Das Klistier – der Einlauf – gehört zu den ältesten bekannten Arzneiformen. Die alten Ägypter sahen im heiligen Ibis – einem storchähnlichen Vogel – den Erfinder des Einlaufs. Sie beobachteten, wie der Ibis angeblich seinen langen, mit Wasser gefüllten Schnabel in den After steckte. Doch in Wahrheit führte der Vogel keine Darmspülung durch, sondern wollte nur sein Gefieder mit dem Sekret seiner Steißdrüse einfetten.

Der Begriff „Klistier“ leitet sich aus dem Griechischen von „klysteer“ (Spüler) bzw. „klysterion“ (Reinigung) ab. Zu einem Klistier gehört eine Flüssigkeit, die mittels eines Klistiergerätes, z. B. einer Klistierspritze, in den Enddarm eingeleitet wird. Seit der Antike wurden Klistiere zwecks Stuhlentleerung sowie der Applikation von Arzneimitteln und auch Nährstoffen eingesetzt. Auf diese Weise wollte man Kranke ernähren, die keine Speisen mehr aufnehmen bzw. im Körper behalten konnten. Als Nährklistiere wurden einzeln oder als Mischungen Brühen, Weine, Schleime, Milch, Eidotter und püriertes Kapaunfleisch verwendet.

Der Arzt – der „Hüter des Darmes“

Bei Ausgrabungen im Pyramidenfeld von Gizeh fanden Archäologen im Jahr 1926 eine türartige Steinplatte. Sie zeigt den Hofarzt Iry in verschiedenen Körperhaltungen. Ihm hatte der Pharao den Titel „Hüter des königlichen Darmausgangs“ verliehen. Denn schon 3 000 Jahre v. Chr. war man in Ägypten der Meinung, dass Krankheiten durch Stauungen von Atemluft, Blut, Schleim und anderen Körpersäften sowie nicht zuletzt durch eine Darmverstopfung entstünden. Aber auch „Krankheitsdämonen“ verließen nach Meinung der alten Ägypter über den Darm den Körper, wobei ein Einlauf diesen Abgang beschleunigen würde. Als Einlaufflüssigkeit verwendete man laut dem Papyrus Ebers, einem Dokument der antiken ägyptischen Medizin, bei Verstopfung Ochsengalle, Öle oder wässrige Pflanzenauszüge. Sie wurden vom Arzt mittels eines an der Spitze abgeschnittenen Rinderhorns in den „After eingegossen“. Aber auch im alten Mesopotamien und Griechenland waren Einläufe sehr beliebt.

Wie ein erfahrener „Klistier-Setzer“ damals vorging,
beschreibt der folgende Bericht: „Im Augenblicke der Operation muß der Kranke jeden hinderlichen Schleier heben: er wird sich auf die rechte Seite legen, die Kniee nach vorn ziehen und Alles das, was von ihm verlangt, ohne Scheu und falsche Scham zeigen. Der Operateur seinerseits, als geschickter Taktiker, wird den Platz nicht mit Sturm einnehmen wollen, sondern wie ein geschickter Tirailleur (Soldat), der geräuschlos vorgeht, das Gesträuch und die hindernden Kräuter entfernt oder niederbiegt, still steht, mit den Augen sucht und der, sobald er des Feindes ansichtig geworden ist, sich fertig macht, dann losdrückt: ebenso wird der Operateur mit Geschicklichkeit und Umsicht handeln und nicht eher eine einzige Bewegung ausführen, bis er den Visirpunkt gefunden. Alsdann wird er mit Ehrerbietigkeit ein Knie zur Erde beugen, das Instrument mit der linken Hand ohne Überstürzung noch Ungestüm herbeibringen, die Druckpumpe amoroso niedersenken und mit Behutsamkeit und ohne Stösse in Bewegung setzen, pianissimo.“

Der Einfluss des Hippokrates

Nach dem berühmten griechischen Arzt Hippokrates (460 – 377 v. Chr.) beruht Gesundheit auf einem Gleichgewicht der Körpersäfte, was besonders für die Verdauungsorgane wichtig war. Eine Obstipation wurde damals als Ausdruck für ein Ungleichgewicht der Körpersäfte gewertet. Deshalb sollte ein Einlauf die Verstopfung beseitigen und die überschüssigen, krankmachenden Körpersäfte entfernen. Die Einlaufflüssigkeiten bestanden im Wesentlichen aus Gemischen von Wein, Öl, Milch, Honig und Wasser, denen z. B. bestimmte Pflanzenauszüge zugesetzt waren.

Die Lehre von den Körpersäften bestimmte bis ins 19. Jahrhundert die praktische Medizin. Deshalb waren Aderlass, Schröpfen und Klistieren jahrhundertelang die häufigsten Behandlungsmethoden in Prophylaxe und Therapie. Als man sich Mitte des 19. Jahrhunderts von der Säftelehre distanzierte, verlor auch die Darmreinigung und damit das Klistier an Bedeutung. Jedoch wurden Teile der Säftelehre in die sich entwickelnde Naturmedizin übernommen. So sind naturheilkundige Therapeuten oft der Meinung, dass es bei einer Verstopfung zur Selbstvergiftung des Organismus komme, die Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, unreine Haut auslöst. Deshalb empfiehlt die Naturmedizin häufig, bestimmte Kuren (z. B. Frühjahrskuren usw.) mit Einläufen bzw. Laxanzien zu beginnen. Ein wissenschaftlicher Nachweis für diese Theorie fehlt bis jetzt noch!

Aus Schamgefühl zum Selbstklistier!

Im Mittelalter setzten Ärzte, Chirurgen und Techniker nicht mehr das Kuhhornklistier der Antike ein. Im 15. Jahrhundert wurden die ersten Klistierspritzen aus Metall, bestehend aus Gewinde, Kolben, Stempel und Kanüle, zum Einführen in den Enddarm konstruiert. Doch immer noch gab es viele Menschen, die aus Schamgefühl das Klistier ablehnten. Um auch schamhafte Patienten für das Klistier zu gewinnen, verbesserte der Arzt Reinier de Graaf (1641 – 1673) das von dem französischen Chirurgen Ambroise Paré (1510 – 1590) erfundene Gerät zum Selbstklistieren, das aber unpraktisch war und häufig zu Verletzungen der Patienten führte. De Graaf fügte zwischen Kolbenspritze und Einführungskanüle ein ausreichend langes und biegsames Zwischenstück ein. Es bestand anfangs aus einem Geflügeldarm, wurde später aber durch einen Lederschlauch ersetzt. Diese Konstruktion ermöglichte es jedem, sich ein Klistier zu verabreichen, ohne auf die Hilfe anderer Personen angewiesen zu sein.

Die Blütezeit des Klistierens!

Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert entwickelte sich eine regelrechte Klistier-Sucht. Das Klistieren wurde zum modischen Gesundheitsritual. Man reinigte nicht nur den Darm, sondern der Einlauf galt als probates Mittel, um jung und gesund zu bleiben sowie sich eine jugendliche Haut zu erhalten. Deshalb galt das tägliche Klistier als wichtige Gesundheitspflege. Doch erst Ludwig XIV. (1638 – 1715) verhalf der Klistier-Mode in allen europäischen Ländern zum Durchbruch. Denn der Gesundheitszustand des Herrschers war eine Staatsangelegenheit und damit von öffentlichem Interesse. So wurde die medizinische Behandlung des Sonnenkönigs – auch das Klistieren – in Anwesenheit des Hofstaates durchgeführt. Aus den Aufzeichnungen der Leibärzte ist bekannt, dass sich Ludwig von 1647 bis 1715 etwa 2 000 Kuren mit Abführmitteln, mehreren hundert Klistieren, aber „nur“ 38 Aderlässen unterzog. Die Ärzte wollten besonders die Esslust des Königs mit Klistieren und Abführmitteln reduzieren.

Die Apotheker wurden reich – und verspottet!

Das Klistier wurde in Europa zum täglichen Gesundheits-Zeremoniell. Und wenn man „in“ sein wollte, nahm man daran teil und sprach auch darüber. Adlige, Geistliche, reiche Bürger, Kaufleute, Akademiker und alle, die etwas auf sich hielten, ließen sich jeden Tag ein „Klistier setzen“. Es gab sogar Klistierspritzen aus Silber, Schildpatt oder Perlmutt und manche sammelten sie sogar. Meist waren es die Apotheker, die die Klistiere verabreichten. Die Ärzte schrieben das Rezept aus, die Apotheker stellten die Einlaufflüssigkeit her und übernahmen auch die Applikation. Dazu kamen die Patienten in die Apotheke oder die Apotheker führten Hausbesuche durch. Die Einlaufflüssigkeiten bestanden damals aus Gemischen von Kräuterdekokten, Weißwein, Orangenblütenwasser, Bergamonöl, Knabenurin und wohlduftenden Wässerchen. Und die Kirche diskutierte, ob es denn statthaft sei, während der Fastenzeit ein Nährklistier zu verabreichen. Das Klistiersetzen war für die Apotheker ein einträgliches Geschäft. Es brachte dem Berufsstand aber auch viel Spott und Hohn ein. Denn das Thema bot genügend pikanten Stoff für Literatur, Schauspiel und Malerei. Die Komödie „Der eingebildete Kranke“ des Schauspielers und Dramatikers Molière aus dem Jahr 1673 machte das Klistieren zu einem überall beliebten Gesprächsstoff und damit noch populärer.

Das Ende des Klistiers

Die große Zeit des Einlaufs war mit Beginn des 19. Jahrhunderts vorbei. Über 200 Jahre hat er das medizinische Handeln der Ärzte beherrscht und sich zu einem Gesundheitsritual entwickelt. Beerbt wurden die Klistiere von den Suppositorien und Mikroklysmen.

Ernst-Albert Meyer


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (7) Seite 72-73