Der zunehmend instabile Zustand des Weltklimas beeinflusst maßgeblich die eigene Gesundheit und die von Patient:innen, warnt Planetary Health. Mit einem fundierten Wissen über diese Zusammenhänge und der dafür nötigen Sensibilität könnten insbesondere Hausärzt:innen vielfältige Anknüpfungspunkte an Planetary-Health-Themen finden. Doch wie sehen diese konkret aus und können diese auch gut in den Praxisalltag integriert werden?

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors|today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Eine Grundvoraussetzung ist, dass Allgemeinärzt:innen erst einmal selbst in ihrer Praxis klimakonform handeln und leben. Ihr Beispiel kann für Patient:innen motivierend und leitend sein. Dann müsse zunächst geklärt werden, welche Art der klimagerechten Gesundheitsberatung im individuellen Fall tatsächlich greift: So kann es in einem Fall hilfreicher sein, das Gespräch primär auf die individuelle Gesundheit auszurichten. Bei einer anderen Patient:in kann es besser sein, zunächst globale Zusammenhänge aufzuzeigen und daraus dann die notwendige Lebensstiländerung abzuleiten. Und schließlich muss dann auch noch über die Art und Weise der "motivierenden Gesprächsführung" entschieden werden. Fünf Interventionstechniken sind dabei für mögliche Verhaltensänderungen besonders erfolgversprechend: offene Fragen, aktives Zuhören, Nutzung von Aussagen von Patient:innen zur besseren Zielerreichung, Lob für Änderungsbereitschaft und Förderung selbstmotivierender Aussagen (siehe Kasten).

Als Themenfelder, die gut in einer Hausarztpraxis umgesetzt werden können, bieten sich die folgenden fünf Themen an.

Themenfeld 1: Energiesparen durch

  • Umstellung auf reinen Ökostromanbieter
  • Ersatz von "energiefressenden" Geräten
  • Ausschalten von Stand-by-Geräten oder Lüftungsanlagen am Abend und in der Nacht.
  • Duplexdrucke und dabei Umstellung auf eine toner- und tintensparende Schrift (Century Gothic) sowie Nutzung von Recyclingpapier.

Aus der Summation aller Maßnahmen lassen sich in kurzer Zeit spürbare Einspareffekte erzielen.

Themenfeld 2: Medizinisch indizierte Schritte

  • Umstellung der Verordnungen von Dosieraerosolen auf Pulveraerosole bei Inhalatoren etwa für Asthma- oder COPD-Patient:innen
  • Generelle regelmäßige Überprüfung von Medikamentenplänen
  • In Hitzeperioden die Verordnung von Diuretika ggf. reduzieren, die Trinkmenge erhöhen
  • Entsorgung von Arzneimittelresten im Restmüll und nicht in der Toilette
  • Nach Anwendung topischer Medikamente wie etwa einer Diclofenac-Salbe die Hände vor dem Waschen an einem Papiertuch abwischen

Themenfeld 3: Vorbild sein für seine Patient:innen durch

  • Telefon- und Videosprechstunden ausbauen, um sich selbst und den Patient:innen unnötige Wege zu ersparen
  • Hausbesuche so weit wie möglich auf ein (Elektro-)Fahrrad oder ein Elektroauto umstellen
  • Kauf von ökologisch und fair produzierter Praxiskleidung
  • Zusammenhänge zwischen einer ökologischeren Ernährung, dem Klimawandel und der individuellen Gesundheit herstellen

Themenfeld 4: Vorsorgen und Sensibilisieren

  • Mitarbeiter:innen Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs bieten (Fahrtkostenzuschuss, Jobticket)
  • Andockung an das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD), um bei Extremwettereignissen frühzeitig patientenbezogene Schutzmaßnahmen einleiten zu können
  • Aufhängen von Informationsplakaten im Wartezimmerbereich einer Praxis
  • Hitzeampel im Hochsommer bereits an der Anmeldung aufstellen

Themenfeld 5: Politisch Verantwortung zeigen und handeln

  • Mitwirkung an einer Klimademo und dafür möglichst auch die Mitarbeiter:innen gewinnen
  • Verschenken von zum Beispiel "plastikfreien Ozean-Zertifikaten", die als Spende dann entsprechenden Organisationen zugutekommen
  • Überzeugungsarbeit leisten, dass klimagerechtes Verhalten in der Arztpraxis bereits in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Mediziner:innen, aber auch von Gesundheits- und Pflegeberufen stärker verankert wird
  • Aktive Mitarbeit in Organisationen wie etwa der Sektion Klimawandel und Gesundheit der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) oder der "Initiative nachhaltige Praxis" der Health-for-future-Gruppe, die sich aus der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gegründet hat

In kleinen Schritten vorankommen

Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem die Erkenntnis, dass Verhaltensänderungen allein nicht ausreichen, um zu einer Änderung der Verhältnisse zu gelangen. Daher kann eine klimagerechte Hausarztpraxis ihrem Anspruch nur dann gerecht werden, wenn Klimaverhalten und politische Aktivitäten ineinandergreifen. Dies alles hört sich ausgesprochen ambitioniert und zeitintensiv an. Ein solch nachhaltiges Handeln muss jedoch nicht von heute auf morgen im Hauruckverfahren nebenbei im Praxisalltag miterledigt werden. Solche Aktivitäten können sich erst im Rahmen von Prozessen nach und nach entfalten. Doch die bisherige Praxis zeigt: Auch in kleinen Schritten kann man durchaus vorankommen, ohne sich selbst und alle anderen damit zu überfordern!

Klimasensible Gesundheitsberatung
  1. Patient:innen identifizieren! Gibt es bezüglich ihrer Erkrankungen einen Bezug zum Thema Klima und Umwelt?
  2. Veränderungsbereitschaft ausloten! Steht die Patient:in einer Lebensstilveränderung hin zu einem ökologischeren Verhalten aufgeschlossen gegenüber? Wenn nein, sollte die gesamte Thematik nicht weiterverfolgt werden.
  3. Verhaltensänderungen legitimieren! Sind Patient:in oder Praxispersonal für die Thematik ansprechbar, gilt es diese einleuchtend zu begründen und damit weitere Motivationsanreize zu bieten.
  4. Ziele erarbeiten! Gemeinsam ein oder mehrere Hauptziele festlegen (z. B. gesündere Ernährung) und diese in kleine Häppchen aufteilen (z. B. zweimal pro Woche vegetarisch essen).
  5. Umsetzung begleiten! Immer wieder nachfragen, wie die Veränderungen gelingen oder ob von hausärztlicher Seite weitere Unterstützung nötig ist. Ganz wichtig dabei: erste Erfolge herausstellen, würdigen und so das positive Gefühl und die Motivation für die nächsten Schritte stärken.


Literatur beim Verfasser



Autor
Raimund Schmid

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (2) Seite 24-25