Der akute Bauchschmerz ist auch für den Hausarzt immer wieder eine diagnostische Herausforderung. Für die Risikoeinschätzung in „dringend“ und „nicht dringend“ kann möglicherweise ein an die Bedürfnisse der Hausarztpraxis angepasster Algorithmus eine gute Orientierung bieten.

Fallbeispiel
Eine 48-jährige Patientin stellt sich mit Bauchschmerzen in der Praxis vor. Sie gibt starke Schmerzen (NAS: 9/10) im rechten Unterbauch an, seit 14 Tagen rezidivierend, jedoch seit zwei Tagen massiv zunehmend. Die Vitalparameter sind normwertig. Der Bauch ist klinisch bis auf einen dezenten Druckschmerz im rechten Unterbauch unauffällig. Außer einer Hysterektomie keine abdominalen Voroperationen. Seit zwei Wochen nimmt sie Ibuprofen ein, sonst keine Dauermedikation. Miktion/Stuhlgang normal.

Auflösung am Ende des Beitrags

Das Leitsymptom "Bauchschmerz" gehört zu den häufigen Vorstellungsgründen beim Allgemeinarzt [14]. Oft sind die Symptome unspezifisch und erschweren daher eine zeitnahe Diagnose. Zudem kann sich hinter einem identischen Leitsymptom ein weites Spektrum unterschiedlicher Ursachen – von harmlos bis akut lebensbedrohlich – verbergen [3, 6].
Bei der Einteilung abdominaler Schmerzen ist zu Beginn eine Unterscheidung in akutversus chronisch naheliegend. Besonders schwierig ist die Einordnung bei chronischen Beschwerden. Hier besteht zwar nur selten eine Indikation zur notfallmäßigen Behandlung, jedoch muss man auch hier nach der möglichen Ursache, Dringlichkeit und weiteren Behandlung forschen [1]. Im deutschsprachigen Raum ist die Einteilung in ein "unklares Abdomen" versus "akutes Abdomen" weit verbreitet. Das ursprüngliche "akute Abdomen" aus der Chirurgie beschreibt meist einen Symptomkomplex aus akut einsetzenden starken Bauchschmerzen, peritonealer Reizung mit lokaler/generalisierter Abwehrspannung, veränderter Peristaltik und gegebenenfalls auffälligen Vitalparametern. Hier muss der Arzt häufiger mit einer Diagnose rechnen, die einer zeitkritischen chirurgischen Versorgung bedarf. Unter dem "unklaren Abdomen" versteht man meist eine eher unspezifische, jedoch recht akute Bauchschmerzsymptomatik mit oder ohne Begleitsymptome (z. B. Erbrechen, Diarrhö, vegetative Symptomatik), die man durch erweiterte Diagnostik u. a. in ihrer Dringlichkeit weiter eingrenzen kann [2, 12].

Der akute Bauchschmerz

Die aktuelle Literatur versucht, den Begriff des "akuten Bauchschmerzes" zu etablieren. Dieser wird als nicht traumatischer Bauchschmerz mit einer Dauer von maximal fünf Tagen definiert. Durch die klinische Diagnostik (mindestens Anamnese und körperliche Untersuchung) gibt es eine Unterscheidung in potenziell "dringlich" (Versorgung innerhalb von maximal 24 h) und potenziell "nicht dringlich" [3].
Die häufigsten Ursachen eines "dringlichen" akuten Bauchschmerzes sind u. a. die akute Appendizitis, Divertikulitis, Cholezystitis, Pankreatitis, Ileus und die Hohlorganperforation [5, 6].
Der unspezifische abdominale Schmerz zusammen mit gastrointestinalen Erkrankungen findet sich bei den häufigsten Diagnosen des "nicht dringlichen" akuten Bauchschmerzes [3, 6, 7].

Die alltäglichen Probleme bei der Beurteilung akuter Bauchschmerzen sind: Wie kann man sicher zwischen einer akuten lebensgefährlichen Erkrankung und einer harmlosen Ursache unterscheiden? Welche zusätzliche Diagnostik ist neben einer zielgerichteten Anamnese und einer klinischen Untersuchung noch sinnvoll, speziell im ambulanten Setting? Wann muss an extraabdominale Ursachen (z. B. Pneumonie, Myokardinfarkt, Pseudoperitonitis bei Ketoazidose, Hodentorsion etc.) gedacht werden? Für die klinische Notfallmedizin gibt es mittlerweile einige publizierte Algorithmen zur Abklärung, aus denen sich möglicherweise Empfehlungen für das hausärztliche Setting ableiten lassen [Abb. 1].

Der Algorithmus: ein Vorschlag

In der täglichen Praxis beginnt die Abklärung des Leitsymptoms "akuter Bauchschmerz" meist mit einer fokussierten Anamnese sowie einer symptomorientierten, körperlichen Untersuchung. Für die Anamnese haben sich z. B. das "SAMPLER-Schema" (Tabelle 2) und die Symptomabfrage nach "OPQRST" (Tabelle 3) bewährt. Für die körperliche Untersuchung erweist sich etwa das "Quadrantenmodell" als zielführend – einige Diagnosen können sich in mehreren Quadranten als DD wiederfinden [13]. Auf dieser Basis lässt sich bei eindeutigen Befunden oft schon eine Verdachtsdiagnose stellen oder bei weniger eindeutiger Symptomatik z. B. durch die "Red Flags" (Tabelle 1) eine Unterscheidung in "potenziell dringlich" versus "potenziell nicht dringlich" treffen [3, 6]. Aktuell gibt es keine Evidenz für die Überlegenheit diagnostischer Scores bei der Beurteilung akuter Bauchschmerzen [3].
Während die Kombination aus Anamnese und klinischer Untersuchung nur in circa 50 % der Fälle zur richtigen Diagnose führt, kann sie wohl recht gut zwischen "dringlichen" und "nicht dringlichen" Bauchschmerzursachen unterscheiden [3, 6, 7]. Es scheint ausreichend sicher, bei einer klaren Zuteilung zu einer "nicht dringlichen" Bauchschmerzursache, z. B. durch das Fehlen von "Red Flags" (Tabelle 1), ohne weitere Diagnostik eine ambulante Wiedervorstellung am Folgetag, gegebenenfalls unter symptomatischer Therapie, zu veranlassen [3, 4].

Bei einer potenziell "dringlichen" Ursache sollte sich direkt eine erweiterte Diagnostik anschließen. Hier sind vor allem Vitalparameter, Labordiagnostik (Blut, Urin), EKG, Sonografie, CT und MRT bedeutsam. Es können z. B. Vitalparameter, 12-Kanal-EKG z. B. bei Oberbauchschmerzen, Urin-Stix bei Flanken-/Unterleibsschmerzen, Blutzuckermessung bei Kindern und Jugendlichen (Typ-1-Diabetes) und vor allem die fokussierte Sonografie (POCUS) zu einer weiteren Eingrenzung der DD und zu einer besseren Risikoeinschätzung schon in der Praxis führen [6, 10]. Dies kann für die weitere Planung entscheidend sein (Zielklinik? Transport mit Rettungsdienst/Notarzt oder selbstständige Vorstellung?) Die Bestimmung von Blutbild + CRP allein scheint keine nennenswerte Besserung der Diagnosesicherheit zusätzlich zur Anamnese und körperlichen Untersuchung zu bringen [3, 6, 7]

Eine suffiziente, zeitnahe Analgesie ist ein zentrales Merkmal einer guten Behandlung und erschwert nicht die nachfolgende Diagnosestellung [3, 8, 11]. In einer interdisziplinären Notaufnahme erfolgen in der Regel Leitsymptom-getriggerte, standardisierte Abläufe nach ähnlichen Prinzipien. Die angewandten Algorithmen orientieren sich primär an der Patientensicherheit, helfen aber auch bei der Optimierung der eingesetzten Ressourcen [3, 4, 10, 12].

Die "Blackbox"

Jenseits aller Algorithmen, Scores und Metaanalysen ist der unklare Bauchschmerz ein häufig unspezifisches Symptom mit einer Vielzahl möglicher Diagnosen – von mild und selbstlimitierend bis akut lebensgefährlich. Wir sehen den unklaren Bauchschmerz weiter als "Blackbox"mit nur begrenztem Einblick. Es scheint sinnvoll, kurzfristige Kontrollen zu sichern und immer mit unerwarteten Entwicklungen zu rechnen [7]. Auch die Compliance des Patienten und seine häusliche Lebens- und Versorgungssituation sollte man einbeziehen. Bei älteren Personen mit akuten Bauchschmerzen ist häufiger mit relevanten, akut therapiebedürftigen Erkrankungen zu rechnen. Hier zeigen sich z. B. weniger spezifische Bauchschmerzen. Auch Abwehrspannung oder Fieber sind oft geringer ausgeprägt [9].

Eine Sprach- oder Verständnisbarriere kann zudem zu einer ausführlicheren Diagnostik motivieren. Kleinere Kinder werden von einigen Autoren zur Gruppe mit erhöhtem Risiko bei akuten Bauchschmerzen gezählt. Der Arzt sollte auch bei Schwangeren, Frauen im gebärfähigen Alter, bei Immunsuppression/-schwäche sowie bei sich wieder vorstellenden Patienten mit einem erhöhten Risiko für schwere Erkrankungen rechnen [2, 7].

Fallbeispiel: Auflösung
Die Patientin bekam wegen der starken Schmerzen eine perorale Analgesie. Sie wünschte keine stationäre Einweisung und verließ die Praxis. Es folgte eine Wiedervorstellung mit ähnlicher Symptomatik wie am Vortag und die notfallmäßige stationäre Einweisung. In der ZNA erfolgte eine ausführliche Diagnostik inklusive zeitnaher Sonografie + CT bei rezidivierend massiven Schmerzen unklarer Ursache. In der explorativen Laparoskopie am Folgetag konnte histologisch eine ektope Uterusanlage an der seitlichen Bauchwand gesichert werden. Die Patientin war postoperativ beschwerdefrei.

Bauchschmerzen bleiben eine Blackbox. Mit Überraschungen sollte man immer rechnen. Eine standardisierte Abklärung ermöglicht dabei eine Risikoreduktion sowie eine patientenorientierte Symptomkontrolle.

Fazit für die Praxis
Der akute Bauchschmerz als "Blackbox" stellt uns auch heute noch immer wieder vor diagnostische Herausforderungen. Die Orientierung an einem diagnostischen Algorithmus, der risikoadaptiert auf weiterführende Diagnostik eskaliert, jedoch dadurch auch ressourcenschonendes Arbeiten ermöglicht, kann hier Hilfestellung bieten. Die zentrale Rolle in der Risikoabschätzung spielen weiterhin eine fokussierte symptombezogene Anamnese (SAMPLER; OPQRST) und Untersuchung auf "Red Flags". Häufig kann schon durch eine in der Praxis durchgeführte erweiterte Diagnostik eine weitere Eingrenzung der Diagnose erfolgen.


Literatur
1. Camilleri M. Management of patients with chronic abdominal pain in clinical practice. Neurogastroenterol Motil. 2006 Jul;18(7):499-506. Review.
2. Frei P.: Differentialdiagnostik abdomineller Schmerzen, Praxis 2015;
3. Gans S, L, Pols M, A, Stoker J, Boermeester M, A: Guideline for the Diagnostic Pathway in Patients with Acute Abdominal Pain. Dig Surg 2015
4. Hancock DM, Heptinstall M, Old JM, Lobo FX: Computer aided diagnosis of acute abdominal pain. The practical impact of a ‘theoretical exercise’. Theor Surg 1987
5. Kraemer M, Yang Q, Ohmann C; Acute Abdominal Pain Study Group: Classification of subpopulations with a minor and a major diagnostic problem in acute abdominal pain. Theor Surg 1993
6. Lameris W, van Randen A, van Es HW, van Heesewijk JP, van Ramshorst B, Bouma WH, et al: Imaging strategies for detection of urgent conditions in patients with acute abdominal pain: diagnostic accuracy study. BMJ 2009
7. Laurell H, Hansson LE, Gunnarsson U: Diagnostic pitfalls and accuracy of diagnosis in acute abdominal pain. Scand J Gastroenterol 2006.
8. Marinsek M, Kovacic D, Versnik D, Parasuh M, Golez S, Podbregar M: Analgesic treatment and predictors of satisfaction with analgesia in patients with acute undifferentiated abdominal pain. Eur J Pain 2007
9. Ng CY, Squires TJ, Busuttil A. Acute abdomen as a cause of death in sudden, unexpected deaths in the elderly. Scott Med J 2007
10. Nural MS, Ceyhan M, Baydin A, Genc S, Bayrak IK, Elmali M: The role of ultrasonography in the diagnosis and management of non-traumatic acute abdominal pain. Intern Emerg Med 2008
11. Thomas SH, Silen W: Effect on diagnostic efficiency of analgesia for undifferentiated abdominal pain. Br J Surg 2003
12. Trentzsch H1, Werner J, Jauch KW. Acute abdominal pain in the emergency department - a clinical algorithm for adult patients. Zentralbl Chir. 2011
13. Yamamoto W, Kono H, Maekawa M et al. The relationship between abdominal pain regions and specific diseases: an epidemiologic approach to clinical practice. J Epidemiol 1997
14. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland [Zi (1)] Gesundheitsberichterstattung des Bundes 23.07.2019



Autor:

Thomas Borgmann

Zentrale Notaufnahme,
Patientenaufnahmezentrum und Belegungsmanagement
St. Marien- und Annastiftskrankenhaus
67067 Ludwigshafen am Rhein

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (2) Seite 24-27