Wenn die Corona-Pandemie überhaupt etwas bewirkt hat, dann, dass sie der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung einen Schub verliehen hat. Am deutlichsten wird das bei der Videosprechstunde. Die nutzen die niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen während der Pandemie so oft wie noch nie, wie eine Analyse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeigt. Bei den Hausärzt:innen ist aber noch Luft nach oben.

Damit Patient:innen während der Corona-Pandemie nicht in jedem Fall in die Praxis kommen müssen, wurden die Regelungen zur Videosprechstunde gelockert. Seit Frühjahr vorigen Jahres können Ärzt:innen unbegrenzt Videosprechstunden anbieten. Das heißt: Fallzahl und Leistungsmenge sind nicht limitiert. Die ärztliche Videosprechstunde ist zudem bei allen Indikationen möglich und auch dann, wenn die Patient:in zuvor noch nicht bei der Ärzt:in in Behandlung war. Auch Psychotherapeut:innen dürfen während der Corona-Krise bestimmte Leistungen per Videosprechstunde durchführen und abrechnen.

Diese Regelungen haben dazu geführt, dass seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr die Zahlen in die Höhe schnellen: Hatte es 2019 bundesweit knapp 3.000 Videosprechstunden gegeben, waren es im ersten Halbjahr 2020 fast 1,4 Millionen. Dabei wurden im ersten Quartal rund 203.000 Videosprechstunden gezählt, im zweiten Quartal schon knapp 1,2 Millionen. Weiter gestiegen ist nach den Daten der KBV auch die Zahl der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen, die Videosprechstunden durchführen: Im zweiten Quartal 2020 waren es 31.397 und damit nahezu doppelt so viele wie im Vorquartal, wo bereits ein enormer Anstieg registriert worden war. Zum Vergleich: Im vierten Quartal 2019 waren es bundesweit 168.

Nur selten erfolgt der Erstkontakt per Video

Jede Praxis, die im zweiten Quartal des vorigen Jahres eine Videosprechstunde anbot, führte im Durchschnitt 37 Videosprechstunden durch. Dabei waren 95 % der Patient:innen zuvor schon mal persönlich in der Praxis. Nur bei 5 % der Fälle fand der erste Kontakt mit der Praxis per Video statt. Schaut man sich die Zahlen der KBV genauer an, zeigt sich allerdings, dass die Videosprechstunde bislang vornehmlich von Psychotherapeut:innen genutzt wird. Drei Viertel aller Videosprechstunden im zweiten Quartal 2020 entfallen auf diesen Bereich. Dabei hat jede zweite Psychotherapeut:in in den Monaten April, Mai und Juni im Durchschnitt 47 Videosprechstunden durchgeführt. Ebenso hoch sind die Zahlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Auch dort hat zwischen April und Juni jede zweite Ärzt:in im Schnitt 48 Online-Sprechstunden durchgeführt.

Hausärzt:innen halten sich noch etwas zurück

Im Vergleich der Fachgruppen untereinander werden darüber hinaus in der Neurologie, Psychia-
trie und Nervenheilkunde viele Videosprechstunden durchgeführt. Zwar greifen auch immer mehr Hausärzt:innen ergänzend zum persönlichen Kontakt zur Kamera: Im zweiten Quartal 2020 waren es immerhin 12 % der Hausärzt:innen bundesweit, die im Durchschnitt 21 Videosprechstunden anboten. Aber hier ist wohl noch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Videokonsultation zu spüren. Ob diese sich im weiteren Verlauf der Pandemie abgeschwächt hat, werden spätere Analysen zeigen müssen. Ein Trend zur Videosprechstunde ist jedenfalls auch bei den Hausärzt:innen erkennbar.

6 Punkte, die Sie zur Videosprechstunde wissen sollten
  1. Sie benötigen einen zertifizierten Videodienstanbieter; eine Online-Sprechstunde per Zoom oder Skype ist nicht erlaubt. Eine Übersicht über zertifizierte Videodienstleister findet man unter www.kbv.de/media/sp/Liste_zertifizierte-Videodienstanbieter.pdf
  2. Die Patient:in muss für die Videosprechstunde eine Einwilligung abgeben. Dieser Prozess wird in der Regel über den zertifizierten Videodienstanbieter unterstützt.
  3. Die Videosprechstunde muss vertraulich und störungsfrei verlaufen – wie eine normale Sprechstunde.
  4. Sie können aktuell aufgrund der Corona-Pandemie unbegrenzt Videosprechstunden anbieten. Das heißt: Fallzahl und Leistungsmenge sind nicht limitiert.
  5. Die Videosprechstunde wird zeitlich befristet bis zum 30. September 2021 finanziell gefördert: Sie erhalten zusätzlich zur regulären Vergütung für bis zu 50 Online-Visiten im Quartal gut 10 Euro je Sprechstunde zusätzlich (sofern mindestens 15 Videosprechstunden im Quartal durchgeführt wurden).
  6. Sie können Leistungen im Rahmen der Videosprechstunde erst dann abrechnen, wenn Sie Ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zuvor angezeigt haben, einen zertifizierten Videodienstanbieter zu nutzen. In einigen KV-Regionen ist diese Regelung zurzeit ausgesetzt. Praxen sollten sich dazu bei ihrer zuständigen KV informieren.


Als Ergänzung zum persönlichen Kontakt o.k.

Durch Corona habe die Videosprechstunde einen regelhaften Schub erlebt, folgert der stv. Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Stephan Hofmeister, aus der aktuellen Analyse. Gerade Patient:innen, die wegen der hohen Infektionszahlen nicht in die Praxis kämen, könnten so in bestimmten Fällen via Video versorgt werden. Von daher stelle die Videosprechstunde eine gute Ergänzung dar. Der Goldstandard werde aber weiterhin der persönliche Kontakt zur Patient:in bleiben, betonte Hofmeister. Diese Ansicht werden die meisten Hausärzt:innen sicherlich unterschreiben. Die KBV sieht in den steigenden Zahlen jedenfalls einen Beleg dafür, dass die Praxen der Digitalisierung offen gegenüberstehen. Wenn sie digitale Anwendungen für ihre Arbeit als sinnvoll und nützlich erachten, dann nutzen die Ärzt:innen sie auch.

Diskrepanz zwischen Nutzen und Akzeptanz
Umfragen zeigen, dass seit Beginn der Pandemie mehr als die Hälfte der Krankenversicherten in Deutschland versucht, Arztbesuche nach Möglichkeit zu vermeiden. Für knapp jeden Dritten hat deshalb die Videosprechstunde an Bedeutung gewonnen und rund zwei Drittel erwarten zudem, dass sie in den kommenden Jahren noch relevanter wird. So weit, so gut, dennoch würde allerdings nur jeder fünfte Versicherte in den kommenden 12 Monaten im Krankheitsfall tatsächlich selbst einen Arzt per Videoschalte konsultieren. Diese Diskrepanz ist vermutlich dafür verantwortlich, dass 95 % der Deutschen bislang noch keine Videosprechstunde in Anspruch genommen haben. (Quelle: Umfrage "Datapuls 2021")



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 22-23