Neue Erkenntnisse zum Einsatz von medizinischem Cannabis haben sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Anbietern und möglichen Indikationen. Gar nicht so einfach, sich hier auf dem Laufenden zu halten, auch was juristische, regulatorische und betäubungsmittelrelevante Aspekte angeht. Nicht zuletzt muss auch die einzelne Patient:in gut beraten werden, welche Applikationsform für ihn am besten passt und was dabei im Einzelnen zu beachten ist.

Für Cannabis und Cannabinoide stehen eine ganze Reihe von Darreichungsformen zur Verfügung, heißt es in dem von Dr. Andres S. Ziegler, Großhabersdorf, herausgegebenen Buch "Cannabis" [1]. Allerdings sind einige davon noch nicht ausreichend erforscht und spielen bislang in Deutschland noch keine große Rolle. Zu den gängigen Applikationsarten gehören Teezubereitungen, ölige Lösungen zur oralen Einnahme, Kapseln und die Inhalation mittels Vaporisation.

Teezubereitungen

Die korrekte Bezeichnung für wässrige Auszüge von Cannabisblüten muss eigentlich nicht Teeaufgüsse, sondern Dekoktelauten. Denn bei einem Teeaufguss werden ja die Pflanzenteile mit siedendem Wasser übergossen und müssen dann ziehen. Im Gegensatz dazu muss man die Cannabisblüten 10 bis 15 Minuten nach dem Sieden weiter erhitzen. Man erhält dann THC-Konzentrationen von ca. 10 mg/l, was etwa 2 g pro Tasse (200 ml) entspricht. Das Dekokt sollte man heiß trinken, weil sich beim Abkühlen THC und andere Cannabinoide an Wand und Boden der Tasse absetzen. Außerdem bildet sich ein öliger THC-Film an der Oberfläche des Dekokts. Daher ist es keine gute Idee, eine größere Menge Dekokt in einer Thermoskanne warm zu halten und dann über den Tag verteilt zu trinken. Dabei kann es zu großen Dosisschwankungen kommen. Der Nachteil bei Dekokten: Die lipophilen Cannabinoide werden eher schlecht extrahiert und die Extraktionsrate ist zudem sehr variabel. Außerdem schwankt die Resorption je nach Abstand zur letzten Mahlzeit und deren Zusammensetzung (fettarm/fettreich).

Ölige Lösungen

Auf die Lösung von Cannabinoiden in Öl ist man gekommen, weil Cannabinoide lipophil sind. Ölige Vehikel sollten also zu einer besseren Extraktion und besseren Resorption führen als wässrige. Diese Annahme konnte bestätigt werden. Doch auch hierbei schwankt die Resorption je nach Nahrungsregime. Ölige Extrakte in Tropfenform sind in Deutschland zwar relativ weit verbreitet, allerdings liegen zur Pharmakokinetik nur wenige Studien vor, mit begrenzter Aussagekraft. Als Vorteile für ölige Zubereitungen werden einfache Herstellungstechnik und einfache Einnahme genannt. Die Patient:in kann besser individuell dosieren als bei öligen Extrakten in Kapseln. Dafür hapert es an der Genauigkeit der Dosierung. Man benutzt heutzutage Dosierpumpen oder skalierte Kolbenpipetten.

Kapseln

Kapseln werden entweder mit synthetischem THC (Dronabinol), gemahlenen Cannabisblüten oder Cannabisöl befüllt. Sie stellen die am besten untersuchte orale Darreichungsform von Cannabis dar. Pharmakokinetik und Bioverfügbarkeit sind vergleichbar mit denen öliger Lösungen. Es gibt bei gleicher Dosierung große interindividuelle Schwankungen der erzielten Plasmaspiegel. Daher muss das individuelle Finden der Zieldosis fein abgestuft werden. Auch bei Kapseln schwankt die Resorption deutlich bei Unterschieden in der Nahrungsaufnahme. Die Bioverfügbarkeit ist bei Einnahme direkt nach der Mahlzeit deutlich höher. In Deutschland sind Kapseln derzeit nur Einzelimport bzw. als individuell angefertigte Rezepturarzneimittel verfügbar.

Inhalate

Die Inhalation von Cannabinoiden ist sehr viel weiter verbreitet als die orale Einnahme und bietet auch einige pharmazeutische Vorteile. Allerdings ist die Durchführung komplexer und muss gut erklärt und geübt werden. Nach Inhalation setzt die Wirkung bereits nach ein bis zwei Minuten ein. Daher ist diese Applikationsweise besonders geeignet bei akuten Beschwerden. Die Dosierung kann zudem gut individuell angepasst werden. Bei ausbleibender Wirkung können einfach noch einige Inhalationszüge mehr genommen werden. Die erreichbaren Plasma-Spitzenspiegel liegen deutlich über den Werten nach oraler Einnahme. Verwendet werden keine Joints oder Bongs, sondern spezielle Verdampfer (Vaporisatoren). Mit diesen Geräten können Cannabisblüten oder cannabinoidhaltige Lösungen kontrolliert und rauchfrei erhitzt und verdampft werden. Anders wie in Joints oder Wasserpfeifen entstehen dabei keine Schadstoffe wie Ammoniak und Kohlenmonoxid. In Deutschland stehen als validierte und als Medizinprodukte zugelassene Vaporisatoren die Geräte Volcano Medic 2, Mighty Medic und Mighty Medic + zur Verfügung.

Weitere Darreichungsformen

Dronabinol in Tabletten (Marinol®, Namisol®) ist einfach anzuwenden. Da es sich um Fertigarzneimittel handelt, lassen sie sich jedoch nur begrenzt individuell dosieren. Oromucosalspray ist ebenfalls ein Fertigarzneimittel, das sublingual verabreicht wird. Dabei werden niedrigere Plasmaspiegel als bei der Inhalation erreicht und vergleichbar hohe wie bei Kapseln. Suppositorien wurden bislang nur tierexperimentell an Rhesusaffen untersucht. Aufgrund der im Vergleich zur oralen Gabe höheren Absorption und des niedrigeren First-Pass-Effektes war die Bioverfügbarkeit bei rektaler Gabe besser. Auch die transdermale Gabe könnte interessant sein, ist bislang aber ebenfalls noch wenig untersucht. Dasselbe gilt für Augentropfen, zu denen nur In-vitro-Daten und Tierstudien vorliegen. Esswaren (Brownies, Cookies) sind zwar einfach zu verabreichen, zeichnen sich aber durch eine langsame und stark schwankende Absorption aus, was den therapeutischen Gebrauch schwierig macht. Der verzögerte Wirkeintritt birgt zudem die Gefahr einer Überdosierung. Standardisierte Backmischungen für Cannabiskekse sind erhältlich, der THC-Gehalt kann aber von Keks zu Keks schwanken. Allgemein zur Therapie empfohlen werden können diese Erzeugnisse derzeit nicht, schreibt Dr. Ziegler.

Dosierungen

Für cannabishaltige Arzneimittel gilt allgemein: "start low, go slow", eventuell zusätzlich "keep low". Man sollte mit der niedrigst möglichen Dosis beginnen. Die Startdosis hängt davon ab, ob die Patient:in bereits Erfahrungen mit Cannabis hat oder nicht. Bei inadäquater Dosierung können psychoaktive Wirkungen (Euphorie oder Angst, Müdigkeit, verminderte psychomotorische Leistungsfähigkeit) oder Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System (Herzrasen, Blutdruckabfall, Schwindel) auftreten. Bei langsamer Dosistitration kann sich der Körper allmählich an das Arzneimittel gewöhnen. Patient:innen, die erstmals Cannabis einnehmen, sollten dies zuhause in entspannter Atmosphäre und in Gegenwart einer Aufsichtsperson tun.

Literatur: Cannabis. Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Andreas S. Ziegler (Hrsg.), 2022, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, ISBN 978-3-8047-4152-2

Cannabis. Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis
Das Buch ist mit über 500 Seiten ein umfangreiches Werk, in dem alle Aspekte des medizinischen Einsatzes von Cannabis beleuchtet werden – u.a. zur Geschichte und Pharmakologie, zu Indikationen, Arzneimittelrecht und wichtigen Beratungsaspekten. An den 17 Kapiteln haben sich 33 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Fachgebieten beteiligt.



Autorin
Dr. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (12) Seite 46-47