Die Commotio cerebri macht etwa 75 % aller Unfälle mit Hirnbeteiligung aus. Oft sind Kinder und Jugendliche betroffen, die sich das Trauma häufig beim Sport oder im Straßenverkehr zuziehen. Hausärzte spielen eine zentrale Rolle in der Versorgung der Verunfallten. Sie werden von ihren Patienten entweder direkt nach dem Trauma aufgesucht oder sind für die Sekundärversorgung verantwortlich, nachdem Erstdiagnostik und ggf. Kurzhospitalisation in der Klinik stattfand.
Die Diagnosestellung erfolgt ausschließlich aufgrund von klinischen Symptomen. Zentrale Kriterien sind:
- Quantitative Bewusstseinsstörung: Unfall mit Bewusstlosigkeit von nicht mehr als 30 Minuten Dauer und/oder
- Qualitative Bewusstseinsstörung: Gedächtnisstörung von maximal 60 Minuten Dauer nach dem Unfallereignis (anterograde Amnesie) und/oder von maximal 30 Minuten vor dem Unfallereignis (retrograde Amnesie),
- Glasgow Coma Score (GCS) von nicht unter 13 bei Erstkonsultation in Klinik oder Praxis (Tabelle).
Versorgung in der Frühphase
Stellt sich ein Patient direkt nach einem Kopftrauma in der Hausarztpraxis vor, muss zunächst die Diagnose geklärt werden. Hierzu sollte man die Anamnese auf die o. g. Symptome fokussieren. Auch die Ergebnisse einer körperlich-neurologischen Untersuchung sind zu dokumentieren. Wichtig ist vor allem das Erkennen von Risikofaktoren (z. B. Bewegungsstörungen), die die Wahrscheinlichkeit für akute intrakranielle Blutungen erheblich erhöhen [3] (Abb. 1). Ein Computertomogramm des Kopfes (CCT) empfiehlt sich generell für alle Patienten mit diagnostisch gesicherter Commotio cerebri. Es wird sogar als obligatorisch angesehen, wenn die Patienten Risikofaktoren aufweisen oder eine Bewusstseinstrübung während der Untersuchung vorliegt [1, 2], (Abb. 2).
Beschwerden in der Akutphase
Häufig treten nach einer leichten traumatischen Hirnverletzung innerhalb der ersten Tage verschiedene Beschwerden auf, auch ohne dass sich in der bildgebenden Diagnostik eine Hirnläsion zeigt. Hierzu gehören unter anderem Kopfschmerzen, Schwindel, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Abgeschlagenheit. Derartige Symptome können für die Patienten natürlich Anlass zur Beunruhigung sein und hierdurch wiederum ihre Symptomwahrnehmung verstärken. Der resultierende Teufelskreis von sich verstärkender Symptomwahrnehmung und sich deshalb verstärkenden Gesundheitssorgen kann zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen, die einen signifikanten Anteil der Verunfallten betrifft und erhebliche Kosten hervorruft [4].
Aspekte der hausärztlichen Betreuung
In dieser komplexen medizinischen und psychosozialen Situation leisten Hausärzte mit ihrer kompetenten Begleitung ihrer Patienten einen entscheidenden Beitrag zur Prognoseverbesserung. In den ersten Tagen nach dem Trauma sind die medizinische Aufklärung über die Ursachen der Beschwerden und die Betonung des guten Verlaufs des Störungsbildes zentral wichtig. Diese Intervention verbessert die Prognose [5].
Die zweite Herausforderung in der Frühphase der Patientenbetreuung ist die Sicherstellung einer den Beschwerden angemessenen Belastung in Schule, Beruf und Haushalt. Überforderungssituationen der Patienten können sich ergeben, wenn Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit bestehen und bei den Betroffenen eine volle Leistungsfähigkeit vorausgesetzt wird. Häufige Beispiele sind der Sportunterricht in der Schule bei Schwindel und Abgeschlagenheit oder die Arbeit in unruhigen Großraumbüros bei Konzentrationsstörungen. Auch hieraus kann letztendlich der Teufelskreis von vermehrter Beschwerdewahrnehmung und Symptomverstärkung resultieren. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Überforderungssituationen auf direkter physiologischer Grundlage zu einer medizinischen Verschlechterung führen können [6]. Deshalb sollte der Hausarzt darauf achten, dass sowohl die zeitlichen als auch die inhaltlichen Anforderungen an die Patienten tatsächlich deren Leistungsfähigkeit entsprechen. Für einen gewissen Zeitraum kann es also sinnvoll sein, die Patienten ganz oder teilweise als arbeits- oder schulunfähig zu erklären.
Aktive Sportler, vor allem im Kindes- oder Jugendalter, wollen häufig von ihren Hausärzten wissen, wann sie wieder zu ihrem Sport zurückkehren können. Hierfür gibt es in der internationalen Literatur Leitlinien [7]. Kern aller Empfehlungen ist das Abraten von sportlicher Aktivität, solange noch Symptome der leichten Hirnverletzung bestehen. Nach deren Abklingen ist ein sportlicher Belastungsaufbau möglich. Auch für den Sport gilt, dass eine zu frühe und zu hohe Belastung die Symptome verstärken kann [6]. Besonders bei Kontaktsportarten wie Boxen oder Eishockey birgt ein zu frühes Zurückkehren in Spiel oder Training sogar konkrete Risiken.
Nach einem Trauma bezeichnet man den Zeitraum, in dem noch Symptome bestehen, als sogenannte vulnerable Periode. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass ein zweites Trauma innerhalb dieser Periode zu überadditiv hohen und langen Beschwerden führen kann [8]. Bei Kindern und Jugendlichen besteht sogar das Risiko, dass innerhalb dieser Periode ein zweites Trauma ein „Second Impact“-Syndrom hervorrufen kann [9]. Hierbei handelt es sich um ein sehr rasch auftretendes malignes Hirnödem mit Todesfolge oder schwerer Behinderung.
Chronifizierte Beschwerden
Klingen die Beschwerden nach dem Trauma nicht wie erwartet innerhalb von einigen Wochen ab, so entwickeln sich nicht selten chronifizierte Beschwerdebilder. Häufige Symptome sind Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel sowie Konzentions- und Gedächtnisstörungen. In diesen Fällen ist eine zeitnahe weiterführende Diagnostik sinnvoll wie die MR-Diagnostik des Kopfes mit speziell hämosiderinsensitiven Sequenzen, um Mikroblutungen und ggf. sogar diffuse axonale Schäden [Abb. 2] auszuschließen. Hieran kann sich ggf. die möglichst frühzeitige rehabilitative Intervention anschließen, die in der Regel eine berufsorientierte Zielsetzung haben wird.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (11) Seite 21-22