Ob Pharyngitis, Sinusitis oder Bronchitis – die meisten dieser Infektionen werden durch Viren ausgelöst. Daher sind Antibiotika in der Regel nutzlos und sogar kontraproduktiv. Was sind mögliche Folgen einer nicht indizierten Antibiotikaverordnung? Und was tun, wenn Patient:innen dennoch darauf bestehen?

Antibiotika werden in Deutschland größtenteils – zu ca. 65 % – von Allgemeinärzt:innen verordnet, erklärte PD Dr. med. Ulrich Seybold, Infektionsambulanz am Klinikum der Universität München (LMU), beim Forum für Medizinische Fortbildung (FOMF) in München.

Bei Erwachsenen spielen Fluorchinolone und Sulfonamide/Trimethoprim eine größere Rolle, bei Kindern dominieren Makrolide/Lincosamide und Basispenicilline. Unter den sogenannten Reserveantibiotika steht das Cefuroxim an erster Stelle. Zu bedenken ist dabei, dass bei oraler Gabe im Vergleich zur i.v.-Gabe wesentlich geringere Wirkspiegel erreicht werden und zugleich die Resistenzraten bei oraler Gabe um ein Vielfaches höher liegen. Mit anderen Worten: "Hände weg vom Cefuroxim per os!", warnte Dr. Seybold. Es gibt gute Alternativen – je nach Situation z.B. ein Erste-Generation-Cephalosporin oder ein Aminopenicillin. Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika bergen zudem das Risiko lang anhaltender und möglicherweise irreversibler Nebenwirkungen, z.B. Clostridium-difficile-Infektionen oder Aortenaneurysma/-dissektion. Deshalb gab es 2019 einen Rote-Hand-Brief zu den Fluorchinolonen.

Fünf Fragen, die Sie bei jeder kalkulierten Antibiotikagabe klären müssen, sind:

  1. Was ist das klinisch definierte Syndrom?
  2. Welche Diagnostik ist notwendig?
  3. Welche Erreger treten auf?
  4. Sind Antibiotika indiziert und falls ja, welche?
  5. Ist eine spezifische individuelle Anpassung nötig?

Werden Antibiotika eingesetzt, muss nach 48 bis 72 Stunden eine Reevaluation erfolgen. Dabei gilt es zu prüfen, ob die Therapie verträglich und wirksam ist, ob sie ggf. angepasst werden muss und wie lange behandelt werden sollte.

Pharyngitis

Hierzu präsentierte Dr. Seybold ein Fallbeispiel: Frau B., 28 Jahre alt, hat seit einem Tag Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Sie hat keine Vorerkrankungen und nimmt keine Medikamente ein. Die Temperatur beträgt 38,5 oC, die zervikalen Lymphknoten sind geschwollen. Die Tonsillen weisen Eiterbeläge auf. In diesem Fall ist das klinisch definierte Syndrom, das Sie behandeln, die Pharyngitis, erklärte der Infektiologe. An Diagnostik empfiehlt sich u. a. ein Abstrich. Da es sich auch um eine Epstein-Barr-Virus-Infektion handeln könnte, sollte man auch einen Blick auf die Lymphknoten in Achseln und Leisten werfen, die bei einer Epstein-Barr-Virus-Infektion ebenfalls geschwollen sind, nicht aber bei einer Streptokokken-Infektion. Die relevanten bakteriellen Erreger der Pharyngitis sind Streptococcus pyogenes (GA) und eher bei jüngeren Menschen (13 bis 40 Jahre) Fusobacterium necrophorum. Diese Erreger können zum einen Krankheiten auslösen, zum anderen können Sie durch deren Therapie für die Patient:in etwas Positives bewirken, z. B. die Verhinderung von rheumatischen oder nephrologischen Spätkomplikationen, vor allem aber die Verhinderung der Weiterverbreitung der Bakterien.

Laut der sogenannten ESCMID-Leitlinien sind Hinweise auf eine Pharyngitis fehlender Husten, Tonsillenbelag, Fieber und schmerzhafte Halslymphknoten. Ist dann noch der Schnelltest für Gruppe-A-Streptokokken positiv, ist eine Pharyngitis, die antibiotisch behandelt werden sollte, sehr wahrscheinlich. Primär sollte man dann hochdosiertes Penicillin V oder G wählen (z. B. Penicillin V 4 x 1,2 MIE über fünf Tage). Gemäß einem systematischen Review konnte kein Wirkungsvorteil anderer Antibiotika im Vergleich zu Penicillin festgestellt werden.

Akute Sinusitis

Nur bei Hospitalinfektionen ist eine mikrobiologische Diagnostik indiziert. Häufig sind Viren die Auslöser. Häufige bakterielle Erreger sind S. pneumoniae, H. influenzae, M. catarrhalis, S. aureus und S. pyogenes. In den allermeisten Fällen reichen Lokal- und Allgemeinmaßnahmen aus. Nur bei Persistenz ist Amoxicillin und bei komplizierten Verläufen AmoxiClav indiziert, alternativ bei Allergien Cefpodoxim, Makrolid, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Clindamycin oder Doxycyclin.

Pertussis

Ein klinischer Verdacht ist unbedingt zu sichern durch PCR oder Kultur. Hierbei ist in der frühen Phase (erste zwei bis drei Wochen) eine Antibiotikatherapie indiziert, schon allein, um eine Ansteckung zu vermeiden. Empfohlen wird ein Makrolid über 5 bis 7Tage, alternativ TMP/SMX über 14 Tage. Wichtig ist, die Pertussis-Impfung regelmäßig aufzufrischen: bei Kontakt mit kleinen Kindern oder Tätigkeit im Gesundheitssystem alle zehn Jahre sowie bei Frauen in jeder Schwangerschaft. Außerdem ist eine Pertussis-Infektion meldepflichtig!

Husten

Ein typischer Fall: Ein 60-jähriger Patient hat seit einer Woche Husten sowie Hals- und Kopfschmerzen, seit zwei Tagen leicht erhöhte Temperatur (38,5 oC), das Röntgenbild ist unauffällig. Da in der Woche danach eine Fernreise geplant ist, wünscht der Mann die Verordnung eines Antibiotikums. Was tun? Hilft man dem Patienten durch die Antibiotikagabe wirklich, schneller wieder auf die Beine zu kommen? Gemäß einer großen Cochrane-Analyse, die den Einfluss von Antibiotika bei akuter Bronchitis untersucht hat, hatte keine einzige Einzelstudie einen signifikanten Effekt. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Symptomdauer einer acht- bis zehntägigen Erkrankung durch Antibiotika um im Schnitt einen halben Tag reduzieren lässt. Diesem minimalen Gewinn steht aber die drohende Gefahr immer weiter steigender Antibiotika-Resistenzen bei nicht indiziertem Einsatz von Antibiotika gegenüber. Das allein wird den Patienten vermutlich nicht überzeugen. Ein Argument, was eher verfangen dürfte, ist die Aussage, dass Antibiotika auch Nebenwirkungen verursachen können, wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Kopfschmerzen oder Ausschlag, was ja die Flugreise auch verhindern könnte. Hinzu kommt, dass man durch jede Antibiotikagabe das Mikrobiom verändert. In einer anderen Studie wurde untersucht, wie hoch innerhalb von 90 Tagen nach einer Antibiotikatherapie das Sepsis-Risiko war. Ergebnis: Das Risiko stieg um mindestens 50 %, bei allerdings eher geringen Absolutzahlen. Behandelt wurde mit Fluorchinolonen, Betalactamaseinhibitoren, Lincosamidenund Cephalosporinen höherer Generationen. Außerdem kann die Veränderung des Mikrobioms auch Spätfolgen haben. So konnte man belegen, dass das Risiko eines M. Parkinson im späteren Leben mit der Anzahl der Antibiotika-Einnahmezyklen und mit steigendem Abstand zwischen den einzelnen Zyklen zunahm.

Man sollte also in Situationen, in denen Antibiotika nicht oder sehr wenig helfen, besser darauf verzichten, also etwa bei Patient:innen mit unkomplizierten akuten oberen Atemwegsinfektionen inklusive Bronchitis. Was können Sie dem Patientennun raten außer "Abwarten"? Könnte Echinacea eine Alternative sein? Gemäß einem Cochrane-Review und einem Update dazu hatte Echinacea keinen Einfluss auf die Symptome und die Erkältungsdauer. Pelargonium sidoides bewirkt laut einer Cochrane-Analyse möglicherweise eine geringe Symptomlinderung. Gemäß einer kleineren Untersuchung, die vom Hersteller selbst stammt, hat sich die Substanz als effektiv, sicher und gut verträglich erwiesen. In vitro hat Pelargonium sidoides auf jeden Fall antivirale Effekte gezeigt.

Nützen Hustenbonbons? Der süße Geschmack hebt die Hustenschwelle und Menthol könnte möglicherweise über eine Kreuzreaktion mit einem Hustenrezeptor wirken, erklärte Dr. Seybold. Die Kombination "süß und Menthol" könnte also den Husten etwas lindern.

Eine große internationale Studie, die Alternativen zum Antibiotikum bei Husten, assoziiert mit Erkältung, untersuchte, kam zu folgenden Schlüssen:

  • N-Acetylcystein wirkt nur, wenn man es sechs bis sieben Tage einnimmt.
  • Für Erwachsene zeigte sich ein geringer Effekt für die Kombination aus Dextromethorphan, Doxylamin, Paracetamol und Ephedrin (z. B. Wick MediNait).
  • NSAR bei Erwachsenen hatten keinen Effekt, was die Verkürzung der Krankheit angeht.
  • Bei ansonsten gesunden Erwachsenen könnten Lutschtabletten helfen.
  • Bei Kindern zwischen 1 und 18 Jahren helfen Honig und Dextromethorphan ein bisschen.
  • Kinder unter 18 Jahren sollten kein Codein erhalten. Es bewirkt keine Verkürzung der Krankheitsdauer, aber eine Symptomlinderung.
  • Keine ausreichende Evidenz bei Kindern und Erwachsenen ergab sich – weder dafür noch dagegen – für andere OTC, Antitussiva, Expektoranzien, Mucolytica, Antihistaminika und Kombinationspräparate.

Verzögerter Antibiotikaeinsatz

In einer Studie wurden drei Handlungsalternativen in einer wie oben beschriebenen Situation verglichen: sofortige Antibiotikagabe, verzögerte Antibiotikagabe mit dem Rat, das Antibiotikum erst bei Verschlimmerung einzunehmen, und keine Antibiotikagabe. Die Komplikationsraten waren in allen drei Gruppen vergleichbar. Auch die Patientenzufriedenheit unterschied sich nur leicht. Aber in der "Sofort-Antibiotika-Gruppe" nahmen 93% der Patient:innen das Antibiotikum dann auch ein, in der verzögerten Gruppe nur 31%. Eine verzögerte Antibiotikatherapie mit guter Aufklärung des Patienten über die möglichen Gefahren des Antibiotikaeinsatzes, ohne ihm seinenWunsch rigoros abzuschlagen, scheint also eine gute Strategie zu sein.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei unkomplizierten Infekten der oberen Atemwege sollte man besser auf Antibiotika verzichten.
  • Bei Patientenwunsch könnte eine verzögerte Antibiotikagabe eine gute Strategie sein.
  • Antibiotika können auch Nebenwirkungen verursachen.



Autorin
Dr. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (1) Seite 45-47