Klagt ein Patient über Schwindel, Kopfschmerzen und Gleichgewichtsstörungen, kann das viele Ursachen haben. Das macht die Diagnose nicht leicht. Ein Morbus Menière etwa lässt sich manchmal nur schwer von einer vestibulären Migräne unterscheiden. Aber egal, um welche Schwindelsymptome es sich handelt: Der Arzt muss immer auf Nummer sicher gehen, um potenziell lebensbedrohliche Ereignisse, wie transient-ischämische Attacken, kardiale Arrhythmien oder Hypoglykämien, ausschließen zu können.
Schwindel ist eines der häufigsten Leitsymptome. 3 – 6 % aller Notfallkonsultationen gehen darauf zurück [1, 2]. Wegen seiner breiten Differenzialdiagnostik (vgl. Kasten 1) ist eine klare Zuordnung schwierig. Diese wird noch dadurch erschwert, dass keine einzelne Ursache für mehr als 5–10 % aller Schwindelfälle verantwortlich ist [1]. Bei der Erstbeurteilung muss der Arzt deshalb diejenigen Patienten identifizieren, die dringend weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen benötigen.
Patienten mit Schwindel in der Praxis
Anamneseerhebung
Im Mittelpunkt der Erstbeurteilung stehen Fragen zur Dauer und Häufigkeit der Attacken (Abb. 1), wann sie anfingen, welche Begleitsymptome es gibt, ob Provokationsfaktoren und Traumata vorliegen und welche Medikamente der Patient einnimmt. Ein attackenhaftes Auftreten nach Positionsänderungen des Kopfs spricht für einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS). Ein isoliertes Auftreten nach raschem Aufstehen weist auf einen orthostatischen Schwindel hin. Ein situatives Auftreten an belebten Orten (z. B. Warenhaus, öffentliche Plätze) ist typisch für einen somatoformen Schwindel. Kopf- oder Nackenverletzungen sowie Manipulationen (mögliche Gefäßdissektion) sollte der Arzt gezielt erfragen und sich die Medikation genauer ansehen.
Klinische Untersuchung in der Praxis
Die klinische Untersuchung sollte eine gezielte neurootologische Testung beinhalten (Tabelle 1).
Der Arzt muss zudem berücksichtigen, dass Schwindel auch bei einer zentralen Ursache in bis zu der Hälfte der Fälle isoliert, d. h. ohne offensichtliche fokal-neurologische Defizite auftritt [3]. Hier ist die Suche nach subtilen okulomotorischen Zeichen hilfreich. Man spricht hier vom sogenannten HINTS-Testprogramm, das drei Komponenten hat: den Kopfimpulstest ("Head Impulse"), die horizontale Blickwendung ("Nystagmus") und den alternierenden Abdecktest ("Test of Skew") (vgl. Tabelle 2). Die Testung dauert circa fünf Minuten und funktioniert ohne weitere Hilfsmittel. Bei akutem prolongiertem Schwindel kann sie einen Schlaganfall im Vergleich zum frühen (d. h. innerhalb von 24 – 48 Stunden) MRI inklusive Diffusionswichtung (DWI) mit höherer Sensitivität (98 % versus 80 %) nachweisen [3]. Sind die HINTS negativ (deuten sie also auf eine peripher-vestibuläre Ursache mit abnormem Kopfimpulstest hin), liegt aber eine neue einseitige Hörminderung auf der Seite des abnormen Kopfimpulstests vor, sollte man ebenfalls an eine zentrale Ursache denken (sogenannte HINTS plus, Tabelle 2) [4]. Bleibt die neurootologische Untersuchung ergebnislos, sind nicht-neurologische Ursachen zu suchen. Häufigste internistische Ursachen sind Störungen des Elektrolyt-/Wasserhaushalts (5,6 %), vasovagale Synkopen (6,6 %), kardiale Arrhythmien (3,2 %), Anämien (1,6 %) und Hypoglykämien (1,4 %) [1].
Differenzialdiagnostik
Erstmaliger akuter Schwindel
Bei akutem Schwindel unterscheidet man potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen von benignen selbstlimitierenden Ursachen. Liegt ein akutes vestibuläres Syndrom (AVS) vor – neben Dreh- oder Schwankschwindel für mehr als 24 Stunden geht das AVS mit Nystagmus, Übelkeit/Erbrechen, Gangunsicherheit sowie Bewegungsüberempfindlichkeit einher [3] –, ist vor allem nach neurootologischen Ursachen zu suchen. Eine zentrale (meist ischämische) Ursache liegt in circa 25 % aller AVS vor [3]. Hier spielen neben der klinischen Untersuchung die HINTS (Tabelle 2) und das MRI eine wichtige Rolle, während das CT aufgrund seiner geringen Sensitivität für vertebrobasiläre Ischämien (rund 16 – 40 %) wenig hilfreich ist. Bei bis zu 20 % der frühen MRI-Untersuchungen (inklusive DWI) liegt jedoch ein falsch-negativer Befund vor [3]. Bei klinisch hohem Verdacht sollte deshalb die Bildgebung nach drei bis zehn Tagen wiederholt werden.
Episodischer Schwindel
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) ist der wichtigste Vertreter des getriggerten episodischen vestibulären Syndroms (EVS). Attacken eines M. Menière oder einer vestibulären Migräne treten spontan auf. Weitaus seltener sind transient-ischämische Attacken, kardiale Arrhythmien und Hypoglykämien, nach denen wegen ihrer lebensbedrohlichen Folgen gezielt gesucht werden sollte. Während Erstere in der Regel abrupt beginnen und transiente fokal-neurologische Defizite zeigen, sind Arrhythmien meist mit einer kardialen Vorgeschichte und/oder kardialen Symptomen verbunden.
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
Ein BPLS lässt sich bei 17 – 42 % aller Patienten mit akutem Schwindel feststellen [5]. Es handelt sich dabei meist um einen Drehschwindel mit einer Latenz von fünf bis zehn Sekunden nach Kopfpositionsänderung und einer Dauer von fünf bis 20 Sekunden. Gehäuft tritt ein BPLS nach Kopfanprall oder einer Schädigung des Gleichgewichtsnervs auf. Wegen seiner Häufigkeit sollte jeder Patient mit Attackenschwindel gezielt danach befragt und untersucht werden. Die weitaus häufigste Form (85 – 90 %) betrifft den posterioren Bogengang und führt im Hallpike-Dix-Provokationsmanöver (Abb. 2) zu einem torsionell-geotropen Nystagmus. Die Behandlung erfolgt mittels Epley-Repositionsmanöver (Abb. 2). Ein diffuser Schwankschwindel nach erfolgreichem Repositionsmanöver kann noch mehrere Tage bestehen. Das Rezidivrisiko nach erstmaligem BPLS beträgt circa 30 % im ersten Jahr. Bei therapieresistenten oder atypischen Fällen sollte man nach einer zentralen Ursache (z. B. Raumforderungen im 4. Ventrikel) mittels MRI suchen.
Vestibuläre Migräne
Die vestibuläre Migräne (VM) ist eine Sonderform der Migräne und die zweithäufigste Ursache eines EVS. Sie kann mit Kopfschmerzen oder isoliert auftreten. Nach den Kriterien der International Headache Society (IHS) muss eine Anamnese der Migränekopfschmerzen erfolgen [6, 7]. Die Dauer der Schwindelattacken ist sehr variabel (fünf Minuten bis 72 Stunden). Häufig tritt eine VM erst Jahre oder Jahrzehnte nach Beginn der Kopfschmerzen auf. Eine zerebrale Bildgebung mittels MRI und eine neurologische Abklärung sind hier klar empfohlen. Unterstützend ist ein Therapieansprechen auf eine Migränebasisbehandlung.
Morbus Menière
Episodischer Schwank- oder Drehschwindel von 20-minütiger bis 12-stündiger Dauer mit begleitenden Ohrsymptomen (Hörminderung, Tinnitus, Wasser-/Fremdkörpergefühl) und dokumentierter Tieftonsenke sind obligate Zeichen eines M. Menière [8]. Der Nachweis eines endolymphatischen Hydrops im MRI unterstützt die Diagnose [9]. Die Abgrenzung von der VM ist dennoch manchmal schwierig oder unmöglich [10]. So können Kopfschmerzen und Photophobie-Attacken eines M. Menière begleitend, milde Ohrsymptome auch bei der VM auftreten. Eine aktuelle multizentrische Studie konnte die Wirksamkeit von Betahistin zur Behandlung nicht nachweisen [11], weshalb alternativ intratympanale Dexamethason- oder Gentamicin-Injektionen zu erwägen sind [12].
Schlussfolgerungen
Beim Leitsymptom Schwindel ist aufgrund der breiten Differenzialdiagnostik ein systematisches Vorgehen mit einer strukturierten Anamnese und einer gezielten klinischen Untersuchung entscheidend. Zusatzabklärungen sollte man nur dann machen, wenn sich die Diagnose mittels klinischer Maßnahmen nicht mit ausreichender Sicherheit stellen lässt. Unnötige oder nicht zweckmäßige Diagnostik (wie z. B. ein CT bei Verdacht auf vertebrobasiläre Ischämie) sollte der Arzt vermeiden.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 33-38