Bereits jede fünfte Patient:in gibt an, in den nächsten zwölf Monaten im Krankheitsfall das Tool der Videosprechstunde nutzen zu wollen. Auch immer mehr Ärzt:innen wie Dr. Ruth Heyn zeigen sich überzeugt von der viralen Sprechstunde als Ergänzung zum Arzt-Patienten-Gespräch vor Ort. Es wird Zeit für einen Selbstversuch.
Im Videogespräch mit der Hausärztin Dr. Ruth Heyn aus Wertheim sehe ich mich also vor einigen Tagen selbst mit der Realität der Videosprechstunde konfrontiert. Dr. Heyn beschäftigt sich bereits seit Anfang 2019 mit dem Thema und absolviert mittlerweile fast täglich mehrere solcher viralen Sitzungen. Nachdem ich über die Praxiswebsite einen Termin angefragt habe, registriere ich mich beim Online-Dienstleister, mit dem die Ärztin zusammenarbeitet. Die notwendigen Daten dafür erhalte ich von der Praxis per E-Mail. Das Einloggen dort und später zum Termin funktioniert problemlos. Nachdem ich die ersten kleineren technischen Hürden, die vor allem an meinen individuellen Laptop-Einstellungen liegen, genommen habe, kommen wir entspannt ins Gespräch. Innerhalb weniger Minuten ist vergessen, dass wir "nur" per Video verbunden sind. Der Informationsaustausch läuft perfekt, die Begeisterung wächst. Mein Gegenüber ist schon fast ein Profi und zeigt sich von den Vorteilen der Videosprechstunde überzeugt: "Unsere Patienten buchen ihre virale Sprechstunde mit wenigen Klicks über die Praxiswebsite. Den Termin starten wir dann über den Praxiskalender, das erleichtert die Planung und Dokumentation. Und die technischen Anforderungen für die Patienten sind so niedrig, dass nahezu jeder damit zurechtkommt", erklärt Dr. Heyn. Hat sie einen speziellen Tipp für ihre Kolleg:innen? Wenn ihre Patient:innen das Handy für die Teilnahme an der Videosprechstunde nutzen, rät sie ihnen, nicht damit herumzulaufen, sondern einen festen Standplatz zu finden: "Der fortlaufend wechselnde Hintergrund während des Gesprächs kann sonst für den Arzt extrem störend sein", so Heyn.
Das steckt dahinter
Bei einer Videosprechstunde läuft das Arzt-Patienten-Gespräch ähnlich ab wie in der Hausarztpraxis, allerdings befinden sich beide Parteien an getrennten Orten. Die Kommunikation erfolgt also ausschließlich über den Bildschirm, die Patient:innen müssen nicht in die Praxis kommen. Für die Teilnahme an einer Videosprechstunde benötigen sie keine besondere Technik: Notwendig sind Computer, Tablet oder Smartphone, die über Bildschirm oder Display, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher verfügen, sowie eine Internetverbindung. Die technische Umsetzung aufseiten der Praxis läuft dann über einen Videodienstanbieter, welcher besondere Sicherheitsanforderungen erfüllen muss, die von der KBV vorgegeben werden.
Corona-Schub für die Videosprechstunde
Allein im 2. Quartal 2020, als die erste Corona-Welle durch Deutschland flutete, wurden laut jameda in den Arztpraxen hierzulande ca. 1,2 Millionen Videokonsultationen abgerechnet. Und die Nachfrage auf Patienten- wie Arztseite nimmt weiter zu. Oliver Neumann von CyberDoc erklärt das so: "Die Digitalisierung verschafft Patienten immer mehr Wissen und damit verbunden, mehr Auswahl an Behandlungsmöglichkeiten. Niemand verlangt, dass Ärzte rund um die Uhr oder zu 100 % per Videosprechstunde ordinieren. Doch ein gewisser Anteil sollte für diese Form der Kommunikation eingeplant werden. Je nachdem, wie groß die Nachfrage und die Freude an dieser Form der medizinischen Beratung ist." Das bestätigt auch das Unternehmen Zava aus Schweden, laut dem aktuell rund 500 Patient:innen aus Deutschland ihre digitale Sprechstunde per Web oder App aufsuchen. Bereits 19,1 Prozent der Patient:innen hierzulande geben an, in den nächsten zwölf Monaten bei einer Krankheit künftig das Tool der Videosprechstunde nutzen zu wollen. Eine gute Grundlage, um sich als Praxis gerade jetzt − in Zusammenarbeit mit einem professionellen Anbieter − proaktiv an das Thema heranzuwagen.
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (8) Seite 28-31