Patienten mit Ödemen profitieren fast immer von einer Kompressionstherapie. Auch die meisten Menschen mit Diabetes oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) lassen sich gut mit Verbänden und Strumpfsystemen versorgen. Von Stützstrumpf & Co. die Hände weglassen muss der Arzt allerdings bei fortgeschrittener pAVK ("kritische Ischämie") und dekompensierter Herzinsuffizienz. Er sollte auch immer bedenken, dass niedrigere Kompressionsklassen oft genauso effektiv sind. Die Patienten kommen damit meist auch viel besser klar.

Ein typischer Fall
Herr T. (79) stellt sich mit einem therapierefraktären Ulcus cruris in der Sprechstunde vor (Abb. 1). Das Ulcus besteht seit über zwei Jahren mit teils ausgeprägten Schmerzen. Es wurden schon verschiedenste Wundauflagen ausprobiert. Eine apparative Diagnostik ist bislang nicht erfolgt. Kompressionsverbände lehnt Herr T. ab, da diese ihm in der Vergangenheit Schmerzen verursacht hatten.

Der Fall: Wie ging es weiter?
Bei Herrn T. zeigte sich in der Duplex-Sonographie der Beinvenen eine Insuffizienz der V. saphena magna. Er lehnte eine operative Intervention ab, stimmte aber einer ambulant durchgeführten Schaumsklerosierung zu. Die Wunde wurde nach Säuberung weiter mit Wundauflagen versorgt. Für die Kompressionstherapie passte man Herrn T. eine adaptive Kompressionsbandage an, bei der er über Klettbänder den Kompressionsdruck selbst regulieren kann. Nach acht Wochen ist das Ulcus cruris venosum vollständig abgeheilt.


Eine Kompressionstherapie ist grundsätzlich bei allen Patienten mit Ödemen der unteren Extremitäten indiziert. Besonders bei Erkrankungen des venösen und lymphatischen Gefäßsystems sollte immer daran gedacht werden (vgl. Tabelle 1) [13, 18].

Knöchel-Arm-Druck-Index
Für die Bestimmung des Knöchel-Arm-Druck-Index (KADI) sollte der Patient fünf Minuten entspannt liegen. Dann wird jeweils der systolische Druck über der A. tibialis posterior und der A. dorsalis pedis gemessen und der höhere Wert notiert. Anschließend erfolgt die Messung des systolischen Drucks über der A. brachialis beidseits. Auch hier verwendet man für die Berechnung nur den höheren systolischen Druck. Der Fußarteriendruck geteilt durch den Armarteriendruck ergibt dann den KADI (Tabelle 3).

Auch wenn es nur wenige Untersuchungen dazu gibt: Der aktuellen Lehrmeinung entspricht es zudem, dass die Kompressionstherapie auch bei Patienten nach operativen Eingriffen, nach Infektionskrankheiten wie Erysipel oder bei Inflammation wie Vaskulitis vorgenommen werden sollte [4, 5]. Gleiches gilt für Ödeme bei internistischen Komorbiditäten wie einer kompensierten Herz- oder Niereninsuffizienz. Hinsichtlich möglicher Kontraindikationen muss man bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit zwischen der fortgeschrittenen pAVK ("kritische Ischämie") und der kompensierten pAVK differenzieren (vgl. Tabelle 2) [7]. Patienten mit kompensierter pAVK können durchaus mit einer Kompressionstherapie mit bis zu 40 mmHg versorgt werden [11]. Bei fortgeschrittener Polyneuropathie ist eine engmaschigere Kontrolle erforderlich, da es bei schlecht sitzenden oder fehlerhaften Materialien zu Schnürfurchen oder Druckschäden kommen kann [5].

Basisdiagnostik

Vor Beginn einer Kompressionstherapie ist die arterielle Durchblutungssituation abzuklären. Die Temperatur, die Färbung der Zehen beziehungsweise der Füße und die Fußpulse liefern erste Hinweise. Der Knöchel-Arm-Druck-Index (KADI) wird mittels Dopplersonde und Blutdruckmanschette schnell und unkompliziert gemessen [5] (vgl. Kasten).

Materialien

Für die Kompressionstherapie sind unterschiedliche Materialien verfügbar. Kurzzugbinden haben ein geringes Dehnungsvermögen von unter 100 % und ermöglichen einen hohen Arbeitsdruck – bei niedrigem Ruhedruck. Die Anlagetechniken sind komplex und sehr fehleranfällig [5, 14, 16]. Die Verbände sollten bei mobilen Patienten eingesetzt und täglich gewechselt sowie gewaschen werden. Das Material verliert durch Verwendung und Waschen an Festigkeit, so dass Binden nach etwa einem Monat ersetzt werden sollten.

Mehrkomponentensysteme sind vorgefertigte Sets mit zwei bis vier verschiedenen Binden [8].Hier werden oft Kurz- und Langzugbinden und kohäsive Materialien und Polsterbinden kombiniert eingesetzt. Bei einigen Mehrkomponentensystemen sind Markierungen auf die Binden gedruckt, die durch Verformung anzeigen, wann der erwünschte Kompressionsdruck bei der Vordehnung erzielt wird. Von einigen Mehrkomponentensystemen sind – neben den konventionellen Systemen, die einen Kompressionsdruck von 40 mmHg erzielen – auch sogenannte "Lite"-Versionen erhältlich, die lediglich 20 mmHg erzeugen. Mehrkomponentensysteme können mehrere Tage relativ konstant den Kompressionsdruck erhalten und nach entsprechender Schulung relativ einfach korrekt angelegt werden [20].

Adaptive Kompressionsbandagen bestehen aus einem Unterstrumpf, der dem Hautschutz dient, und der eigentlichen Kompressionsbandage, bei der man über mehrere Klettverschlüsse segmental den Druck gezielt in einem Bereich zwischen 20 und 50 mmHg einstellen kann [10]. Abschließend wird eine Kompressionssocke angezogen. Viele Patienten sind nach kurzer Schulung in der Lage, diese Systeme selbst an- und auszuziehen [3].

Ulkus-Strumpfsysteme haben einen Unterstrumpf mit einem geringen Anpressdruck, der auch nachts belassen werden kann. Er fixiert den Wundverband und dient gleichzeitig als Anziehhilfe. Darüber wird dann der eigentliche Kompressionsstrumpf angezogen. Mit An- und Ausziehhilfe können viele Patienten diese Strümpfe selbst anlegen [19].

Medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) sind für die Langzeit- und Dauerbehandlung von Patienten mit Venenerkrankungen und nach Ulkusabheilung für die Rezidivprophylaxe indiziert [9, 12]. MKS werden, je nach Indikation, in verschiedenen Kompressionsklassen (KKL) als konfektioniertes Fertigprodukt angepasst oder nach Maß angefertigt (Tabelle 4). Diese sind im Rund- als auch im Flachstrickverfahren hergestellt worden.

Kompressionstherapie mit geringen Anpressdrücken

Die Zuordnung der KKL in die Gruppen von Krankheitsbildern wurde in den letzten Jahren stark propagiert. In Studien hat man dies bislang aber nur selten untersucht. Aus phlebologischer Sicht favorisierte man meist hohe Kompressionsdrücke, wie sie einer KKL III entsprechen. In Deutschland werden aber auch durch Experten fast ausschließlich MKS der KKL II verordnet [17]. Viele der älteren, adipösen oder multimorbiden Patienten kommen jedoch mit den höheren KKL im Alltag nicht zurecht und tragen die Kompressionstherapie dann oft nicht regelmäßig [15]. Eine Metaanalyse randomisierter Studien kommt zu dem Ergebnis, dass auch MKS der KKL I eine gute und meist ausreichende Wirksamkeit bei Patienten mit gering ausgeprägter chronisch-venöser Insuffizienz (CVI) haben, die sich durch Erhöhung des Kompressionsdrucks nicht weiter steigern lässt [1]. Selbst in der Abheilung des Ulcus cruris venosum und deren Rezidivprophylaxe wirken MKS der KKL I [2]. In Deutschland sind MKS der KKL I verordnungs- und erstattungsfähig. Für das An- und Ausziehen dieser Strümpfe durch einen ambulanten Pflegedienst ist allerdings eine gesonderte Begründung notwendig.

Verordnungslogik

Aktuell wurde von einer Expertengruppe eine Verordnungslogik von MKS für Patienten mit CVI vorgestellt [6]. Dieser entsprechend erhalten Patienten wie bisher primär einen MKS der Kompressionsklasse II. Der verordnende Arzt muss sich nur mit der Frage auseinandersetzen, ob aufgrund der Komorbiditäten oder Kofaktoren die KKL reduziert oder erhöht werden sollte. Auf der Basis dieser Verordnung erfolgt in Absprache mit dem Patienten auch die Auswahl des geeigneten Gestricks. Ein schmales Bein mit wenig Ödemneigung kann mit einem dünneren Gestrick versorgt werden. Ein kräftiges Bein mit größeren Umfängen ist mit einem kräftigeren Gestrick zu versorgen (Abb. 2).

Verordnung von medizinischen Kompressionsstrümpfen

Sowohl MKS als auch Ulkus-Strumpfsysteme sind als Hilfsmittel der Produktgruppe 17 gelistet und somit zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.

Verordnungsrelevante Angaben
  • Indikation und Diagnose (ICD-10-Code)
  • Hilfsmittelnummer oder Bezeichnung des Hilfsmittels
  • Kompressionsklasse (KKL): I bis IV
  • Anzahl: z. B. ein Paar oder ein Stück
  • Länge: AD Kniestrumpf, AF Halbschenkelstrumpf, AG Schenkelstrumpf, AT Strumpfhose
  • Fußspitze: offen oder geschlossen

Heute kann der Arzt eine Kompressionstherapie mit sehr unterschiedlichen Materialien und Systemen vornehmen, so dass sich für nahezu alle Betroffenen eine individuelle Behandlungsstrategie finden lässt, die sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Patienten orientiert.


Literatur
1. Amsler F, Blättler W. Compression therapy for occupational leg symptoms and chronic venous disorders - a meta-analysis of randomized controlled trials. Eur J Vasc Endovasc Surg 2008; 35:366-372
2. Clarke-Moloney M, Keane N, O‘Connor V et al. (2014) Randomised controlled trial comparing European standard class 1 to class 2 compression stockings for ulcer recurrence and patient compliance. Int Wound J 11(4):404-408
3. Damstra RJ, Partsch H (2013) Prospective, randomized controlled trial comparing the effectiveness of adjustable compression Velcro wraps versus inelastic multicomponent compression bandages in the initial treatment of leg lymphedema. J Vasc Surg Ven Lym Dis 1:13-19
4. Dissemond J (2011) Differentialdiagnosen des Ulcus cruris venosum. Phlebologie 40:85-92
5. Dissemond J, Assenheimer B, Bültemann A, et al. (2016) Compression therapy in patients with venous leg ulcers. J Dtsch Dermatol Ges 14:1072-1087
6. Kröger K., Grosskopf V, Hug J et al. (2017) Verordnungslogik von medizinischen Kompressionstrümpfen bei Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz. Vasomed 29: 199-201
7. Ladwig A, Haase H, Bichel J, Schuren J, Jünger M (2014) Compression therapy of leg ulcers with PAOD. Phlebology 29(Suppl. 1): 7-12
8. Lazareth I, Moffatt C, Dissemond J et al. (2012) Efficacy of two compression systems in the management of VLUs: results of a European RCT. J Wound Care 21:553-558
9. Mauck KF, Asi N, Elraiyah TA et al. (2014) Comparative systematic review and meta-analysis of compression modalities for the promotion of venous ulcer healing and reducing ulcer recurrence. J Vasc Surg 60(Suppl. 2):71-90
10. Mosti G, Cavezzi A, Partsch H, Urso S, Campana F (2015) Adjustable velcro compression devices are more effective than inelastic bandages in reducing venous edema in the initial treatment phase: A randomized controlled trial. Eur J Vasc Endovasc Surg 50:368-374
11. Mosti G, Labichella ML, Partsch H (2012) Compression therapy in mixed ulcers increases venous output and arterial perfusion. J Vasc Surg 55:122-128
12. Nelson EA, Bell-Syer SE (2014) Compression for preventing recurrence of venous ulcers. Cochrane Database Syst Rev 9:CD002303
13. O‘Meara S, Cullum N, Nelson EA, Dumville JC (2012) Compression for venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev 11:CD000265
14. Protz K, Heyer K, Dörler M, Stücker M, Hampel-Kalthoff C, Augustin M (2014) Kompressionstherapie - Kenntnisse und Anwendungspraxis. J Dtsch Dermatol Ges 12:794-801
15. Reich-Schupke S, Murmann F, Altmeyer P, Stücker M (2012) Compression therapy in elderly and overweight patients. Vasa 41:125-131
16. Rompoti N, Klode J, Dissemond J (2016) Ulcus cruris durch Kompressionsstrümpfe als Resultat guter Compliance aber schlechter Adhärenz. J Dtsch Dermatol Ges 14:946-947
17. Schwahn-Schreiber C, Marshall M, Murena-Schmidt R, Doppel W, Hahn S (2016) Versorgungsrealität mit medizinischen Kompressionsstrümpfen im ambulanten Bereich. Phlebologie 45:207-214
18. Shingler S, Robertson L, Boghossian S, Stewart M (2013) Compression stockings for the initial treatment of varicose veins in patients without venous ulceration. Cochrane Database Syst Rev 12:CD008819
19. Sippel K, Seifert B, Hafner J (2015) Donning devices (foot slips and frames) enable elderly people with severe chronic venous insufficiency to put on compression stockings. Eur J Vasc Endovasc Surg 49:221-229
20. Weindorf M, Stoffels I, Schadendorf D, Dissemond J (2012) Einfluss visueller Kontrollsysteme auf die Effektivität von Kompressionsbehandlungen: Erste Resultate einer prospektiven klinischen Untersuchung verschiedener Probandenkollektive. Phlebologie 41:18-24



Autor:

Prof. Dr. med. Joachim Dissemond

Universitätsklinikum Essen Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
45122 Essen

Interessenkonflikte: JD: Honorare für Vorträge, Beratungen oder Studien von BSN, Hartmann, Juzo, Lohmann&Rauscher, medi, Urgo,
KK: Honorare für Vorträge von Sanofi, Bayer, UCB, BSN, Lohmann&Rauscher, Bauerfeind, Urgo.
PS: Honorare für Vorträge von medi, Urgo.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (18) Seite 57-61