Bis zu 85-mal pro Tag niest der Patient, ohne dass er Schnupfen hat. Seine Mutter und Schwester sind ebenfalls betroffen. Welche Ursachen könnten hinter diesem regelmäßigen Niesdrang stecken und welche Therapien sind möglich?
Der Niesreflex gehört zum Leistungskanon der Nase, die nicht ausschließlich "... das Ende des Luftschlauches zur Lunge" [5], sondern Sinnes-, Konditionierungs-, Reinigungs-, Wächter- und Stimmbildungsorgan unseres Körpers ist.
Sie ist sowohl für das olfaktorische Erleben als auch für den Schutz des respiratorischen Systems zuständig. Diese Funktionen teilen sich der N. olfactorius mit Riechrezeptoren in den oberen Nasenmuscheln, am Nasendach und auf beiden Seiten der oberen Nasenscheidewand und der N. maxillaris (2. Trigeminusast), dessen Rezeptoren in die Schleimhaut der Nasenhaupthöhle eingebettet sind und zugleich riechend (trigeminale Reizstoffe) wie überwachend [2, 3] tätig werden.
Als Konditionierungsorgan bereitet die Nasenschleimhaut unsere Atemluft auf (Erwärmung, Reinigung, Befeuchtung). Zugleich ist sie die erste Barriere gegen eindringende Erreger. Der Niesreflexbogen hat drei Ebenen: die Nasenschleimhaut mit den integrierten trigeminalen Chemorezeptoren und ihren afferenten Nervenfasern als Sensoreinheit, das pontomedullär vermutete Nieszentrum [1] als verarbeitender und koordinierender Anteil und efferente Parasympathikusfasern als Auslöser der komplexen motorischen Reizantwort. Durch die Koordination von Atmung, Larynx-, Mund- und Rachenmuskulatur wird die Luft beim Niesen mit einer Geschwindigkeit von etwa 150 Stundenkilometern ausgestoßen [4].
Häufiges ist häufig …
Wenn ein Patient über akute, chronische oder episodische Niesattacken klagt, sollte man sich anamnestisch und klinisch zunächst auf die Nase und ihre Nebenhöhlen konzentrieren (Abb. 1). Akute Niesattacken begleiten üblicherweise eine bakterielle oder virale Infektion der Nase. Bei Niesanfällen im Rahmen chronischer Sinusitiden können neben einer episodisch auftretenden Nasensekretion dumpfe, sich beim Bücken verschlimmernde Kopf- und Mittelgesichtsschmerzen und Druckschmerzen über der betroffenen Nebenhöhle (Abb. 2) wegweisend sein. Bei der behelfsmäßigen Rhinoskopie mit dem Otoskop werden Sekretstraßen in den mittleren Nasengängen erkennbar, weil sich die vorderen und mittleren Siebbeinzellen, die Stirn- und Kieferhöhlen dorthin entleeren. Polypöse Wucherungen in der Nasenhaupthöhle können ein Indiz für chronische Nasennebenhöhlenentzündungen sein.
Angeborene oder traumatisch/iatrogen-operativ [6] erworbene nasale Formfehler der inneren Nase (Septumdeviationen, Septumperforationen, "empty nose") führen ebenso wie die pathologisch trockene Nasenschleimhaut (Rhinitis sicca) zu einer als verstopft empfundenen Nase ("Stockschnupfen"). Eine zu trockene Nasenschleimhaut kann viele Ursachen haben. Neben einer altersbedingten Degeneration (Drüsenatrophie) muss vor allem an die Wohn- oder Arbeitsumgebung des Betroffenen gedacht werden (Umweltschadstoffe, staubbelastete Arbeitsplätze), an Rauchgewohnheiten, systemisch eingesetzte Medikamente (etwa Antiallergika, Diuretika, Betablocker, Psychopharmaka) sowie topisch verwendete OTC-Rhinologika (Rhinitis medicamentosa, "Privinismus"). Durch nasale Missempfindungen kommt es zu Manipulationen, die Schleimhaut wird noch mehr irritiert, Borken- und Krustenbildung, manchmal mit Blutauflagerungen, sind die Folge. So kann aus der trockenen eine chronische, toxisch-irritative Rhinitis werden, durch die sich Schutz- und Reinigungsfunktionen weiter verschlechtern und wiederholtes Niesen ausgelöst wird.
Komplizierter wird es, wenn für die auftretenden Niesattacken eine allergische Rhinitis (AR) verdächtigt wird. Sie wird als eine symptomatische IgE-vermittelte Entzündung der Nasenschleimhaut infolge Allergenexposition definiert. Tückisch ist, dass die Entzündungsmarker in der Nasenschleimhaut auch nach dem Ende der Allergenexposition oder bei nur geringer Exposition persistieren. Diese "minimal persistierende Entzündung" [7] führt so zur nasalen Hyperreaktivität. Niesattacken sind dann eine Antwort auf unspezifische Reize (Tabakrauch, Stäube, Geruchsstoffe, Temperaturänderungen, Anstrengungen, Lagewechsel, heiße Getränke, scharfe Gerichte), die mit der eigentlich allergischen Ausgangssituation nichts zu tun haben. Die Kardinalsymptome einer AR (Niesreiz mit heftigen Niesattacken, Juckreiz, klare Rhinorrhoe, Behinderung der Nasenatmung) sind im Ausprägungsgrad auch vom Charakter ihres Auftretens (intermittierend, persistierend) abhängig. Die Schleimhaut im Naseninneren ist bei der AR aufgeschwollen und blass bis livide verfärbt [7], in den Nasenhaupthöhlen ist meist wässriges Sekret erkennbar.
… und Seltenes ist selten!
Neben diesen nasalen Ursachen akuter, rezidivierender oder episodisch auftretender Niesanfälle mit und ohne Sekretion gibt es davon unabhängige Niesattacken. Am bekanntesten ist der photische Niesreflex, der durch plötzliche Helligkeit ausgelöst und vermutlich autosomal dominant [8] vererbt wird. Man vermutet, dass der Trigeminus aufgrund einer außergewöhnlichen anatomischen Nähe zu den Sehnerven durch den eigentlich inadäquaten Lichtreiz erregt wird und so eine paradoxe Fehlreaktion im Nieszentrum auslöst. Ähnliche Mechanismen werden auch für Niesattacken beim Kämmen der Haare oder dem Zupfen der Augenbrauen diskutiert. Andererseits werden paradoxe Niesattacken auch mit Anfallsleiden, Migräne, Cluster-Kopfschmerzen, zentralen Durchblutungsstörungen oder Tic-Erkrankungen [9, 10, 14, 15] in Zusammenhang gebracht. Da beim Niesen mehrere Teile des parasympathischen Systems involviert sind, werden auch kurios erscheinende Fehlsteuerungen beschrieben: sexuell induzierte Niesattacken [4] sowie ein Sättigungs-Niesreflex, der bei gefülltem Magen [11, 12] auftreten und autosomal dominant vererbt werden soll.
Zurück zum Fall
Primär sollte eine leitliniengerechte rhinologisch-allergologische Abklärung [7] erfolgen, weil die AR bis zu 20 % der globalen Population [13] betrifft. Die genetische Komponente der AR würde eine gleichzeitige Erkrankung mehrerer Familienmitglieder in unterschiedlichem Ausprägungsgrad erklären, behandelt wird dann nach den Leitlinien der Fachgesellschaft. Liegt definitiv kein primär allergisches Geschehen vor, wäre eine Hyperreaktivität der Nase oder eine ausschließlich rhinologische Erkrankung (Rhinitis sicca, toxisch-irritative Rhinitis, chronische Rhinosinusitis) zu bedenken. Die gleichzeitige Betroffenheit mehrerer Familienmitglieder ergäbe sich dann durch die gemeinsame Erkrankungsdisposition sowie die gleichen Lebensumstände. Neben der konsequenten Entlarvung und Ausschaltung verursachender Noxen könnte ein Versuch mit Nasenspülungen, mit regelmäßiger Nasenschleimhautpflege oder der täglichen Inhalation einer isotonischen Salzlösung lohnend sein. Gegebenenfalls wäre kurzzeitig der Versuch mit einem topischen Kortikoid interessant, welches auch dem Inhalat im Ultraschallvernebler beigefügt werden kann.
Sollte sich trotz aller Suche kein Hinweis für eine allergologisch-rhinologische Ursache finden, muss der Patient weiter neurologisch abgeklärt werden (Trigeminus, Hirnstamm, Parasympathikus). Denn das Problem ist keineswegs harmlos. Immerhin wurden Niesattacken als Auslöser für Glaukomanfälle, Sturzereignisse mit nachfolgenden Sinusthrombosen und Spontanperforationen des Pharynx mit der Entwicklung eines Hautemphysems und eines Pneumomediastinums beschrieben [16, 17, 18].
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (2) Seite 43-47