Frage: Meine 36-jährige Patientin leidet seit einer schweren SAB 2015 an einem Locked-in-Syndrom mit Tetraparese, schweren Schluck- und Sprachstörungen. Sie bekommt eine Maximaltherapie mit KG-ZNS, Ergotherapie, Sprach- und Schlucktherapie, muss aber weiterhin durch PEG ernährt werden und hat einen SBK sowie eine Trachealkanüle, allerdings keine Beatmung, nur wegen fehlenden Hustenreflexes Absaugen des Sekretes sowie bei Infekten O2-Gabe. Die Versorgung erfolgt über einen 24-Stunden-Pflegedienst zu Hause. Ihre Motivation ist sehr groß, und sie hat auch schon große Fortschritte gemacht, trotz Rückschlägen wegen Unterschenkelfrakturen bei Osteoporose. Die meiste Zeit verbringt sie aber im Sitzen und Liegen. Jetzt meine Frage: Sie bekommt die ganze Zeit Mono-Embolex® zur Thromboseprophylaxe. Wann kann man es risikolos absetzen oder auf NOAK umstellen?

Antwort

Letztlich sind bei der Frage einer langzeitigen Thromboseprophylaxe und/oder Thrombosetherapie immer Blutungsrisiko und Thromboseverhütung gegeneinander abzugrenzen, also Nutzen und Risiko im individuellen Fall zu prüfen.

Die Leitlinie zur Thromboseprophylaxe empfiehlt eine VTE-Prophylaxe in der ambulanten Medizin in folgenden Situationen:
  • orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Hüftgelenk (28 – 35 Tage postoperativ)
  • orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Kniegelenk (11 – 14 Tage postoperativ)
  • Tumoroperationen im Bauch- oder Beckenbereich (4 – 5 Wochen)

Weiter heißt es in der Leitlinie: "Immobilität ohne akute Erkrankung ist keine Indikation für eine über allgemeine Basismaßnahmen (Bewegungsübungen, adäquate Hydrierung) hinausgehende Thromboembolieprophylaxe. Bei Vorliegen zusätzlicher, dispositioneller Risikofaktoren kann eine der Risikoeinschätzung entsprechende VTE-Prophylaxe erfolgen."

Explizit wird in der Leitlinie auch auf eine Immobilisation ohne akute Erkrankung eingegangen: "Immobilisation ohne akute Erkrankung ist keine Begründung für eine VTE-Prophylaxe, insbesondere nicht für medikamentöse Maßnahmen. Dauerhaft bettlägerige Patienten oder Patienten im Rollstuhl, die zu Hause oder im Heim gepflegt werden, bedürfen keiner über die allgemeinen Basismaßnahmen hinausgehenden Prophylaxe, solange nicht eine schwere, akute und über mehrere Tage anhaltende Erkrankung hinzutritt. Es sollte immer versucht werden, allgemeine Basismaßnahmen einzusetzen (Eigenübungen zur Aktivierung der "Muskelpumpe", ggf. passive Bewegungsübungen, ausreichende Hydratation)."

Die Leitlinie weist außerdem für die Thromboseprophylaxe insbesondere auf folgende zu beachtende Aspekte hin:
  • HIT: v. a. bei der Nutzung von unfraktionierten Heparinen klinische Kontrolle (Hautnekrosen, entzündliche Veränderungen), Kontrolle der Thrombozytenzahl bei unfraktionierten Heparinen
  • Individuelles Blutungsrisiko: hier wäre für die o. g. Patientin interessant zu wissen, wie es denn zu der SAB gekommen ist und ob diesbezüglich ein weiteres erhöhtes Blutungsrisiko besteht
  • Nierenfunktionskontrolle bei niedermolekularem Heparin und Fondaparinux

Leider gibt es keine verlässlichen Angaben zum absoluten Risiko spezieller Patientengruppen. Es bleibt daher nur, eine Abwägung/Aufklärung mit Betrachtung des individuellen VTE-Risikos mit und ohne Prophylaxe sowie der möglichen Nebenwirkungen auf der Basis der Empfehlungen der vorliegenden Leitlinie vorzunehmen.

Problematisch ist die Situation der Patientin besonders, da die von der Leitlinie empfohlenen Basismaßnahmen nur unzureichend umgesetzt werden können. Insbesondere die Eigenübungen und Muskelaktivierungen scheinen ja nur in einem sehr geringen Umfang umsetzbar zu sein. Dennoch wäre zu überlegen – unter Abwägung der individuellen Risikosituation –, ob nicht ggf. auch physikalische Maßnahmen eine Alternative zur medikamentösen Prophylaxe in dieser Situation sein können. Medizinische Kompressionsstrümpfe und apparative intermittierende Kompressionstherapie wirken nicht nur ödemprotektiv, sondern können weitgehend nebenwirkungsfrei auch das Thromboserisiko senken.

Zur Anwendung von DOAKs in derartigen Situationen sind mir leider keine belastbaren Daten aus randomisierten Studien bekannt. Aus Beobachtungsserien gibt es Daten, die besagen, dass DOAKs auch nach einer Hirnblutung eingesetzt werden können und sicher anzuwenden sind. Einige Expert:innen widersprechen diesen Aussagen nach individueller klinischer Erfahrung deutlich und raten dringend davon ab.



Autorin

Dr. med. Stefanie Reich-Schupke

FÄ für Dermatologie und Venerologie
Privatpraxis für Haut- und Gefäßmedizin
45657 Recklinghausen

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 50-51