„Das kann mir nicht passieren!“ meinen viele, wenn es um Behandlungs-, Aufklärungs- oder ­andere medizinische Fehler geht. Wirklich nicht? Prof. Dr. Peter Elsner, Dermatologe und Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, Gera/Hamburg, erläuterte bei der FOBI 2022, wie man mit Fehlern umgehen sollte.

„Ein Fehler kommt selten allein“, gab Elsner zu bedenken. So schilderte er einen Fall, bei dem ein Patient gleich zweimal mit akuten Erkrankungen in die Klinik eingeliefert und dabei jedes Mal mit Wirkstoffen behandelt wurde, gegen die er allergisch war – dem Analgetikum Metamizol und/oder dem Penicillin Amoxicillin. Die Allergien waren von Anfang an bekannt. Beide Male hatten die Absicherungsmechanismen an mehreren Stellen versagt. Und beide Male erlitt der Patient daraufhin schwere Hautreaktionen – zunächst ein fixiertes toxisches Arzneimittelexanthem (Abb. 1), im zweiten Fall sogar schließlich eine toxische epidermale Nekrolyse (TEN).

Dieser reale Fall, der später die Gutachter beschäftigte, war Folge einer sprichwörtlichen „Verkettung ungünstiger Umstände“. Er war jedoch nicht schicksalhaft, denn jeder einzelne dieser ungünstigen Umstände wäre vermeidbar gewesen. Wie im „Schweizer-Käse-Modell“ beschrieben, hatten mehrere Kompensationsmechanismen in Folge versagt. Wäre auch nur eine der Sicherheitsmaßnahmen eingehalten worden, hätte sich das für den Patienten ­extrem belastende Endergebnis vermeiden lassen.

So hätte es bei der Erstaufnahme genügt, das Aufnahmeblatt zu lesen und daher die Gabe von Novalgin und Penicillin zu unterlassen, betonte Elsner. Ebenso wichtig wäre es gewesen, dass der niedergelassene Arzt in der Weiterbehandlung den Entlassbrief gelesen und die dort empfohlene Abklärung der Allergien sowie das Ausstellen eines Allergiepasses veranlasst hätte.

Bei der Zweitaufnahme wäre es wichtig gewesen, die von der Ehefrau mit viel Vehemenz vorgetragene Fremdanamnese und die bereits elektronisch dokumentierte Vorgeschichte ernst zu nehmen. Selbst bei Beginn der Hautsymptome hätte es noch Exitstrategien gegeben: Statt über insgesamt drei Tage das Allergen weiter zu infundieren, hätten die behandelnden Gastroenterologen bei Auftreten der Hautläsionen unverzüglich Expertenrat in der Dermatologie suchen müssen.

Sieben Fehlerarten

Elsner beschrieb insgesamt 7 verschiedene Arten von Fehlern, die in der Medizin auftreten können. Sie zu vermeiden, sei von großer Bedeutung, um Schaden von den Patientinnen und Patienten abzuwenden.

1. Behandlungsfehler

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt den Patienten nicht nach dem „zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standard“ behandelt. Dabei wird nicht der Goldstandard vorausgesetzt, sondern der „Facharztstandard“: Es genügt, wenn der Arzt den „durchschnittlichen Standard, den ein Arzt dieser Fachrichtung erbringen kann“, abliefert. Es sei denn, der behandelnde Arzt ist als Experte einzustufen: Ein Professor oder Chefarzt etwa müsste den „Expertenstandard“ erfüllen.

Letztlich bestätigt sich etwa jeder 3. vermutete Behandlungsfehler, berichtete Elsner; in gut jedem 4. Fall bestehe ein Anspruch des Patienten auf Schadenersatz. Der Großteil der Fälle in der Dermatologie habe leichte passagere bis mittelschwere permanente Folgen. Schwerste gesundheitliche Folgen oder Todesfälle seien mit 7 % bzw. 5 % zum Glück eher selten.

2. Grober Behandlungsfehler

Erst wenn ein Arzt „eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“, liegt ein grober Behandlungsfehler vor. „Dies wäre eine Extremsituation, die hoffentlich nicht vorkommt.“ Tritt dennoch ein solcher Fall ein, so gilt die Umkehr der Beweislast: „Dann muss der Arzt beweisen, dass jeglicher vom Patienten reklamierter Schaden nicht auf seine Behandlung zurückzuführen ist. Und das kann schwierig sein“, warnte der Experte.

3. Befunderhebungsfehler

Viel häufiger werden Befunderhebungsfehler beobachtet. Sie liegen immer dann vor, wenn „ein medizinisch gebotener Befund nicht rechtzeitig erhoben wird“. Auch diese Situation kann zur Beweislastumkehr führen. Ein klassisches Beispiel wäre die fehlende histologische Untersuchung nach Entfernung einer Hautläsion. „Alles, was Sie in der Dermatologie exzidieren, sollten Sie dermatohistologisch untersuchen lassen“, erinnerte Elsner.

4. Aufklärungsfehler

Sämtliche für die Einwilligung in eine Diagnose- oder Behandlungsmaßnahme relevanten Umstände müssen nicht nur schriftlich, sondern immer auch mündlich erläutert worden sein, und zwar rechtzeitig – mindestens am Tag vor der Maßnahme. Die Aufklärung muss für den Patienten verständlich sein. Die Beweislast für die Aufklärung liegt beim Arzt.

„Insbesondere bei Maßnahmen der Ästhetik müssen wir immer ein ‚Worst-Case-Szenario‘ beschreiben“, so Elsner. Er nannte ein Beispiel: „Ich werde Sie mit Hyaluronsäure behandeln. Im Extremfall – der allerdings selten eintritt – können Sie dadurch erblinden.“ Dieses drastisch erscheinende Vorgehen sei von der Rechtsprechung gefordert und sollte eingehalten werden.

5. Sicherungsaufklärungsfehler

Die Sicherungsaufklärung umfasst

  • „die therapeutisch gebotene Aufklärung des Patienten zur Sicherung des Heilerfolgs, zum Schutz vor Unverträglichkeitsrisiken und anderen Nachteilen“ oder/und
  • „die Unterrichtung der nachbehandelnden Ärzte bzw. des Patienten über erhobene Befunde zur Sicherung einer sachgerechten Nachbehandlung“.

Zur Erinnerung: Gerade die dringend gebotene Sicherungsaufklärung war im oben beschriebenen Gutachterfall nach der ersten ­allergischen Hautreaktion vernachlässigt worden.

Ein weiteres reales Beispiel, das Elsner zitierte, war der Fall eines Patienten, der zur Exzision eines vermeintlichen Basalzellkarzinoms in eine Klinik kam. Die dermatohistologische Untersuchung erbrachte den Befund „entdifferenziertes Plattenepithelkarzinom (Abb. 2)“. Dieses war in toto exzidiert; einen Arztbrief mit der Diagnose und mit Hinweisen für die Krebsnachsorge erhielten der Patient und sein Hausarzt jedoch nicht. Die nachfolgende Metastasierung führte letztlich zum Tode des Patienten. Die Gutachterkommission sah die Schuld eindeutig bei den Klinikärzten. Elsner riet dringend – gerade bei dermato­onkologischen Fällen – dafür zu sorgen, dass „die Weiterversorgung des Patienten klappt“, und dies auch zu dokumentieren.

6. Dokumentationsfehler

Oft vergessen wird die Dokumentation aller wesentlichen Informationen, die „aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung bedeutsam sind“. Also Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, alle Befunde, Therapien/Eingriffe sowie deren Auswirkungen, alle Einwilligungen und Aufklärungen sowie die Arztbriefe von Vor- und Mitbehandlern. Treten hier Versäumnisse auf, kann sich die Beweislast umkehren.

7. „Fehler aus voll beherrschbarem Risiko“

Passiert ein Fehler, obwohl das Risiko eigentlich kontrollierbar gewesen wäre, gilt er als „Fehler aus voll beherrschbarem Risiko“. Beispiele sind das im Bauchraum vergessene Chirurgenbesteck, der Lagerungsschaden bei Operation oder die falsche Zuordnung der Biopsie durch Verwechslung. Auch hier gilt die Beweislastumkehr.

„Sicherheitskultur“ und Umgang mit Fehlern

Checklisten, Leitlinien, Qualitätsmanagement, Kommunikationskultur und Teamwork – die Liste der Sicherheitsmaßnahmen, um den unerwünschten „Schweizer-Käse-Effekt“ zu verhindern, ist lang. Elsner betonte, dass alle Mitarbeiter eingebunden werden müssen, von der MTA und MFA über den Arzt bis zu den Pflegekräften. Zudem biete sich die Teilnahme am Berichts- und Lernsystem CIRS (­Critical Incident Reporting System) oder die Nutzung der Schulungsmaterialien des „Aktionsbündnisses Patientensicherheit“ zur Fehlervermeidung an.

„Ist dennoch ein Fehler aufgetreten, muss als Erstes der Schaden eingedämmt werden – etwa durch Absetzen des fehlerhaften Medikaments“, so Elsner. Darüber hinaus sollten die Vorgesetzten, die Berufshaft- und die Rechtsschutzversicherung informiert werden. Die Dokumentation darf niemals nachträglich geändert, jedoch immer durch ein Gedächtnisprotokoll ergänzt werden.

Der Patient muss in 2 Fällen informiert werden: wenn dadurch Schaden abgewendet werden kann oder wenn der Patient nachfragt. Es empfiehlt sich ein ruhiges Gespräch, möglichst mit weiteren Praxis- oder Klinikmitarbeitern als Zeugen. „Viele Patienten wollen gar nicht vor Gericht gehen, sie wollen lediglich über den Fehler sprechen und ernst genommen werden“, so Elsner.



Autor:

© privat
Prof. Dr. Peter Elsner

Rechtsanwaltskanzlei Elsner Dröge
Eppendorfer Baum 42,
20249 Hamburg
Tel. 040-228675670

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (11) Seite 8