangstörungen mit V. a. Polyneuropathie) sind außerdem zu empfehlen. Dieser anamnese- und syndromfokussierte Neurostatus ist in kurzer Zeit machbar. Bei Anhaltspunkten für eine qualitativ neue Fokalneurologie oder anamnestischem Anhalt für neu aufgetretene neurologische Symptome sollte der Arzt unverzüglich die Vorstellung in einer neurologischen Notaufnahme initiieren. In weniger bedrohlichen oder subakut-chronischen Fällen empfiehlt es sich vor der Indikationsstellung für eine zerebrale Bildgebung einen fachneurologischen Kollegen hinzuzuziehen.
Zwei Fallbeispiele illustrieren die Relevanz der anamnestischen und klinischen "Red Flags":
- MRT: Frischer Hirnstamminfarkt (inkomplett Wallenberg rechts, Abb. 1).
- Ultraschall/MRA: Dissekat der A. vertebralis rechts proximal vor Eintritt in die Foramina, hochgradige V2-Stenose (Abb. 2).
- Diagnose: Pseudoneuritis vestibularis bei spontaner Dissektion der A. vertebralis rechts und Hirnstamminfarkt.
- Therapie:Übernahme auf neurologische Stroke-Unit, dort Blutdruckanpassung auf normo- bis leicht hypertone Werte und PTT-gesteuerte Vollheparinisierung initial. Nach zwei Wochen und beginnender Rekanalisierung: Verlegung in die Rehabilitation mit weiter relevantem Defizit i.S. Hemiataxie/Gangataxie bei rückläufigem Schwindel. Einleitung einer ASS-Sekundärprophylaxe.
RED FLAGS:
- Anamnestisch: Plötzliches Auftreten und Nackenschmerz.
- Klinisch-neurologischer Befund: Mutmaßlich bereits bei primärer Vorstellung vorhandene subtile Wallenberg-Zeichen: diskretes Horner-Syndrom, Hemiataxie (Fingerzeigeversuch!) und fehlender positiver Kopfimpulstest (obligat bei Verdachtsdiagnose Vestibularisausfall!).
→ Diese Defizite bleiben wegen des im Fokus stehenden Schwindels und bei inkomplettem Wallenberg-Syndrom auch von differenziert anamnestizierbaren Patienten selbst häufig unbemerkt. Es fehlen zudem eindeutige neurologische Zeichen wie Paresen.
Grundsätzlich empfiehlt sich bei Patienten mit Schwindelsymptomen die systematische Einteilung in den meist akuten vestibulären und den oft chronischen nicht-vestibulären Schwindel.
Eine sorgfältige Anamnese verfolgt systematisch vier Hauptfragen:- Schwindelform (Dreh- oder Schwankschwindel)?
- Dauer- oder Attackenschwindel?
- Lageabhängigkeit/Auslöser (z. B. Lagewechsel)?
- Begleitsymptome (z. B. neurologische Ausfälle, Kopfschmerzen, Tinnitus, Hör-störungen etc.)?
Im Neurostatus sollten vestibulookuläre Aspekte im Mittelpunkt stehen: in der Hirnnervenprüfung der Spontannystagmus (Frenzelbrille!) und die Okulopuillomotorik (Horner-Syndrom, Störungen der Sakkaden oder Blickfolge), bei V. a. benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel die Dix-Hallpike-Lagerungstests, bei V. a. Vestibularisausfall der Kopfimpulstest.
Subtile Kleinhirnzeichen wie Zeigeataxie oder Intentionstremor testet man am besten im Finger-Nase- oder Fingerfolgeversuch. Gerichtete Fallneigungen kann der Arzt auch in subtiler Ausprägung durch genauere Einschätzung von Gangvariationen und Romberg/Tandem-Romberg identifizieren. Die häufig schwierige Frage nach zentraler oder peripherer Genese eines akuten vestibulären Syndroms sollte im Zweifel aber immer akut-fachneurologisch und HNO-ärztlich abgeklärt werden. Ein meist schon anamnestisch eindeutiger benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel kann bei Ausschluss neurologischer Auffälligkeiten und positiver Lagerungsprobe auch der Allgemeinarzt diagnostizieren und behandeln (Epley- oder Semont-Manöver).
RED FLAGS:
- Anamnestisch: Der Patient gibt einen erstmals in dieser Form auftretenden Kopfschmerz an, der zudem apoplektiform ("Thunderclap") imponiert. Trotz verzögerter Vorstellung und Rückläufigkeit unter Analgetika ist diese Anamnese – bis zum Beweis des Gegenteils – verdächtig, was eine Subarachnoidalblutung angeht. Die endgradige Nackensteifigkeit, die sich später zum deutlichen Meningismus entwickelt, sollte nicht vorschnell als "HWS-Syndrom" abgetan werden. Bis zu 25 % der SAB geht im Vorfeld ein "Warning bleed" voraus, die nachfolgende Re-Blutung hat, wie in diesem Fall, häufig schwerwiegende Folgen. Das Ansprechen auf Analgetika ist bei weiter fluktuierendem Kopfschmerz kein sicheres Unterscheidungskriterium zwischen primärem und symptomatischem Kopfschmerz. Eine sofortige neurologische Notfallvorstellung und eine zerebrale Bildgebung mit gegebenenfalls ergänzender Lumbalpunktion (LP) sind obligat.
Bildgebung als "Allheilmittel"?
Auch in Zeiten fast unbegrenzter Verfügbarkeit der zerebralen Bildgebung muss die Indikation dazu klinisch-neurologisch fundiert sein. Nicht wenige Patienten fordern sie auch bei unverdächtigen Symptomen teilweise wiederholt ein. Im hektischen Praxisalltag ist es deshalb oft verführerisch, dieses vermeintliche "Anxiolytikum" – trotz fehlender Hinweise auf fokal-neurologische Defizite oder "Red Flags" – zu "verordnen". Doch die Radiologie ersetzt nicht die allgemeinärztlich und fachneurologisch erhobene neurologische Untersuchung des Patienten. Denn die nicht hinterfragte, inflationär indizierte Bildgebung birgt die Gefahr einer falschen Sicherheit bei "echten" Pathologien, da häufig zielführende Sequenzen im cMRT ohne fachneurologische oder neuroradiologische Expertise nicht erfolgen.
So entstehen falsch-negative Befunde, u. a. mit fehlender Darstellung zerebral-venöser Gefäße im cMRT (z. B. zerebrale Venenthrombose). Der vermeintliche "Ausschluss" zerebraler Ischämien hat zur Folge, dass kleine Hirnstamminfarkte dem Nachweis im CCT entgehen. Gleiches gilt für falsch-negative Bildgebungsbefunde bei kleinen SAB, die zur Diagnosesicherung beziehungsweise zum Ausschluss einer zusätzlichen Liquorpunktion bedürfen.
Große Fallserien zeigen: Die Ausbeute relevanter pathologischer Befunde einer zerebralen kernspintomographischen Bildgebung liegt bei in der Praxis häufigen Beschwerden wie Spannungskopfschmerz, unkomplizierter Migräne oder unspezifischem Schwindel ohne Auffälligkeiten im Neurostatus auf dem Niveau von Normalprobanden (je nach Fallserie rund 0,5 – 8 %). Zufallsbefunde (Meningeome, Aneurysmata, Zysten) lösen oftmals Ängste und Unsicherheiten bei Arzt und Patient aus – im ungünstigsten Fall kommt es dann zu unnötigen Eingriffen mit vielleicht unerwünschten Folgen.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (14) Seite 14-17