Das war schon ein Frontalangriff auf die Allgemeinmedizin, den da Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz und Dr. Uwe Kurzke lanciert haben: In einem Meinungsbeitrag für die Zeitschrift für Allgemeinmedizin (ZFA) behaupten die beiden Allgemeinärzte, dass hausarztspezifische und praxisorientierte Themen zunehmend aus dem Forschungsrepertoire der 36 allgemeinmedizinischen Uni-Institutionen/Abteilungen verschwunden sind.

Nur noch Kochbuch-Medizin?

Weiterhin glauben Abholz und Kurzke, dass sich die Hausarztmedizin mehr und mehr vom "Kranksein" als ursprünglichem Fokus weg und hin zur "Krankheit mit ihrer spezialistischen Ausrichtung" entwickelt hat. Damit ging eine Abkehr vom "bio-psycho-sozialen" und somit vom generalistisch ausgerichteten Fach hin zu einer eindimensionalen und von Leitlinien überfrachteten "Kochbuch-Medizin" einher. Dies habe zwar zur vermehrten Anerkennung des Faches geführt, sei aber auf Kosten der hausärztlichen Praxisrelevanz gegangen.

Diese Behauptungen sind ausgerechnet zu dem Zeitpunkt öffentlich geworden, als die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze (DESAM-ForNet) zu ihrem Zukunftssymposium in Berlin eingeladen hatte. Sechs Forschungspraxennetze und eine Koordinierungsstelle sind im DESAM-ForNet der Stiftung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin inzwischen zusammengeschlossen. Das ist eine ganze Menge, weil Projektleiterin Dr. med. Leonor Heinz hier in jüngster Zeit viel für den Strukturaufbau und die Netzwerkarbeit geleistet hat: Mittlerweile sind 23 universitäre Institute für Allgemeinmedizin integriert, die nun in enger Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen und ihren Praxisteams Pilotstudien durchführen werden. Dabei stehen sie zwar erst am Anfang, aber doch schon unter Erfolgsdruck, denn die Zeit für konkrete praxisbezogene Projekte wird immer knapper. Das Forschungsprogramm wird erst
einmal nur noch bis 2025 mit immerhin bis zu
21 Millionen € gefördert.

Ehrgeizige Pläne

Das ehrgeizige Ziel ist es, bis dahin deutschlandweit 1.700 Praxen zu akkreditieren, die solche praxisrelevanten Themen wie die Übertragung von mehr ärztlichen Tätigkeiten an nichtärztliche Praxismitarbeiter:innen oder die praxistaugliche Gestaltung der sektorenübergreifenden elektronischen Patientenakte konkret anpacken. Da ist schon enorm viel Praxisrelevanz drin. Doch wie passt das mit der Kritik der beiden Allgemeinmediziner zusammen? Gar nicht! Ihr Schlag gegen das Fach ist ein Schlag unter die Gürtellinie und damit ein Rückschlag für die insgesamt aufstrebende Allgemeinmedizin. Mit ihrer Kritik haben sich Abholz und Kurzke allerdings noch weiter von der Praxis entfernt, als es die forschende Allgemeinmedizin früher jemals war. Nur gut, dass die beiden Herren mit ihren Ansichten von gestern in der Allgemeinmedizin von heute und morgen kaum mehr eine Rolle spielen,


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (2) Seite 29