Der Hausärztemangel und die hohen Infektionszahlen während der Pandemie, aber auch im aktuellen "Post-COVID-Winter" haben für überfüllte Hausarztpraxen gesorgt. Alles muss schnell gehen, vieles läuft digital und die Anamnese wird noch während des Gesprächs parallel am Computer dokumentiert. Bleibt die Empathie für die Patient:innen und die Zeit, sich den Gefühlen hinter den körperlichen Beschwerden zu widmen, dabei auf der Strecke? Dieser Beitrag soll Anregung geben, sich wieder mehr auf die Gefühlsebene der Patient:innen einzulassen.

Je kürzer der Patientenkontakt, desto weniger kann man die Gefühlswelt der Patient:innen zuverlässig identifizieren. Zeit ist daher ein wesentlicher Faktor. Menschen zeigen ihre Gefühle außerdem nicht immer mit klaren Worten, sondern auch durch Mimik und Gestik. Nonverbale Signale des Patienten helfen, das Verschwiegene zu verstehen. Wer nichtsprachliches Ausdrucksverhalten des Patienten versteht, kann zielgerichtet auf Gefühle eingehen. Manchmal sind Gestik und Mimik des Patienten jedoch auch produziert, er verhält sich nicht gemäß seiner Befindlichkeit, sondern gibt etwas vor, um sich nicht völlig zu offenbaren. So kann es auch unerwünscht sein, die nichtsprachlichen Ausdrucksformen anzusprechen. Nicht jeder Patient möchte sein Inneres erkennbar machen und sich dann auch noch rechtfertigen oder entschuldigen müssen.

Emotionale Kompetenz kostet nichts, bringt im Praxisalltag aber sehr viel. Es schafft Vertrauen und verstärkt die Praxisbindung. Die Arbeit wird für den Praxisinhaber und das Team zwar nicht weniger, aber angenehmer. Freundlichkeit ist ein automatisches Tauschgeschäft: Wer sie anbietet, erhält sie auch von den Patient:innen zurück.

Reaktion auf ängstliche Patient:innen

Ängste und Bedenken der Patient:innen reduzieren ihre positive und gelassene Einstellung. Ein angstfreier Zustand und Gelassenheit kann die innere Einstellung wesentlich verbessern. Reduziert sich die Angst, steigt die Akzeptanz der Behandlung und Behandlungstermine werden nicht bis "fünf vor zwölf" aufgeschoben. Ein angstfreier Zustand verbessert sogar die Immunabwehr und kann Schmerzen lindern. Ängste vor Schmerzen aktivieren den rechten präfrontalen Cortex und vermindern dabei die Immunabwehr im Körper. Mit Einfühlungsvermögen und guter Beobachtung erkennen Ärzt:innen die Ängste der Patient:innen und können entsprechend darauf reagieren. Gefühle können zunächst emotional mit der Anteilnahme beantwortet werden: "Ich weiß, das ist jetzt unangenehm, aber Sie schaffen das." Zweckmäßig ist es, dem Patienten zu vermitteln, dass er nicht der Einzige ist, der sich vor der Behandlung fürchtet, hierdurch fühlt er sich nicht isoliert. Statt zu warten, bis der Patient seine Befürchtungen zum Ausdruck bringt, kann der Arzt durch "Antizipation negativer Gefühle" seine Empathie schon im Vorfeld vermitteln. Dabei versetzt er sich selbst in die Situation des Patienten und erklärt z.B.: "Mir geht es genauso, da mache ich mir auch Gedanken."

Bad News – schlechte Nachricht für Patient:innen

Hat der Arzt keine gute Nachricht für den Patienten, kann das für ihn wie ein Schock wirken, auch wenn er sich darüber nicht äußert. Empfehlungen über Medikamenteneinnahme, Ausstellen von Rezepten sprechen den Verstand des Patienten an. Bei der Behandlung sollte jedoch noch Zeit bleiben für Verständnis-Formulierungen, die die Gefühlsebene ansprechen. Patient:innen möchten für ihre Ängste und Befürchtungen Verständnis hören, auch wenn man ihnen dieses Bedürfnis nicht gleich ansieht. Mit etwas Empathie erreicht man das. Befunde und Therapien können den Patient:innen Sorgen bereiten. Für sie kann das z. B. bedeuten, dem Arbeitgeber klarmachen zu müssen, dass innerhalb der Arbeitszeit Behandlungen wahrgenommen werden müssen oder sogar eine Kur ansteht. Ist die Karriere durch die Krankheit ausgebremst? Die eigene Enttäuschung und die des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen kann sehr belastend sein. Dies von Arztseite anzusprechen und das Angebot zu machen, nach einem bestmöglichen Behandlungstermin zu suchen, kann u.U. direkt entlastend wirken.

Auch die MFAs mit ins Boot holen

Patient:innen erleben das freundliche Verhalten des Praxispersonals nicht isoliert, sondern repräsentativ für die ganze Praxis. Manche schließen vom Personal am Empfang schon auf die Behandlung, bei sympathischen Mitarbeiterinnen übertragen sich positive Gefühle auf das gesamte Leistungspaket der Arztpraxis. Alles, was ein Patient wahrnimmt, wird dann mit einem positiven Marker versehen. Das reduziert u. U. sogar die Preissensibilität bei Zuzahlungen.

Wertschätzung und Wohlwollen spürt der sensible Mensch schon am Telefon bei der Terminabsprache. Da kann es in der Hektik des Praxisalltags bei der MFA versehentlich zu negativen Formulierungen kommen: "Das geht nicht." Oder: "Da habe ich keinen Termin." (Positiver: "Passt es Ihnen auch am… oder am…?"). Auch die Worte "leider nicht" wirken negativ. Sätze wie "Sie müssen…" und "Sie dürfen keinesfalls…" werden ebenfalls nicht positiv aufgenommen, lassen sich aber leicht umformulieren in "Bitte beachten Sie…". Mit "Danke für Ihr Verständnis" und "Bitte denken Sie an…" ist die Außenwirkung direkt positiver.

Für die MFA kann es am Empfang und am Telefon schnell stressig und hektisch werden. Hier ist es wichtig, die Gefühle zu regulieren, um Patient:innen positiv begegnen zu können. Je früher aufkommender Frust erkannt wird, desto leichter ist es, sich positiv zu programmieren. Manchen ist die positive Ausstrahlung in die Wiege gelegt, sie sind einfach immer gut drauf und beeinflussen dadurch die Patient:innen, beseitigen Ängste, schaffen Vertrauen. Entspricht Freundlichkeit der inneren Einstellung, wirkt sie authentisch und nachhaltig und auch gestresste Menschen entspannen sich eher. Der Appell an sich selbst, "ich muss jetzt sympathisch wirken", ist nur eine Notlösung. Eine natürliche Freundlichkeit entsteht nie unter Druck.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Erkennen Sie Emotionen und können darauf eingehen, wirkt sich das positiv auf die Behandlung aus.
  • Emotionen liefern ein gutes Gesprächsklima.
  • Empathie gehört zur emotionalen Kompetenz.
  • Wie es in den Wald schreit: Mit positiver Einstellung ändert man auch muffelige Patient:innen.
  • Bei ängstlichen Patienten hilft die "Antizipation negativer Gefühle".



Autor

Rolf Leicher

Dipl.-Betriebswirt
Fachautor für Betriebs-, Personalführung und Marketing
69118 Heidelberg



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (4) Seite 50-51