Zungenbrennen beschreibt eine komplexe Beschwerdesymptomatik, die in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen aufweist, wie z. B. "Burning tongue", "Glossodynia", oder "Stomatopyrosis". Im Verlauf hat sich der Begriff Burning Mouth Syndrome (BMS) durchgesetzt.

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft [1] definiert BMS als intraorales Brennen oder Empfindungsstörung (Dysästhesie), das täglich für mehr als zwei Stunden über drei Monate auftritt ohne klinisch nachweisbare ursächliche Veränderungen. Diese Art der Definition erinnert an die Definitionen des Reizdarmsyndroms (IBS) [2]. Auch hier liegen definierte Beschwerden vor, für die sich keine fassbaren Ursachen finden lassen. Beim IBS ist nun bewiesen, dass organische Ursachen zugrunde liegen und dass zahlreiche Subgruppen mit unterschiedlichen Pathophysiologien vorliegen [3, 4, 5]. Eine ähnliche Konstellation ist auch beim BMS zu vermuten. Typische Symptome sind das Gefühl des Brennens, Stechens bzw. Juckens, das überwiegend im Bereich der Zunge und der Lippen, weniger im Bereich der Wangenschleimhaut lokalisiert wird [6]. Häufig finden sich assoziierte Beschwerden wie ein bitterer oder metallischer Geschmack (60 %), Geschmacksstörungen (35 %) bzw. das Gefühl der Mundtrockenheit (Xerostomie, 63 %). Der Beginn ist spontan ohne erkennbare auslösende Ursachen. BMS kommt je nach betreuender Fachdisziplin und untersuchtem Patientenkollektiv häufiger vor, wobei die Prävalenzdaten aufgrund des wahrscheinlich sehr heterogenen Patientenkollektivs in der Literatur mit einer großen Variation von 0,7 – 15 % angegeben werden [7]. Das mittlere Alter beträgt 27 – 87 Jahre, wobei insbesondere peri- bzw. postmenopausale Frauen prädisponiert sind. Es besteht ein hoher Leidensdruck, auch weil die Patienten häufig nicht ernst genommen werden und hierdurch hohe indirekte und direkte Kosten im Gesundheitssystem entstehen.

Anatomie der Mundhöhle

Das Epithel der Mundhöhle besteht aus nicht verhornendem Plattenepithel, das durch das Sekret der Speicheldrüsen befeuchtet wird. Die somatosensorische Innervation der Mundschleimhaut erfolgt durch den N. trigeminus (V) und den N. glossopharyngeus (IX). Die vorderen zwei Drittel der Zunge werden durch den N. mandibularis des N. trigeminus, das hintere Drittel durch den N. glossopharyngeus (IX)versorgt. Hierdurch werden die über die Zungenpapillen aufgenommenen mechanischen, thermischen bzw. taktilen Reize weitergeleitet. Die Geschmacksrezeptoren der vorderen zwei Drittel der Zunge werden über die Chorda tympani des N. facialis (VII), die des hinteren Zungendrittels über den N. glossopharyngeus (IX) übertragen. Geschmacksrezeptoren finden sich auch am weichen Gaumen und im Larynx (N. laryngeus des N. vagus) [6].

Klassifikationen

Naturgemäß sind Klassifikationen von Erkrankungen, deren Ursachen noch unklar sind bzw. die aus mehreren Subgruppen bestehen, artifiziell. Auch beim BMS gibt es Versuche einer Klassifizierung. Diese beinhalten zum einen die pragmatische Differenzierung zwischen primär ohne erkennbare Ursache und sekundär mit auslösenden Ursachen bzw. eine Einteilung bezogen auf die Symptomatik.

Ein sekundäres BMS kann u. a. assoziiert sein mit Schilddrüsenerkrankungen (Unterfunktion), Diabetes mellitus, gastrointestinalen bzw. urogenitalen Erkrankungen, psychiatrischen Erkrankungen (u. a. Depression, Ängstlichkeit, Hypochondrie), Persönlichkeitsveränderungen (Cluster-A-Störungen), M. Parkinson, Mundinfektionen (Candida-Spezies, coliforme Enterobacter, Klebsiella), Medikamenten (ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Hemmer, Nevirapin, Efavirenz, Levodopa, Topiramat), Zahnbehandlungen, Vitaminmangel (B1, B2, B6, B12, Folsäure), Mineralienmangel (Zink) bzw. Nikotin. Der Versuch einer Klassifikation anhand der Symptomatik suggeriert unterschiedliche Pathophysiologien, für die es aber keine validen Daten gibt (Tabelle 1).

Ätiologie und Pathogenese

Die Pathophysiologie des BMS ist weiterhin ungeklärt. Favorisiert wird heute eine Neuropathie, wobei diskutiert wird, ob eine periphere oder zentrale Manifestation vorliegt (Tabelle 2). Wahrscheinlich gibt es, abhängig vom Patientenkollektiv, beide Formen, möglicherweise auch kombiniert. Für eine periphere sensorische Neuropathie/Axonopathie der kleinen sensorischen Nervenfasern im Mund (50 – 60 %) bzw. des N. trigeminus (20 – 25 %) sprechen erniedrigte Schwellen für Temperatur-Schmerzreize, eine erniedrigte Dichte epithelialer bzw. subpapillärer Nerven, eine axonale Degeneration, erhöhte Spiegel von Nerve Growth Factor (NGF), eine erhöhte Dichte von TRPV1-Ionenkanälen und P2X3-Rezeptoren auf Nervenfasern, eine Dysfunktion der Chorda-tympani-Äste des N. facialis, Veränderungen des Blinzelreflexes, ein positiver Einfluss durch Stimulation des Geschmackssystems bzw. ein Abfall neuroprotektiver gonadaler und adrenaler Steroide in der Menopause. Auf eine zen-trale Neuropathie (20 – 30 %) deuten eine veränderte zentrale Reizverarbeitung (Schmerz, Temperatur) im Thalamus (fMRT), eine Dysregulation des nigrostriatalen dopaminergen Systems (M. Parkinson) bzw. erhöhte Scores für Ängstlichkeit und Depression (50 % der Patienten) hin [6, 8, 9].

Klinische Diagnostik

Die klinische Diagnostik ist immer noch eine Herausforderung, da es keine allgemein akzeptierten Kriterien gibt, die klinische Symptomatik variabel sein kann und ein heterogenes Patientenkollektiv vorliegt [10]. Ein BMS kann vermutet werden, wenn eine täglich auftretende bilaterale brennende Missempfindung der Mundschleimhaut von kontinuierlicher oder zunehmender Intensität über mindestens vier bis sechs Monate vorliegt, die nicht durch Nahrungs- bzw. Flüssigkeitszufuhr verschlechtert, sondern eher verbessert wird und schlafunabhängig ist [11]. Zusätzliche Kriterien sind Geruchsveränderungen und/oder Xerostomie, Alterationen der sensorischen bzw. chemosensorischen Empfindung bzw. psychopathologische Auffälligkeiten [12].

Da das primäre BMS eine Ausschlussdiagnose ist, müssen im Einzelfall alle sekundären Ursachen abgeklärt werden (Tabelle 2). Hierzu gehören u. a. eine ausführliche Inspektion des Nasen-Rachen-Raums, des Zahnstatus, eine Ernährungsanamnese bzw. eine Medikamentenanamnese. Die Laboruntersuchungen sollten einen Mangel an Eisen, Spurenelementen, Vitamin B1, B12, einen Diabetes mellitus bzw. autoimmune Erkrankungen ggf. aufdecken können. Auch kann eine Messung des Speichelflusses hilfreich sein. Gegebenenfalls kann ein Abstrich der Mundschleimhaut auf Bakterien bzw. Pilze Aufschluss geben.

Therapie

Die Therapie des BMS ist schwierig und individuell [13]. Primäres Ziel ist die Differenzierung zwischen primären und sekundären Formen (Tabelle 2). Dies bedeutet im Einzelfall, dass anhand einer Checkliste die potenziellen sekundären Faktoren in der Hoffnung einer kausalen Therapiemöglichkeit abgearbeitet und behandelt werden müssen [14, 15]. Dies ist wie bei den funktionellen Darmerkrankungen naturgemäß zeit- und kostenintensiv. Die medikamentösen Therapiestrategien sind zahlreich und werden durch das heterogene Patientenkollektiv bestimmt (Tabelle 3). Nach Ausschluss der sekundären Formen mit entsprechender spezifischer Therapie können unter dem V. a. ein primäres BMS verschiedene Therapiekonzepte versucht werden. Hierbei gibt es zzt. keinen Biomarker, der ein Therapiekonzept im Vorfeld favorisiert. Eine praktikable Therapiestrategie wurde von Kääskeläinen et al. [10] vorgeschlagen (Abbildung). Bei der Therapieentscheidung sollte ein unnötiger Aktionismus vermieden werden. So zeigen Untersuchungen, dass der Verlauf ohne Therapie über 18 Monate in 10 % eine spontane Remission und in 26 % eine moderate Besserung zeigt. 37 % der Patienten zeigen keine Änderung, 26 % eine Verschlechterung ihrer Symptomatik. Diese Ergebnisse sind formal nicht schlechter als der Verlauf mit Therapie über 18 Monate 29 % Besserung, 56 % keine Änderung, 15 % Verschlechterung [16].

Prognose

Obwohl nur wenige Follow-up-Studien vorliegen, ist davon auszugehen, dass eine "Dreierregel" gilt. Dies bedeutet, dass ca. 30 % der Patienten eine spontane Remission bzw. eine Verbesserung ihrer Symptome aufweisen werden, dass ein weiteres Drittel keine Änderung und ein weiteres Drittel eine Verschlechterung ihrer Beschwerden zeigen wird.

Was interessiert den Gastroenterologen?

Patienten mit BMS werden dem Gastroenterologen häufig unter dem V. a. eine gastroösophageale Refluxerkrankung vorgestellt. Dies ist aber bei Fehlen von typischen Refluxbeschwerden (Sodbrennen, saure Regurgitation) unwahrscheinlich, sodass im Allgemeinen keine weiterführende Refluxdiagnostik durchgeführt werden muss. Bei klinischen Hinweisen auf eine Refluxerkrankung, insbesondere bei Volumenreflux bzw. hohem Reflux, kann eine Ösophagogastroskopie zum Nachweis einer Refluxösophagitis bzw. eine Ösophagusfunktionsdiagnostik durch kombinierte 24-Stunden-pH-Metrie-Impedanzmessung durchgeführt werden. Der Stellenwert der oropharyngealen Säuremessung durch die Restech®-Sonde ist zzt. unklar [17, 18]. Erfahrungen bei der Funktionsuntersuchung von Globusgefühl bzw. Halsbrennen lassen aber vermuten, dass diese spezialisierte Funktionsdiagnostik ohne klinische Relevanz ist. Entsprechende wissenschaftlich validierte Daten liegen aber zzt. nicht vor. Ebenfalls fehlen Untersuchungen über die Relevanz von Magenschleimhaut-Heterotopien im proximalen Ösophagus bzw. die Bedeutung einer eosinophilen Ösophagitis. Diese Faktoren sollten aber im Einzelfall ausgeschlossen werden.

Zusammenfassung
Zungenbrennen beschreibt eine komplexe Beschwerdesymptomatik, die in der Literatur unter dem Begriff Burning Mouth Syndrome (BMS) geführt wird. Das heterogene Patientenkollektiv weist einen hohen Leidensdruck auf, auch weil die Patienten häufig nicht ernst genommen werden. Hierdurch entstehen hohe indirekte und direkte Kosten im Gesundheitssystem. Bei der primären Form wird heute eine periphere bzw. zentrale Neuropathie favorisiert. Ein sekundäres BMS kann mit verschiedenen endokrinologischen, gastrointestinalen, urogenitalen, neurologischen, psychiatrischen Erkrankungen, Mundinfektionen, Zahnbehandlungen, Medikamenten, Vitamin- bzw. Spurenelementmangel bzw. Nikotinabusus assoziiert sein. Die Therapie des BMS ist schwierig und individuell. Nach Ausschluss der sekundären Formen mit entsprechender spezifischer Therapie können unter dem V. a. ein primäres BMS verschiedene Therapiekonzepte mit lokaler Therapie von Clonazepam bzw. Capsaicin bzw. systemisch mit Clonazepam bzw. Gabapentin versucht werden. Hierbei gibt es zzt. keinen Biomarker, der ein Therapiekonzept im Vorfeld favorisiert.


Literatur
1. International Headache Society Classification Committee. The International Classification of Headache disorders, 3rd edition (beta version). Cephalalgia 2013; 33: 629–808
2. Drossman D. Functional gastrointestinal disorders: history, pathophysiology, clinical features, and Rome IV. Gastroenterology 2016;150:1262–1279
3. Frieling T, Fried M. Reizdarm und Reizmagen. Der Gastroenterologe 2017;12:106-107
4. Frieling T, Schemann M, Pehl C. Irritable bowel syndrome – a misnomer ? Z Gastroenterol 2011; 49:577–5782
5. Enck P, Frieling T, Schemann M.Irritable bowel syndrome - disection of a disease. A 13-steps polemic. Z Gastroenterol. 2017 Nov;55(11):e1. doi: 10.1055/s-0043-121536. Epub 2018 Jan 8
6. Gurvits GE Tan A. Burning mouth syndrome. World J Gastroenterol 2013 February 7; 19(5): 665-672
7. Coculescu EC et al. Epidemiological and etiological aspects of burning mouth syndrome. Journal of Medicine and Life 2014;7:305-309
8. Nasri-Heir C et al. Burning mouth syndrome: Current concepts. The Journal of Indian Prosthodontic Society 2015;15:300-307
9. Aggarwal A, Panat SR. Burning mouth syndrome: A diagnostic and therapeutic dilemma. Clin Exp Dent 2012;4:180-185
10. Kääskeläinen S, Woda A. Burning mouth syndrome. Cephalalgia 2017;37:627–647
11. Scala A et al. Update on burning mouth syndrome: overview and patient management. Crit Rev Oral Biol Med 2003;14:275-291
12. Klasser GD, Grusha M. Burning mouth syndrome. Oral Maxillofacial Surg Clin N Am 2016;28:381–396
13. Miziara I et al. Therapeutic Options in Idiopathic Burning Mouth Syndrome: Literature Review. Int Arch Otorhinolaryngol 2015;19:86–89
14. Kisely S et al. A systematic review of randomized trials for the treatment of burning mouth syndrome. Journal of Psychosomatic Research 2016;86:39–46
15. Takenoshita M et al. Psychiatric diagnoses in patients with burning mouth syndrome and atypical odontalgia referred from psychiatric to dental facilities. Neuropsychiatr Dis Treat. 2010;13;6:699-705
16. Sardella A. An up-to-date view on burning mouth syndrome. Minerva Stomatol 2007;56:327–340
17. Frieling T et al. Esophageal function tests are not helpful in symptoms suspicious of extraesophageal reflux - a prospective study in 74 patients. Z Gastroenterol. 2016;54:1061-1068
18. Frieling T et al. Clinical impact of esophageal function tests and argon plasma coagulation in heterotopic gastric mucosa of the esophagus and extraesophageal reflux symptoms - a prospective study. Z Gastroenterol. 2015;53:101-107
19. Lamey PJ. Burning mouth syndrome. Dermatol Clin 1996;14:339–354
20. Lamey PJ, Lewis MA. Oral medicine in practice: orofacial pain. Br Dent J 1989;167:384–389
21. Lamey PJ, Lamb AB. Prospective study of aetiological factors in burning mouth syndrome. Br Med J (Clin Res Ed) 1988;296:1243–1246
22. Atkinson JC et al. Effects of furosemide on the oral cavity. Gerodontology. 1989;8:23-6
23. Fox PC. Acquired salivary dysfunction. Drugs and radiation. Ann N Y Acad Sci 1998;15;842:132-7
24. Bergdahl M, Bergdahl J. Burning mouth syndrome: prevalence and 5 associated factors. J Oral Pathol Med.1999;28:350–4
25. Saleh et al. Salivary hypofunction: an update on aetiology, diagnosis and therapeutics. Arch Oral Biol. 2015;60:242-55
26. Miziara I et al. Therapeutic Options in Idiopathic Burning Mouth Syndrome: Literature Review. Int Arch Otorhinolaryngol 2015;19:86–89


Autor:

© copyright
Prof. Dr. med. Thomas Frieling

Medizinische Klinik II
Allgemeine Innere Medizin mit Gastroenterologie, Hepatologie, Neurogastroenterologie, Infektiologie, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin
HELIOS Klinikum Krefeld,
47805 Krefeld

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (4) Seite 42-45