Sie kennen das sicher: Auch zum Hausarzt kommen immer wieder Patienten mit der Frage, ob sie nach einem Schlaganfall oder einem epileptischen Anfall wieder Auto fahren dürfen. Die Antwort lautet: Jein. Denn trotz aller rechtlichen Vorgaben ist die Beurteilung der Fahreignung nur individuell möglich und außerdem vom Schweregrad und dem Verlauf der Erkrankung abhängig. Die aktuellen Regelungen zu klassischen neurologischen Störungen finden Sie hier im Überblick.

Kasuistik
Ein 54-jähriger LKW-Fahrer mit leichten Wortfindungsstörungen klagt über Taubheitsgefühl im rechten Arm. Innerhalb von einer Stunde bilden sich diese Symptome vollständig zurück. Er kommt als Notfall auf eine Stroke-Unit. Die CCT am Aufnahmetag und ein im weiteren Verlauf durchgeführtes MRT erbringen keinen Hinweis auf eine Durchblutungsstörung oder eine Blutung. Von vereinzelten, nicht strömungsrelevanten Plaques in den hirnzuführenden Gefäßen abgesehen, lässt sich kein richtungsweisender Befund auf die Ätiologie der Störung feststellen. Die Entlassungsdiagnose: Transitorische ischämische Attacke (TIA) im Stromgebiet der A. cerebri media links. Eine Sekundärprophylaxe mit ASS wurde begonnen.

Die Frage ist: Wie sieht es mit der Fahreignung des Patienten aus?

Die Beurteilung der Fahreignung richtet sich grundsätzlich nach der "Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr", kurz Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Fahreignungsrelevante Krankheiten bzw. Mängel einschließlich der entsprechenden Beschränkungen und Auflagen sind darin (Anlage 4) tabellarisch aufgeführt.

Um die recht starren Vorgaben der FeV für die Beurteilung der Fahreignung aus medizinischer Sicht zu erleichtern, gibt die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung" heraus (aktuelle Fassung mit Gültigkeit ab 1. Mai 2014). Sie sind zwar nicht rechtsbindend, haben aber "normativen" Charakter. Das bedeutet: Bei deren Anwendung bedarf es keiner expliziten Begründung, sollte jedoch von ihr abgewichen werden, ist eine explizite Begründung notwendig.

Wer muss aufklären?

Jeder Arzt weiß, dass er im Rahmen der medizinischen Behandlung eine Aufklärungspflicht hat. Wurden also bei einem Patienten fahreignungsrelevante Störungen oder Therapien festgestellt, hat der behandelnde Mediziner die Pflicht zur "Sicherungsaufklärung" und Dokumentation. Nicht zuletzt durch die "Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler" (§ 630h BGB) ist dieses Thema zunehmend rechtlich relevant.

Jeder Fahrer hat Vorsorgepflicht

Für einen Fahrer besteht grundsätzlich keine Meldepflicht bei der Fahrerlaubnisbehörde, sollten bei ihm fahreignungsrelevante Erkrankungen vorliegen. Aber: Laut FeV "darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet ...". Wer dennoch z. B. mit dem Auto fährt, obwohl er durch körperliche oder geistige Mängel gar nicht dazu in der Lage ist, muss mit strafrechtlichen Konsequenzen und Verlust des Versicherungsschutzes rechnen.

Die Fahrerlaubnisbehörde kann zudem, sobald Tatsachen bekannt werden, "die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen", die Fahreignung z. B. durch Einholung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens prüfen.

Neurologische Erkrankungen: teils großer Spielraum

Neurologische Störungen können – je nach Ausmaß – eine Einschränkung der Fahreignung bedingen (z. B. bei Lähmungen, Störungen der Sensorik, der Koordination, bei zentral bedingten Sehstörungen, Schwindel, Epilepsien, hirnorganischen Psychosyndromen, Demenzen oder Tagesschläfrigkeit). Auch häufig in der Neurologie genutzte Medikamente bergen das Risiko, die Fahrtauglichkeit zu beeinflussen (Analgetika, Antidepressiva, Hypnotika, Antiepileptika, Spasmolytika etc.). In den Begutachtungsleitlinien werden für viele Störungsbilder recht genau umschriebene Vorgaben gemacht (z. B. epileptische Anfälle, Sehvermögen). Andere Störungen wiederum lassen einen hohen Ermessensspielraum zu. Die Begutachtungsleitlinien beziehen sich zunehmend auf Funktionseinschränkungen und weniger auf konkrete Diagnosen. So wird z. B. die Narkolepsie mit Kataplexien nicht konkret benannt. Hier gilt es, das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit und die Einschränkung der anfallsartig auftretenden Störungen mit akuter Beeinträchtigung handlungsrelevanter Funktionen zu beurteilen.

Häufige Fragen

Im Folgenden wird auf die häufigsten Fragen zur Fahreignung eingegangen.

Gesichtsfeldstörung

Die FeV fordert für das Fahren von PKW ein normales Gesichtsfeld eines Auges oder ein gleichwertiges beidäugiges Gesichtsfeld mit einem horizontalen Durchmesser von mindestens 120 Grad Sehwinkel. Das zentrale Gesichtsfeld muss bis 20 Grad normal sein. Patienten mit einer homonymen Hemianopsie schließt die Verordnung somit weitestgehend aus. Bei homonymen Quadrantenstörungen allerdings kann eine Fahreignung vorliegen. Auch ein Doppeltsehen ist zulässig, wenn die Störung außerhalb eines zentralen Blickfeldbereichs von 20 Grad im Durchmesser auftritt.

TIA und Schlaganfall

Bestehen keine fahreignungsrelevanten neurologischen und/oder neuropsychologischen Ausfälle mehr, kann eine Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 (u. a. Mofa, Krafträder, PKW) im Einzelfall angenommen werden. Die Beurteilung ist abhängig von der Schwere, der Ätiologie sowie dem Rezidivrisiko und setzt in der Regel eine stationäre Untersuchung voraus. Eine Beurteilung sollte frühestens nach Abschluss einer adäquaten Rehabilitationsmaßnahme erfolgen.

Bei verbleibenden Bewegungsbehinderungen, wie der Lähmung eines Beins, kann eine Fahreignung z. B. durch die Anpassung des Fahrzeugs oder durch bestimmte Auflagen bzw. Beschränkungen erreicht werden. Die Beurteilung erfolgt durch Sachverständige oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr mit einer Fahrverhaltensprobe.

Das größte Problem ist, das Rezidivrisiko richtig einzuschätzen. Denn eine Fahreignung besteht nur dann, wenn "nach entsprechender Diagnostik und Therapie keine signifikant erhöhte Rezidivgefahr mehr besteht ...". Marx schlug im Jahr 2014 die Empfehlung einer geforderten Ereignisfreiheit für Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 vor (Tabelle 1).

Schwierig gestaltet sich zudem der generelle Ausschluss der Fahreignung für Gruppe 2
(KFZ über 3,5 t, Bus, Fahrgast- und Personenbeförderung u. a.), den die FeV vorschreibt. Für die Praxis bedeutet dies: Bei TIA oder Schlaganfall besteht aufgrund eines grundsätzlich angenommenen erhöhten Rezidivrisikos keine Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 2.

Mit Blick auf die Eingangs-Kasuistik heißt das: Der oben genannte Patient darf zwar – ohne dass bei ihm relevante neurologische Defizite bleiben – ans Steuer eines PKW, ist jedoch nicht mehr geeignet, einen LKW zu fahren.

Schwindel

Die wichtigsten Schwindelformen und deren Einschränkungen sind in Tabelle 2 dargestellt, wobei auch hier die Fahreignung immer im Einzelfall zu klären ist. Neben der Einteilung in Gruppe 1 und 2 wird dabei die Abgrenzung zu einspurigen Fahrzeugen (z. B. Motorräder) besonders berücksichtigt. Abgesehen vom BPLS, der als Auflage eine Lagerungsprobe verlangt, bedarf es bei allen anderen aufgeführten Schwindelformen einer fachärztlichen Untersuchung.

Epileptische Anfälle und Epilepsien

Für die Beurteilung der Fahreignung bei epileptischen Anfällen und Epilepsien nennen die FeV und die Begutachtungsleitlinien relativ umschriebene Vorgaben (Tabelle 3).

Tagesschläfrigkeit

Im Kapitel "Tagesschläfrigkeit", das ebenfalls neu überarbeitet wurde, ist ein gestuftes Vorgehen aufgeführt.

Aufmerksamkeit, ungewolltes Einnicken oder Einschlafen in monotonen Situationen). Auch ein standardisierter Fragebogen zur Schläfrigkeit soll angewendet werden (ESS-Score). Ergeben sich Hinweise auf eine relevante Schläfrigkeit, ist die weitere Einschätzung durch einen Arzt mit zusätzlicher schlafmedizinischer oder somnologischer Qualifikation angezeigt.

Fahrverhaltensproben

Häufig wird eine Fahrverhaltensprobe im Rahmen verkehrsmedizinischer Untersuchungen gemacht. Sie bietet nochmals die Möglichkeit, den Patienten – losgelöst von Tests in Laborbedingungen – zu beurteilen. Eine solche Maßnahme durch einen Fahrlehrer stellt jedoch lediglich ein Hilfsmittel in der Beurteilung dar. Um hier eine aussagekräftige und belastbare Beurteilung zu bekommen, sollte der Fahrlehrer über die angesetzten Kriterien aufgeklärt und in der Beurteilung qualifiziert sein.

Patient will dennoch fahren: Was raten Sie ihm?

Was ist aber zu tun, wenn ein Patient – trotz medizinisch begründeter, fehlender Fahreignung und ausführlicher Aufklärung – trotzdem fahren will? Hier entsteht immer wieder eine große Unsicherheit, wie bei solchen Konstellationen verfahren werden soll oder kann. Die Gesetzgebung ist in diesen Fällen nicht eindeutig.

Dabei gilt es, die "Schweigepflicht" (StGB, § 203, Absatz 1), die "Anzeige geplanter Straftaten" (StGB, § 138) und deren spezielle Straflosigkeit (StGB, § 139) sowie den "Rechtfertigenden Notstand" (StGB, § 34) im Rahmen einer sog. Rechtsgutabwägung einander kritisch gegeneinander abzuwägen. Grundsätzlich sollte immer versucht werden, auf den Patienten einzuwirken und ggf. im Einverständnis mit ihm in einem gemeinsamen Gespräch mit den Angehörigen ein Einvernehmen zu erzielen.

Fazit für die Praxis
  • Die Aufklärung und die Dokumentation über eine Einschränkung der Fahreignung gehört zu den Aufgaben des behandelnden Arztes, auch wenn keine verkehrsmedizinische Qualifikation vorliegt.
  • Die rechtliche Grundlage bildet die Fahrerlaubnisverordnung (FeV); die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung dienen zur Orientierung.
  • Neben den aktuellen fahreignungsrelevanten Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit muss das Risiko einer plötzlichen Verschlechterung und der allgemeine Verlauf der Erkrankung berücksichtigt werden.
  • Für die Beurteilung im Einzelfall sind Kritik-, Einsichts- und Urteilsfähigkeit hinsichtlich eines sicherheitsgerechten Verhaltens und die Möglichkeit zur Kompensation entscheidende Kriterien.
  • Letztlich hat jeder Verkehrsteilnehmer selbst dafür Sorge zu tragen, dass er andere nicht gefährdet.
  • Bestehen Unsicherheiten in der Einschätzung, sollte dies mit dem Patienten besprochen werden und Kontakt zu einem darin qualifizierten Kollegen im entsprechenden Fachgebiet aufgenommen werden



Autor:

Priv.-Doz. Dr. med. Oliver Höffken

Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil
44789 Bochum

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (2) Seite 26-31