Für die doctors|today-Printausgabe sprachen mit dem Allgemeinmediziner Dr. Gerhard Trabert, der sich aktuell um das Amt des Bundespäsidenten bewirbt.

Vor Kurzem noch war Dr. Gerhard Trabert mit dem Segelschiff Nadir im Mittelmeer im Einsatz. Das Team der Nadir konnte dabei erneut zahlreiche Menschen, die auf der Flucht vor Tod und Leid in ihren Heimatländern waren, aus Lebensgefahr retten. Aus einem Einsatz vor Ort, den Trabert als medizinischer Experte betreute, war mal wieder ein Notfalleinsatz mit großer Brisanz geworden.

Zurück in Mainz geht die Arbeit für Trabert direkt weiter. Während wir für diesen Artikel telefonieren, setzt er gerade alle Hebel in Bewegung, um −diesmal aus der Ferne −an einer Lösung für die beim letzten Einsatz geretteten Menschen mitzuarbeiten. Darunter sind 15 Kinder und eine hochschwangere Frau. Es eilt, denn es geht schlicht um nichts weniger als um Menschenleben. Tage später erfahre ich: Alles ist so weit gut gegangen! Nachdem sich Malta erneut jeder Mithilfe verweigert hatte, konnte die Nadir schließlich in Lampedusa anlanden, alle Flüchtlinge sind wohlauf. Auch jetzt gerade, in diesem Moment, ist der Allgemeinmediziner sicher wieder "voll im Einsatz" − z. B. in der Mainzer Region, wo er sich für die medizinische Versorgung von Wohnungslosen starkmacht, oder in einer der vielen Krisenregionen rund um die Welt.

Update Januar 2022
Gerhard Trabert bewirbt sich um das Amt des Bundespräsidenten, um das Thema soziale Ungerechtigkeit wieder mehr in den Fokus zu bringen: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-01/gerhard-trabert-bundespraesident-kandidat-linke?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Privilegien und eine echte Berufung

Die Hausärtz:innen sind es, die in Zusammenarbeit mit ihrem Team die Gesundheitsversorgung vor Ort am Laufen halten. Neben allgemeinmedizinischen Aufgaben übernehmen sie auch wichtige kommunikative und soziale Funktionen. Gerade Menschen, die über wenig Kontakte verfügen, vertrauen ihren "medizinischen Seelsorger:innen" oft sehr viel an. Warum übernimmt man dann noch zusätzlich Aufgaben bei der Betreuung derjenigen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen – z. B. durch Flucht, Wohnungslosigkeit oder wegen einer persönlich schwierigen Situation? Für Trabert ergibt sich dieses Engagement als logische Schlussfolgerung aus seiner ärztlichen Berufung: "Ich erlebe es immer wieder als besonderes Privileg für uns Ärzt:innen, so etwas machen zu können. Wir genießen einen Vertrauensvorschuss, der es uns ermöglicht, in einen fremden Kulturkreis einzutreten − in die Intimsphäre des Einzelnen. Es ist etwas ganz Wunderbares, wenn man das Arztsein so umsetzen und einsetzen kann. Es vielleicht sogar muss, im individuell möglichen Rahmen versteht sich. Für mich gehört es zur ärztlichen Ethik dazu, auch diese soziale Form der Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig ist es eine unglaubliche persönliche Bereicherung, aus der eigenen Routine herauszukommen und diese dringend notwendige Hilfe und Unterstützung leisten zu können!" Dieses Engagement wird nicht nur im Ausland benötigt: "Bei uns in Deutschland sind es z. B. die Wohnungslosen, die illegalisierten Menschen, die unsere Unterstützung ganz besonders dringend benötigen."

Wenn die Menschen nicht in die Praxis kommen ...

Gute Gesundheitsfürsorge für alle, ein engagierter Kampf gegen Armut und Wohnungslosigkeit und für die Rechte von Geflüchteten und Flüchtenden: Das sind Ziele, für die sich Trabert einsetzt − oft auch gerade außerhalb der typischen Praxisräume. So ist er Begründer und Triebfeder des Mainzer Modells, einer niedrigschwelligen medizinischen Versorgungseinrichtung für Wohnungslose. Und Trabert engagiert sich mit den von ihm gegründeten Vereinen "Armut und Gesundheit" sowie "Flüsterpost" für nicht krankenversicherte Menschen sowie Kinder krebskranker Eltern. Jüngst ist der Arzt in Mainz bei den Bundestagswahlen als freier, parteiloser Kandidat angetreten. Außerdem ist er in der Mainzer Poliklinik ohne Grenzen tätig und als Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule RheinMain aktiv.

Gerhard Trabert war kurz nach seinem Medizinstudium in Indien. Seine dortigen Erfahrungen aus der Arbeit mit den sozial benachteiligten und von extremer Armut sowie Ausgrenzung betroffenen Menschen haben ihn nachhaltig geprägt: "In Indien hat man viel mehr praktische Erfahrung in der Arbeit mit Armen und Diskriminierten. Dennoch begegnete ich immer wieder indischen Kollegen, die ins Ausland gingen, um zu helfen! So stellte auch ich mir die Frage: Soll ich mich als Arzt primär im Ausland engagieren? Dann habe ich für mich entschieden: Jetzt schau ich erst einmal, ob´s nicht auch in "meinem" Heimatland Regionen und Problemstellungen gibt, wo ich als Arzt anderen Menschen helfen kann."

Seine damalige Ehefrau arbeitete im Wohnungslosenbereich und brachte ihn mit dem Themenfeld in Kontakt. Um sein Engagement wissenschaftlich unterfüttern zu können, schrieb Trabert seine Doktorarbeit über die gesundheitliche Situation der Wohnungslosen in Deutschland: "Diese Menschen sind bis heute nicht ordentlich versorgt und sie sind sehr krank. Sie brauchen dringend unsere Hilfe", so Trabert. Hieraus entwickelte er einen Antrieb, der ihn bis heute an so vielen Fronten kämpfen lässt: "Das, was ich da in Indien lernen konnte, ist, wie wertvoll das aktive Aufsuchen von Patienten, die nicht zu einem kommen können, ist. Und das kann man sehr gut auf die Arbeit mit wohnungslosen Menschen hierzulande übertragen. In Indien ist man zu den Leprapatienten in die Community gegangen. Vielleicht sind die Obdachlosen auch so etwas wie die Leprakranken in unserem Kulturkreis?"

Er erinnert sich noch gut an die Herausforderungen, die damit gerade zu Beginn verbunden waren: "Da habe ich am Anfang von der KV und der Bezirksärztekammer gesagt bekommen: Das geht so nicht. Sie dürfen doch nicht einfach umherziehend ihren Arztberuf ausüben!" Heute ist das Mainzer Modell, das er in diesem Zuge ins Leben rief, eine feste Institution mit umfangreicher Anerkennung bei den Krankenkassen: Es bietet in Mainz und im Umland ärztliche, pflegerische und sozialarbeiterische Hilfe für wohnungslose Menschen an. Mit dem eigenen Arztmobil, einem quasi fahrbaren Sprechzimmer, werden wohnungslose Menschen auf der Straße aufgesucht. Darüber hinaus gibt es medizinische Sprechstunden in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sowie Unterkünften für Geflüchtete. Auch im Rahmen der Hochwasserkatastrophe dieses Jahr war das Team im Einsatz, um denen, die Hilfe brauchen, vor Ort zur Seite zu stehen.

Wir ringen um unsere Zukunft

Immer wieder − gerade bei sensiblen Themen − prägen falsche Narrative unsere Wahrnehmung: "So werden z. B. sozial benachteiligte Menschen schnell als sozial schwach tituliert. Dabei ist eine alleinerziehende Mutter, die neben einem oder sogar gleich zwei Jobs (für welche sie oftmals nicht sonderlich gut bezahlt wird) auch noch die Kinderbetreuung meistert, alles andere als sozial schwach. Das ist eher doch ein Unternehmer, der mit Kinderarbeit und Frauenausbeutung in Bangladesch seinen Gewinn immer weiter optimiert! Warum ist z. B. die Fahrt mit den Kindern zum Kinderarzt mit dem ÖPNV für Einkommensschwache nicht kostenfrei? Viele dieser Menschen wollen sich mehr um ihre Kinder kümmern, können es sich aber schlichtweg nicht leisten." Und die Lage könnte sich weiter verschärfen: "Immer mehr Menschen fallen durch unser viel zu grobmaschig gewordenes Sozialsystem, auch hier in Deutschland. Gerade die Geringverdiener arbeiten häufig sehr lange und zahlen in die Kassen ein, ohne selbst Nutzer zu werden." Das belegen auch die Ergebnisse des RKI mit Bezug zur Lebenserwartung der verschiedenen Schichten: So erreichen z. B. nur 30 % der von Einkommensarmut betroffenen Menschen in Deutschland das 60. Lebensjahr.

Weil sich nicht jeder Gesundheit leisten kann!

Erwerbspersonen, die vor Corona über ein niedriges Einkommen verfügten, haben im Pandemieverlauf besonders häufig Einkommensverluste erlitten − und könnten finanziell weiter zurückfallen. Laut Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts berichten rund 62 % der Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden mit einem niedrigen Haushalts-Nettoeinkommen (weniger als 1.500 € monatlich vor der Krise), sie hätten Corona-bedingt Einkommen eingebüßt. Eine hohe Inflationsrate und explodierende Kosten tragen dazu bei, dass sich diese Situation kaum verbessern wird.

Für Trabert ist daher auch über die Pandemie hinaus klar: "Die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen und Gesundheitsförderung muss in realen Projekten umgesetzt werden. Salutogenese und Resilienz-Förderung müssen die Grundlage der Gesundheitserhaltung der Bevölkerung sein. Krankheiten zu verhindern steht im Mittelpunkt. Das bedeutet, auch die Umweltgefahren und klimatisch bedingten Gefahrenpotenziale zu sehen, zu reduzieren und vor allem zu vermeiden − und das zugunsten aller Menschen − nicht nur derjenigen, die sich eine gute Versorgung leisten können." Dazu können wir alle beitragen, wenn wir eine gute Gesundheitsversorgung auch zu den Menschen bringen, die den Weg zu uns aus eigener Kraft nicht schaffen.

Hilfe wird dringend benötigt
Selbst wenn man z. B. durch die eigene Praxis stark eingespannt ist, ist es möglich, sich zeitlich begrenzt zu engagieren, so Trabert: "Wir suchen für ResQship immer wieder Ärzt:innen für eine Mitfahrt auf der Nadir. Das Schiff ist auf der kleinen Nachbarinsel von Malta (Gozo) stationiert. Zeitlich sind das 3−4 Wochen, inklusive Briefing vor Ort. Dann geht es 2−3 Wochen zum Einsatz auf See." Auch Humedica, mit denen er selbst auch schon unterwegs war, freut sich über Unterstützung: Auch hier handelt es sich um zeitlich begrenzte Einsätze, die im Vergleich zu einem Engagement bei "Ärzte ohne Grenzen" überschaubar gestaltet sind.

Beispiele Ausland:

Beispiele Deutschland:

Kolleg:innen, die sich engagieren möchten, unterstützt Gerhard Trabert gerne bei der Suche nach einem passenden Hilfsangebot: Gerhard.Trabert@hs-rm.de


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (1) Seite 59-61