Die Harninkontinenz der Frau ist ein häufiges Leiden, das etwa 5 Millionen Patientinnen betrifft. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Inzidenz zu. Aber auch Frauen in jüngeren Jahren leiden darunter – die Harninkontinenz schränkt die Lebensqualität oft stark ein. Viele Aktivitäten sind dann nicht mehr möglich. Aus Scham verheimlichen die Betroffenen meist ihr Problem. Da man aber in vielen Fällen eine Heilung oder zumindest eine Linderung erreichen kann, lohnt es sich für den Hausarzt, die Frauen aktiv darauf anzusprechen.

Die Fähigkeit, den Urin ausreichend lang halten zu können und bei körperlicher Belastung keinen Urin zu verlieren, ist für die meisten Menschen selbstverständlich. Wenn diese Fähigkeit verloren geht und eine Harninkontinenz auftritt, wird die Lebensqualität der Patienten massiv eingeschränkt und körperliche Aktivitäten sind nicht mehr möglich. Die beiden häufigsten Inkontinenzformen der Frau sind die Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz) und die überaktive Blase oder Dranginkontinenz. Bei der Belastungsinkontinenz tritt der Urinverlust durch intraabdominelle Drucksteigerungen z. B. bei Husten, Lachen, Niesen, Treppensteigen, Laufen und Springen auf. Bei der überaktiven Blase besteht ein kaum beherrschbarer imperativer Harndrang mit häufig stark verkürzten Miktionsintervallen und Urinverlust vor dem Erreichen einer Toilette.

Belastungsinkontinenz

Die Ursache für die Belastungsinkontinenz ist die zunehmende Insuffizienz des Verschlussmechanismus. Dieser befindet sich im Bereich der Harnröhre. Die glatt- und quergestreifte Muskulatur der Urethra, die urethrale Mukosa, die korrekte Aufhängung und Position von Blase und Urethra und die Beckenbodenmuskulatur ermöglichen in einem recht komplizierten Zusammenspiel die Kontinenz für Urin. Geburtstraumatische Veränderungen, die Abnahme an Muskelzellen und Muskelkraft, der postmenopausale Östrogenmangel und die Lageveränderungen der Genitalorgane begünstigen die Belastungsinkontinenz. Zwar kann der Urin in Ruhe noch gehalten werden, beim Husten, Niesen, Heben, Treppensteigen und schnellen Gehen aber geht bei jeder Drucksteigerung im Abdomen Urin ab.

Dranginkontinenz

Bei der Dranginkontinenz ist die Speicherfähigkeit der Blase gestört. Schon bei geringer Füllung tritt ein imperativer Harndrang auf. Vielfältige organische Ursachen wie Harnwegsinfekte, urogenitale Altersatrophie, infravesikale Obstruktion mit Restharnbildung, Blasentumoren, postradiogene Veränderungen und multiple neurologische Erkrankungen können dem zugrunde liegen. In vielen Fällen wird jedoch keine Ursache gefunden. Es handelt sich dann um eine sogenannte überaktive Blase mit Pollakisurie, imperativem Harndrang und Dranginkontinenz.

Diagnostik

Grundlage der Diagnostik ist eine Anamnese, die meist schon ermöglicht, zwischen den beiden Hauptformen der Harninkontinenz zu unterscheiden. Mit wenigen Fragen nach Urinabgang bei körperlicher Belastung, kaum beherrschbarem Harndrang, Miktionsintervall, Nykturie, Vorlagenbedarf und Blasenentleerungsstörungen lässt sich das Beschwerdebild vorläufig zuordnen (Tabelle 1). Von Bedeutung sind weiterhin die geburtshilfliche Anamnese, Voroperationen im kleinen Becken, internistische und neurologische Erkrankungen und die entsprechende Medikation. Viele Medikamente beeinflussen die Blasenfunktion. Ein Trink- und Miktionsprotokoll, das über wenige Tage von der Patientin geführt wird, gibt Aufschluss über die Trink- und Urinmengen und ist eine große Hilfe zur Beurteilung der Blasenfunktion. Ohne weitere Hilfsmittel lässt sich auch in der Praxis ein klinischer Stresstest durchführen, indem man die Patientin mit voller Blase husten lässt. Wenn dabei deutlich sichtbar Urin abgeht, ist dies ein wichtiger Hinweis für eine Belastungsinkontinenz. Meist kann anschließend eine konservative Therapie eingeleitet werden.

Bei unklaren Inkontinenzformen oder Nichtansprechen der konservativen Behandlung ist eine weiterführende Diagnostik (urodynamische Untersuchung, Zystometrie, Urethraverschlussdruck, Uroflowmetrie) in einer spezialisierten Praxis oder Klinikambulanz erforderlich.

Therapie

Wenn die Anamnese eine vorläufige Zuordnung der Harninkontinenz zulässt, kann der Allgemeinarzt eine konservative Therapie beginnen. Bei Belastungsinkontinenz steht das Training der Beckenbodenmuskulatur im Vordergrund. Am besten werden sechs Einheiten einer gezielten Physiotherapie verordnet. Eine Verlängerungsverordnung ist möglich. Bei Frauen, die wenig Gefühl in ihrem Beckenboden haben, kann dies durch eine vaginale Elektrostimulation eventuell mit Biofeedbackkontrolle unterstützt werden. Bei postmenopausalen Frauen ist eine vaginale Estriolanwendung sinnvoll. Wichtig ist, die Patientinnen darauf hinzuweisen, dass diese Behandlung das Risiko für ein Mammakarzinom nicht negativ beeinflusst. Führen die konservativen Maßnahmen nach einigen Wochen nicht zur Besserung, sollte eine Inkontinenzoperation erwogen werden. Seit Einführung der suburethralen Schlingen (TVT- oder TOT-Band) lässt sich bei Frauen ohne wesentlichen Deszensus die Belastungsinkontinenz mit hoher Erfolgsrate um bis zu knapp 90 % beheben.

In einem minimalinvasiven Eingriff wird dabei ein Kunststoffband unter der Mitte der Urethra platziert (Abb. 1). Der Eingriff erfolgt in kurzer Narkose oder mit Lokal- bzw. Regionalanästhesie. Die Langzeitergebnisse sind sehr gut. Bei einer zusätzlichen Senkung oder einer Rezidivinkontinenz ist die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum sinnvoll. Bei Deszensus und Belastungsharninkontinenz muss abgewogen werden, ob zuerst die Senkung korrigiert und dann eventuell sekundär die Inkontinenz operiert oder ob ein simultanes Vorgehen durchgeführt werden soll.

Die überaktive Blase wird zunächst immer konservativ behandelt – nach Ausschluss von Harnwegsinfekt und Restharnbildung. Wichtigster Baustein ist eine Verhaltenstherapie zur Konditionierung der Blasenfunktion mit Einhalten fester verlängerter Miktionsintervalle, einem Trinkschema und dem Abtrainieren des sogenannten "Haustürphänomens" (starker Harndrang beim Öffnen der Haustür, weil der Urin vorher krampfhaft eingehalten wurde). Ergänzend ist eine Physiotherapie und bei postmenopausalen Frauen eine vaginale Östrogenisierung sinnvoll. Die nächste Therapiestufe besteht in der medikamentösen Behandlung mit einem Anticholinergikum. Damit wird der Detrusortonus gesenkt und das Blasenvolumen und das Miktionsintervall erhöht. Eine Vielzahl von Präparaten steht zur Verfügung, die sich mehr in den Nebenwirkungen als in der Erfolgsrate unterscheiden (Tabelle 2). Hauptnebenwirkungen sind Mundtrockenheit und Obstipation. Vorsichtig sollte man bei Vorliegen eines Glaukoms und der älteren Patientin sein, da manche Präparate die Hirnleistung einschränken können. Ein neuer Therapieansatz ist der Einsatz eines selektiven ß3-Adrenorezeptoragonisten (Mirabegron). Das Medikament wurde in Deutschland vor kurzem aber aus preispolitischen Gründen vorübergehend vom Markt genommen. Bei Persistenz der Dranginkontinenz sollte eine Zystoskopie zum Ausschluss organischer Ursachen (z. B. Karzinom) erfolgen. Bei Therapieresistenz ist die intravesikale Injektion von Botulinumtoxin eine hochwirksame Behandlung (Abb. 2). Die Freisetzung von Acetylcholin als Transmitter der afferenten und efferenten Nervenfasern wird blockiert. Systemische Nebenwirkungen treten kaum auf. Bei Standarddosierung sind Blasenentleerungsstörungen selten. Eine Narkose ist in der Regel nicht erforderlich. Auch eine Sakralnervenmodulation mit Elektroden in den Sakralforamina mit Implantation eines "Blasenschrittmachers" ist nach vorheriger Teststimulation eine minimalinvasive Methode zur Verbesserung einer überaktiven Blase (Abb. 3). Nur als Ultima Ratio stehen Blasenaugmentation, Harnblasenersatz und Harnableitung zur Verfügung.

Fazit
Die Harninkontinenz ist häufig und schränkt die Lebensqualität erheblich ein. Eine konservative Therapie kann in der Praxis nach Anamnese und klinischem Bild eingeleitet werden. Bei Persistenz ist eine Überweisung an einen urogynäkologisch tätigen Arzt oder an eine Klinik sinnvoll. Das Behandlungsspektrum hat sich sowohl für die Belastungs- als auch die Urgeinkontinenz erfreulich erweitert, so dass den meisten Frauen geholfen und die Blasenfunktion zumindest gebessert werden kann. Voraussetzung für eine Behandlung ist das aktive Ansprechen oder zumindest ein offenes Ohr für die Betroffenen in der hausärztlichen Praxis, da die Patientinnen sich oft scheuen, das Thema Inkontinenz anzusprechen.


Literatur
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Autor:

Dr. med. Christian Fünfgeld

Abteilung für Gynäkologiee
Interdisziplinäres Kontinenz- und Beckenbodenzentrum
Klinik Tettnang
88069 Tettnang

Interessenkonflikte: Honorierte Vortragstätigkeit für AMI, AMS, Astellas, Bard, Coloplast, Madaus, PFM, Recordati, Specialty European Pharma, Serag-Wiessner



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (7) Seite 32-37