Die akute Appendizitis ist die häufigste Ursache eines akuten Abdomens im Kindes- und Jugendalter. Die Symptomatik kann sehr unterschiedlich sein, so dass die Diagnose nicht immer leicht zu stellen ist. Sie basiert auf drei Säulen: Klinik, Sonographie und Labor. Die laparoskopische Appendektomie gilt als Goldstandard in der Appendizitis-Therapie. Die konservative Behandlung der unkomplizierten Formen mit oder sogar ohne Antibiotika scheint eine Alternative zu sein.

Das Lebenszeitrisiko, an einer akuten Appendizitis zu erkranken, liegt aktuell in entwickelten Ländern bei etwa 7 – 9 % (Männer-Frauen-Verhältnis: 1,4:1), während das Lebenszeitrisiko für eine Appendektomie mit 23 % für Frauen und 12 % für Männer höher ist [1]. Die allgemeine Inzidenz der Appendizitis liegt in Europa bei ca. 100/100.000 Einwohner/Jahr mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 10. und 19. Lebensjahr [16]. Eine perforierte Appendizitis tritt in etwa 20 – 30 % der Fälle auf [1, 16]. Etwa ein Drittel der Indikationen zur stationären Aufnahme bei Kindern mit Bauchschmerzen erfolgt bei der Verdachtsdiagnose oder zum Ausschluss einer Appendizitis [13]. Trotz der Häufigkeit dieser Erkrankung gibt es bislang keine internationalen einheitlichen Standards zur Diagnostik und Therapie.

Funktion der Appendix

Die Appendix vermiformis ist kein Rudiment. Sie existiert bereits seit mindestens 80 Millionen Jahren und wurde im Lauf der Evolution mindestens zweimal "erfunden": einmal bei den australischen Beuteltieren und einmal bei einem der gemeinsamen Vorfahren von Ratten, Lemmingen, einigen anderen Nagern, vielen Primaten und dem Menschen [11].

Die Appendix gehört zum Immunsystem des Darms. In der Submukosa finden sich zahlreicheLymphfollikel, die im 2. Lebensjahrzehnt maximal entwickelt sind und im Alter wieder abnehmen [14]. Außerdem dient die Appendix als safe house für die physiologische Darmflora bei Durchfallerkrankungen, wodurch während des Heilungsprozesses eine Reinokulation der kommensalen Bakterien ins Kolon ermöglicht wird [3].

Pathogenese

Die Ätiologie der Appendizitis ist multifaktoriell und unvollständig geklärt. Die Hyperplasie der Lymphfollikel bei Infektionskrankheiten (z. B. Tonsillitiden, Gastroenteritiden, Virusinfektionen) kann u. a. eine Lumenobstruktion der Appendix hervorrufen [14, 21]. Zudem wird eine Obstruktion oder Stenose des Appendixlumens durch Fremdkörper (Abb. 1), Kotsteine (Abb. 4), Parasiten (Oxyuren) sowie durch Abknickungen oder Adhäsionen als ursächlich für eine Appendizitis angenommen. Die konsequente Flüssigkeitsretention mit bakterieller Überwucherung und Lymphstau führt zu einer Hyperperfusion des Organs (Abb. 5). Mit zunehmender Schwellung und venösem Stau steigt der intraluminale Druck und die Durchblutung wird gefährdet. Die Ischämie führt zu Ulzerationen und/oder Nekrosen; die gangränöse Appendix kann dann perforieren [14, 21]. Die Dauer der Erkrankungsprogression ist sehr variabel (von wenigen Stunden bis über Tage) [2].

Diagnostik

Die Symptomatik reicht von gering symptomatischen Patienten bis zur Ileus- oder Sepsis-Manifestation. Klassische Appendizitis-Zeichen sind bei Kleinkindern selten vorhanden. Die Entscheidung über ambulante oder stationäre Abklärung und Therapie fällt oft schwer. Obwohl ein etablierter, objektiver Algorithmus noch nicht verfügbar ist, basiert die Appendizitis-Diagnose auf einer Kombination aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, Sonographie und Labor, wobei die Klinik und die Erfahrung des Untersuchers eine entscheidende Rolle spielen.

Anamnese und Untersuchung

Die Symptomatik beginnt meistens mit Unwohlsein, Appetitlosigkeit, Übelkeit/Erbrechen und diffusen abdominellen Schmerzen. Ein Wanderschmerz – beginnend epigastrisch/periumbilikal mit im Verlauf zunehmender Lokalisation im rechten Unterbauch sowie Fieber und Schonhaltung – wird oft beobachtet. Zudem können dysurische Beschwerden, Diarrhoe oder Obstipation auftreten.

Eine komplette, kindgerechte körperliche Untersuchung ist essenziell, auch für die Differenzialdiagnostik. Der Allgemeinzustand des Kindes mit Gesichtsausdruck und Körperhaltung kann v. a. bei kleineren Kindern wichtige Informationen liefern. Eine Klopf- und Druckdolenz zeigt sich typischerweise im rechten Unterbauch. Ein kontralateraler Loslassschmerz, eine lokale oder generalisierte Abwehrspannung sowie das Psoas-Zeichen sollten überprüft werden. Ein plötzlich schmerzfreies Intervall mit anschließender Peritonitis spricht für das Auftreten einer Perforation und kann zu einer Fehleinschätzung im Rahmen der klinischen Untersuchung führen [14, 21].

Labor

Zur Routinediagnostik gehören Leukozytenzahl, C-reaktives Protein (CRP) und Urin-Analyse. Die laborchemischen Untersuchungen sind aber unspezifisch. Unauffällige Entzündungswerte schließen eine Appendizitis nicht aus. Auch bei normwertigen Leukozyten kann eine Neutrophilie hinweisend sein. Eine wiederholte Bestimmung der Entzündungswerte mindestens sechs, besser zwölf Stunden nach der initialen Abnahme kann die diagnostische Präzision verbessern.

Appendizitis-Scores

Bei Kindern haben der Alvarado-Score sowie der Pediatric Appendicitis Score (PAS) an Bedeutung gewonnen (Tabelle 1) [14]. Obwohl die alleinige Anwendung der Scores keine zuverlässige Diagnosestellung erlaubt, so kann ihre Kombination mit Sonographie die Treffsicherheit signifikant verbessern [6].

Sonographie und MRT

Beim klinischen Verdacht einer Appendizitis ist die Abdomen-Sonographie das bildgebende Standardverfahren. Sie erreicht bei erfahrenen Untersuchern eine Sensitivität von über 90 % und eine Spezifität von etwa 95 % [6]. Vorteile sind die Verfügbarkeit, die Nichtinvasivität und die geringen Kosten. Außerdem erhöht die im Verlauf wiederholte Sonographie die diagnostische Sicherheit. Die Qualität des Ultraschallbefundes ist allerdings untersucherabhängig und die Beurteilbarkeit bei Adipositas oder Meteorismus z. T. eingeschränkt. Einige wichtige sonographische Parameter werden in Tabelle 2 dargestellt (Abb. 2 – 5) [6, 17]. Eine in der Literatur beschriebene Stadieneinteilung der Appendizitis kombiniert den Status der Appendixperfusion mit der Wandstruktur und stellt damit eine Therapieempfehlung vor (Tabelle 3) [15].

In Ausnahmefällen kann eine Schnittbildgebung indiziert sein. Bei Kindern wird eine MRT-Untersuchung bevorzugt. Allerdings ist bei Kleinkindern dafür meist eine Sedierung oder eine Allgemeinanästhesie notwendig. Insbesondere bei peripubertären Patienten kann eine MRT zur Festlegung oder zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen hilfreich sein.

Therapie

Wenn ein Verdacht auf Appendizitis bei einem Kind vorliegt, sollte die Behandlung stationär erfolgen. Obwohl die Standardtherapie der akuten Appendizitis prinzipiell nach wie vor die Appendektomie bleibt, deutet sich derzeit ein Paradigmenwechsel an. Weltweit wird die nichtoperative Behandlung der Appendizitis im Rahmen von Studien zunehmend untersucht.

Konservative Therapie

Eine initiale konservative Therapie ist bei unklarer Diagnose gerechtfertigt und sollte nach Möglichkeit in einer (kinder-)chirurgischen Klinik oder mit enger Anbindung eines (Kinder-)Chirurgen erfolgen. Diese Vorgehensweise beinhaltet eine parenterale Flüssigkeitssubstitution, Nahrungskarenz, Bettruhe und abführende Maßnahmen. Eine ausreichende Analgesie ist obligatorisch und stellt keine negativen Auswirkungen in der Diagnosestellung dar [7, 10]. Eine aktive Verlaufsbeobachtung mit engmaschigen klinischen Re-Evaluationen (initial alle 4 – 6 Std.) ist absolut notwendig. Darüber hinaus kann eine Wiederholung der Sonographie und/oder der Bestimmung der Entzündungsparameter neue Aspekte erbringen und die Entscheidung zwischen weiterer konservativer Therapie oder Operation unterstützen. Dieses Vorgehen erlaubt möglicherweise die spontane Resolution einer unkomplizierten Appendizitis und reduziert die Zahl der Fehldiagnosen, ohne die Perforations- oder Komplikationsraten zu erhöhen [2, 21].

Antibiotische Behandlung

Zur antibiotischen Therapie ergibt eine aktuelle Metaanalyse eine Erfolgsquote von über 90 % bei Kindern mit unkomplizierter Appendizitis, wobei die häufigste Ursache für das Scheitern der Therapie die Präsenz eines Appendicoliths war [8]. Bei einer schwedischen randomisierten Pilot-Studie wurden 62 % der Patienten mit unkomplizierter Appendizitis antibiotisch (48 Std. Meropenem und Metronidazol i.v. + 8 Tage Ciprofloxacin und Metronidazol p.o.) erfolgreich behandelt [19]. Aktuell werden zum Thema einige multizentrische randomisierte Studien durchgeführt [9]. Ergebnisse dazu stehen jedoch noch aus.

Eine Sonderform der etablierten konservativen Behandlung der Appendizitis stellt der perityphlitische Abszess bei stabilen Patienten dar. Hier kann alternativ zur Operation eine stationäre Therapie mit i.v.-Antibiose und ggf. interventioneller Drainage unter strenger klinischer Kontrolle bis zur Rückbildung des Abszesses durchgeführt werden. Eine Intervallappendektomie wird hier nicht routinemäßig empfohlen [13, 18].

Warum konservativ behandeln?

Ein Argument für die konservative Therapie der unkomplizierten Appendizitis – neben der Vermeidung von möglichen Komplikationen des operativen Eingriffes sowie der Narkose – ist der Organerhalt. Denn wie bereits erwähnt, ist die Appendix ein lymphatisches Organ und Reservoir für das Mikrobiom. Gegen eine konservative Therapie sprechen u. a. mögliche Rezidive. Bei der Anwendung von Breitspektrumantibiotika ist die Entwicklung von Resistenzen nicht zu unterschätzen.

Operative Therapie

Obwohl die laparoskopische Appendektomie als Goldstandard Vorteile bietet, ist die offene Appendektomie ebenso ein etabliertes, letztendlich äquivalentes Behandlungsverfahren. In der minimalinvasiven Kinderchirurgie ist die laparoskopische Appendektomie der am häufigsten durchgeführte Eingriff im Kindesalter (Abb. 6). Vorteile gegenüber der offenen Operation sind geringere postoperative Schmerzen, kürzere Hospitalisationsdauer, reduzierte Raten an Wundinfektionen, bessere kosmetische Ergebnisse und die diagnostische Möglichkeit [5]. Die laparoskopische Exploration erlaubt evtl. die Identifizierung von weiteren Pathologien.

Die akuten Komplikationsraten (intra- und postoperativ) der operativen Behandlung liegen bei ca. 2 – 5 % und beinhalten u. a. Wundheilungsstörungen/Wundinfektion (ca. 3 % bei unkomplizierter Appendizitis und bis zu 40 % bei Perforationen), intraabdominelle Abszesse und Stumpfinsuffizienz. Die intraabdominellen Abszesse können primär mit i.v.-Antibiose behandelt werden, bei Verschlechterung erfordern sie jedoch eine Intervention mit Spülung und Drainage [21]. Als Langzeitkomplikationen drohen Bridenileus, Adhäsionen sowie Narbenhernien [12, 20].

Letztendlich ist trotz der hohen Perforationsraten bei Kleinkindern die Prognose der Appendizitis sehr gut. Die Mortalitätsraten bei Kindern betragen 0,1 – 1 % [14].

Fazit für die Praxis
  • Die Appendizitis ist die häufigste Ursache des akuten Abdomens – aber nicht die einzige!
  • Bei Kindern sind die Perforationsraten umgekehrt proportional zum Patientenalter; Kleinkinder erkranken seltener, der Verlauf ist jedoch atypischer und fulminanter.
  • Die Appendix vermiformis ist kein Rudiment; sie gehört zum Immunsystem des Darmes und funktioniert als Reservoir für die Darmflora bei Gastroenteritiden.
  • Die Sonographie ist das bildgebende Verfahren erster Wahl; eine Schnittbildgebung (MRT/CT) ist nur in Ausnahmefällen erforderlich.
  • Für die Indikationsstellung ist die klinische Untersuchung entscheidend – Labor und Sonographie sind als supportiv zu sehen.
  • Eine moderate Schmerztherapie sollte auch im Rahmen der Evaluationsphase erfolgen.
  • Bei der "aktiven Beobachtung" sowie im Fall einer konservativen Therapie ist die Einbindung eines Kinderchirurgen empfohlen.
  • Die laparoskopische Appendektomie ist der Goldstandard für die operative Therapie der akuten Appendizitis im Kindesalter.


Fotos mit mit freundlicher Genehmigung von Dr. M. Ebert, Kinderradiologie, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg


Literatur
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Autorin:

Patricia Reis Barbosa

Fachärztin für Kinderchirurgie
Klinik für Kinderchirurgie und Kinderorthopädie
KUNO-Kinder-Bauchzentrum
Klinik St. Hedwig, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg
93049 Regensburg

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (17) Seite 42-48