Hinter dem Leitsymptom "Bauchschmerz" stecken viele nicht lebensbedrohliche Krankheitsbilder, die keiner notfallmäßigen Diagnostik und Therapie bedürfen. Die Kunst besteht darin, die Patienten mit akutem Abdomen zu identifizieren und diese schnellstmöglich in einer chirurgischen Notaufnahme vorzustellen. Leitsymptome sind akuter Bauchschmerz und Abwehrspannung, definierte Risikofaktoren können bei der Diagnosestellung hilfreich sein.

Das "(…) akute Abdomen ist eine … mit starken Bauchschmerzen einhergehende, potenziell lebensbedrohliche Erkrankung …, die einer schnellen, meist chirurgischen Behandlung bedarf." Leitsymptome sind ein akut einsetzender starker Bauchschmerz mit unwillkürlicher Abwehrspannung [1].

Die Abgrenzung des akuten Abdomens vom einfachen Bauchschmerz kann schwierig sein. Die Definition ist nicht immer einheitlich und die möglichen Differenzialdiagnosen sind vielfältig. Die Unterteilung ist aber entscheidend, da es sich beim akuten Abdomen um eine unbehandelt unter Umständen tödlich verlaufende Erkrankung handelt, während der akute Bauchschmerz auch banale, häufig gut ambulant behandelbare Ursachen hat.

Etwa 5 – 10 % aller Patienten, die eine Notfallambulanz aufsuchen, tun dies wegen akuter Bauchschmerzen [2]. Häufige Diagnosen sind hierbei die akute Appendizitis, der Ileus, das symptomatische Gallensteinleiden und gynäkologische Ursachen, wobei bei einem Großteil der Patienten (ca. 33 %) die Ursache unklar bleibt (sog. NSAP non-specific abdominal pain) [2, 3]. Tabelle 1 zeigt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) häufige Ursachen für ein akutes Abdomen und deren Differenzialdiagnosen. In Tabelle 2 sind Beispiele klassischer Bilder des akuten Abdomens dargestellt.

Die wichtigste Aufgabe des primärbehandelnden Arztes ist es nun, die Patienten zu identifizieren, die nicht nur einfache Bauchschmerzen haben, sondern bei denen ein akutes Abdomen vorliegt. Diese Patienten müssen zügig weiterer bildgebender und laborchemischer Diagnostik zugeführt und in einer chirurgischen Notfallambulanz vorgestellt werden.

Die zielgerichtete Anamnese erfragt Schmerzbeginn, -charakter und -lokalisation sowie Begleitsymptome (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, letzte Mahlzeit (Appetit?) und letzten Stuhlgang). Ein perakut einsetzender starker Bauchschmerz ist meist Zeichen einer Perforation (Ulkus, Aortenaneurysma), ein in der Intensität zunehmender Schmerz zeigt eher eine gedeckte Perforation, einen Strangulationsileus, eine Kolik oder Appendizitis/Divertikulitis an [4]. Außerdem gehören Fragen nach Vorerkrankungen/Medikation und Voroperationen zur Kurzanamnese. Hier ergeben sich wichtige Informationen, die die weitere Diagnostik beeinflussen können (z. B. Troponin-Schnelltest bei bekannter koronarer Herzkrankheit parallel zur Standarddiagnostik). Hier können sich dem Diagnostizierenden bereits klassische Bilder eines akuten Abdomens bieten, die mit zielgerichteter zügiger Diagnostik bestätigt werden sollten.

Untersuchung des Bauches

Der wichtigste Punkt in der Differenzierung zwischen Bauchschmerzen und dem akuten Abdomen ist die klinische Untersuchung des Abdomens. Diese wird durch unterschiedliche Terminologien (etwa "Rigidität der Bauchdecken" für unwillkürliche Abwehrspannung) und manchmal unzureichende Lehre dieser einfachen, aber unerlässlichen Untersuchungstechnik im Rahmen des Medizinstudiums verkompliziert.

Klassische Zeichen eines akuten Abdomens sind Druckschmerz und (unwillkürliche) Abwehrspannung. Hier ist eine vorsichtige, sanfte Untersuchungstechnik wichtig. Bei ausreichend rüder Untersuchung wird jeder wache Patient eine (willkürliche) Abwehr und Schmerzen bei der Palpation zeigen [5]. Die Untersuchung beginnt schmerzfern und arbeitet sich langsam unter Untersuchung aller Quadranten auf das Punctum maximum zu. So kann der Hauptschmerzpunkt identifiziert werden. Schwieriger verhält es sich mit der Bauchdeckenspannung. Hier reicht ein sanftes flaches Auflegen der untersuchenden Hand und eine vorsichtige Palpation der Bauchdeckenspannung. Tastet man eine Verhärtung der Bauchdecken, so kann bei Unsicherheit durch Ablenken ("Haben Sie Kinder/Enkel?", "Was haben Sie als Letztes gegessen?") zwischen willkürlichem Gegenspannen und unwillkürlicher Abwehrspannung unterschieden werden. Erstere erlischt in Atem-/Sprechpausen, während die Abwehrspannung dauerhaft erhalten bleibt. Ferner kann zwischen lokalisierter (isoliert rechter Unterbauch bei der Appendizitis) und generalisierter (alle vier Quadranten, sog. "brettharter Bauch" bei diffuser Peritonitis) Abwehrspannung unterschieden werden.

Der Loslassschmerz komplettiert fakultativ als Zeichen eines peritonealen Reizes die Untersuchung. Hierbei darf nicht das Eindrücken wehtun (dann wäre es Druckschmerz), sondern die peritoneale Bewegung am Orte der vermuteten Pathologie beim schlagartigen Loslassen (etwa als kontralateraler Loslassschmerz bei der akuten Appendizitis). Bei diffuser Peritonitis ist dies etwa schon prüfbar durch sanftes Rütteln an der Krankentrage [2, 5, 6]. Sind die o. g. Zeichen positiv, so kann mit ausreichender Sicherheit von einem akuten Abdomen ausgegangen werden und der Patient sollte ohne Zeitverzug in einer chirurgischen Notfallambulanz vorgestellt werden. Die Verdachtsdiagnose "akutes Abdomen" in der klinischen Untersuchung durch einen ärztlichen Kollegen sollte jeder chirurgischen Abteilung ausreichen, um sich klaglos des Patienten anzunehmen.

Besondere Situationen

Bei der abdominellen Untersuchung sollte man beachten, dass der somnolente oder präfinale Patient relativ wenig aktive Schmerzäußerung zeigt, die Abwehrspannung beim kachektischen muskelschwachen älteren Patienten unter Umständen sehr diskret ausfallen, beim adipösen Patienten schwierig zu prüfen und unter bestimmten Umständen (symptomfreies Intervall in der akuten mesenterialen Ischämie oder etwa beim immunsupprimierten Patienten) der Untersuchungsbefund auch negativ sein kann. Die rektal-digitale Untersuchung ist beim Patienten mit akutem Abdomen verzichtbar [2]. Der Patient mit Peritonitis wird eher mit angezogenen Beinen still auf der Trage liegen, während der Patient mit Nierenkoliken versucht, durch Herumlaufen oder Lagewechsel seine Schmerzen zu lindern.

Besteht Unsicherheit bei der Untersuchung, so können definierte typische Risikofaktoren für ein akutes Abdomen (Tabelle 3) bei der Diagnosestellung helfen.

Ultraschallbefund

Die Sonographie ist das primäre bildgebende Verfahren bei der Abklärung akuter Bauchschmerzen [8]. In Kenntnis der Einschränkungen (Untersucherabhängigkeit, luftgefüllte Hohlorgane) können einige wichtige Krankheitsbilder dargestellt werden [9]:
  • Appendizitis: Gesamtdurchmesser der Appendix > 6 mm, echoreiche Netzkappe (Region um die Appendix entzündungsbedingt echoreich), schmerzhafte Sonopalpation
  • Cholezystitis: Wandverdickung > 3 mm mit Dreischichtung, echoarmer Saum im Gallenblasenbett der Leber, Nachweis von Steinen/Sludge
  • Sigmadivertikulitis: Wandverdickung > 5 mm, echoarme Divertikel mit echoreicher Umgebungsreaktion, evtl. Flüssigkeitssaum/bei Abszessbildung echoarme/-freie Bezirke

Kann durch die Kombination von klinischer Untersuchung, Labor und Sonographie keine eindeutige Diagnose gestellt werden, so kann bei weiterem Abklärungsbedarf die Computertomographie mit einer hohen diagnostischen Genauigkeit eingesetzt werden [8]. Die Röntgenabdomenübersicht hat nach Meinung vieler Autoren keinen Stellenwert mehr in der Abklärung des akuten Abdomens [2, 8].

Eine ausreichende Analgesie ist auch vor definitiver Diagnosestellung klar angezeigt. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass wichtige abdominelle Untersuchungsbefunde durch eine Analgesie verschleiert werden können. Dem kann mit hoher Evidenz widersprochen werden: Analgetika bei akuten Bauchschmerzen verschleiern weder Befunde, noch wird die Diagnosefindung verzögert [10]. Eine gute Dokumentation der initialen Untersuchungsergebnisse vor Gabe der Analgesie schadet dabei nicht. Bis zu einer Schmerzintensität von 3 auf der visuellen Analogskala können Nichtopioidanalgetika (Paracetamol/Metamizol) zum Einsatz kommen, darüber empfiehlt sich die Gabe von Opioiden (z. B. Piritramid 7,5 mg) [2].

Auch im Zweifelsfall sollte immer eine chirurgische Vorstellung erfolgen. Das Krankenhaussetting gibt die Möglichkeit zur Labor- und ggf. Schichtbilddiagnostik, außerdem kann bei unklarem Befund die stationäre Aufnahme zur Überwachung erfolgen ("Zeit ist ein hervorragender Diagnostiker"), eventuell konkretisiert sich das initial uneinheitliche Bild in regelmäßigen Verlaufsuntersuchungen [6]. Beim akuten Abdomen gilt für den Chirurgen, dass die korrekte Indikationsstellung zur Operation entscheidender ist als eine exakte Organdiagnose [1].


Literatur
1. Röher H-D, Encke A (1997) Viszeralchirurgie.1.Aufl., Urban und Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore
2. Trentzsch H, Werner J, Jauch K-W (2011) Der akute Abdominalschmerz in der Notfallambulanz – ein klinischer Algorithmus für den erwachsenen Patienten. Zentralbl Chir 136(2):118–28.
3. Miettinen P, Pasanen P, Lahtinen J, Alhava E (1996) Acute abdominal pain in adults. Ann Chir Gynaecol 85(1):5–9.
4. Grundmann RT, Petersen M, Lippert H, Meyer F (2010) Das akute (chirurgische) Abdomen – Epidemiologie, diagnostik und allgemeine Prinzipien des Managements. Z Gastroenterol 48(6):696–706.
5. Schein M, Rogers PN (2005) Schein´s Common Sense Emergency Abdominal Surgery. 2. Aufl., Springer, Berlin – Heidelberg - New York
6. Dahmer J (1998) Anamnese und Befund - Die ärztliche Untersuchung als Grundlage klinischer Diagnostik. 8. Aufl., Thieme, Stuttgart - New York
7. Brewer BJ, Golden GT, Hitch DC, Rudolf LE, Wangensteen SL (1976) Abdominal pain. An analysis of 1,000 consecutive cases in a University Hospital emergency room. Am J Surg 131(2):219–23.
8. Wybranski C, Pech M, Fischbach K (2015) Was muss der Viszeralchirurg über den Einsatz der Computertomografie in der Abklärung des akuten Abdomens wissen? Zentralbl Chir 140(1):38–46.
9. Kaneko T, Heinz W (2015) Notfallsonografie – Patient mit Bauchschmerzen. Dtsch Med Wochenschr 140(21):1606–9.
10. Manterola C, Vial M, Moraga J, Astudillo P (2014) Analgesia in patients with acute abdominal pain. Cochrane Database Syst Rev (1):CD005660.



Autor:

Priv.-Doz. Dr. Tim R. Glowka FEBS

Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Universitätsklinikum Bonn 53127 Bonn

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (5) Seite 14-16