Nach operativen Eingriffen wird den Patienten sehr häufig empfohlen, direkten Wasserkontakt mit den Wunden bis zur Entfernung des Hautnahtmaterials zu vermeiden. Und auch in vielen chirurgischen Standardlehrbüchern heißt es: Wunden müssen bis zum Fadenzug trocken gehalten werden. Doch besteht tatsächlich eine ernsthafte Gefahr für die Wundheilung, wenn sich Patienten nach einer Operation duschen oder waschen und dabei die Primärnähte Wasser oder Seife aussetzen?

Angehende Ärzte lernen bereits in der Hygienevorlesung, dass aseptische Wunden nach 24 Stunden verschlossen und damit auch für Mikroorganismen unzugänglich sind. Das Duschen oder Waschen mit sauberem Leitungswasser sollte also kein Problem darstellen. Bestätigt wird dies durch einige Studien an postoperativen Patienten.

Duschen schadet nicht

101 Patienten, an denen eine offene Inguinalhernienoperation vorgenommen werden sollte, waren in zwei Gruppen unterteilt worden. Der einen Gruppe war postoperativ das tägliche Duschen ohne Wundverband ab dem ersten postoperativen Tag erlaubt (49 Patienten), die Wunde wurde also direktem Wasser- und Seifenkontakt ausgesetzt. Den Patienten der Kontrollgruppe (52 Patienten) hingegen war das Duschen innerhalb der ersten 14 postoperativen Tage untersagt. Die Häufigkeit des Duschens, die Wundheilung sowie das subjektive Wohlbefinden wurden erfasst [1].

Am 14. postoperativen Tag wurden die Hautfäden entfernt und die Wundheilung nach vier Kategorien beurteilt:

  • reizlos
  • leichte Hautrötung
  • eitrige Sekretion aus einer Fadeneinstichstelle
  • manifester Wundinfekt.

Wundinfekte zeigen sich meist zwischen dem dritten und fünften postoperativen Tag [2]; 95 % der Wundkomplikationen treten innerhalb der ersten 10 bis 14 Tage auf [3]. Es durfte also angenommen werden, dass zum Zeitpunkt der Fadenentfernung durch den Hausarzt eine mögliche Infektion diagnostiziert werden konnte.

Leitungswasser auch zur Wundreinigung geeignet
Es gibt keine Evidenz, dass die Verwendung von Leitungswasser für die Wundreinigung das Risiko für Wundinfektionen erhöht oder die Wundheilung beeinträchtigt. Leitungswasser kann somit als eine kostengünstige Alternative zu steriler isotonischer Kochsalzlösung betrachtet werden. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Universität Hamburg. Sie hatten im Rahmen des Projekts „Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung“ (EVIBAG) mehrere internationale Studien ausgewertet, die der Frage nachgingen, welche Lösungen am besten für die Reinigung von akuten und chronischen Wunden geeignet sind [6].

Das Wohlbefinden steigt

Im Rahmen der prospektiven Studie ließen sich zwischen den beiden Gruppen bezüglich der postoperativen Wundheilung keine Unterschiede nachweisen. Antibiotika-bedürftige Infekte traten in beiden Gruppen nicht auf. Direkter Wasserkontakt scheint die Wundheilung demnach nicht zu beeinflussen. Die Möglichkeit, duschen zu dürfen, wurde von allen Patienten sehr geschätzt und auch ausgenützt. Das Duschverbot hingegen wurde von mehr als der Hälfte der Patienten als Nachteil empfunden.

Die Autoren befürworten das Duschen nach Durchführung eines elektiven Eingriffs, weil dadurch die Patientenhygiene und das subjektive Wohlbefinden der Patienten gesteigert werden können.

Zu einem ähnlichen Resultat kommt eine weitere Studie mit insgesamt 770 Patienten, die sich einer operativen Sanierung des epifaszialen Venensystems bei Varikosis unterzogen. Auch in dieser prospektiven randomisierten Untersuchung wurde geprüft, ob der frühzeitige Wasserkontakt die postoperative Wundheilung beeinflusst [4].

Auch Duschgel ist erlaubt

Für den Vergleich waren drei Patientengruppen zusammengestellt worden. In der ersten Gruppe war postoperatives Duschen vor Entfernung des Hautnahtmaterials nicht erlaubt. Die zweite Gruppe durfte mit Wasser ohne Zusatz von Seifen oder Duschgel duschen. Und der dritten Gruppe war das Duschen mit Duschgel gestattet.

Bei den nachuntersuchten varizenoperierten Patienten kam es in keinem Fall zu einem tiefen Wundinfekt, unabhängig davon, ob die Wunde ab dem zweiten postoperativen Tag Kontakt mit Wasser mit oder ohne Duschmittel hatte oder nicht. Duschen nach dem zweiten postoperativen Tag hat keinen nachteiligen Einfluss auf den Gesamtheilungsverlauf, kann aber den Patientenkomfort steigern. Etwa 90 % der Patienten empfanden es als große Erleichterung, duschen zu können.

Ärzte sollten ihre Patienten schon bei der präoperativen Untersuchung darauf hinweisen, dass Duschen oder Waschen schon bald nach dem Eingriff wieder möglich ist. Vorsicht ist allerdings angebracht bei immungeschwächten Patienten oder nach Organtransplantation. Hier sollte in den ersten Tagen nach der Op. ein wasserabweisender Folienverband verwendet werden (siehe Kasten).

Vorsicht bei immunsupprimierten Patienten
Der ehemalige Leiter des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg, Prof. Dr. Franz Daschner, empfiehlt, die Patienten nur mit Flüssigseifen bekannter Hersteller (z. B. B. Braun Melsungen, Henkel, Schülke & Mayr) duschen zu lassen, von denen man weiß, dass sie ein hautverträgliches Konservierungsmittel enthalten, um Keimwachstum zu verhindern. Bei extrem abwehrgeschwächten Patienten, z. B. nach Organtransplantation, rät Daschner zur Vorsicht, weil es Berichte über Wasser-assoziierte Legionellen- bzw. Pseudomonas-aeruginosa-Wundinfektionen gibt. Ausgedehnte Operationswunden sollte man in diesen Fällen zumindest in den ersten Tagen während des Duschens mit einem Folienverband abdecken [5].


Literatur
1. Riederer SR, Inderbitzi R (1997) Chirurg (68): 715–717
2. Ungeheuer E, Herrmann F (1984) Chirurg 55: 564
3. Bailey I et al. (1992) BMJ 304: 469
4. Neues C, Haas E (2000) Chirurg 71: 234–236
5. Daschner F (1997) Kommentar zur Studie von Riederer in Chirurg (68): 717
6. Barre K et al. (2004) Leitungswasser zur Wundreinigung – Eine sichere Alternative zu steriler Kochsalzlösung? (EVIBAG-Übersichtsarbeit; www.gesundheit.uni-hamburg.de)].

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Wolfgang Blank


Kontakt:
Dr. med. Wolfgang Blank
Facharzt für Allgemeinmedizin
Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München
94259 Kirchberg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (12) Seite 14-15