Direkt oder indirekt, mit oder ohne Verletzung des Gehirns: Die Gehirnerschütterung ist immer Folge einer Gewalteinwirkung gegen den Kopf. Auch dem Hausarzt kann sie Kopfzerbrechen bereiten, denn sie führt zu einer ganzen Reihe an klinischen Symptomen und wird deshalb nicht immer erkannt. Warum dies wichtig ist und welche Folgen eine Commotio cerebri haben kann, beleuchtet der folgende Beitrag.

Die Gehirnerschütterung und ihre akuten und langfristigen Folgen hat die Literatur in den letzten Jahren ausführlich betrachtet. Auch die Medien berichten darüber häufiger. Trotzdem bestehen noch erhebliche Wissensdefizite [5, 13], von denen nicht nur die Patienten selbst, sondern auch ihre Eltern, Betreuer, Trainer und Ärzte betroffen sind. Dementsprechend relevant ist die Dunkelziffer übersehener Verletzungen. Literaturanalysen gehen hier von einer minimalen Rate um die 40 % aus [8]. Vor allem im Breitensport scheint sie deutlich erhöht zu sein [20].

Die Gehirnerschütterung ist eine Verletzung des Gehirns! Definiert wird sie als neurologische Funktionsstörung des Denkorgans infolge einer direkten oder indirekten Gewalteinwirkung gegen den Kopf – mit oder ohne Hirnverletzung [14]. Die neurologische Funktionsstörung ist eine funktionelle Störung und nur selten eine strukturelle Verletzung, die kurz nach dem Trauma nachgewiesen werden kann. Sie bessert sich typischerweise spontan ohne wesentliche Folgen [14]. Allerdings sind neuropathologische Veränderungen nicht auszuschließen. Die Abgrenzung zur Schädelprellung ist häufig nicht eindeutig. Für sie findet sich zwar ein vergleichbarer Symptomenkomplex, ohne dass aber neurologische funktionelle Störungen vorliegen.

Der offensichtliche direkte Mechanismus, der zu einer Gehirnerschütterung führen kann, ist das direkte Anpralltrauma gegen einen festen oder bewegten Gegenstand. Schwieriger ist die Einschätzung des indirekten Unfallmechanismus, bei dem das "Schütteltrauma" des Gehirns durch eine fortgeleitete Krafteinwirkung gegen den Körperstamm oder die Extremitäten verursacht wird. Bei beiden Mechanismen kommt es zu einer Beschleunigungs-Abbrems-Bewegung des Gehirns mit Anprall am knöchernen Schädel. Wichtig ist zu wissen, dass die unregelmäßig geformte Schädelbasis und die Gehirnsepten (Falx cerebri und Tentorium cerebelli) eine Abbremsung verursachen, was zu funktionellen Störungen der Hirnareale dieser Regionen führen kann. Das Ausmaß der einwirkenden Kräfte muss jedoch nicht zwingend mit der klinischen Symptomatik korrelieren [12].

Die klassische Symptomatik mit Bewusstlosigkeit, Amnesie und Erbrechen ist selten und kommt bei Leistungssportlern nur in etwa 20 % und im Breitensport in weniger als 10 % der Fälle vor [2, 15]. Allgemein kann die primäre Symptomatik mit Hilfe einer Taschenkarte beurteilt werden (zu finden unter: www.schuetzdeinenkopf.de/SHT_info_mediziner/). Dabei wird zwischen Zeichen einer Gehirnerschütterung (objektiv, Beurteilung durch Dritte) und subjektiven Symptomen (Beurteilung durch den Betroffenen selbst) unterschieden. Deutliche Zeichen sind u. a. offensichtliche Verwirrtheit, Bewusstseinsverlust, Verlangsamung, Gangunsicherheit, Schwanken, Pupillendifferenz und der sog. "leere Blick". Der subjektive Symptomenkomplex umfasst klinische und neurokognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen. Am häufigsten werden Kopfschmerzen und Schwindel berichtet (60 – 70 %). Weitere typische Symptome sind Übelkeit und Erbrechen (20 – 40 %), Schwäche und Müdigkeit (20 – 50 %), visuelle Störungen (ca. 20 %) und Empfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm (10 – 60 %) [2, 11]. Neurokognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen sind häufig primär noch nicht evident, sollten aber berücksichtigt werden. Eine orientierende Einschätzung kann mit dem "Sport Concussion Assessment Tool" (SCAT-3) erfolgen. Auch eine Variante für Kinder ist verfügbar, beides auf o. g. Internetseite.

Ärztliches Vorgehen in der Praxis

Bei jedem Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, die den wesentlichen Anteil des leichten Schädel-Hirn-Traumas (SHT) darstellt, erfolgt leitlinienkonform eine ärztliche Beurteilung und altersabhängig eine CT-Untersuchung zum Ausschluss struktureller Verletzungen. Eine hausärztliche Vorstellung kann bei persistierenden Beschwerden sinnvoll sein. Sowohl primär als auch sekundär unterbleibt noch regelhaft eine Beurteilung neurokognitiver Folgen. Für den Hausarzt ist es wichtig, zu diesem Zeitpunkt eine erweiterte Anamnese durchzuführen. Aufgrund der prognostischen Relevanz (längere Erholungsphase) sollen insbesondere folgende Punkte abgefragt werden:

  • Anzahl vorbestehender Gehirnerschütterungen
  • Dauer der jeweiligen Symptomatik
  • vorhandene Bewusstlosigkeit
  • vorhandene Amnesie (retrograd und/oder antegrad)
  • vorbestehende hirnfunktionelle Störungen, Angstzustände, Depressionen, Lernstörungen und/oder Migräne

Daneben sollten die Beurteilung des mentalen Status, die orientierende Analyse kognitiver Funktionen und eine Gleichgewichtstestung sowie eine aktuelle Symptomanalyse erfolgen. Laborchemische Untersuchungen hirnspezifischer Proteine, z. B. S 100®, sind im Einzelfall sinnvoll, haben sich bisher aber noch nicht allgemein durchsetzen können [12, 19].

Eine richtungsweisende Therapie der Gehirnerschütterung ist nicht bekannt. In der Primärphase nach erlittener Gehirnerschütterung wird die geistige und körperliche Ruhe empfohlen – mit Ausschaltung äußerer Reize wie Musik, Fernsehen, Lernen und intellektueller Anstrengungen für das Gehirn (Konzentrieren, Analysieren, Lesen, Grübeln). Diese Alltagsreize sind auf ein Minimum zu reduzieren, solange deutliche Symptome bestehen. Eine Aufnahme körperlicher Belastungen sollte erst erfolgen, wenn die akute Symptomatik vollständig abgeklungen ist. Allerdings können leichte körperliche und geistige Aktivitäten prognostisch vorteilhaft sein.

Die weitere Therapie erfolgt symptomorientiert:

  • Schmerzmittel können bei Kopfschmerzen sinnvoll sein; eine längerfristige Gabe birgt aber die Gefahr einer Schmerzchronifizierung.
  • Krankengymnastik oder Massage können im Einzelfall eine zusätzliche Erleichterung bei Kopf- und Nackenschmerzen, aber auch zur Tonusreduktion bewirken.
  • Bei längerfristigem Vorliegen von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen ist frühzeitig eine HNO-ärztliche Mitbehandlung zu erwägen und ggf. eine vestibuläre Rehabilitationsmaßnahme einzuleiten.
  • Bewegung und Sport können die Erholungsphase verkürzen; leichte aerobe Übungen wie Nordic Walking können stufenweise im Sinne eines Return-to-Play gesteigert werden.
  • Bei neurokognitiven Störungen (v. a. Konzentrations-, Erinnerungsstörungen) ist frühzeitig eine neurologische Mitbehandlung sinnvoll; neuropsychologische Testungen stellen ein relevantes Zusatzmodul in der Beurteilung der Gehirnerschütterung dar.
  • Eine Anpassung des Lebensstils kann Akutsymptome und emotionale Symptomatiken (z. B. vermehrte Emotionalität, Reizbarkeit, Nervosität, Depression) verbessern.
  • Bei Vorliegen von Müdigkeit, Lethargie, Apathie, Angstsymptomen, Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen und Symptomen einer Depression über einen längeren Zeitraum sollte eine hormonelle Funktionsstörung ausgeschlossen werden, da im Rahmen der intrazerebralen Erschütterung eine hypophysäre Dysfunktion eingetreten sein kann.

Prognose

In der unmittelbaren posttraumatischen Phase nach Gehirnerschütterung ist das Hirn besonders vulnerabel aufgrund der noch andauernden pathophysiologischen Veränderungen [16]. Es besteht prinzipiell ein erhöhtes Risiko, kurzfristig eine weitere Gehirnerschütterung zu erleiden, die einen protrahierten Verlauf und Komplikationen mit sich bringen kann.

Eine vollständige subjektive Symptomerholung ist die Regel. In 85 % der Fälle liegen Symptome maximal eine Woche vor, in 97 % besteht vollständige Symptomfreiheit nach einem Monat. Lagen initial erhebliche Kopfschmerzen, Schwäche, Müdigkeit oder eine Amnesie vor bzw. ergab sich eine pathologische neurologische Untersuchung, kann die Erholungsphase verlängert sein. Eine Verletzung beim weiblichen Geschlecht und im Kindes- bzw. Schulalter ist zusätzlich mit längeren Schwierigkeiten assoziiert. Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die Symptomdauer oft länger als angenommen, mit teilweise mittleren Symptomdauern von vier bis sechs Wochen [3, 10, 17]. Bei einer vestibulo-okulären Dysfunktion, die bei Kindern in knapp 30 % der Fälle angegeben wird, kann sich die Erholungsphase verdoppeln [6]. Nur wenige Patienten weisen längerfristig Gehirnerschütterungssymptome auf, sog. Post-Concussion-Syndrom (PCS). Diese Symptomatik wird als unspezifisch angesehen, da viele dieser Symptome bei anderen Verletzungen oder Erkrankungen auch bestehen können. Entsprechend zeigt sich eine hohe Prävalenz von PCS-Symptomen in der normalen Bevölkerung [9].

Da viele dieser Symptome von verschiedensten Fachdisziplinen behandelt werden (v. a. Neuropsychologie, Neurologie, Physiotherapie, HNO), ist ein interdisziplinäres Management immer bei Symptompersistenz über vier bis sechs Wochen zu fordern [1, 4]. In den berufsgenossenschaftlichen Spezialambulanzen wurden nach SHT interdisziplinär entsprechend häufig neuropsychologische, psychiatrische und psychotraumatologische Folgen im Rahmen des Brain-Check-Programms behandelt [18]. Primäres Ziel ist die Wiederherstellung der Arbeits- oder Schulfähigkeit mit und ohne gleichzeitige/parallele Wiederaufnahme sportlicher Betätigung. Dazu wird ein gestaffeltes Protokoll mit eskalierender Belastungszunahme der geistigen und körperlichen Aktivitäten empfohlen. Sport noch am Tag des Traumas soll die absolute Ausnahme sein.

Prävention und Ausbildung

Jeder Patient sollte alle Vorsichtsmaßnahmen treffen, um eine weitere Gehirnerschütterung in der akuten Heilungsphase zu vermeiden. Auch das Führen von Fahrzeugen ist erst erlaubt, wenn Seh- und Konzentrationsstörungen sowie eine verminderte Reaktionszeit nicht mehr vorliegen.

In Deutschland wird derzeit mit der Initiative "Schütz Deinen Kopf" ( http://www.schuetzdeinenkopf.de ) der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung ein Ausbildungs- und Lehrkonzept zur Gehirnerschütterung im Breiten- und Leistungssport mit geplanter Integration der Schulen und Sportvereine etabliert. Kostenlos sind Informationsmaterialien, die Taschenkarte, die SCAT-3-Testung sowie eine App mit Integration einer Reaktionstestung und einer Testung visueller Funktionen sowie Videos verfügbar [7, 21].

Fazit
  • Die Gehirnerschütterung stellt eine häufig noch unterschätzte Verletzung dar.
  • Die Symptomatik umfasst neben klassisch-klinischen auch neuro-kognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen.
  • Die subakute Einschätzung kann mittels einer Taschenkarte erfolgen.
  • Eine Symptomerholung erfolgt regelhaft innerhalb von einer Woche in über 85 %.
  • Prolongierte Verläufe kommen vor, die bekannten Risikofaktoren sollten berücksichtigt werden.
  • Eine gestaffelte, ggf. ärztlich überwachte Wiederaufnahme der geistigen und körperlichen Aktivität wird empfohlen.
  • Kinder sind für einen protrahierten Verlauf besonders gefährdet.


Literatur
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2. Benson B, Meeuwisse W, Rizos J, Kang J, Burke C (2011) A prospective study of concussions among National Hockey League players during regular season games: the NHLNHLPA Concussion Program. CMAJ 183: 905-911.
3. Brown N, Mannix R, O‘Brien M, Gostine D, Collins M, Meehan W (2014) Effect of cognitive activity level on duration of post-concussion symptoms. Pediatrics 133: e299-304.
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7. Gänsslen A, Schmehl I (2015) Leichtes Schädel-Hirn-Trauma im Sport: Handlungsempfehlungen. 1. Auflage, Sportverlag Strauß. ISBN-10: 3868845933, ISBN-13: 978-3868845938, 2015.
8. Gänsslen A, Schmehl I, Klein W, Rickels E (2016) Handlungsempfehlung - Gehirnerschütterung im Sport. Trauma Berufskrankh 18: Suppl 4: 326-331.
9. Gouvier W, Cubic B, Jones G, Brantley P, Cutlip Q (1992) Postconcussion symptoms and daily stress in normal and head-injured college populations. Arch Clin Neuropsychol 7: 193-211.
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21. ZNS, - Hannelore Kohl Stiftung Initiative "Schütz Deinen Kopf". http://www.schuetzdeinenkopf.de, 2012.



Autor:

Dr. med. Axel Gänsslen (Foto)

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie, Klinikum Wolfsburg
38440 Wolfsburg

PD Dr. med. Werner Krutsch
Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg
93053 Regensburg

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (2) Seite 21-24