Der Übergang zwischen physiologischen und pathologischen Bewegungen im Schlaf ist fließend, Umgebung und Situation können eine Bewegung im Schlaf gefährlich werden lassen. Zur Abklärung sind medikamentöse, toxische oder psychiatrische Ursachen auszuschließen. Eine Polysomnographie im Schlaflabor ist unabdingbar. Im folgenden Beitrag sollen Störungen, für die eine Geschlechterdifferenz besteht, behandelt werden.

Kasuistik
Ein Ehepaar, beide 70 Jahre alt, stellt sich in der Sprechstunde vor. Die Frau berichtet, dass sie in den letzten Monaten zunehmend durch heftige Bewegungen ihres Mannes im Schlaf geweckt werde. Er "kämpfe" regelrecht, habe sie dabei auch schon einmal geschüttelt. Er habe später berichtet, dass er im Traum einen Dieb gefasst hat.

Die Frau berichtet aber auch, dass sie selbst fast jede Nacht durch ein Kribbeln in den Beinen wach werde. Sie müsse dann aufstehen und umherlaufen. Manchmal beginnen diese Beschwerden schon beim abendlichen Fernsehen.

Sind Bewegungen im Schlaf normal? Im Prinzip ja – jeder Mensch bewegt sich mehrfach in der Nacht, da es sonst zu Perfusionsstörungen und Dekubiti kommen würde. Die Bewegungen sind als pathologisch anzusehen, wenn sie zu Schlafstörungen, Verletzungen oder Beeinträchtigungen des Bettpartners führen oder Auswirkung auf die Tagesbefindlichkeit haben [2, 5, 9].

In der dritten International Classification of Sleep Disorders der American Academy of Sleep Medicine [1] sind zwei Gruppen aufgeführt, die mit Bewegungen im Schlaf einhergehen.
  1. Schlafbezogene Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom, schlafbezogene Beinkrämpfe oder Myoklonien.
  2. Parasomnien, die nach dem Schlafstadium, in dem sie auftreten, unterteilt werden. Zur Non-REM-Parasomnie gehört z. B. das schlafbezogene Essen, Schlafwandeln und Pavor nocturnus. Zu den REM-Schlaf-bezogenen Parasomnien zählen die REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die rezidivierende Schlafparalyse sowie Albträume. Zudem gibt es andere Parasomnien (z. B. nächtliches Einnässen).

In diesem Artikel werden nur die Erkrankungen näher erläutert, für die geschlechtsspezifische Unterschiede beschrieben sind. Es soll versucht werden, Ursachen für diese Unterschiede aufzuzeigen.

Restless-Legs-Syndrom

Das Restless-Legs-Syndrom ist mit zunehmendem Alter häufiger und betrifft dann bis zu 10 % der Bevölkerung [8, 11]. Frauen sind im Verhältnis 1,5 – 2:1 häufiger betroffen. Die Diagnose, die aus klinischen Kriterien zu ermitteln ist, wird meist spät gestellt.

Die vier essenziellen Diagnosekriterien des RLS [3, 8, 11] sind:
  1. Ein Bewegungsdrang der Beine, selten der Arme, der mit unangenehmen Sensationen (wie Kribbeln, Ziehen, Schmerzen) einhergeht.
  2. Auftreten und Verstärkung der Beschwerden in Ruhe.
  3. Die Symptome sistieren durch Bewegung oder lassen sich durch Aktivität deutlich verbessern.
  4. Es zeigt sich eine deutliche Tageszeitabhängigkeit mit Zunahme der Beschwerden abends und nachts.

Es resultieren meist schwere Ein- und Durchschlafstörungen mit Auswirkung auf die Tagesperformance. Die Patienten sind in ihrer Lebensqualität ähnlich schwer wie z. B. Diabetiker beeinträchtigt.

Nicht obligat ist der Nachweis von periodischen Beinbewegungen im Schlaf/PLMS oder Wachzustand/PLMW in der Polysomnographie (Abb. 1). Sie treten bei mehr als 80 % der Patienten auf, zeigen aber eine hohe Variabilität von Nacht zu Nacht und korrelieren nicht mit der RLS-Schwere.

Das weibliche Geschlecht stellt per se bereits einen Risikofaktor für die Entstehung eines RLS dar. Unterschiedliche Gene spielen bei der familiären Form des RLS eine Rolle. Eine autosomal-dominante Vererbung wird postuliert. Auch in den Stammbäumen findet sich eine Bevorzugung des weiblichen Geschlechts.

Häufig ist das sekundäre RLS mit folgenden Ursachen verbunden:
  1. Eisenmangel – Eisen spielt eine Schlüsselrolle in der RLS-Genese und im Ansprechen im Therapieverlauf. Eisen ist u. a. ein Coenzym in der L-Dopa-Synthese. Auch hier findet sich eine Dominanz des weiblichen Geschlechts insbesondere in der Zeit bis zur Menopause. Das RLS kann erstmals bzw. wiederholt in Schwangerschaften auftreten. Auch hier besteht häufig ein Eisenmangel.
  2. Niereninsuffizienz unabhängig von der Dialysepflicht – hier keine Geschlechterpräferenz.
  3. Medikamente, können ein RLS provozieren (Tabelle 1). Dabei wird deutlich, dass diese Medikamente häufig schon für Symptome des RLS eingesetzt werden (z. B. Mirtazapin gegen Ein- und Durchschlafstörungen; Antihistaminika gegen Juckreiz) und dadurch das RLS noch verstärken.

Prinzipiell spielen die Punkte 1 – 3 mit zunehmendem Alter eine vermehrte Rolle. Da Frauen länger als Männer leben, sind mit zunehmendem Alter mehr Frauen als Männer betroffen.

Parasomnien

Parasomnien sind im Kindes- und Jugendalter zu bestimmten Lebensphasen vorhanden. Sie können jedoch bis ins Erwachsenenalter persistieren oder erneut auftreten. Meist erfolgt dann eine stationäre Abklärung zur Frage einer schlafbezogenen Epilepsie [3, 7, 13].

Arousalstörungen treten aus dem Tiefschlaf meist im ersten Nachtdrittel auf. In dieser Schlafphase ist normalerweise kein Muskeltonus vorhanden. Beim Pavor nocturnus kommt es zu einem einfachen Aufrichten, häufig begleitet von einem Schrei und autonomer Beteiligung (Tachykardien, Tachypnoen) mit intensiver Angst, unverständlichen Verbalisationen, Bewegungen der Arme, selten Aufspringen. Bei Erwachsenen sind die Episoden in der Regel kurz, bei Kindern können sie 30 – 40 Minuten anhalten.

Beim Somnambulismus (Schlafwandeln) findet sich aus dem Tiefschlaf heraus ein Aufstehen mit folgendem Umhergehen und komplexen, teils zielgerichteten Handlungen mit allerdings herabgesetztem Reaktionsvermögen. Insbesondere in ungewohnter Umgebung besteht eine Verletzungsgefahr für den Schlafwandler. Da bei Arousalstörungen eine Bewusstseinsstörung vorliegt, können sich die Betroffenen nicht an die Ereignisse erinnern. Die Handlungen sind häufig inadäquat (z. B. Duschen in vollständiger Kleidung). Es kann daher auch zu gefährlichen Handlungen mit Verletzungen der eigenen Person oder anderen kommen. Da die Schmerzschwelle erhöht ist, werden die Betroffenen auch bei Verletzungen nicht wach [12].

Gewalt gegenüber anderen tritt in der Regel bei erwachsenen Männern auf, so dass hier eine Geschlechtspräferenz vorliegt. Eine Sonderform ist abnormes sexuelles Verhalten im Schlaf (Sexsomnia) [1, 6], ebenfalls häufiger bei Männern. Es kommt zu inadäquater Masturbation, inadäquatem, gewaltsamem sexuellen Verhalten gegenüber der Partnerin, aber auch gegenüber Kindern.

Auslöser für Schlafwandeln (aber auch Sexsomnia) im Erwachsenenalter ist häufig vorausgegangener Schlafentzug mit dann konsekutivem, vermehrtem Tiefschlaf. Weitere Provokatoren sind Alkohol und Drogen. Für das Schlafwandeln scheint eine genetische Prädisposition vorzuliegen [1].

Therapeutische Interventionen sind nur erforderlich, wenn Tagesschläfrigkeit oder eine Gefährdung durch Selbst- oder Fremdverletzung vorliegt. Eine Verhaltensberatung beinhaltet Schutz vor Verletzungen und Unfällen (Verschließen von Fenstern und Türen in der Nacht, Abpolsterungen).

Zunehmende Bedeutung erlangt die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) [1, 3, 10]. Überwiegend sind Männer betroffen. Physiologisch schützt eine Muskelatonie den Schläfer vor dem Ausagieren von Träumen. Durch eine fehlende Hemmung auf Höhe der medullären neuronalen Verschaltung sind bei den Betroffenen Bewegungen möglich (Abb. 2). Die Patienten agieren Trauminhalte, die meist Angriff und Verfolgung beinhalten, aus. Neben einer Eigenverletzung (ca. 30 %) ist besonders der Bettpartner gefährdet (64 % Fremdgefährdung). Die RBD sollte weiter neurologisch abgeklärt werden, da 80 % der Betroffenen neurodegenerative Erkrankungen (M. Parkinson, Demenz mit Lewy Bodies, Multisystematrophie) entwickeln. Die RBD kann Jahrzehnte vor anderen Symptomen des M. Parkinson auftreten [1, 4, 10].

In der eingangs geschilderten Kasuistik ist davon auszugehen, dass der Mann unter einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die Frau an einem RLS leidet. Eine Abklärung und Therapie ist bei beiden notwendig.


Literatur
1. American Academy of Sleep Medicine (2014) International Classification of Sleep Disorders. Third Edition. American Academy of Sleep medicine
2. Becker HF, Mayer G, Penzel T (2004) Schlafstörungen und schlafbezogene Atmungsstörungen. Internist 45: 57-83
3. Happe S, Walther B W (Hrsg) (2009): Schlafmedizin in der Praxis-die internationale Klassifikation von Schlafstörungen in Fallberichten. ecomed Medizin Heidelberg
4. Iranzo A, Tolosa E, Gelphi E et al (2013) Neurodegenerative disease status and post-mortem pathology in idiopathic rapid-eye-movement sleep behavior disorder: an observational cohort study. Lancet Neurol 12: 443-453
5. Kotterba S, Orth M, Happe S, Mayer G (2007): Begutachtung der Tagesschläfrigkeit bei neurologischen Erkrankungen und dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Nervenarzt 78(8):861-70
6. Kotterba S (2013) Forensische Aspekte der Parasomnien. Schlaf 2: 79-82
7. Kotterba S (2015) Schlafstörungen bei neurologischen Erkrankungen. Nervenarzt 86: 759-771
8. Krenzer M, Oertel W, Trenkwalder C (2014) Praktische Diagnostik und Therapie des Restles- legs-Syndroms. Nervenarzt 85:19-25
9. Mayer G, Fietze I., Fischer J, Penzel T, Riemann D, Rodenbeck A, Sitter H, Teschler H. S3-Leitlinie – Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie , 13 . Suppl 1, 2009
10. Schenck CH, MontplaisierJY, Frauscher B et al (2013) Rapid eye movement sleep behavior disorder: devisingcontrolled active treatment studies for symptomatic and neuroprotective therapy- a consensus statement from the International Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder study Group. Sleep Med 14: 795-806
11. Schulz H (Hrsg.) (2002) Kompendium Schlafmedizin, Ecomed
12. Terzaghi M, Sartori I, Tassi L et al (2009) Evidence on dissociated arousal states durimg NREM parasomnia from an intracerebral neurophysiological study. Sleep 32:409-412
13. Tinuper P, Bisulli F, Provini F (2012) The parasomnias: mechanisms and treatment. Epilepsia 53 (Suppl7): 12-19



Autorin:

Prof. Dr. med. Sylvia Kotterba

Klinik für Geriatrie
Klinikum Leer gGmbH
26789 Leer

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 24-26