Die Sprunggelenksdistorsion ist die häufigste Sportverletzung überhaupt. Sie macht über alle Sportarten gemittelt etwa 15 bis 20 % aller Sportverletzungen aus. Vielleicht gerade weil diese Verletzung so häufig ist, wird sie oft als Bagatelle abgetan und viel zu häufig nicht adäquat behandelt. Dies hat zur Folge, dass 10 bis 40 % aller Sprunggelenksdistorsionen symptomatisch bleiben. In diesem Artikel beschreiben wir unser multimodales konservatives Behandlungskonzept sowie die diagnostischen Schritte im Akutfall und bei persistierenden Schmerzen.


Kasuistik

Ein 25-jähriger Patient stellt sich im Juni 2015 in unserer Sprechstunde im OTC | REGENSBURG vor mit Z. n. Supinationstrauma des Sprunggelenks im Mai 2013. Damals in der Notfallaufnahme eines Krankenhauses erfolgte der Ausschluss einer Fraktur mittels Röntgen. Der Patient wurde mit einem elastischen Verband wieder nach Hause geschickt. Aufgrund der Schmerzen kaufte er sich selbstständig eine Orthese, die er für zwei Wochen nur tagsüber trug.

Nach sechs Monaten bestanden immer noch Schmerzen über dem anterolateralen Sprunggelenk. Ein Orthopäde verordnete Einlagen und Physiotherapie. Trotz regelmäßiger propriozeptiver Übungen für mehr als zwölf Wochen hatte der Patient anhaltende Schmerzen und Schwellungszustände auf Sprunggelenksniveau. Er erreichte nicht mehr sein sportliches Aktivitätslevel wie vor dem Trauma.


Im Juni 2015, mehr als zwei Jahre nach dem Trauma, stellte sich der Patient nun bei uns vor. Weiterhin bestanden Schmerzen über dem anterolateralen Sprunggelenk und ein subjektives Empfinden, sein Sprunggelenk sei instabil. Im MRT zeigten sich narbige Veränderungen des vorderen Außenbands (Ligamentum fibulotalare anterius) und des mittleren Außenbands (Ligamentum fibulocalcaneare) sowie beider Syndesmosenbänder (Ligamentum tibiofibulare anterius und posterius). Eine dynamische Stabilitätskontrolle des Bandapparats des Sprunggelenks unter Bildwandlerdurchleuchtung erbrachte eine deutliche ligamentäre Instabilität des vorderen und mittleren Außenbands bei stabiler Syndesmose.

Wir führten eine Arthroskopie des OSG mit offener anatomischer Stabilisierung des Ligamentum fibulotalare anterius und des Ligamentum fibulocalcaneare durch.

Bei der letzten Abschlussuntersuchung zwölf Wochen nach der Operation war der Patient schmerz- und schwellungsfrei bei subjektiv und objektiv stabilem Sprunggelenk.

Was lernen wir daraus?
  • Initialbehandlung mittels elastischem Verband ungenügend.
  • Orthese zu kurz und nur tagsüber getragen.
  • Rezeptierung von Einlagen in diesem Fall sinnlos, häufig "Verzweiflungstat" bei unklarer Diagnose.
  • Die dynamische Stabilitätskontrolle unter Bildwandlerdurchleuchtung hat bei chronischer Instabilität – nicht beim Frischverletzten, hier viel zu schmerzhaft – immer noch einen sehr hohen Stellenwert!
  • Die subjektiv empfundene Instabilität des Sprunggelenks ist ein sensibler Indikator lockerer Bänder.
  • Die Operation instabiler Außenbänder ist dann indiziert, wenn trotz adäquat und ausreichend lange durchgeführter propriozeptiver Übungen Schmerzen zurückbleiben. Bei sehr instabilen Außenbändern helfen propriozeptive Übungen oft nicht und eine direkte Operation kann nötig sein.


Über alle Sportarten gemittelt macht die Sprunggelenksdistorsion etwa 15 – 20 % aller Sportverletzungen aus. Sie ist damit die häufigste Sportverletzung überhaupt. In Deutschland verletzen sich rund 1 Mio. Menschen pro Jahr am Sprunggelenk [3]. Am Sprunggelenk ist die primäre Arthrose selten. Ihre Prävalenz beträgt lediglich 7,2 – 9 % [1, 2]. Hingegen ist die posttraumatische Arthrose die häufigste Arthroseursache am Sprunggelenk, ihre Prävalenz beträgt 70 – 78 % [1, 2]. Von diesen posttraumatischen Arthrosen wird wiederum fast die Hälfte durch Bandverletzungen verursacht [1]. Dies bedeutet also, dass die Sprunggelenksdistorsion keinesfalls eine Bagatellverletzung ist, sondern in zahlreichen Fällen zu einer Arthrose des Sprunggelenks führt. Diese hohe Rate an posttraumatischen Arthrosen ist unserer Meinung nach nicht alleine durch die Schwere des Traumas bedingt, sondern vor allem durch eine nicht immer suffiziente Diagnostik und eine nicht immer suffiziente konservative Therapie dieser Verletzung.

Sehr oft fragen Patienten, ob denn ein oder zwei Bänder verletzt seien und ob diese Bänder nur überdehnt oder ganz gerissen seien. Unserer Meinung nach ist diese Feststellung unerheblich, da sie keine Konsequenzen für die Therapieentscheidung hat. Es wird in aller Regel sowieso konservativ behandelt. Auch kann diese Feststellung mit Hilfe der üblichen diagnostischen Mittel (körperliche Untersuchung, Röntgen, MRT u. a.) nicht eindeutig getroffen werden. Nur aufgrund von Arthroskopiestudien weiß man, dass in 86 % der Fälle das vordere Außenband zu Schaden kommt (Ligamentum fibulotalare anterius), 25% Elongation, 75 % Ruptur und in 64 % der Fälle das mittlere Außenband (Ligamentum fibulocalcaneare), 39% Elongation, 61 % Ruptur. Die schwerste dieser Bandverletzungen, die sogenannte Syndesmosenverletzung, kommt immerhin noch in 1 – 11 % der Fälle vor [4, 5, 6]. Im vorliegenden Artikel soll vor allem auf die Behandlung der Außenbandverletzung eingegangen werden.

Wann muss geröntgt werden?

Die Ottawa Ankle/Foot Rules unterstützen den Arzt bei der Entscheidung, in welchen Fällen beim frisch Verletzten auf jeden Fall geröntgt werden muss und in welchen Fällen nicht zwingend [7, 8].

Ein Bruch liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, wenn mindestens eines dieser Kriterien erfüllt ist [7, 8] (Abb. 1):
  • Druckschmerz an den distalen 6 cm der Fibulahinterkante oder an der Spitze des Malleolus lateralis
  • Druckschmerz an den distalen 6 cm der Tibiahinterkante oder an der Spitze des Malleolus medialis
  • Druckschmerz Basis Os metatarsale 5
  • Druckschmerz Os naviculare
  • 4 Schritte Gehen mit voller Belastung nicht möglich

Vor- und Nachteile Ottawa Ankle/Foot Rules [7, 8]:
  • Ein vorliegender Bruch an den vier o. g. Stellen wird durch eine körperliche Untersuchung sehr zuverlässig erkannt (hohe Sensitivität, 99,6 % bei Untersuchung in den ersten 48 Stunden nach Unfall!).
  • Die Röntgenhäufigkeit kann um bis zu 36 % reduziert werden.
  • Oft wird aber "überinterpretiert" und bei der körperlichen Untersuchung auch ein Bruch vermutet, wo keiner ist (geringe Spezifität, nur 27,9 % bei Untersuchung in den ersten 48 Stunden nach Unfall).
  • Auch bei Kindern anwendbar: 99,3 % Sensitivität, 26,7 % Spezifität.
  • Syndesmosenverletzungen und Verletzungen der übrigen Fußwurzel/des übrigen Mittelfußes werden möglicherweise nicht erkannt.

Im Zweifelsfall empfehlen wir die Überweisung zum Spezialisten oder die Durchführung von Röntgenaufnahmen des Sprunggelenks (Röntgen OSG a.p./lateral stehend) und/oder des Fußes (Röntgen Fuß d.p./lateral stehend und schräg liegend).

Tragedauer der Orthese

Die am häufigsten verletzten Bänder – Ligamentum fibulotalare anterius und Ligamentum fibulocalcaneare – sind keine dicken, kräftigen Bandstrukturen. Man kann sie sich eher wie eine bandförmige "Kapselverdickung" – wie eine Naht seitlich an einer Hose – vorstellen (Abb. 2). Wenn diese Bänder reißen, sind sie immer noch gut in die Kapselstruktur des Sprunggelenks integriert und ziehen sich bei weitem nicht so stark zurück, wie dies häufig bei einer Kreuzbandläsion im Knie der Fall ist. Die Gelenkkapsel des oberen Sprunggelenks ist praktisch immer mit ab- oder eingerissen. Durch Dorsalextension und Pronation des Fußes gelingt es sehr häufig, diese gerissenen Kapsel-Band-Strukturen wieder so gut anzunähern, dass eine stabile Heilung auch ohne Operation möglich wird.

Hierfür muss aber eine geeignete Orthese getragen werden. Geeignete Orthesen stabilisieren sowohl die Supination des Rückfußes als auch den Talusvorschub. Sie weisen in der Regel Klettbänder auf, die sich vor dem anterioren OSG kreuzen und seitlich angeheftet werden. Außerdem ist auch die Tragedauer der Orthese entscheidend: mindestens sechs Wochen Tag und Nacht. Vor allem nachts verhindert sie bei Nachlassen des Muskeltonus des Musculus peroneus brevis und Wegsinken des Fußes in Richtung Plantarflexion-Supination diese ungünstige Bewegung und beugt so einer Dehiszenz zwischen dem gerissenen Außenband und seinem Ursprung vor. Bei Verwendung einer Orthese mit Schnürung in Kombination mit Klettbändern kann diese in der Weite schwellungsabhängig eingestellt und damit bereits unmittelbar nach dem Trauma angelegt werden.

Nach sechs Wochen konsequenter Tragedauer muss dann die Orthese nur noch zum Gehen getragen werden: für mindestens weitere vier bis sechs Wochen (schmerzabhängig) im Alltag und für mindestens weitere drei Monate bei Stop-and-Go-Sportarten, Risikosportarten u. Ä.

Multimodales Behandlungskonzept

Die Behandlung darf sich auf keinen Fall auf die Verordnung der Orthese beschränken. Nach Ausschluss einer knöchernen Verletzungsfolge und Syndesmosenverletzung erlauben wir von Beginn an die vollfunktionelle Nachbehandlung mit Vollbelastung. Hierfür ist eine ausgebaute perorale Schmerztherapie inklusive abschwellender NSAR (cave: unerwünschte Arzneimittelwirkungen) notwendig. Diese ermöglicht dem Patienten ein physiologisches Abrollverhalten. Ein natürliches Bewegungsmuster und die damit verknüpfte propriozeptive Stabilität des Sprunggelenks werden auf diese Weise durch die Verletzung nur minimal kompromittiert.

Auch gilt der Kontrolle und Rückbildung der Schwellung unser besonderes Augenmerk, da dies ebenfalls einen enorm positiven Einfluss auf die gesamte Schmerzsituation und die rasche Wiedererlangung eines normalen Bewegungsmusters hat. Hierfür verordnen wir von Beginn weg einen Unterschenkelkompressionsstrumpf (Kompressionsklasse 1). Über diesen kann dann die Orthese getragen werden. Ebenfalls der Schwellungskontrolle dient eine intensive Kühlung. Wir empfehlen unseren Patienten Kühlverbände, die durch die Verdunstung Wärme entziehen und so eine Kühlwirkung > 2 Stunden entfalten. Der Vorteil ist neben der deutlich besseren Compliance (wer findet schon Quarkwickel praktisch?) auch die Tatsache, dass über solchen Kühlverbänden die Orthese sofort nach Applikation wieder getragen werden kann. Leider erstatten sehr viele Krankenkassen die Kosten für solche Kühlverbände nicht, wir klären unsere Patienten hierüber auf.

Stop-and-Go-Sportarten, Risikosportarten u. Ä. müssen sechs Wochen pausiert werden. Auch die stabilste Orthese ist nicht in der Lage, die hierbei auftretenden Beschleunigungskräfte zu neutralisieren. Hingegen soll mit linearen Sportarten wie Walken, Ergometer und Crosstrainer sofort nach der Verletzung wieder begonnen und diese im schmerzarmen Rahmen gesteigert werden.

Schmerzen drei Monate nach Verletzung sind nicht normal

Wenn nach drei bis sechs Monaten das Sprunggelenk weiter schmerzhaft ist, liegt dies in aller Regel an einer oder einer Kombination dieser vier Pathologien:
  • Instabilität des OSG/USG (entweder muskulär-propriozeptiv oder/und ligamentär)
  • osteochondrale Läsion des Talus
  • Peronealsehnenpathologie
  • verpasste Syndesmosenverletzung.

Letztere ist auch durch den Erfahrenen äußerst schwierig zu diagnostizieren. Hinweise für das Vorliegen dieser sehr schweren und praktisch immer zu operierenden Verletzung sind ein positiver lokaler Druckschmerz, ein Außenrotationstrauma des Fußes in der Anamnese und vor allem starke, anhaltende Schmerzen und ein inadäquater Heilungsverlauf. Ausschließlich mittels einer dynamischen Stabilitätskontrolle unter Bildwandlerdurchleuchtung kann diese adäquat diagnostiziert werden.

Zusammenfassung

Die konservative Therapie eines "alltäglichen" Supinationstraumas ohne Begleitverletzungen ist gerechtfertigt, muss aber konsequent wie oben beschrieben durchgeführt werden. Die Entscheidung zum Röntgen kann mittels der Ottawa Ankle/Foot Rules sehr zuverlässig getroffen werden. Bei persistierenden Schmerzen > 3 Monate oder unklarem Befund unmittelbar nach Verletzung empfehlen wir die Überweisung zum Spezialisten für weitere Abklärungen. Häufigste Ursachen persistierender Schmerzen sind Instabilität des Sprunggelenks, eine osteochondrale Läsion des Talus, Peronealsehnenpathologien oder eine Syndesmosenverletzung. Deren Diagnose gelingt nur mit relativ aufwendigen Zusatzuntersuchungen wie MRT, SPECT/CT und dynamischer Stabilitätskontrolle der Bänder unter Bildwandlerdurchleuchtung.


Literatur
1) Epidemiology of Ankle Arthritis, Report of a Consecutive Series of 639 Patients from a Tertiary Orthopaedic Center, Saltzman Saltzman CL et al., Iowa Orthop J. 2005; 25: 44–46.
2) Etiology of Ankle Osteoarthritis, ValderrabanoValderrabano V et al., Clin Orthop Relat Res. 2009 Jul; 467(7): 1800–1806.
3) The epidemiology of ankle sprains in the United States. J Bone Jt Surg Am, Captain Brian R. Waterman et al., The Journal of Bone and Joint SurgeryThe Journal of Bone and Joint Surgery 10/2010; 92(13):2279-84.
4) Hintermann BHintermann B et al., Arthroscopic findings in patients with chronic ankle instability. Am J Sports Med. 2002 May-Jun;30(3):402-9.
5) Hopkinson WJ, St Pierre P, Ryan JB, Wheeler JH. Syndesmosis sprains of the ankle. Foot Ankle. 1990;10:325–30.
6) Katznelson A, Lin E, Militiano J. Ruptures of the ligaments about the tibio-fibular syndesmosis. Injury. 1983;15:170–2.
7) A study to develop clinical decision rules for the use of radiography in acute ankle injuries, Stiell IG et al., Ann Emerg Med 21 (4): 384–90.
8) Accuracy of Ottawa ankle rules to exclude fractures of the ankle and mid-foot: systematic review, Bachmann LM et al., BMJ. 2003;326:417–417.
9) Michael Schünke et al.: PROMETHEUS LernAtlas der Anatomie (Thieme)



Autor:

Dr. med. Heiko Durst

Top-Mediziner Fußchirurgie 2016 (Focus-Ärzteliste)
Dr. med. Marco Hartl,
Dr. med. Jörg Speer
OTC | ORTHOPÄDIE TRAUMATOLOGIE CENTRUM REGENSBURG
93053 Regensburg

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (10) Seite 44-47