Die Stimmung in der Ärzteschaft ist in diesem Herbst heftig eingetrübt. Kein Wunder, denn eine hohe Inflation und rasant steigende Energiekosten gehen auch an den Arztpraxen nicht spurlos vorüber. Wenn dann auch noch die Krankenkassen mit Nullrunden drohen, heizt das die Krisenstimmung weiter an.

Dass der Orientierungswert für 2023 immerhin noch um 2 % steigt, klingt zwar zunächst noch fast wie ein Erfolg. Tatsächlich ist es aber keiner, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung frustriert zugeben ­musste, denn die Praxen würden somit vorerst keinen Ausgleich für die aktuell steigenden Kosten aufgrund der hohen Inflationsrate erhalten. Die nun festgelegte Anpassung reiche noch nicht einmal aus, um die Mehrkosten durch die Tariflohnsteigerung in den Praxen im vergangenen Jahr auszugleichen, meldete das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Ziehe man die aktuellen Daten aus dem Zi-Praxis-Panel (ZiPP) heran, bringe die Anpassung des Orientierungswerts den Praxisinhaberinnen und -inhabern rund 5.200 €. Allein für die Anpassung der Mitarbeitenden-Gehälter mussten diese im vergangenen Jahr, wie auch in Vorjahren, aber bereits rund 5.400 € aufwenden. Die Folgen seien spürbare reale Einkommenseinbußen bei niedergelassenen Ärzt:innen oder zusätzliche Engpässe in der Versorgung.

Kassen wollen weitere Nullrunden

Wenn in einer solchen Situation die Krankenkassen sozusagen präventiv vorschlagen, den Orientierungswert in den Jahren 2023 und 2024 einzufrieren und den Ärzten auch keinen Inflationsausgleich zu zahlen, ist die Empörung natürlich gewaltig. Ärztevertreter halten das nicht nur für unredlich, sondern sprechen sogar von einer Unverschämtheit und einem Affront. Schon in den vergangenen Jahren hätten Verhandlungen mit Krankenkassenvertretern eher einem Diktat als einer sachlichen Suche nach einem Kompromiss geglichen, kommentierte Armin Beck, der Chef des Hausärzteverbands Hessen, die Lage. Man müsse konstatieren, dass gemeinsame Gespräche mit Vertretern der Krankenkassen Zeitverschwendung sind, da Zusagen wiederholt schon nach kurzer Zeit einkassiert werden. So werde die Versorgung der Patienten wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen geopfert und das Vertrauen völlig verspielt. Damit müsse festgehalten werden, dass die gemeinsame Selbstverwaltung gescheitert ist, so Beck.

Protestaktionen gestartet

In einigen Bundesländern haben Ärzteverbände deshalb Protestaktionen gestartet. In Bayern hatten zahlreiche Praxen am 10. Oktober geschlossen und der Bayerische Facharztverband (BFAV) hatte zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zu einer Mahnwache aufgerufen, an der sich rund 5.000 Ärzte beteiligten. Der BFAV will diese Proteste fortsetzen, sollte der Hilferuf an die Gesundheitspolitik kein Gehör finden. Der Protest werde also keine Eintagsfliege bleiben, hieß es. Die Protestaktionen richten sich auch gegen die Sparpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, mit denen die Neupatientenregelung wieder abgeschafft werden soll. Zusammen mit den Forderungen der Krankenkassen nach Nullrunden beim Honorar und der galoppierenden Inflation sorge dies dafür, dass sich Praxen kaum mehr wirtschaftlich betreiben ließen. Junge Ärzte seien unter diesen Bedingungen nicht mehr für eine Tätigkeit in eigener Praxis zu begeistern. Für die Patienten bedeute der derzeitige Kurs der Bundesregierung, dass sie sich auf längere Wartezeiten bei Arztterminen einstellen müssen.

Energiekosten belasten Praxen

Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass vielen Ärzten nun so nach und nach Ankündigungen über saftige Preiserhöhungen bei Gas und Strom in die Praxen flattern. Eine Umfrage zeigt: Mehr als die Hälfte der Praxen sieht starke finanzielle Belastungen auf sich zukommen, die die Wirtschaftskraft der Praxis schwächen werden. Viele sehen sich gezwungen, über Maßnahmen nachzudenken, wie sich die Energiekosten senken lassen. Laut der schon zitierten Umfrage wollen rund 80 % der befragten Ärzte die Temperatur in der Praxis reduzieren, 58 % an Beleuchtung sparen. Und etwa jeder fünfte Arzt überlege, die Sprechzeiten zu reduzieren, um Heizung und Strom zu sparen.

Ob Energiepreisbremse hilft?

Dass da der Präsident der Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine steuerfinanzierte Energiekostenzulage für Arztpraxen fordern, kann man nachvollziehen. Ob die inzwischen von der Bundesregierung angekündigte Energiepreisbremse ab März 2023 den Arztpraxen wirklich helfen kann, wird sich erst noch herausstellen müssen. An den „eingefrorenen“ Honoraren wird sich jedenfalls so schnell wohl nichts ändern.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (11) Seite 2