Seit 1971 versuchen die Médecins Sans Frontières (MSF), zu Deutsch: Ärzte ohne Grenzen, Menschen in Notsituationen beizustehen. Ärzte ohne Grenzen wird aktiv, wenn das nationale Gesundheitssystem nicht mehr willens oder in der Lage ist, den Betroffenen zu helfen. Dies ist meist der Fall bei bewaffneten Konflikten sowie den Folgen von Flucht und Vertreibung, bei Epidemien und Naturkatastrophen. Unser Autor, der Allgemeinarzt Dr. Volker Westerbarkey, war vier Jahre lang Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Hier schreibt er über die steigende Notwendigkeit und die aktuellen Herausforderungen der humanitären Hilfe.

Weltweit sind derzeit so viele Menschen in Not wie selten zuvor. Millionen Menschen sind von Kriegen betroffen wie im Jemen, in Syrien oder der Zentralafrikanischen Republik. Mehr als 70 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht vor Gewalt und Verfolgung oder aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wie zum Beispiel in Syrien, Bangladesh oder Nigeria. Sie alle sind dringend auf Hilfe angewiesen, denn auf der Flucht haben sie oft keinen ausreichenden Zugang zu überlebenswichtigem Wasser, zu Nahrung oder notwendiger medizinischer Versorgung. Genau diese Hilfe leisten wir von Ärzte ohne Grenzen.

Hilfe nach Katastrophen und in Kriegsgebieten

Ärzte ohne Grenzen ist eine medizinische humanitäre Nothilfeorganisation. Als internationales Netzwerk bestehend aus 24 Mitgliedsverbänden, von denen die deutsche Sektion einer ist, leisten wir Hilfe in rund 70 Ländern weltweit. Wir helfen Menschen in Not, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer religiösen oder politischen Überzeugung, und machen zugleich öffentlich auf ihre Lage aufmerksam. Das ist das Mandat, das die Gründer der Organisation 1971 gegeben haben.

Ein aktuelles Beispiel unserer Arbeit ist unser Einsatz in Mosambik nach dem Zyklon Idai im März 2019, in dessen Folge viele tausend Menschen ihre Häuser verloren haben. Unsere Teams – immer bestehend aus MedizinerInnen, Pflegekräften und LogistikerInnen – waren innerhalb weniger Tage vor Ort und haben unter anderem einen Cholera-Ausbruch bekämpft.

In der Demokratischen Republik Kongo ist Ärzte ohne Grenzen seit vielen Jahren aktiv, derzeit unter anderem bei der Bekämpfung des größten Ebolaausbruchs des Landes, der noch immer nicht unter Kontrolle ist. Das liegt unter anderem an der schlechten Sicherheitslage in der Region, die es den Helfern erschwert, die Menschen zu erreichen. Im Osten des Kongo sind wir mit einer beispiellosen Vierfachkrise aus Ebola, Gewalt, Malaria und Masern konfrontiert – in einer Region, in der das Gesundheitssystem so schwach ist wie kaum irgendwo sonst.

Ein weiterer großer Einsatz ist derjenige im Jemen, in dem seit mehr als vier Jahren erbittert Krieg geführt wird. Etwa 20 Millionen Menschen sind dort auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ärzte ohne Grenzen arbeitet im Jemen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern in 12 Krankenhäusern und Gesundheitszentren und unterstützt mehr als 20 weitere Einrichtungen.

Spendenkonto von Ärzte ohne Grenzen
Wer die Ärzte ohne Grenzen unterstützen möchte, kann dies über eine Spende tun. Dafür kann man folgendes Spendenkonto verwenden:
  • Empfänger: Ärzte ohne Grenzen
  • IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00
  • BIC: BFSWDE33XXX
  • Bank für Sozialwirtschaft
Ausführlichere Informationen zur Verwendung der Spenden findet man unter http://www.aerzte-ohne-grenzen.de . Dort kann man auch online spenden.

Unparteiisch, unabhängig, neutral

Am Beispiel des Jemen lässt sich gut erklären, wie wichtig die Einhaltung der humanitären Prinzipien für unsere Arbeit ist: Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität. Sie sind unerlässlich, damit Menschen in Not in Ländern, die von Krieg und Gewalt geprägt sind, in Sicherheit zu uns kommen und unsere Teams sicher und beständig ihre Hilfe leisten können.

Unparteilichkeit bedeutet, dass die Hilfe ausschließlich nach Maßgabe der Bedürftigkeit geleistet wird, ohne Diskriminierung. Ethnische, politische, ökonomische oder andere Bevorzugungen sind nicht zulässig. Hilfe, die nicht unparteiisch ist, die also eine bestimmte Gruppe anderen vorzieht, ist immer noch Hilfe, aber sie ist nicht humanitär. Sie wird eher als Teil einer politischen Agenda geleistet.

Unabhängigkeit bedeutet, dass unsere Arbeit nicht von politischen Vorgaben, militärischen Verbänden oder staatlichen Geldern abhängt. Denn solche Abhängigkeiten bedeuten eine Parteinahme oder werden von den Konfliktparteien als solche verstanden. Dass wir unsere Hilfe völlig unabhängig leisten können, machen allein unsere privaten Spender möglich. Denn Ärzte ohne Grenzen finanziert die Projekte aus Privatspenden, nicht über öffentliche Gelder.

Neutralität ist für unsere Arbeit im Jemen besonders wichtig. An wenigen Orten wird das so deutlich wie in der Stadt Tais. Dort stehen sich die Kriegsparteien direkt gegenüber. Das Stadtzentrum ist eine Enklave der Hadi-Regierung, die von der "Ansar Allah"-Bewegung der Huthis umzingelt wird. Wir helfen auf beiden Seiten des Konfliktes. Damit wir in Sicherheit unsere Arbeit machen können, müssen alle Konfliktparteien verstehen, dass wir uns keiner Seite zugehörig fühlen.

Hilfe auf der Flucht bis an die Grenzen Europas

Neben Katastrophen, Krankheiten und Kriegen ist die Hilfe für Flüchtlinge, Vertriebene und Migranten ein zunehmend wichtigerer Teil unserer Arbeit. Diese Menschen leiden oft unter extrem großer Not und sind, fernab von ihrer Heimat, besonders schutzlos.

Wir sehen das tagtäglich unter anderem in unseren Projekten in Mexiko, Uganda oder im Libanon. Aber auch in Bangladesh, wo einer unserer größten Einsätze im vergangenen Jahr war. Etwa 900.000 Rohingya, die aus Myanmar vor militärischer Gewalt fliehen mussten, leben dort in einem gigantischen Flüchtlingslager. Wir leisten neben medizinischer Grundversorgung für die Menschen dort auch psychologische Hilfe und kümmern uns um bessere Wasser- und Sanitärversorgung.

Auch in Europa brauchen Menschen Hilfe

Aber auch in Europa und an seinen Außengrenzen brauchen Menschen auf der Flucht zunehmend unsere Hilfe – oft aufgrund staatlicher Politik, deren Priorität nicht mehr Schutz und Hilfe für Menschen in Not ist, sondern die Abschottung des eigenen Territoriums. So sehen wir es angesichts der vielen Toten im Mittelmeer und der staatlichen Untätigkeit als unsere Aufgabe an, Menschen aus Seenot zu retten, die aus dem kriegsgeschüttelten Libyen fliehen. Seit 2015 haben unsere Teams auf mehreren Schiffen beinahe 80.000 Menschen aus Gefahr gerettet. Doch die Seenotrettung gerät immer stärker unter politischen Druck vonseiten der europäischen Regierungen. Dass der zutiefst menschliche Akt der Seenotrettung von ihnen gezielt behindert wird und deswegen weiterhin Menschen an den Grenzen Europas sterben, ist unerträglich. Für Menschen, die aus Libyen vor Gewalt und Missbrauch über das Mittelmeer fliehen, ist die riskante Flucht oft die einzige verbleibende Hoffnung.

In Libyen selbst werden derzeit etwa 5.800 Geflüchtete unter katastrophalen Bedingungen in Internierungslagern gefangen gehalten, oft mitten im Kampfgebiet. Unsere Teams sind in mehreren davon tätig und behandeln dort Menschen, die unter Krankheiten und Mangelernährung sowie den Folgen von Folter, Gewalt und Vergewaltigungen leiden. Erst kürzlich starben etwa 60 Menschen in einem Internierungslager in Tripolis, das aus der Luft bombardiert wurde.

Die Folgen der Flüchtlingspolitik

Die schrecklichen Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik zeigen sich auch auf den griechischen Inseln Lesbos und Samos, wo tausende Menschen in völlig überfüllten Flüchtlingslagern unter inakzeptablen Bedingungen leben müssen, während sie auf das Asylverfahren warten. Die meisten stammen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Sie fliehen vor Krieg und Gewalt in ihrer Heimat. Unsere Teams versorgen diese Menschen medizinisch und psychologisch. Zugleich prangern wir die katastrophalen Folgen der EU-Politik für die Menschen immer wieder öffentlich an – ein Beispiel dafür, dass wir auch Sprachrohr sind für Menschen in Not.

Humanitäre Hilfe für unsere Zukunft

Angesichts der weltweiten Kriege, Krisen und Ausgrenzung ist humanitäre Hilfe heute wichtiger denn je. Zunehmende gewalttätige und politische Angriffe auf die humanitäre Hilfe zeigen aber gleichzeitig, dass humanitäre Hilfe derzeit so stark infrage gestellt wird wie nie zuvor. Diesem Trend müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Wenn wir Menschen in Not helfen, helfen wir der Welt, helfen uns selbst, dass unsere Zukunft eine bessere sein wird.



Autor:
Dr. Volker Westerbarkey

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (1) Seite 70-72