Bei Diabetespatienten werden häufig Miktionsstörungen beobachtet, die durch eine diabetische Neuropathie verursacht sind. Bringt der Patient ein solches Risiko mit, sollte der Arzt immer eine gezielte Screeninguntersuchung vornehmen. Zu unterscheiden ist die überaktive Blase – mit und ohne Inkontinenz – von der neurogenen Blasenentleerungsstörung, die mit gehäuft auftretenden Harnwegsinfekten und Restharnbildung einhergeht. Weiter schwierig bleibt hier die medikamentöse Therapie.
Diabetes mellitus geht häufig mit Komplikationen wie der peripher sensomotorischen Polyneuropathie einher, die ein breites Symptomspektrum (gastrointestinal, genitourologisch, kardiovaskulär, neuroendokrin u. a.) zeigt [1]. Da deren Therapie sehr schwierig ist, empfiehlt sich im Idealfall eine Prophylaxe. Falls schon Symptome aufgetreten sind, besteht das Ziel darin, das Fortschreiten dieser Folgeerkrankung zu verlangsamen. Die diabetische Neuropathie ist Folge einer schlechten Blutzuckereinstellung und häufig mit vaskulären Risikofaktoren verbunden, die es zu optimieren gilt [2].
Symptome
Die genitourologische diabetische Neuropathie umfasst unterschiedliche Symptome wie Blasendysfunktion, retrograde Ejakulation, erektile Dysfunktion und Dyspareunie. Sie tritt bei bis zu 50 % der Diabetespatienten auf [3]. Häufigste urologische Dysfunktion beim Typ-2-Diabetes ist die überaktive Blase [4].
Dabei treten Symptome wie Harndrang mit oder ohne Inkontinenz, gehäufte Blasenentleerung und nächtliches Harnlassen auf. Oft ist damit ein unphysiologisches Miktionsverhalten (vorzeitige Miktion und Einsetzen von Bauchpresse) verbunden, was die Symptome noch verschlimmern kann [5].
Die neurogene Blasenentleerungsstörung äußert sich hingegen primär mit dem eingeschränkten Erkennen einer vollen Blase. Die Folge ist eine unregelmäßige Miktionsfrequenz und eine unvollständige Blasenentleerung [6]. Diese Veränderungen können weiter zu rezidivierenden Harnwegsinfekten und Überlaufinkontinenz mit schwachem Harnstrahl führen. Patienten mit Typ-1-Diabetes haben ein höheres Risiko für diese Form der Inkontinenz.
Diagnostik
Beim Screening sollte initial eine genaue Anamnese der Blasenfunktion gemacht werden. Ist diese gestört, sollte sie mittels Restharnbestimmung und – falls nötig – durch ergänzende Untersuchungen wie Urodynamik, Urinstatus, klinische Untersuchung und zielgerichtete neuro-urologische Kontrollen evaluiert werden.
Therapie
Ziel der Therapie ist es, den oberen Harntrakt zu schützen, eine Harnkontinenz zu erzielen, die Funktion des unteren Harntrakts wiederherzustellen und die Lebensqualität zu verbessern. Die Therapiewahl muss mögliche Behinderungen des Patienten, Kosteneffektivität, technische Komplexität und eventuelle Komplikationen berücksichtigen.
Überaktive Blase
Zur Therapie der überaktiven Blase bieten sich vor allem Anticholinergika wie Trospiumchlorid, Tolterodin, Oxybutynin, Darifenacin, Solifenacin oder Propiverin, die Gabe von Mirabegron und eine Verhaltenstherapie an. Bei Therapieversagen sind die nicht-invasive Neuromodulation und die intravesikale Botulinumtoxininjektion in den Detrusor gute Optionen. Auch eine sakrale Neuromodulation (sogenannter Blasenschrittmacher) ist möglich.
Neurogene Blasenentleerungsstörung
Bei der neurogenen Blasenentleerungsstörung sollten initial alle Medikamente abgesetzt werden, die zur Beeinträchtigung der Detrusoraktivität führen (Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva und Kalziumkanalblocker).
Zu Therapiebeginn wird ein strikter Miktionszeitplan ("Timed Voiding") oft gemeinsam mit dem Crede-Manöver empfohlen (dabei wird mit den Händen Druck auf den Bauchraum ausgeübt, um die Blase zu entleeren). In schwereren Fällen mit deutlicher Restharnbildung ist eine intermittierende (Selbst-) Katheterisierung geeignet. Patienten und/oder pflegende Personen muss der Arzt dabei über Risiken aufklären und in die aseptische Kathetertechnik einweisen. Hierbei werden Kathetergrößen von 12 bis 16 Fr. verwendet. Dauerkatheter und suprapubische Harnableitungen sollte man möglichst vermeiden.
Bis heute gibt es kein Medikament, das eine neurogene Blasenentleerungsstörung effizient therapiert. Cholinergika wie Bethanechol und Distigmine sollen zwar die Detrusorfunktion verbessern, es fehlt allerdings an überzeugenden Studien. Diese Präparate werden auch kaum eingesetzt. Alphablocker (Tamsulosin, Naftopidil und Silodosin) senken den Sphinktertonus und reduzieren somit auch (moderat) die Restharnmengen. In therapierefraktären Fällen sind invasive Techniken wie Sphinkterotomie, Blasenhalsinzision und Stents eine Option.
Harnwegsinfekte
Bei Diabetikern treten gehäuft auch Harnwegsinfekte auf, insbesondere bei Patienten mit dauerhafter Harnableitung. Die EAU-Leitlinie empfiehlt bei neurourologischen Erkrankungen ausdrücklich nicht die Diagnostik und die Therapie asymptomatischer Bakteriurien [7]. Bei symptomatischen Harnwegsinfekten muss das Antibiotikum auf Grundlage einer mikrobiologischen Untersuchung ausgewählt werden. Ist eine Behandlung sofort nötig (z. B. bei Fieber, Sepsis, untragbaren Beschwerden), muss der Arzt das lokale und individuelle Resistenzprofil berücksichtigen. Bei rezidivierend auftretenden Harnwegsinfekten sollte in der Regel auf eine Dauertherapie verzichtet werden.
Screening
Die amerikanische Diabetesgesellschaft empfiehlt für die diabetische Neuropathie bei Typ-2-Diabetes ein Screening (Anamnese) zum Zeitpunkt der Diagnose, bei Typ-1-Diabetes fünf Jahre nach Diagnosestellung. Fällt das Ergebnis negativ aus, sollte das Screening jährlich wiederholt werden [8].
Prim. Univ. Prof. Dr. Stephan Madersbacher
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (3) Seite 40-41