Natürliche Heilmittel wie der Heiltorf haben ihren festen Stellenwert im differenzialindikativen physikalisch medizinischen Behandlungskonzept, insbesondere in der Rehabilitationsmedizin. Dabei stellt die Heiltorftherapie längst keine rein empirische Methode mehr dar, sondern steht auf einer festen naturwissenschaftlichen Grundlage und hat ihre Wirksamkeit in klinischen Studien unter Beweis gestellt. Zunehmend werden jedoch auch Einblicke in die Effekte auf molekularer Ebene gewonnen, welche durch Heiltorfapplikationen induziert werden können. Insbesondere serielle Applikationen scheinen hierbei kurz- und mittelfristig anhaltende Einflüsse auf die inflammatorischen Prozesse und das Zytokinmilieu bei entzündlich-rheumatischen und degenerativen Erkrankungen zu haben.
Seit mehr als 200 Jahren wird Moor in Europa therapeutisch genutzt. Dabei findet Moor in der Medizin bei einer Vielzahl verschiedener Erkrankungen Anwendung, allen voran bei Gelenkerkrankungen (Arthrosen, rheumatoide Arthritis, Spondyloarthritiden etc.), Hautkrankheiten und Frauenleiden. Die Mooranwendung erfolgt in Form von Halbbädern, Vollbädern, transkutanen Anwendungen (Packungen), Moorkneten, Trinkmoor und vaginalen Applikationen [1].
Richtigerweise müsste man von "Heiltorfanwendungen" sprechen, da unter dem Begriff "Moor" lediglich das Biotop verstanden wird, in welchem der Torf gelagert ist [12]. Hinsichtlich ihrer Entstehung unterscheidet man Hochmoor- von Niedermoor-Biotopen. Während Niedermoore durch Verlandung nährstoffreicher Gewässer entstehen, bilden sich Hochmoore in Gebieten mit feuchtem Klima oberhalb des Grundwasserspiegels, werden überwiegend durch Niederschlagswasser gespeist und sind daher eher nährstoffarm. Durch den Wasserüberschuss kommt es unter anaeroben Bedingungen zu einer Vertorfung der absterbenden Pflanzenreste, wobei sich das organische Material in unterschiedlichen Zersetzungsstadien schichtweise übereinanderlagert. Die Torfschicht gewinnt somit pro Jahr etwa 1 mm an Mächtigkeit (1 Meter in 1.000 Jahren). Neben einer ausreichenden Feuchtigkeit des Bodens ist ein mäßig temperiertes Klima Voraussetzung zur Moorbildung. Diese Faktoren treffen in Mitteleuropa zusammen, so dass moorreiche Gebiete hier etwa 5 % der Gesamtoberfläche einnehmen. Aus dem abgebauten Torf wird durch verschiedene Aufbereitungsverfahren der in der Medizin verwendete Heiltorf [5].
Aus logistischen Gründen und aus Gründen des Naturschutzes erfolgt die Versorgung der 55 deutschen Heiltorfbäder heute häufig nicht mehr lokal, sondern auch regional oder überregional. Dabei wird der Bedarf im nordwestdeutschen Tiefland und im Alpenvorland überwiegend aus den dort vorkommenden Hochmooren gedeckt, während im Mittelgebirgsraum und in den subkontinentalen östlichen Landesteilen Niedermoortorf die Grundlage für 16 Heiltorfbäder bildet. 13 Heiltorfbäder sind auf fremden Hochmoortorf, fünf Heiltorfbäder auf fremden Niedermoortorf angewiesen, sie verfügen über keine eigene Rohstoffbasis. Heiltorf wird in Deutschland in 31 Heilbädern als Nebenapplikation eingesetzt. Nach heutigem Stand sind von den 320 deutschen Heilbädern und Kurorten 61 als "Moorheilbäder" von den zuständigen Landesbehörden prädikatisiert worden. Darüber hinaus wird Torf in etwa der Hälfte aller deutschen Heilbäder als Kurmittel angeboten [6].
Wirkungsmechanismen der Heiltorftherapie
Die Wirkung von Mooranwendungen beruht auf der Fähigkeit des Organismus, auf entsprechende therapeutisch gesetzte Reize in unterschiedlicher Art und Weise zu reagieren. Hierbei werden thermophysikalische, adstringierende, resorptive und chemische Wirkungen unterschieden, die in Abhängigkeit der gewählten Reizintensität, Reizdosierung und Reizintervalle zu vegetativen Reaktionen des Organismus im Sinne von unspezifischen Aktivierungen des sympathikoadrenalen Systems führen [8]. Bei diesen Wirkungen handelt es sich bislang überwiegend um empirische Beobachtungen und Hypothesen, die bereits seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Erklärungsmodelle gesammelt werden. Die genauen Wirkmechanismen waren lange Zeit nicht bekannt und sind auch heute erst in Ansätzen verstanden.
Die thermophysikalischen Effekte gelten als die am besten untersuchten Wirkungen der Moor-anwendungen und stehen daher im Vordergrund der therapeutischen Überlegungen [9]. Aufgrund der besonderen physikalischen Eigenschaften von Moor (hohe Viskosität, hohe Wärmekapazität) erfolgt die Wärmeübertragung auf den Organismus überwiegend über Wärmeleitung (Konduktion). Die zugeführte Wärme kann gleichmäßig in tiefere Gewebeschichten eindringen und führt im Heiltorf(voll)bad zu einem Anstieg der Körperkerntemperatur (Ganzkörperhyperthermie).
Untersuchungen zur Ganzkörperhyperthermie
Positive Effekte einer Ganzkörperhyperthermie bei entzündlich-rheumatischen und degenerativen Erkrankungen konnten bereits durch andere physikalische Therapiemaßnahmen belegt werden. So kam es bei Patienten mit Ankylosierender Spondylitis (AS) im Wasser-Überwärmungsbad [13] und bei Patienten mit AS sowie Arthritis psoriatica (PsA) unter serieller wassergefilterter Infrarot-A-Strahlung (wIRAS) [11] zu einer deutlichen Besserung der Parameter funktionaler und funktioneller Gesundheit sowie zu einer signifikanten Einflussnahme auf zentrale Botenstoffe des inflammatorischen Geschehens. Auch für die serielle niedrig-dosierte Radonstollen-Hyperthermie sind positive Effekte auf die Krankheitsaktivität und auf zentrale Zytokine des Knochenmetabolismus bei Patienten mit AS bereits beschrieben [4].
Effekte der Heiltorftherapie auf den Knorpelstoffwechsel
Vergleichbare Ergebnisse liegen auch für die Effekte der Heiltorftherapie auf den Knorpelmetabolismus vor. So konnte gezeigt werden, dass Heiltorfpackungen bei Patienten mit Osteoarthrose (OA) zu einer Erniedrigung der löslichen Serum-tumor-necrosis-factor(TNF)-α-Rezeptoren führen.
TNF-α ist als proinflammatorisches Zytokin im Rahmen des sekundär entzündlichen Prozesses maßgeblich an der Knorpeldegradation beteiligt. Eine Inaktivierung von TNF-α durch dessen lösliche Rezeptoren, wodurch die Rezeptorkonzentration im Serum abnimmt, wurde durch Heiltorfpackungen induziert und ist als knorpelprotektiver Effekt zu werten [2].
Auch Matrix-Metalloproteinasen (MMPs) spielen bei der Zerstörung des Gelenkknorpels eine entscheidende Rolle. Die knorpeldegradierende Enzymaktivität der MMPs hängt dabei unter anderem von der Präsenz spezifischer Inhibitoren, sog. TIMPs (tissue inhibitors of metalloproteinases) ab. Die Enzym/Inhibitor-Ratio bestimmt wesentlich das Remodelling des Knorpelgewebes. Proinflammatorische Zytokine wie TNF-α und Interleukin (IL)-1 fördern die Freisetzung von MMPs durch aktivierte Leukozyten und führen folglich zu einem Ungleichgewicht der Enzym/Inhibitor-Konzentration. In Studien konnte gezeigt werden, dass Heiltorfbäder bei Arthritis-Patienten das MMP/TIMP-Verhältnis durch Einflussnahme auf die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine in Richtung Knorpelerhalt günstig beeinflussen können [3].
Einfluss von Heiltorf auf entzündlich-rheumatische Erkrankungen
In einer aktuellen prospektiven Studie konnte bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) und AS durch Induktion einer seriellen Ganzkörperhyperthermie im Heiltorfbad (neun Bäder von jeweils 20 bis 30 Minuten Dauer, 44 bis 46 °C) in Kombination mit einer physikalischen Komplextherapie ein signifikanter Rückgang der proinflammatorischen IL-1α-Serumspiegel erzielt werden. Darüber hinaus zeigte sich in dieser Studie erstmalig auch ein Anstieg des als antientzündlich geltenden IL-10 im Serum. Als klinisches Korrelat einer Reduktion der Entzündungsaktivität auf molekularer Ebene bewirkte die serielle Ganzkörperhyperthermie im Heiltorfbad eine signifikante Schmerzlinderung (Visuelle Analog-Skala, VAS) und Verbesserung der Funktionsparameter im Funktionsfragebogen Hannover (FFbH) und im Health Assessment Questionnaire (HAQ).
Auch bei Patienten mit OA konnte eine Verbesserung der Funktionsparameter und eine Schmerzreduktion nach serieller Heiltorfbäderapplikation objektiviert werden. In einer weiteren Studie wurden günstige Effekte zudem für lokale Heiltorfapplikationen in Form von Packungen bei Patienten mit Gon- und/oder Coxarthrose belegt [7].
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (3) Seite 40-42