Die Belastungsinkontinenz des Mannes ist überwiegend iatrogen bedingt, und die häufigste Ursache ist die radikale Prostatektomie mit einer persistierenden Inkontinenzrate von 10–20 %. Die primäre Therapie der postoperativen Belastungsinkontinenz ist die Physiotherapie, wobei hier das Beckenbodentraining eine zentrale Rolle spielt. Bei nicht ausreichender Besserung unter konservativer Therapie wird eine operative Therapie empfohlen. Dafür stehen heute diverse Optionen zur Verfügung, hierzu zählen u. a. funktionelle und adjustierbare Schlingensysteme sowie der künstliche Schließmuskel.
Zu den Hauptinkontinenzformen zählen:
- Belastungsinkontinenz (Harnverlust bei körperlicher Belastung wie z. B. sportlicher Aktivität)
- Dranginkontinenz (plötzlicher Harndrang mit imperativer Miktionseinleitung)
- Mischinkontinenz (gleichzeitiges Vorliegen von Belastungs- und Dranginkontinenz)
Die Prävalenz einer Harninkontinenz beim Mann liegt bei bis zu 35 %, wobei Männer häufiger von einer Dranginkontinenz (bis zu 80 %) als von einer Belastungsinkontinenz (ca. 10 %) betroffen sind. Außerdem leiden 10–30 % der inkontinenten Männer an einer Mischinkontinenz. Die Belastungsinkontinenz des Mannes ist überwiegend iatrogen bedingt, wobei die radikale Prostatektomie die häufigste Ursache darstellt. Aber auch nach TUR-P, Adenomenukleation und Harnröhrenoperationen kann eine Belastungsinkontinenz auftreten. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht unbedeutende Anzahl von Männern keine weitere Behandlung ihrer postoperativen Belastungsinkontinenz erhält, obwohl sie durch ihre Inkontinenz an einer deutlichen Einschränkung ihrer Lebensqualität leiden. Ein wesentlicher Grund dafür scheint zu sein, dass das Bewusstsein über die zur Verfügung stehenden operativen Therapiemöglichkeiten noch nicht genügend unter den behandelnden Ärzten verbreitet ist.
Bei der radikalen Prostatektomie liegt die Wahrscheinlichkeit für eine persistierende Post-Prostatektomie-Inkontinenz (PPI) bei 1–25 %. Aber auch nach operativer Therapie einer gutartigen Prostatavergrößerung kann eine PPI auftreten, allerdings sind hier die persistierenden PPI-Raten deutlich geringer.
Neben der postoperativen Belastungsinkontinenz können in bis zu 70 % der Fälle zusätzlich Symptome einer überaktiven Blase (OAB) wie erhöhte Miktionsfrequenz, imperativer Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz sowie Nykturie auftreten. Diese sind allerdings meistens innerhalb des ersten Jahres spontan regredient.
Diagnostik
Auf Wunsch des Patienten sollte eine fachärztliche urologische Vorstellung veranlasst werden zur Diagnostik und Evaluation eines weiteren Therapiekonzeptes. In der Basisdiagnostik sollte eine gezielte Anamnese erfolgen (siehe Übersicht 1). Darüber hinaus sollten eine urogenitale Inspektion, eine Urinuntersuchung und eine Sonographie zum Ausschluss von Restharn erfolgen.
Bei V. a. Anastomosenenge bzw. Harnröhrenstriktur sollte eine Uroflowmetrie durchgeführt werden. Zusätzlich kann ein Padtest (optimalerweise 24-Stunden-Padtest) zur Quantifizierung des Urinverlustes erfolgen. Ein Trink-und Miktionsprotokoll über 2–4 Tage erscheint bei Drangbeschwerden sinnvoll. Mittels eines validierten Inkontinenzfragebogens (z. B. ICIQ-SF) kann der Einfluss der Inkontinenz auf das alltägliche Leben des Patienten objektiviert werden.
Ferner sollte vor einer Therapie immer das Ausmaß des Therapiewunsches des Patienten eruiert werden [2, 3]. Vor einer geplanten operativen Therapie sollte eine erweiterte Diagnostik mittels einer Urethrozystoskopie erfolgen.
Konservative Therapie
Die konservative Therapie ist empfohlene First-line-Therapie der Post-Prostatektomie-Inkontinenz. Hierbei hat vor allem die Physiotherapie einen wesentlichen Stellenwert [3].
Physiotherapie
Ein Beckenbodentraining ist definiert als die wiederholte willkürliche und selektive Kontraktion des Beckenbodens. Es gilt zunächst ein Bewusstsein für den eigenen Beckenboden zu schaffen, welches bei Männern selten vorhanden ist. Dies kann effizient nur eine Physiotherapie durch geschulte Beckenbodentherapeuten leisten. Für alle physiotherapeutischen Maßnahmen gilt, dass eine Verschlechterung der Kontinenz wieder eintreten kann, wenn die Therapie abgebrochen wird. Es muss dem Patienten daher die Notwendigkeit fortwährender selbstständiger Übungen verdeutlicht werden.
Elektrostimulation
Wenn der Patient nicht in der Lage ist, den urethralen Sphinkter zu aktivieren, kann dieser auch passiv stimuliert werden. Beim Mann kommen hierzu Rektalelektroden zur Anwendung. Es gibt aber auch die Möglichkeit spezieller externer Manschettensysteme. Die Elektrostimulation sollte mit einer aktiven Physiotherapie kombiniert werden.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Behandlung der Belastungsinkontinenz mit Duloxetin (Yentreve®) hat beim Mann keine Zulassung. Dennoch unterscheidet sich das Wirkprofil nicht von dem bei der Frau. Als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wird die postsynaptische Rezeptoraktivierung des N. pudendus in seinem spinalen Kern (Nucleus Onuf) gesteigert und konsekutiv die Kontraktilität des externen Sphinkters verbessert. In mehreren Studien konnte inzwischen auch bei Männern mit PPI die Wirksamkeit in der Zieldosierung von 2 x 40 mg Duloxetin nachgewiesen werden, wobei eine signifikante Reduktion der Inkontinenz bei bis zu 50 % der Patienten gesehen wurde [5]. Bestehen neben der PPI auch zusätzliche Drang-Beschwerden, wird in den aktuellen Leitlinien eine anticholinerge Therapie empfohlen. Da die Drang-Beschwerden häufig nach einem Jahr regrediert sind, sollten regelmäßige Auslassversuche erfolgen.
- inkontinenzauslösende Operationen
- Radiatio
- Komorbiditäten mit möglichen neurogenen oder anatomischen Veränderungen wie z.B. Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen, Wirbelsäulen-Operationen
- weitere Vor-Operationen im kleinen Becken, aktuelle Medikation
- Miktionsfrequenz tags und Nykturie
- Vorlagenverbrauch tags und nachts (Drangbeschwerden inkl. Drankinkontinenz
- Inkontinenzsymptomatik im Verlauf des Tages, d.h. Zunahme der Inkontinenz im Tagesverlauf
- Strahlunterbrechung möglich
- inkontinenzauslösende Situationen, z.N. Husten/Niesen, Aufstehen, Heben, Bergabsteigen/Treppensteigen, Laufen in der Ebene, im Liegen, bei Ermüdung, Sport, körperliche Arbeit sowie vorausgegangene Inkontinenz-Operationen und Miktionsprobleme/ Kontinenzstatus vor Prostata-Operationen
Operative Therapie
Eine operative Therapie sollte immer dann empfohlen werden, wenn die Belastungsinkontinenz mindestens 6–12 Monate postoperativ persistiert und ein Leidensdruck besteht. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass eine stabile Kontinenzsituation besteht, das heißt, dass trotz suffizienter konservativer Therapie keine weitere Verbesserung der Inkontinenz erzielt werden konnte.
Artifizieller Sphinkter
Der artifizielle Sphinkter gilt als Standardtherapie für Männer mit persistierender moderater bis schwerer PPI. Die Erfolgsrate (0–1 Vorlage) ist mit 80 % höher als bei allen anderen operativen Therapieoptionen [5–8]. Für die erfolgreiche Bedienung des artifiziellen Sphinkters müssen eine ausreichende manuelle Geschicklichkeit und mentale Fähigkeiten des Patienten vorhanden sein. Das Alter allein sollte aber in keinem Falle eine Kontraindikation für die Implantation darstellen [9].
Adjustierbare Schlingensysteme
In Deutschland werden verschiedene adjustierbare Schlingensysteme verwendet [4], wobei alle im Bereich der bulbären Urethra auf den M. bulbospongiosus platziert werden. Das Wirkprinzip aller genannten Systeme basiert auf einer permanenten Erhöhung des urethralen Widerstands zur Unterstützung der Basiskontinenz. Die Kontinenzraten scheinen vergleichbar zu sein und zeigen ähnliche Resultate bei bestrahlten und nicht bestrahlten Patienten. Vorteil dieser Systeme ist, dass jederzeit, auch noch nach Jahren, eine Adjustierung bei wiederauftretender Inkontinenz erfolgen kann. An Komplikationen sollten Infektion sowie postoperative Schmerzzustände genannt werden.
Funktionelle Schlingensysteme
Die transobturatorische AdVance®-Schlinge wird retrourethral im Bereich der membranösen Harnröhre direkt auf den Bulbus implantiert. Die Wirkung ist bisher nicht abschließend geklärt und scheint multifaktoriell zu sein, wobei u. a. urethrale Hypermobilität, Verlängerung der funktionellen Harnröhre sowie ein venöser Sealingeffekt eine Rolle zu spielen scheinen [10]. Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist eine ausreichende Mobilität der hinteren Harnröhre und eine gute Residualfunktion des Sphinkters im sogenannten "Repositionierungstest" [11, 12]. Im Follow-up verschiedener Studien konnten Trockenheitsraten von bis zu 70 % erzielt werden. In einer multizentrischen Untersuchung konnte außerdem gezeigt werden, dass die Ergebnisse auch 3 Jahre postoperativ stabil bleiben und nach den ersten 12 Monaten keine weiteren Komplikationen auftreten [13, 15–18]. Bei Patienten mit zusätzlicher Radiotherapie zeigt die AdVance®-Schlinge deutlich reduzierte Erfolgsraten [16, 19]. Zu beachten ist, dass es bei einer Überkorrektur zu einer persistierenden Restharnbildung kommen kann, die durch die gute Fixierung mittels der Ankerhäkchen ausgelöst wird. Ansonsten sind Komplikationen typischerweise selten, schwerwiegende Komplikationen (z. B. Infektionen und persistierende Schmerzen) sind eine absolute Seltenheit.
- Primäre Therapie der Post-Prostatektomie-Inkontinenz ist die Physiotherapie.
- Die Diagnostik bei der PPI dient weniger der Aufdeckung der spezifischen Pathophysiologie als vielmehr der Identifikation der idealen operativen Therapie und von Kontraindikationen für einzelne Op.-Techniken.
- Gerade angesichts der heute vielfältigen therapeutischen Möglichkeiten und mit Blick auf den hohen Leidensdruck inkontinenter Männer sollte jeder Mann mit persistierender PPI über die operativen Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden und fachärztlich vorgestellt werden.
Interessenkonflikte: M. Grabbert: Der Autor hat keine deklariert.
R.M. Bauer: Boston Scientific/American Medical Systems: Studien und Beratertätigkeit; Promedon; Studien und Beratertätigkeit.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (9) Seite 24-27