Patienten mit Gelenkbeschwerden suchen primär meist den Allgemeinarzt oder den Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie auf. Die Ursachen sind oft degenerativ, funktionell oder traumatisch. In selteneren Fällen spielen entzündliche Veränderungen für Gelenkbeschwerden eine Rolle, die in der Frühphase meist schwer zu erkennen sind. Da eine frühe Diagnose rheumatischer Erkrankungen mit der heutigen innovativen Therapie in vielen Fällen zu einer Remission der Erkrankung führt, ist die Früherkennung bei den Primärversorgern bedeutsam. Dies wird hier – insbesondere anhand der rheumatoiden Arthritis – gezeigt.


Kasuistik

Patientin, Reinigungskraft, 49 Jahre.

Anamnese: Erstmalig akute Schwellung des MCP-2-Gelenks rechts, unter Ibuprofen, 3 x 600 mg, allerdings rückläufig. Morgensteifigkeit der Hände von ca. 30 Minuten. Aktuell Schmerzen und Schwellung im rechten Sprunggelenk. In der weiteren Anamneseerhebung kein Hinweis auf eine periphere Spondyloarthritis (SpA-Kriterien s. u.) und kein Hinweis auf eine Gicht oder reaktive Arthritis. Die Familienanamnese ist unauffällig.

Klinische Untersuchung: Bei der Palpation der Finger, der Hand-, Ellenbogen-, Schulter- und Kniegelenke sind keine synovialen Schwellungen nachweisbar. Es liegt kein Druckschmerz vor. Geringe Schwellung des rechten OSG, mäßige Überwärmung, dort leichter Druckschmerz, Funktion erheblich schmerzhaft eingeschränkt.

Prozedere: Nach der Anamnese und der klinischen Untersuchung ergibt sich mit Ausnahme der berichteten MCP-2-Schwellung kein Hinweis auf eine rheumatoide Arthritis. Der Hausarzt hat in seiner Primärdiagnostik bereits Laborwerte bestimmen lassen.

Labor: Auffällig waren folgende Werte: CRP: 12,78 mg/l (Normwert: < 5) , CCP-AK (Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide): > 500 U/ml (Normwert: < 7).

Der leicht erhöhte CRP-Wert und insbesondere der stark erhöhte CCP-AK ergeben den Verdacht auf eine rheumatoide Arthritis. Die Klassifikationskriterien der ACR/EULAR können angewandt werden. Es liegt eine Arthritis vor (OSG). In der Anamnese und Diagnostik kein Anhalt für eine anderweitige Ursache (Übersicht 1).


Nach den Klassifikationskriterien ist die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis im beschriebenen Fall nicht gesichert:

  • 1 großes Gelenk ist geschwollen = 0 Punkte
  • Anti-CCP hoch positiv = 3 Punkte
  • CRP positiv = 1 Punkt
  • Dauer > 6 Wochen = 1 Punkt

Danach ergeben sich 5 Punkte. Die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA) ist somit nicht wahrscheinlich, dies wäre erst ab 6 Punkten der Fall (Übersicht 2).
Für den Rheumatologen ist die Diagnose allerdings sehr wahrscheinlich, da der CCP-Antikörper sehr hoch ist und in der Anamnese auch ein kleines Gelenk geschwollen war. Weitere Diagnostik mit Röntgen, Arthro-Sonografie und erweitertem Labor folgt, um die Diagnose der RA zu sichern und frühzeitig eine spezifische Therapie einzuleiten. Das Wissen und die Erfahrung des Arztes spielen hierbei eine herausragende Rolle. Menschen mit Symptomen einer RA sollten nach Empfehlungen der EULAR innerhalb von sechs Wochen einem in Diagnose und Differenzialdiagnostik kundigen Arzt vorgestellt werden [1].

Subtile Anamnese und Rheuma-Fragebogen

Denken Sie bei Gelenkbeschwerden und insbesondere bei Gelenkschwellungen immer auch "rheumatologisch"! Wichtig ist zunächst eine subtile Anamnese; diese kann bereits durch einen Rheuma-Fragebogen erhoben werden. Entzündlich rheumatische Symptome sind Schwellung, leichte bis mittelgradige Überwärmung, palpabler Gelenkerguss und schmerzhaft eingeschränkte Funktion. Begleitsymptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit (Fatique), allgemeines Krankheitsgefühl und Morgensteifigkeit spielen häufig eine Rolle und sind in Verbindung mit Gelenkbeschwerden nicht vorschnell als Fibromyalgie-Syndrom abzuhandeln. Wichtig sind in der Anamnese auch die SpA-Kriterien, da die Spondyloarthritiden mit peripherem Gelenkbefall, u. a. die Psoriasisarthritis, zumeist an den Gelenken der unteren Extremität beginnen. Fragen Sie nach nächtlichem Rückenschmerz, Psoriasis, Uveitis, Enthesitis, Daktylitis und Morbus Crohn bzw. Colitis ulcerosa.

Auch die Familienanamnese ist bedeutsam. Richten Sie Ihre Fragen gezielt auf RA, Psoriasis bzw. Psoriasis-Arthritis und Morbus Bechterew. "Oma hatte Rheuma" – diese Antwort ist wenig aussagekräftig; Sie werden sie bei fast jeder zweiten Anamneseerhebung erhalten.

In der klinischen Untersuchung ist die weiche, synoviale Schwellung der Gelenke verdächtig für eine Arthritis. Sie ist zu unterscheiden von der knöchernen Gelenkverhärtung, der Heberdenarthrose in den Fingerendgelenken. Die Untersuchung der Fingergelenke erfolgt nach der Vier-Finger-Methode, wobei die synoviale Schwellung gut verschieblich ist. Bei der rheumatoiden Arthritis ist der Disease Aktivity Score 28 (DAS 28) ein Ausgangs- und Verlaufsparameter der Erkrankung und kann die Diagnostik lediglich unterstützen.

In der Labor-Primärdiagnostik sind die Entzündungsparameter BSG und CRP von Bedeutung, der CCP-AK ist spezifischer als der Rheumafaktor. Der CCP-AK kann der klinisch nachweisbaren RA bereits um Jahre vorausgehen und hat bei einer noch undifferenzierten Arthritis einen hohen prädiktiven Wert für die Entstehung, aber auch für den Verlauf einer rheumatoiden Arthritis. Sofern keine Verdachtsmomente in der Anamnese vorliegen, empfehle ich, in der Primärdiagnostik auf Laborwerte wie ANA, ANCA, Borrelien, Yersinien, Chlamydien u. a. zu verzichten.

Therapie der RA: Zuversicht bei Arzt und Patient

In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Therapie rheumatischer Erkrankungen durch innovative Medikamente revolutioniert worden.
"Rheuma ist behandelbar – Zuversicht bei Arzt und Patient" sind die neuen Schlagworte. Das Therapieziel ist die Remission, vor Jahren undenkbar. Voraussetzung ist eine frühe Diagnose und eine frühe effiziente Therapie: "hit hard and early". Eine frühe Behandlung nach den S1-Leitlinien der DGRh mit DMARDs (Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs) sollte folgen; eine weitere sequenzielle Therapie mit Einbeziehung von Biologika macht – nach Versagen der vorherigen Therapie – eine Remission immer noch möglich (Abb. 1).

Häufig stellen sich Patienten mit Gelenkproblemen und mit geringer Entzündungs- und Krankheitsaktivität vor. Eine Primärbehandlung mit NSAR ist zunächst vertretbar, eine enge Verlaufskontrolle allerdings zu empfehlen. Eine Therapie mit Kortikoiden ist für den Patienten meist sehr effektiv, allerdings werden hierdurch auch eindeutige Symptome für die Diagnostik verschleiert. Deshalb ist die frühzeitige Überweisung zu einem "rheumakundigen Arzt" bedeutsam. Ist die Wartezeit bei einem internistischen Rheumatologen zu lang, bietet sich zunächst die Überweisung zu einem Orthopäden/Unfallchirurgen oder einem rheumatologisch fortgebildeten Orthopäden (RhefO) an.

Fehlallokation von Patienten mit nicht-entzündlichen Krankheiten sei ein wesentlicher Grund dafür, dass die Wartezeiten beim internistischen Rheumatologen so lange sind [4]. Der Orthopäde/Unfallchirurg bzw. RhefO kann den weiteren Versorgungspfad des Patienten bestimmen. Zunächst erfolgt dabei die Differenzierung entzündlich versus nicht-entzündlich.

Bei entzündlichen Erkrankungen folgt die
Diagnosesicherung und – je nach Schweregrad – die medikamentöse Einstellung. Bei problematischen Fällen ist die kurzfristige Überweisung zu einem internistischen oder orthopädischen Rheumatologen anzustreben.

Flächendeckende Praxisnetze

In Schleswig-Holstein haben wir nach diesem Muster erste positive Erfahrungen mit einem "Rheuma-Netz" sammeln können, an dem auch Allgemeinärzte beteiligt sind (Abb. 2).

Anzustreben sind weitere flächendeckende Praxisnetze, mit denen nicht nur die Frühdiagnostik und frühe Therapieeinleitung optimiert werden, sondern auch durch Erzielen einer Remission sehr viele Patientenschicksale positiv beeinflusst werden können. Somit bleibt die Arbeitskraft der Patienten erhalten, Frühberentungen werden vermieden. Auch für die Krankenkassen und die Rentenversicherer dürften diese Projekte interessant sein.


Literatur :
1. Stoffer MA et al. ANN Rheum Dis 2014 ; 73 : 9092-905
2. Krüger K, et al Z. Rheumatologie 2012 71 592-603
3. "Rheuma Netz": Versorgungspfade der Rheumatologie
4. Schnabel A. Ärztl. J Ortho/Rheum 5-2015 : 24-25



Autor:

Dr. med. Uwe Schwokowski

Orthopädische Facharztpraxis – Schwerpunkt
Rheumatologie
23909 Ratzeburg

Interessenkonflikte: Honorierte Dozententätigkeit mit Firmensponsoring (u. a. AbbVie, Pfizer, Medac, UCB, BMS, Celgene)



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (14) Seite 22-25