Ein Patient kommt zu Ihnen mit seit fünf Wochen bestehenden Rückenschmerzen ohne neurologische Ausfälle. Der nächste Patient im Wartezimmer stellt sich mit einem oberen Atemwegsinfekt bei Ihnen vor, fieberfrei, aber mit einem hohen Leidensdruck, und fragt nach einem Antibiotikum. Eine weitere Patientin wird aus dem Krankenhaus entlassen nach exazerbierter COPD und fragt, wie es nun weitergeht. Und der Ehemann zu dieser Patientin ist 70 Jahre alt, begleitet sie zu dem Arzttermin und fragt Sie nebenbei, was er eigentlich so als Check-up bräuchte. Und nun? All diese Fragen sind Alltag für Sie und führen zu einer hohen (risikoreichen) Entscheidungsdichte, mit der sich Ärzte sowohl in Hausarztpraxen als auch in Notaufnahmen unter oft hohem Zeitdruck konfrontiert sehen.

Die nie risikofreien Entscheidungen im ambulanten Setting sowie in den Notaufnahmen haben nicht nur Auswirkungen auf den Patienten selbst, sondern auch immer auf die weiter zuständigen Ärzte, sodass es hier umso mehr auf kluge Entscheidungen ankommt. Hiermit beschäftigt sich seit 2012 die Choosing-Wisely-Kampagne, welche von der ABIM-Foundation ins Leben gerufen wurde [1]. Ziel der Empfehlungen war, weder eine Über- noch Unter-, sondern eine leitliniengerechte Patientenversorgung zu schaffen, die

  • wissenschaftlich belegt ist
  • nicht Testergebnisse oder Prozeduren einfach wiederholt
  • keine Schäden mit sich bringt
  • wirklich notwendig ist.

Hieraus entwickelte sich in Deutschland die Klug-Entscheiden-Kampagne. 2015 gründete die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Ad-hoc-Kommission für diese Qualitätsoffensive [2]. Im Gegensatz zu der internationalen Kampagne wurden die Fachgesellschaften aufgerufen, Negativ- und Positivlisten zu veröffentlichen. Inzwischen gibt es in Deutschland 125 Empfehlungen [3], seit April 2018 auch für Notaufnahmen [4]. Viele Fachgesellschaften unter der DGIM, aber auch die Anästhesie nehmen an dem Programm teil. Die chirurgischen Fächer lehnen die Teilnahme bisher ab (gemeinsamer Beschluss der DGOU, DTGH, DGPRÄC, DGG, DGAV) [5].

Um auf einzelne Aspekte der 125 Empfehlungen genauer einzugehen, beziehen sich die folgenden Abschnitte auf die häufigsten Diagnosen in der ambulanten Versorgung (entsprechend den Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 2017).

Ein besonderer Fokus soll vor allem auf der Schnittstelle zwischen der ambulanten Versorgung und den Krankenhäusern liegen.

Der "vergessene" sekundäre Hypertonus

Einer der häufigsten Gründe, den Hausarzt aufzusuchen, war 2017 die essenzielle primäre Hypertonie. Doch natürlich betritt der Patient nicht die Hausarztpraxis mit den Worten: "Guten Tag, ich habe einen primären Hypertonus, welcher behandelt werden muss." Eine gemeinsame Herausforderung der Hausärzte und der Notaufnahme ist, dass wir häufig Patienten sehen ohne stehende Diagnose, sondern lediglich mit einem Symptom. Um eine Dia-gnose zu sichern, muss sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich eine adäquate Diagnostik zur richtigen Zeit beim richtigen Patientenkollektiv erfolgen. Daher ist eine der Empfehlungen der Klug-Entscheiden-Kampagne, dass "bei jüngeren und therapierefraktären Patienten […] auch nach endokrinen Ursachen einer Bluthochdruckerkrankung gesucht werden [soll] [6, 7]."

In Deutschland leiden ca. 30 – 40 % der Erwachsenen an einem Hypertonus, mit zunehmendem Alter steigt auch die Prävalenz an, sodass bei älteren Patienten von 80 % auszugehen ist [8]. Die Empfehlung zur erweiterten Diagnostik vor allem bei jüngeren und therapierefraktären Patienten wird von den Autoren der Empfehlungen damit begründet, dass tatsächlich ca. 10 – 15 % der arteriellen Hypertonie durch endokrine Ursachen, welche den primären Hyperaldosteronismus, ein Phäochromozytom, den Hyperkortisolismus und andere Enzymdefekte der Nebenniere umfassen, bedingt sind [7]. Stellt sich der Verdacht auf einen sekundären Hypertonus, wird eine umfassende Diagnostik benötigt wie die Bestimmung des Aldosteron-Renin-Quotienten, ein Dexamethason-Hemmtest oder die Bestimmung der Meta- und Normetanephrine im Plasma oder Sammelurin [6]. Oft ist für diese umfassende Diagnostik eine stationäre Einweisung notwendig. Damit im Krankenhaus nicht nur eine weitere antihypertensive Medikation angesetzt und der Patient nach Hause geschickt wird, da nur "Art. Hyp." auf dem Einweisungsschein vermerkt wurde, sollten ausführlichere Angaben schriftlich oder sogar telefonisch erläutert werden. Soll eine stationäre Abklärung erfolgen? Besteht die Verdachtsdiagnose auf eine sekundäre Genese? Ist eine Überwachung erwünscht, da Komplikationen wie ein hypertensiver Notfall befürchtet werden?

Vorsorge hilft … nicht nur dem Patienten

Eine gute Kommunikation zwischen der Praxis und der Notaufnahme ist ebenso notwendig angesichts der Empfehlung der Angiologie, dass "[bei Männern] über 65 Jahre […] ein Screening auf Bauchaortenaneurysma mittels Ultraschall erfolgen [soll] [9] [10]." Das Bauchaortenaneurysma ist eine der Hochrisiko-Diagnosen in der Notaufnahme. Die Patienten können lange asymptomatisch sein, benötigen aber eine sofortige Therapie beim Auftreten von Komplikationen (Ruptur). Gescreent werden sollen vor allem ältere Männer mit einem Nikotinabusus oder einem arteriellen Hypertonus. Ein Normalbefund muss erst nach zehn Jahren erneut kontrolliert werden, Frauen sind in der Empfehlung nicht miteingeschlossen [9]. Vorsorgeuntersuchungen haben ihren Platz im ambulanten Setting und können seit dem 01.01.2018 durchgeführt werden, nachdem die zwei neuen Gebührenordnungspunkte (GOP) 01747 und 01748 eingeführt wurden [11]. Die Weiterleitung dieser Befunde (unabhängig ob pathologisch oder nicht) bei Einweisungen (insbesondere aufgrund abdomineller Beschwerden) ist aber sehr hilfreich für die Kollegen auf den Notaufnahmen. Sollte diese Vorsorgeuntersuchung bisher nicht durchgeführt worden sein, beispielsweise wegen fehlender Ultraschallmöglichkeiten im ambulanten Bereich, kann auch dies eine wichtige Information für die weiterbehandelnden Ärzte sein.

Das NSAR-Dilemma: Immer auf Herz und Niere prüfen

Die Diagnose arterielle Hypertonie ist nicht umsonst auf Platz 1 im ambulanten Setting. Das sehr verbreitete Krankheitsbild (siehe oben) benötigt regelmäßige Kontrollen und eine gute medikamentöse Einstellung und wird häufig von weiteren Erkrankungen begleitet (Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz etc.). Dringend muss auf Interaktionen der verschiedenen Medikamente geachtet werden, erst recht, wenn ein akutes Geschehen wie eine Schmerzsymptomatik zu den chronischen Erkrankungen hinzukommt. Die Nephrologen weisen darauf hin, dass "nichtsteroidale Antiphlogistika […] nicht regelmäßig eingesetzt werden [sollten] bei Patienten mit Hypertonie oder [einer chronischen Nierenerkrankung] jeder Genese, inklusive Diabetes [12]." Grund hierfür ist, dass die Nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR) eine arterielle Hypertonie verschlechtern (durch verminderte Wirkung antihypertensiver Medikamente) und ein akutes Nierenversagen induzieren sowie den Verlauf einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD) verschlechtern können. Die Autoren raten primär von einer regelmäßigen Einnahme der NSAR ab, eine gelegentliche Einnahme (einmal pro Woche) sei aber möglich [12, 13, 14].

NSAR sollten ebenso bei Patienten mit chronischer (ischämischer) Herzinsuffizienz nicht eingesetzt oder laut Leitlinie zumindest hinsichtlich der Indikation kritisch geprüft werden, da es durch die Vasokonstriktion und Abnahme der glomerulären Filtrationsrate zu einer vermehrten Retention und Zunahme der Ödeme kommen kann [14, 13, 2].

Dieses Krankheitsbild ist die Nummer 14 der häufigsten Diagnosen im Jahr 2017 und wird aufgrund der weiten Verbreitung in der Bevölkerung (die Gesamtprävalenz der Herzinsuffizienz wird in Industrienationen mit 2 % angegeben [8]) in den Empfehlungen der Kardiologie besprochen.

Körperliches Training trotz Herzinsuffizienz bei richtiger Medikation

Wichtig für die ambulante und leitliniengerechte Versorgung "[dieser] Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz (NYHA I–III) [ist] in ärztlicher Absprache ein regelmäßiges Belastungstraining durch[zu]führen, um damit ihre körperliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zu verbessern sowie ihre kardialen Symptome zu vermindern" [15] [16]. Empfohlen wird dies sowohl für eine Herzinsuffizienz mit reduzierter (systolischer Herzinsuffizienz) als auch mit erhaltener Ejektionsfraktion (diastolische Herzinsuffizienz). Wichtig ist bei der Durchführung dieses Trainings die Optimierung der Pharmakotherapie sowie die optimale Intensität des Trainings. Betont wird in der Empfehlung die notwendige "Vermittlung der Bedeutung [des Trainings] durch den Arzt" [15].

Zur bereits genannten Optimierung der medikamentösen Therapie gehört unter anderem die "Verschreibung von Mineralkortikoidrezeptor-Antagonisten […] [15]." Die aktuelle Leitlinie empfiehlt die Gabe eines Mineralkortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA), wenn trotz der Gabe eines Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE)-Hemmers oder Angiotensin-Rezeptorblockers und eines Betablockers Symptome einer Herzinsuffizienz bestehen, der Patient in die Kategorie NYHA II fällt und eine eingeschränkte linksventrikuläre Auswurffraktion von 35 % aufweist [15] [2]. Damit kann laut der Empfehlung die Rehospitalisierungsrate und das relative Letalitätsrisiko gesenkt werden (um 15 – 30 %). Der Anteil der mit einem MRA behandelten Patienten liegt aber mit nur 23 % deutlich außerhalb des Zielbereiches, weshalb die Autoren trotz der erforderlichen Kontrollen der Nierenfunktionsparameter und der Kaliumwerte hier eine klare Empfehlung aussprechen.

KHK, Statin, fertig ... oder doch nicht?

Viele Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz haben diese durch eine koronare Herzkrankheit (KHK) erworben. Auch für die medikamentöse Einstellung dieser Patienten hinsichtlich einer Lipidämie haben die Kardiologen in der Klug-Entscheiden-Kampagne eine Empfehlung ausgesprochen. Und zwar wird empfohlen, dass "die LDL-Cholesterin-Serumkonzentration mit einem Statin auf Werte unter 70 mg/dL (1,8 mmol/L) gesenkt bzw. eine mindestens 50 %ige Reduktion des LDL-Cholesterin-Ausgangswertes erreicht werden [sollte]" [15]. Oft wird ein Statin schon während des Krankenhausaufenthaltes bei einem Myokardinfarkt in hoher Dosierung angesetzt, die Werte beziehungsweise die regelmäßige Einnahme dann aber nur selten kontrolliert. In den Leitlinien zur stabilen chronischen Koronaren Herzerkrankung werden jedoch zwei unterschiedliche Therapieregime beschrieben, eine Titriermethode sowie eine Strategie der festen Dosierung (beispielsweise Statin 40 mg unabhängig der Laborwerte) [17]. Bei der Titriermethode wird von den Autoren der Leitlinie ein Zielwert von < 100 mg/dl angegeben, da eine weitere Reduktion unterhalb dieses Grenzwertes (von 100 mg/dl auf 80 mg/dl) einen deutlich geringeren Effekt habe als von 150 mg/dl auf 130 mg/dl. Die Verfasser weisen darauf hin, dass trotz der uneinheitlichen Datenlage bzgl. der beiden Therapieregime es unumstritten ist, dass Patienten mit einer KHK von einer Statintherapie profitieren. Da die Empfehlungen der Kardiologie nach der aktuellsten Version der Leitlinie herausgegeben wurden und die Leitlinie selbst sich bei der Erstellung dieses Artikels in der Überarbeitung befand, sollte auf die Empfehlungen der neuen 4. Leitlinienversion zur Therapie der chronischen KHK geachtet werden.

Schulungen bei Patienten mit Diabetes sind grundsätzlich unverzichtbar

Ein bekannter Risikofaktor und Begleiterkrankung für diese bisher besprochenen kardialen Erkrankungen bzw. das Patientenkollektiv ist der Diabetes mellitus. Die Diagnose wird entweder ambulant oder während eines stationären Aufenthalts gestellt. Häufig ist dann die Therapie des Akut-Ereignisses (Hyper- oder Hypoglykämie) im Fokus der behandelnden Ärzte, insbesondere im Krankenhausalltag bzw. auf der Notaufnahme. Die Schulung des Patienten selbst, um solche Vorfälle zu vermeiden, tritt oftmals in den Hintergrund, weshalb explizit in den Empfehlungen der Endokrinologie darauf hingewiesen wird, dass "[alle] Patienten mit Diabetes mellitus [...] bei Einleitung einer medikamentösen Therapie eine spezifische Schulung erhalten [sollten]" [6]. Trotz der eingeführten Disease-Management-Programme haben nicht alle Patienten mit einem Diabetes mellitus (egal ob Typ 1 oder 2) eine strukturierte Schulung erhalten. Die Autoren der Empfehlungen beziehen sich hier auf den Qualitätsbericht der Disease-Management-Programme Nordrhein von 2016 [18]. Ziel dieser Schulungen ist, dass Zeichen einer Über- oder Unterzuckerung behandelt und eingeschätzt werden, die stationären Aufnahmen reduziert und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden können [6]. Die Schulung der Patienten wird auch in den Leitlinien des Typ-2-Diabetes als "Basistherapie" gewertet [19]. Ebenso wird in der Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes, eine adäquate ambulante Schulung verstärkt zu verankern, als Hauptziel der Leitlinie angegeben [20].

Einsatz antiinfektiver Therapie

Eine der weiteren Hauptmessages der Klug-Entscheiden-Kampagne, von mehreren Fachgesellschaften einheitlich formuliert, ist die kritische und rationale Anwendung antibiotischer Therapien. So wird bei "Patienten mit asymptomatischer Bakteriurie" [21] auch in der aktuellen Leitlinie [22] von einer Antibiose abgeraten. Ebenso stellt für die Autoren der Empfehlungen der Infektiologie "der Nachweis erhöhter Entzündungszeichen wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) allein […] keine Indikation für eine Antibiotikatherapie dar […]" [21]. In der Leitlinie "Husten" wird von einer routinemäßigen Bestimmung der Entzündungsparameter CRP oder Procalcitonin abgeraten [23]. Empfohlen wird auch, (primär relevant für die stationäre Behandlung ab dem dritten oder vierten Behandlungstag), "bei fehlender klinischer Kontraindikation […] orale statt intravenöse Antibiotika mit guter oraler Bioverfügbarkeit [zu] applizier[en]" [24, 21]. Auch legen sich die Autoren fest, dass "Patienten mit unkomplizierten akuten oberen Atemwegsinfektionen inklusive Bronchitis nicht mit Antibiotika behandelt werden sollen" [21]. Grund ist die häufig virale Genese der Infektionen. Die Dauer der Beschwerden und Symptome (Husten) wird, wie in vielen Studien inzwischen bewiesen und in den Leitlinien [23] festgehalten, nicht verkürzt durch die Einnahme von Antibiotika (Vergleich Amoxicillin-Clavulansäure und einem NSAR oder Plazebo [25]). Die Autoren geben zu bedenken, dass "der mögliche Schaden [der Antibiotika] (zum Beispiel Allergien, andere Nebenwirkungen, Resistenzentwicklung) überwiegt" [21]. Eingeschlossen werden in diese Empfehlungen der Pneumologie allerdings nur "Patienten ohne chronische Lungenerkrankung" [25]. Und selbst bei Patienten mit einer bekannten chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) wird in den Leitlinien von der routinemäßigen Gabe von Antibiotika abgesehen [23].

Pneumologische Reha: Für wen und wann?

Sollte es aber zu einer akuten infektbedingten Exazerbation einer COPD, die zu einem Krankenhausaufenthalt führte [25], gekommen sein, muss dringend im Anschluss an eine pneumologische Rehabilitation gedacht werden. Erneut ist hier die Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Hausarzt bzw. dem nachfolgenden behandelnden Arzt sehr wichtig. Ziel dieser Rehabilitation ist die Rehospitalisierungsrate zu senken und gleichzeitig die Lebensqualität und die Überlebensrate der Patienten zu steigern. Die Autoren geben an, dass trotz der nachgewiesenen Effektivität dieser Maßnahmen (die "number needed to treat" (NNT), um eine Rehospitalisation innerhalb von 25 Wochen zu verhindern, beträgt laut der Empfehlung 4, die NNT, um in 107 Wochen einen Todesfall an COPD zu verhindern, ist mit 7 angegeben) sie weiterhin zu selten verordnet wird [25]. Die Indikation für eine pneumologische Rehabilitation wird in den Leitlinien unter der Voraussetzung eines motivierten Patienten gesehen, "wenn trotz adäquater Krankenbehandlung körperliche oder psychosoziale Krankheitsfolgen persistieren, welche alltagsrelevante Aktivitäten und die Teilnahme am normalen, privaten, öffentlichen oder beruflichen Leben behindern" [26].

Neben dem Angebot der pneumologischen Rehabilitation dürfen aber "Kleinigkeiten" wie die Schulung neuer Inhalationssysteme ebenso wenig vergessen werden. Sowohl bei Patienten mit einer COPD als auch bei Patienten mit einer pulmonalen Obstruktion aufgrund eines Asthma bronchiale sollte "eine Therapie mit Inhalatoren nicht begonnen oder geändert werden, ohne dass der Patient im Gebrauch des Inhalationssystems geschult ist und die korrekte Anwendung der Inhalatoren überprüft wurde" [25]. Auch hier ist erneut die Schnittstelle zwischen der Notaufnahme bzw. dem Krankenhaus und der ambulanten Versorgung hervorzuheben. Bei Exazerbationen oder der Erstdiagnose einer obstruktiven Lungenerkrankung wird sehr häufig im Krankenhaus die Medikation neu angesetzt, umgestellt oder angepasst, eine korrekte eigenständige Anwendung der Inhalatoren wird aber teilweise nicht forciert bzw. bedarf weiterer Übung nach der Entlassung. Mit der korrekten Anwendung durch den Patienten kann der gewünschte Effekt des Medikaments (die Symptomkontrolle) erlangt und somit der "Verschreibung weiterer Medikamente", erneuten stationären Aufenthalten und somit einer Erhöhung der Behandlungskosten entgegengewirkt werden [25] [26].

Bildgebung trotz fehlender Konsequenz?

Auch werden häufig Patienten mit Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems vorstellig in den Hausarztpraxen. Bei Rückenschmerzen kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen dem behandelnden Arzt (egal ob ambulant oder auf der Notaufnahme) und dem Patienten, sodass die gemeinsame Schnittstelle hier eine kongruente Haltung gegenüber dem Patienten sein sollte. Bei Rückenschmerzen ist der Wunsch nach einer Diagnose und somit nach einer Bildgebung bei vielen Patienten sehr groß. Jedoch sollte "bei nichtspezifischem Kreuzschmerz unter sechs Wochen ohne "Red Flags" […] eine Bildgebung nicht erfolgen" [27]. Red Flags sind Hinweise auf Ursachen, die einen akuten Handlungsbedarf erfordern, wie beispielsweise Verdacht auf "eine Fraktur, Tumor, Infektion oder Radikulopathie/Neuropathie" [27]. In den aktuellen Leitlinien zum Kreuzschmerz besteht die Hauptdiagnostik aus einer ausführlichen körperlichen Untersuchung und Anamnese (auch bzgl. extravertebragener und psychosozialer Ursachen sowie hinsichtlich der Red Flags), wobei die einzelnen anamnestischen Befunde nur im Gesamtbild und nicht isoliert interpretiert werden sollen [28]. Gegen eine Bildgebung wird sich in der Leitlinie nicht nur bei der initialen Vorstellung ausgesprochen, es wird auch zu keiner Wiederholung einer Bildgebung bei persistierender, aber unveränderter Klinik geraten und nur eine Überprüfung der Indikation bei progredienten und aktivitätseinschränkenden Beschwerden nach vier bis sechs Wochen empfohlen. Die Begründung: Hinsichtlich der Schmerzintensität und der Funktionalität gab es keine Unterschiede in randomisierten kontrollierten Studien bei dem Verzicht oder der Durchführung einer sofortigen Bildgebung. Zur Unterstützung im Gespräch und bei der Beratung der Patienten wurde begleitend zur Leitlinie eine Patienteninformation entwickelt, die den Verzicht auf eine Bildgebung weiter erläutert.

Zügiges Handeln bei Knieschwellung

Das abwartende Verhalten trifft allerdings nicht für alle Erkrankungen des Bewegungsapparates zu. Beim Auftreten von unklaren, akuten Gelenkschwellungen "soll unverzüglich durch Gelenkpunktion/Punktatuntersuchung" [27] eine weitere Abklärung erfolgen. Hier wird sich in den Empfehlungen der Rheumatologen klar für eine sehr invasive Diagnostik ausgesprochen, welche eine gute Zusammenarbeit an der Schnittstelle Hausarzt/Notaufnahme erfordert, da eine Gelenkpunktion häufig im ambulanten Setting nicht möglich ist und laut Leitlinie des akuten Gichtanfalls auch nicht im ambulanten Setting durchgeführt werden sollte [29]. Unklar heißt im Falle einer Gelenkschwellung, dass keine bekannte Grunderkrankung (Gicht) und kein adäquates Trauma vorliegt. Der Grund für dieses notfallmäßige invasive Vorgehen ist, dass eine bakterielle Infektion des Gelenks zeitnah ausgeschlossen werden muss, um irreversible Schäden und konsekutive Funktionseinschränkungen zu vermeiden [30]. Die Klinik eines Gichtanfalls und einer bakteriellen Gelenkinfektion ist sehr ähnlich und beinhaltet Schmerzen, Rötung und Überwärmung, sodass durch die körperliche Untersuchung keine der Differenzialdiagnosen ein- oder ausgeschlossen werden kann. Eine bakterielle Arthritis zeigt sich durch eine erhöhte Leukozytenanzahl im Punktat, mikrobiologische Kulturen sollten eingeschickt werden. Zudem ließe sich durch den Nachweis von Uratkristallen die definitive Diagnose einer Gicht stellen [27] [30].

Klug entscheiden: interdisziplinär, interprofessionell und gemeinsam mit dem Patienten

Natürlich stellen all diese Empfehlungen kein Regelwerk dar, sodass individuelle gemeinsame Entscheidungen mit dem Patienten (Shared Decision Making) möglich und erwünscht sind. Ebensowenig ersetzen die Empfehlungen die aktuellen Leitlinien der einzelnen Fachgesellschaften.

Vermieden werden sollte aber eine Über- und Unterversorgung der Patienten durch das punktuelle Aufgreifen relevanter Diagnose- und Therapieschritte durch die Empfehlungen, wodurch sich die Beratung und Diskussion mit skeptischen und kritischen sowie sehr fordernden Patienten erleichtern kann. Zielobjekt der Kampagne ist im gleichen Maße der behandelnde Arzt und der Patient. Das Gefühl, dass "nichts gemacht wird", kann von Beginn an vermieden werden, wenn wir den Patienten als selbstbestimmten und aufgeklärten Entscheidungsträger einbinden können. Ein weiterer Punkt, der eventuell über diese Empfehlungen erreicht werden kann, ist eine bessere Verknüpfung der ambulanten und klinischen Versorgung mit einer kongruenten Basis der Entscheidungsfindung. Der direkte (mündliche) Kontakt zwischen den ambulanten Ärzten und der Notaufnahme sollte hierdurch aber auf keinen Fall ersetzt werden. Die Schnittstelle zwischen der ambulanten und der innerklinischen Versorgung ist, wie bereits mehrfach betont, eine der Wichtigsten im Gesundheitssystem, sowohl für das ärztliche Personal als auch den Patienten selbst.


Literatur
1) ABIM, "choosingwisely," Online]. Available: http://www.choosingwisely.org/our-mission/ .
3) DGIM, "Klug Entscheiden," 30 12 2018. Online]. Available: http://https://www.klug-entscheiden.com .
4) G. Hasenfuß, "Klug entscheiden:...in der Notaufnahme," Deutsches Ärzteblatt, no. 115(15), pp. A704-709, 13 April 2018.
5) V. Zylka-Menhorn, "KLUG-ENTSCHEIDEN-EMPFEHLUNGEN Für die Chirurgie derzeit kein "Muss"," Deutsches Ärzteblatt, no. Jg. 114 , April 2017.
6) J. Feldkamp, "Klug entscheiden:..in der Endokrinologie," Deutsches Ärzteblatt- Sammelband, Vols. 113. Jahrgang, , pp. 19-23, Januar 2017.
7) B. Williams, G. Mancia, W. Spiering, E. Agabiti Rosei, M. Azizi and M. Burnier, "ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension," European Heart Journal, vol. Volume 39, no. Issue 33, p. 3021–3104, September 2018.
8) N. Suttorp, M. Möckel, B. Siegmund and M. Dietel, HARRISSONS Innere Medizin, Berlin: ABW Verlag , 2016.
9) R. Sternitzky, "Klug entscheiden:...in der Angiologie," Deutsches Ärzteblatt- Sammelband, vol. 113. Jahrgang, no. Heft 21/2016, pp. 28-31, Januar 2017.
10) "AWMF S3 Leitlinie zu Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas," Juli 2018.
11) R. Kristine and G. Köster, "Pressemitteilung Gemeinsamer Bundesausschuss Ultraschallscreening auf Bauchaortenaneurysmen: Richtlinie und Versicherteninformation in Kraft," Berlin, 2017.
12) J. Galle, "Klug entscheiden:..in der Nephrologie," Deutsches Ärzteblatt: Sammelband, Vols. 35-36/2016, no. Jg. 113, pp. 50-53, Januar 2017.
13) H. Lüllmann, K. Mohr and L. Hein, Pharmakologie und Toxikologie, vol. 17. Auflage, Stuttgart: Thieme, 2010, p. 313 ff..
14) J. Bolbrinker and D. Flaschar, Pharmakologie auf den Punkt -ein Überblick-, vol. 7. Auflage, Berlin: Medi-Learn Verlag GbR, 2016, p. 296 ff..
15) S. Baldus, K. Werdan, B. Levenson and K. H. Kuck, "Klug entscheiden:...in der Kardiologie," Deutsches Ärzteblatt- Sammelband, vol. 113.Jahrgang, no. Heft 27-28/2016, pp. 36-40, Januar 2017.
16) AWMF Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz- Langfassung 2. Auflage Version 3, 2017.
17) "AWMF Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK," Februar 2016.
18) S. Groos, J. Ktetschmann, C. Macare, A. Weber and B. Hagen, "2016 Qualitätsbericht- Disease Management Programme Nordrhein," Nordrheinische Gemeinsame Einrichtung Disease-Management-Programme GbR, 2016. Online]. Available: http://https://www.kvno.de/downloads/quali/qualbe_dmp16.pdf.Accessed012019 ].
19) "AWMF Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes Langfassung," no. Version 1, August 2013.
20) "AWMF S3 Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes," no. 2. Auflage, März 2018.
21) N. Jung, "Klug entscheiden:....in der Infektiologie," Deutsches Ärzteblatt- Sammelband, vol. Jg 113 Heft 13/2016, pp. 15-18, Januar 2017.
22) "AWMF S3 Leitlinie DEGAM Nr. 1 Harnwegsinfektion," 07 2018.
23) AWMF S3 Leitlinie DEGAM-Nr. 11. Husten, 2014.
24) "AWMF S3 Leitlinie Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus," 12 2013.
25) B. Jany, "Klug entscheiden:...in der Pneumologie," Deutsches Ärzteblatt- Sammelband, vol. Jg 113. eitrag Heft 19/2016, pp. 24-27, Januar 2017.
26) "AWMF S2 Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD)," 2014.
27) C. Fiehn, P. Herzer, J. Holle, C. Iking-Konert, A. Krause, E. Märke-Hermann, J. Rautenstrauch and M. Schneider, "Klug entscheiden:...in der Rheumatologie," Deutsches Ärzteblatt: Sammelband, no. Jg. 113 Heft 24/2016, pp. 32-35, Januar 2017.
28) "AWMF Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz Langfassung," no. 2. Auflage Version 1 , 12 2016.
29) "AWMF S1 Leitlinie Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung," September 2013.
30) "AWMF S1 Leitlinie Bakterielle Gelenkinfektionen," Juni 2016.



Autor:

Dr. med. Isabel Lück

Medizinische Klinik, Klinikum Itzehoe
25524 Itzehoe

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert


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Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (14) Seite 36-41