Opioide werden zunehmend in der Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt. Insbesondere bei einer langfristigen Einnahme stellt sich auch die Frage, ob sich diese Therapie mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs vereinbaren lässt und welche juristischen Aspekte dabei zu berücksichtigen sind.

Merke
  1. Auf Gruppenbasis scheint es nicht zwangsläufig zu einer eingeschränkten Fahrsicherheit unter stabiler Opioidtherapie zu kommen. Aufgrund der Variationsbreite der Ergebnisse muss die Fahrsicherheit von Patienten im Einzelfall geprüft werden.
  2. Vor Beginn einer Opioidtherapie muss der Patient von seinem Arzt aktiv über die potenziellen Einflüsse der Opioide auf die alltags- und speziell verkehrsrelevanten Leistungen aufgeklärt und dies dokumentiert werden. Ein Formular zur Patientenaufklärung findet sich u. a. unter http://www.dgss.org/fileadmin/pdf/LONTS_Praxiswerkzeug_05.pdf .
  3. Die Fahrzeugführung sollte in der Einstellungsphase auf Opioide, bei Dosisanpassung (Erhöhung, Reduktion), Opioidwechsel und schlechtem Allgemeinzustand unterlassen werden. Bei Einnahme kurzwirksamer psychotroper Substanzen und/oder Alkohol ist vom Führen eines Fahrzeugs Abstand zu nehmen.
  4. Sollte der Arzt den Eindruck haben, dass der Patient trotz eingeschränkter Fahrsicherheit fährt, so sollte er ihn nochmals eingehend auf die Gefahren hinweisen und ihm von der weiteren aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abraten. In begründeten Ausnahmefällen ist es dem Arzt erlaubt, gegen das ärztliche Gebot der Schweigepflicht zu verstoßen und einen uneinsichtigen Patienten bei der Verkehrsbehörde zu melden.


Unter der "Fahreignung" versteht man eine zeitlich weitgehend stabile, von aktuellen Situationsparametern unabhängige Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Fahreignungsrelevante Defizite können z. B. bei einem hirnorganischen Psychosyndrom, Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit vorliegen und zu einem generellen Verbot des Führens eines Kraftfahrzeuges oder aber zu einer eingeschränkten Erlaubnis (in der Regel mit Auflagen) führen. Das Konstrukt der "Fahrsicherheit" dagegen beschreibt die situations- und zeitbezogene Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs. Sie unterliegt, beeinflusst durch äußere Faktoren (z. B. Trinken von Alkohol, akute Erkrankung), raschen Veränderungen. Aus strafrechtlicher Sicht besteht kein Unterschied zwischen dem Fahren unter Drogen-, Medikamenten- bzw. Alkoholeinfluss [1]. Die entsprechenden Paragraphen §§ 315c und 316 StGB greifen beim Schmerzpatienten dann, wenn weitere Anknüpfungstatsachen die "relative Fahrunsicherheit" belegen; hierzu gehören ein Anfangsverdacht der Polizei, ein positiver Blutspiegel und der gutachterliche Nachweis, dass die Auffälligkeiten auf die Wirkung des Opioids zurückzuführen sind [1]. Gemäß des § 24a des Straßenverkehrsgesetzes reicht aber bereits der Nachweis eines "berauschenden Mittels", auch ohne Verkehrsauffälligkeiten, für eine Sanktion aus. Jedoch muss eine Substanzkonzentration oberhalb eines vom Gesetzgeber definierten analytischen Grenzwerts in zeitlichem Zusammenhang mit der Fahrt nachgewiesen werden [1, 11]. Dieser Paragraph kommt nicht zur Anwendung, "wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für den konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt" [1].

Verantwortung des Arztes

Nicht nur der Patient steht in einer Verantwortung im Sinne der (Eigen-)Prüfung seiner Fahrsicherheit vor jeder aktiven Teilnahme am Straßenverkehr, auch für die behandelnden Ärzte bestehen straf- und zivilrechtliche Verantwortlichkeiten. Zwar ist es nur in extremen Ausnahmefällen denkbar, dass ein Arzt wegen des eigentlichen Verkehrsdeliktes strafbar gemacht werden kann (z. B. Beihilfe zum Fahren unter der Wirkung von berauschenden Mitteln), doch kann es möglicherweise aufgrund einer Verletzung der Sorgfaltspflicht zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen (z. B. §§ 230, 222 StGB). Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die sogenannte Sicherungsaufklärung zu richten.

Der Arzt ist dazu verpflichtet, den Patienten über die Möglichkeit einer durch die Grunderkrankung und/oder verordneten Medikation beeinträchtigte Fahrsicherheit aufzuklären; insbesondere dann, wenn in der Gebrauchsinformation nur flüchtige Hinweise oder lediglich Teilinformationen zu diesem Risiko enthalten sind. Andererseits besteht durchaus auch eine zumutbare Eigenverantwortung des Patienten, sich über die potenziellen Risiken der Medikamenteneinnahme zu informieren [15]. Führt der Patient entgegen der ärztlichen Empfehlung ein Kraftfahrzeug, so trifft den Arzt – soweit er nachweisbar aufgeklärt hat – grundsätzlich keine rechtliche Konsequenz. Ein juristisch verbindliches Verbot der Teilnahme am Straßenverkehr kann vom Arzt nicht erlassen werden. Besteht nach ärztlicher Einschätzung eine Fahrunsicherheit und der Patient nimmt – trotz eingehender Sicherungsaufklärung – dennoch aktiv am Straßenverkehr teil, so besteht die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, nach nochmaliger intensiver Aufklärung und Androhung einer Meldung gemäß § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) das Gebot der Schweigepflicht (§ 203 Nr. 1 StGB) zu verletzen und die Verkehrsbehörde zu unterrichten [20]. Sollte dieser Schritt unternommen werden, ist dem Arzt eine sorgfältige Dokumentation anzuraten, die die Gründe der Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht darlegen [7]. Die weitere, rechtlich verbindliche Beurteilung der Kraftfahreignung oder andere Auflagen werden von der Verkehrsbehörde veranlasst [3].

Fahrsicherheit und Schmerz

Sowohl experimentell induzierter Schmerz als auch krankheitsbedingter Schmerz führen zu einer deutlichen Verschlechterung der kognitiven Funktion [17, 18, 26]. Schmerzpatienten wiesen in einem Fahrtest im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine statistisch signifikant höhere Abweichung von der Fahrbahnseitenbegrenzung (SLDP: Standard Deviation of Lateral Position) auf, ein Parameter, der in hohem Maße als prädiktiv für die Beurteilung der Fahrsicherheit gilt [27]. Allerdings lässt sich eine schmerzbedingte Beeinträchtigung von Gedächtnisleistungen erst bei höherer Schmerzintensität, im Sinne einer "Grenzwertüberschreitung", nachweisen [16]. Einer niedrigen Schmerzintensität kann sogar ein gewisser "Arousal"-Effekt zukommen, d. h. die Leistungsfähigkeit kann – zumindest zeitlich begrenzt – verbessert werden. Neben dem Schmerz sind weitere Faktoren in der Lage, die psycho-physische Leistungsfähigkeit negativ zu beeinflussen, und müssen in die Gesamtbeurteilung mit einbezogen werden. Hierzu zählen u. a. Alter, Depression, Angststörungen, Katastrophisieren und Fatigue [24, 26].

Fahrsicherheit und Opioide

In der Mehrzahl der Studien an chronischen Schmerzpatienten mit retardierten Opioiden konnte gezeigt werden, dass stabil eingestellte Patienten in ihrem Leistungsbild Kontrollgruppen nicht unterlegen waren, sodass daraus geschlossen wurde, dass es zu keiner relevanten Einschränkung der Fahrsicherheit durch Opioide kommt [6, 10, 12, 22, 23, 25]. Auf der anderen Seite zeigten sich divergierende Ergebnisse bei Anwendung verschiedener Opioide. So konnten Jamison et al. in einem Cross-over-Design keinen Unterschied zwischen transdermalem Fentanyl und Oxycodon feststellen, wohingegen sich in der Untersuchung von Gärtner et al. unter Oxycodon ein klinisch relevant schlechteres Leistungsbild im Vergleich zu methodisch identischen Untersuchungen mit transdermalen Opioiden (Fentanyl, Buprenorphin) ergab [6, 9, 12, 23]. Abschließend lässt sich somit zum Einfluss unterschiedlicher retardierter/langwirksamer Opioide auf kognitive und psychomotorische Leistungen kein Urteil bilden.

Wichtig erscheint auch, dass die Patienten mit den Opioiden "stabil" eingestellt sind [2, 8]. So führte eine Dosiserhöhung um 30 % innerhalb der ersten Woche nach Therapieanpassung zu deutlich eingeschränkten kognitiven Funktionen; nach diesem Zeitraum war dieser Effekt aber nicht mehr nachweisbar [2]. Vielmehr konnte zum Teil sogar eine Leistungsverbesserung unter optimierter Schmerztherapie nachgewiesen werden [8]. Auf der anderen Seite zeigen zwei identisch angelegte Studien widersprüchliche Ergebnisse. In der ersten Studie führte die Einnahme eines schnell-freisetzenden Opioids, bei stabiler Basismedikation mit retardierten Opioiden, zu einer deutlichen Verschlechterung der Gedächtnisleistung, wohingegen dieser Effekt in der zweiten Studie nicht nachweisbar war. Als Erklärungsmodelle wurden unterschiedliche "cognitive risk factors" in beiden Gruppen diskutiert [13, 14]. In einer Untersuchung von Patienten, die mit transdermalem Fentanyl behandelt waren, führte dagegen der Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen (nicht retardierte Opioide, Benzodiazepine) zu einer klinisch relevanten Leistungsverschlechterung [23]. Die Opioiddosis bzw. der entsprechende Serumspiegel scheint keinen relevanten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Patienten zu haben [9, 23, 25].

Eine abschließende Bewertung des Opioideffektes auf die Fahrsicherheit ist nicht möglich. In allen Untersuchungen zeigte sich eine hohe interindividuelle Variabilität des Leistungsniveaus, sodass individuelle Prognosen nicht zulässig sind. Auch sind die angewandten Testverfahren zu unterschiedlich und zum Teil auch nicht hinsichtlich einer Aussage zur Fahrsicherheit validiert. Weitere mögliche Einflussfaktoren, wie Alterseffekte, Begleiterkrankungen, durchschnittliche Fahrleistung, werden oftmals nicht erfasst und schränken damit die Aussagekraft der Studien weiter ein. Das größte Problem in diesem Kontext scheint aber das Konstrukt der "stabilen Einstellung" zu sein. Dieser Begriff ist bisher nicht hinreichend sicher definiert (auch wenn in der Praxis häufig 2 Wochen als Grenzwert angewandt werden) und es bleibt demnach ein großer Interpretationsspielraum [19, 21].


Literatur
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Autor:

Prof. Dr. med. Rainer Sabatowski

Universitäts-SchmerzCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,
01307 Dresden

Interessenkonflikte: R. Sabatowski erhielt Honorare für die Teilnahme an Advisory Boards von Reckitt Benckiser, Janssen-Cilag und Astra Zeneca. Außerdem nahm er als Prüfarzt an Studien der Firmen Grünenthal und Astellas teil.
R. Scharnagel nahm als Prüfarzt an Studien der Firmen Grünenthal und Astellas teil.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (6) Seite 22-24