Besonders chronische Wunden können zu einer zunehmenden Isolation des alten Menschen beitragen. Einerseits können die begleitenden Schmerzen die aktive Teilhabe an der Umwelt durch die notwendige Schmerzmittelgabe einengen, andererseits trägt der häufige Wundgeruch zur Vereinsamung bei. Sollte zusätzlich eine Demenz vorliegen, entsteht eine prekäre Lage, weil die Patienten zur Mitarbeit am Heilungsprozess nicht mehr fähig sind. Chronische Wunden beim alten Menschen sind deshalb in der Praxis des Niedergelassenen eine große Herausforderung. Was kann der Hausarzt selbst versorgen und wann ist der Spezialist gefragt?

Die Verletzungsgefahr steigt mit dem Alter an. Wunden heilen zwar wie beim jungen Menschen, häufig wird jedoch die Heilung durch Begleiterkrankungen be- oder verhindert. Vaskuläre Störungen verursachen auch nach Bagatelltraumen eine Chronifizierung der Wunden. Aus der akuten wird eine chronische Wunde.

Heilt eine Läsion trotz sachgerechter Behandlung nach acht Wochen nicht ab, so spricht man von einer chronischen Wunde. Beim älteren Menschen erzwingt dies eine akribische Suche nach einem Initialtrauma und nach möglichen Ursachen der ausbleibenden Wundheilung.

Was stört die Wundheilung?

Oft liegt eine Kombination von arteriellen, venösen oder lymphangiologischen Störungen in unterschiedlichem Schweregrad vor. Eine zwischenzeitlich inadäquate Therapie kann obendrein zur ausgedehnten Allergisierung gegen aufgebrachte Wundexterna führen.

Anamnestisch sind Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus und das Rauchen als Risikofaktoren bei der Entstehung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit zu finden. Mitunter finden sich primäre oder sekundäre Vaskulitiden als Systemerkrankungen, die Ulzerationen verursachen oder unterhalten können. Chronische venöse Erkrankungen und Lymphgefäßerkrankungen führen ebenfalls zu Perfusionsstörungen der Haut. Inadäquate Druckbelastungen der Haut im Rahmen einer Neuropathie oder tumorassoziierte Kleingefäßerkrankungen können an der Chronifizierung beteiligt sein.

Die Erforschung der Entstehungsgeschichte der chronischen Wunde erfordert beim alten Menschen mitunter viel Geduld und detektivischen Spürsinn. Die auslösende Ursache – Bagatellverletzung, ausgeprägteres Trauma, spontane Entstehung aus einer nichttraumatischen Hautläsion – ist oft erst unter Befragung der nahestehenden Personen zuverlässig eruierbar. Eine umfassende Anamnese zu Systemerkrankungen, Neuropathie, Tumoren, Diabetes, Hypertonie, Gefäßerkrankungen (arterielle, venöse, lymphangiologische) schließt sich an.

Gesamtes Hautareal anschauen

Eine sorgfältige, ganzheitliche Inspektion des gesamten Integuments der betroffenen Ex-tremität kann zusammen mit der Anamnese zu einer Einengung des differenzialdiagnostischen Spektrums führen. Bei einem medialen, malleolär angesiedelten Ulkus sind trophische Störungen mit Hämosiderinablagerungen Hinweise auf eine chronisch venöse Insuffizienz als Ursache der Geschwürsbildung.

Klinische Lymphödemmarker (z. B. positives Stemmerzeichen, Lymphzystchen, Kastenzehen usw.) erklären die Genese von oberflächlichen, zirkulär den Unterschenkel umgreifenden und somit lymphangiogen verursachten Ulzera.

Plantare Läsionen sprechen für eine vornehmlich neuropathische Genese. Bizarr begrenzte, in Ruhe schmerzhafte Geschwüre am Unterschenkel können auf eine Vaskulitis oder ein
Pyoderma gangraenosum hinweisen, das Epiphänomen rheumatologischer, myeloproliferativer Grunderkrankungen oder chronischer Infektionskrankheiten sein kann. Die Kombination mehrerer Störungen des Gefäßsystems macht die ätiologische Zuordnung der Heilungsstörung zu einer Herausforderung.

Laborwerte und Biopsie

In der Regel sind Laborparameter zur ätiologischen Klärung heranzuziehen, die nach Entzündungen, hämatologischen und rheumatologisch-vaskulitischen Systemerkrankungen fahnden. Bei allen Wunden, deren Genese nicht eindeutig zuzuordnen ist, ergibt sich die Indikation für eine Hautbiopsie (Abb. 1 und 2). Die Präparate werden dann in einem routinierten dermatohistopathologischen Labor untersucht.

Wunde dokumentieren

Die initiale Dokumentation der Wundsituation beinhaltet folgende wichtigen Aspekte:
  • die Lokalisation an der Extremität
  • die Ausdehnung in der Fläche
  • die Tiefe der Geschwürsbildung
  • die Beläge im Wundgrund
  • etwaige Granulationen (= Neubildung von Gewebe)
  • die Sekretion aus der Wunde (serös, eitrig)
  • den ausströmenden Geruch bei Infektionen
  • die Beschaffenheit des Wundrands und
  • die Haut der Wundumgebung (ödematös, entzündlich gerötet, schuppend).

Bei in die Tiefe führenden Wunden sollte mittels einer sterilen Sonde ausgetastet werden, ob der Knochen durch die Infektion bereits erreicht wurde. Der Nachweis einer Osteomyelitis kann durch eine Röntgenaufnahme des Fußes geführt werden. Bei Fisteln sind ergänzend eine Sonografie und ein CT bzw. eine MRT des Fußes anzustreben, um Sekretstaus zu erkennen und durch Drainagen oder Laschendurchzug auszuheilen.

Die erfolgreiche Behandlung einer chronischen Wunde fordert immer ein mehrdimensionales, koordiniertes Vorgehen, das partiell auch gleichzeitig abläuft. Wichtige Komponenten des Handelns sind die Behebung der Perfusionsstörungen, Auffrischung der Wunde durch verschiedene Arten des Débridements und Feuchthalten des Wundgrunds.

Gefäßversorgung sichern

Die Behandlung der vaskulären Störung eines Wundgebietes gehört zu den dringlicheren Aktionen, eine Wunde in Abheilung zu bringen. Sie sichert die Basis einer geordneten Wundtherapie. Eine Läsion kann nur dann geheilt werden, wenn die Versorgung des Wundgebietes mit Nährstoffen und gleichzeitig die Entsorgung von Stoffwechselprodukten gesichert ist.

Eine Läsion in einem ödematös verquollenen Wundumfeld (z. B. bei einem Lymphödem) nässt meist und ist nass statt feucht. Umgebendes Gewebe wird durch austretendes Wundsekret mazeriert. Feuchtkeime vermehren sich. Es kommt häufig zur Infektion. Eine konsequente 24-stündige Hochlagerung der Extremität zur Reduktion des Sekretionsdrucks kann zu einer zügigen Abheilung sonst hartnäckiger Gamaschenulzera führen (Abb. 3). Allerdings ist diese Maßnahme nicht einfach umsetzbar, weil die Patienten in der Regel über Schmerzen bei Hochlagerung der Extremität klagen.

Auch minderperfundiertes, ausgetrocknetes Gewebe des Wundgrunds kann nicht heilen. Hier kann eine Verbesserung der Strömungsverhältnisse im arteriellen Stromgebiet Abhilfe schaffen. Insbesondere bei Diabetikern finden sich Stenosen oder Verschlüsse der Unterschenkelarterien. Eine großzügige Indikationsstellung revaskularisierender Interventionen ermöglicht häufig eine überraschende Perfusionsverbesserung und eröffnet die Heilungschance.

Wunde reinigen

In der ersten therapeutischen Phase ist eine Säuberung des Wundgrunds von Eiter, Detritus, Fibrinbelägen und Nekrosen anzustreben. Man kann dies durch mechanische Entfernung mittels eines Tupfers, aber auch durch Spülung der Wunde mittels steriler Ringerlösung oder Desinfektionsmittel erreichen. Damit wird die Keimlast der Wunde reduziert. Ein anschließendes Abwaschen des Desinfiziens aus dem Wundgrund ist unabdingbar. Die Spülung von Wundhöhlen mit einer Desinfektionslösung sollte vermieden werden. Die akute, aktive Wundheilung wird durch aktive periodische Wundreinigung ergänzt. Hier wird avitales Gewebe entfernt, ohne intaktes zu beschädigen. Die passive periodische Wundreinigung kann durch feucht haltende Verbände, enzymatische Wundreinigung oder beispielsweise durch Fliegenmadentherapie realisiert werden. Vor chirurgischem Débridement sollte möglichst die arterielle Perfusion der betroffenen Extremität optimiert sein.

Auswahl der Wundauflage

Im weiteren Fortschritt der Wundheilung besteht die Kunst des Therapeuten darin, die richtige Wundauflage auszuwählen, die den Feuchtigkeitshaushalt der Wunde richtig beeinflusst. Dazu stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung. Wir unterscheiden Polyurethanschäume, Hydrofasern, Alginate, Polyacrylatsuperabsorber und Silikongaze. Sie haben unterschiedliche Fähigkeiten, überschüssige Feuchtigkeit aus der Wunde aufzunehmen als auch die Wunde feucht zu halten oder ein Verkleben mit dem Verband zu verhindern. Hilfreich sind dabei auch Hydrogele. Der Verbandswechsel ist oft aufwendig und wird von den Patienten teilweise auch als schmerzhaft erlebt. Eine adäquate Schmerztherapie ist daher unabdingbarer Bestandteil einer umfassenden Wundtherapie.

Der Schutz des Wundrands vor Mazeration durch abfließendes Sekret gelingt durch die Applikation eines durchsichtigen, atmungsaktiven Hautschutzfilms (Siloxane und Acrylat-Terpolymer) auf den weiteren Randbereich um eine Wunde. Die Applikation von Zinkpaste ist obsolet.

Vorsicht: Druck

Eine Druckbelastung von insbesondere plantaren, neuropathisch induzierten Wunden (Abb. 4) sollte tunlichst bis zum völligen Wundschluss vermieden werden. Dies stellt das therapeutische Team vor eine große Herausforderung, wenn die Patienten sturzgefährdet sind und mit Vorfußentlastungsschuhen oder Krücken nicht mehr umgehen können. Hier bleibt nur die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit auf Liegen und Rollstuhl. Gerade deshalb ist ein Training der Muskulatur mittels isometrischer Übungen wichtig, weil der Abbau der Muskulatur sonst zügig voranschreitet und später die Gewinnung einer eigenständigen Mobilität kaum mehr möglich ist.

Kompressionstherapie

Bei Ulcera venöser Genese ist eine Kompressionstherapie indiziert. Die arterielle Perfusion des peripheren Gewebes sollte trotz des Kompressionsverbands gesichert sein. Dazu kann im Poletest der Perfusionsdruck einfach bestimmt werden. Man sucht mit dem Taschendopplerstift entweder die Arteria dorsalis pedis oder die Arteria tibialis posterior in Höhe des Innenknöchels auf. Unter Ableitung des Dopplersignals wird die Extremität aus dem Liegen langsam angehoben, bis das Dopplersignal verstummt. Die Höhe zwischen dem Dopplerstift und dem Herzen des Patienten entspricht dem Perfusionsdruck in cm Wassersäule. Ein Druck von mehr als 50 cm Wassersäule lässt einen Kompressionsstrumpf der Kompressionsklasse II (Anpressdruck ca. 35 mmHg) zu.

Infektionen bekämpfen

Bei invasiver Infektion ist eine systemische Therapie mit Antibiotika indiziert. Man beachte bei der Antibiotikadosierung gerade bei älteren Menschen eine eventuell eingeschränkte Nierenfunktion. Vor Therapiebeginn sollte ein Abstrich zur mikrobiologischen Austestung angefertigt werden.

Welche Situation sollte eine Überweisung zum Spezialisten auslösen, um einen bedrohlichen Verlauf zu verhindern?
  • Jede Abszedierung oder Fistelgangbildung
  • Jede phlegmonöse Entzündung
  • Jede Wunde, die die Sehne, Gelenkkapsel, Knochen erreicht
  • Jede akute oder chronische arterielle Durchblutungsstörung + chronische Wunde
  • Jedes Gamaschenulkus
  • Wunde mit begleitendem Fieber und/oder Phlegmone und/oder Benommenheit
  • Unterschenkelwunden mit spontanen Schmerzen
  • Heilungsstillstand einer bis dahin abheilenden Wunde

Was Sie in der Praxis tun können:
  • Einschätzung der Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung in Zusammenarbeit mit einem Wundzentrum
  • Verband, Überwachung einer abheilenden, oberflächlichen oder gut granulierenden Wunde
  • Rechtzeitige Vorstellung bei einem erfahrenen ärztlichen Wundtherapeuten bei Heilungsstillstand
  • Schmerztherapie bei Bedarf

(Rezidiv-)Prophylaxe
  • Regelmäßige Inspektion von Beinen, Füßen, Zehenzwischenräumen
  • Schuhinneninspektion auf Druckstellen, Verfärbungen

Kooperation unabdingbar

Zur angemessenen Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden ist eine intensive Kooperation der niedergelassenen Ärzte, Angiologen, Gefäßchirurgen, Radiologen, Schmerztherapeuten in und außerhalb der Klinik mit den Pflegekräften, Podologen und eventuell auch orthopädischen Schuhmachern nötig.

Die kursorische Darstellung der wichtigsten Facetten der Diagnostik und Therapie chronischer Wunden verdeutlicht die Komplexität des gebotenen Handelns. Diese ist in der Regel nur in Zusammenarbeit mit einem darauf spezialisierten Zentrum (ambulant/stationär) zu beherrschen.


Literatur:
S3-Leitlinie "Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz"; Stand: 12.06.2012, gültig bis 30.04.2016



Autor:

Dr. Bernhard Fichtl

Internist – Angiologe – Diabetologe
KH Barmherzige Brüder Regensburg
Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie
93049 Regensburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (4) Seite 42-47