Kann eine partielle Muskelrelaxation durch Botulinumtoxin A auch eine Entspannung der Seele bewirken? Die Vermutung liegt nahe, denn Studien zeigen nach Botox-Injektionen bei Patienten mit Depressionen eine Verbesserung der individuellen Stimmungslage auf, welche lange anhalten kann.

Entscheidend ist ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Trauerblick und Trübsal, auf den zahlreiche Experimente in der Psychologie sowie Studien aus diesem Fachbereich hindeuten. Laut der Facial-Feedback-Hypothese beeinflussen Gesichtsmuskelbewegungen das emotionale Erleben aktiv. So verbessert Lächeln nicht nur die Stimmung des Gegenübers, sondern kann auch die eigene Gefühlslage anheben. Ein finsteres Gesicht wiederum vertreibt andere – und kann dazu führen, dass Depressive isoliert zurückbleiben.

Im Gegenzug können negative Gefühle gemildert werden, wenn negative Mimik reduziert wird. Eine interessante Rolle könnte hier dem Wirkstoff Botulinumtoxin A zukommen. Denn mittels Botox-Injektionen ist es möglich, zentrale Gesichtsbereiche, die für eine positive bzw. negative Mimik essenziell sind, gezielt zu entspannen.

Interaktion im Nervensystem

Wo beginnen (negative) Emotionen? Schaltstellen im Gehirn für die Übertragung von einzelnen Reizen, aber auch komplexen Emotionen sind die Synapsen. Sie geben Informationen an die Nervenenden weiter. Wenn ein Mensch verärgert ist, zeigt sich das auch in der Mimik, insbesondere in einem Zusammenziehen der Augenbrauen und einer stärkeren Ausprägung der Zornes­falte (Glabella­falte). Die Reizübertragung funktioniert auch in die andere Richtung: Ein Zusammenziehen der Muskeln in der Glabella-­Region signalisiert dem Gehirn Traurigkeit bzw. Ärger. Die Folge ist eine Rückkopplung, negative Emotionen werden so verstärkt. Der Dermatologe Marc Heckmann erklärt, was passiert, wenn die Glabella­falte mit Botox-Injektionen entspannt wird: „Botulinumtoxin blockiert die neuronale Rückkopplung bei negativer Mimik. Schlechte Stimmung ist für das Gegenüber dann weniger erkennbar.“ Die für unsere Emotionen entscheidende Region im Gehirn ist die Amygdala. Dort werden Emotionen aufbereitet, bevor sie unserem Bewusstsein präsent werden: „Unter dem Einsatz von Botox im Bereich der Glabellafalte kommt es mittels Rückkopplung zu einer signifikanten Dämpfung von Trauer und Wut in der Amygdala. Dadurch werden diese Emotionen weniger intensiv aufbereitet und auch selbst weniger stark empfunden“, so Heckmann.

Nebenwirkung oder Verstärker?

Wer sich selbst im Spiegel gerne mag und wem von anderen eine glückliche Stimmung zugesprochen wird, fühlt sich naturgemäß auch besser. Handelt es sich also eher um eine Nebenwirkung kosmetischer Effekte? Laut Prof. Dr. Axel ­Wollmer, Ochsenzoll, scheint mehr dahinterzustecken: Studien, bei denen eine ausgeprägte Glabellafalte kein Einschlusskriterium war, zeigen, dass der antidepressive Effekt von Botox-Injektionen den kosmetischen Effekt deutlich überdauern kann. Seiner Ansicht nach haben Botox-Injektionen bei der adjunktiven Behandlung der Depression einen hohen Evidenzgrad, und das mit lang anhaltender Wirkung. Sie seien mehr als ein Nebeneffekt kosmetischer Ergebnisse. Die Behandlung an sich erfolge offlabel über die Indikation der Glabellafalte. Dr. Patricia Ogilva, München, bestätigt die positiven Erfahrungen beim Einsatz von Botox auf die gefühlte Lebensqualität. Sie arbeitet im Regelfall mit Patienten ohne diagnostizierte depressive Erkrankung, hat aber die positiven Auswirkungen durch Botox auf das psychische Wohlbefinden mittels Studien untersucht. Für sie sind die Effekte durch ­eine Botox-Therapie auf die Lebensfreude genauso gut messbar wie die eigentliche Faltentiefe – und „für die Patienten mindestens genauso wichtig“. Als bemerkenswert stuft sie u. a. die starken Effekte der Botox-Injektionen auf die Patientenzufriedenheit und -bindung ein, die für alle niedergelassenen Dermatologen wertvoll seien.

Praxistipp
Hautärzte können z.B. auf ihrer Website auf diesen Wirkungseffekt hinweisen und Depressionen sowie Lebensfreude aktiv thematisieren. Betroffene, die allgemein nach (zusätzlichen) Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen suchen, werden so online auf die Praxis aufmerksam. Auch Flyer in der Arztpraxis für die Betroffenen selbst bzw. deren Umfeld sind denkbar.


Literatur
1. Symposium: „Falte weg, Muskeltonus reduziert, und gut ist es?“ anl. der 51. DDG-Tagung, April 2021, Allergan
2. Phase 3 Study of Onabotulinumtoxin A ­Distributed Between Frontalis, Glabellar Complex, and Lateral Canthal Areas for Treatment of Upper Facial Lines. 2018


Autorin:
Sabine Mack

Erschienen in: DERMAforum, 2021; 25 (6) Seite 16