Übelkeit und Erbrechen begleiten nahezu acht von zehn Frauen durch die ersten Wochen einer Schwangerschaft. Unangenehm, jedoch normalerweise kein Grund zur Sorge: Gelegentliche Beschwerden gelten zwischen der vierten und zehnten Woche als physiologisch und sistieren in der Regel bis zur 22. Woche. Anders sieht es dagegen aus, wenn die Frauen mehr als fünfmal täglich erbrechen und dies gar über Tage oder Wochen: In solchen Fällen besteht dringender Behandlungsbedarf.

Erbricht eine Schwangere über den Tag hinweg mehr als fünfmal, hat sie bereits mehr als 5 % ihres Gewichts verloren und fällt es ihr weiterhin schwer, Nahrung und Flüssigkeit aufzunehmen, liegt der Verdacht einer Hyperemesis gravida­rum (HG) nahe, erläutern Bettina Böer und Kollegen vom Perinatalzentrum des Universitätsklinikums Tübingen [1]. Unterschieden wird zwischen Grad?I „Krankheitsgefühl ohne Stoffwechselentgleisung“ (ICD 10: O20.0) und Grad II „ausgesprochenes Krankheitsgefühl mit Stoffwechselentgleisung, Dehydratation und/oder Elektrolytentgleisung“ (ICD 10: O20.1). Bei mildem Verlauf und in der Frühschwangerschaft ist das häufige Erbrechen in der Regel selbstlimitierend. Unbehandelt kann es jedoch zur lebensbedrohlichen Erkrankung werden. Die betroffenen Frauen haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von fortgeschrittenen Vitamin- und metabolischen Störungen (Präeklampsie) bis hin zu Wernicke-Enzephalopathie, zentraler pontiner Myelinolyse, Vasospasmus der Zerebralarterien, Rhabdomyolyse, Koagulopathie, peripherer Neuropathie und Pneumomediastinum nach Ösophagusruptur. Zudem steigt bei einer zu geringen Gewichtszunahme (< 7 kg) in der Schwangerschaft das Risiko für eine Reihe ungünstiger geburtshilflicher Konstellationen.

Bei konsequenter Behandlung ist die Prognose dagegen im Allgemeinen gut, wenngleich bei Patientinnen mit HG oftmals die Gestationszeit verkürzt, das Geburtsgewicht des Kindes erniedrigt und die postpartalen stationären Behandlungsintervalle länger sind. Fetale Fehlbildungen treten nicht gehäuft auf, vielmehr sind sogar protektive Effekte bezüglich einer geringeren Rate an Fehlgeburten, intrauterinen Fruchttoden, Plazentainsuffizienzen oder fetalen Spaltbildungen beschrieben.

Anamnese: Soziales Umfeld einbeziehen

Die klinischen Symptome sind meist unspezifisch und uncharakteristisch. Im Vordergrund steht ein übermäßiges und häufiges Erbrechen. Klinische Zeichen einer Exsikkose mit Volumenmangel, einer Gewichtsabnahme und einer metabolischen Ketoazidose sowie Ketonämie (obstartiger Mundgeruch) können ebenfalls auftreten. Auch ein Temperaturanstieg sowie Leberaffektionen mit Ikterus werden beobachtet. Selten sind Benommenheit und geistige Verlangsamung, die auf eine Elektrolytstörung hindeuten und bis zum Delirium reichen können.

Da eine Hyperemesis gravidarum offenbar häufiger bei psychosomatischen und Persönlichkeitsstörungen, depressiven Verstimmungen, Stress und emotionaler Anspannung sowie exzessiver Bindung an die Mutter auftritt, ist zudem ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Gespräch mit einer ausführlichen Anamnese hinsichtlich Partnerschaft und sozialen Umfelds wichtig. Übersicht 1 bietet einen Überblick über weitere Risikofaktoren.

Diagnose im Labor sichern

Neben den klinischen Symptomen gelten folgende Laborveränderungen als richtungsweisend für die Diagnose:

  • erhöht: Hämatokrit und Hämoglobin, Harnstoff, Transaminasen, Bilirubin, Kalzium, Ketonkörper (Urin)
  • erniedrigt: Serumeiweiß, Blutzucker
  • Schilddrüsenwerte: TSH erniedrigt, T3 unverändert, T4 erhöht

Zur Bestätigung einer intrauterinen Gravidität und zum Ausschluss einer Trophoblasterkrankung und Neoplasie sollte eine Sonografie erfolgen. Sie hilft auch dabei, die Schwangere von der Intaktheit der Schwangerschaft zu überzeugen und ihr unbegründete Ängste zu nehmen.

Symptome lindern, Psyche stützen

Da Ätiologie und Pathogenese der Hyperemesis gravidarum noch weitgehend im Dunkeln liegen - wahrscheinlich sind physiologische wie psychologische Faktoren beteiligt -, ist die Therapie in der Regel symptomatisch. Je nach Beschwerdebild reichen die Maßnahmen von Ernährungsumstellung und emotionaler Betreuung bis zur stationären Aufnahme mit parenteraler Ernährung. Allen gemeinsam ist das Ziel, die Übelkeit rasch unter Kontrolle zu bekommen, und ein Mangel an Evidenz.

Begleitend sollte die Patientin kontinuierlich psychologisch betreut und emotional unterstützt werden. Hierzu ist ggf. sogar ein Psychotherapeut oder Psychiater hinzuzuziehen; dies ist insbesondere bei Verdacht auf eine psychotische Komponente oder eine depressive Grunderkrankung sowie bei Überlegungen zum Abbruch der Schwangerschaft dringend indiziert.

Erste Maßnahme: Ernährung umstellen

Primär erscheint eine ambulante Ernährungsumstellung - ggf. mit professioneller Unterstützung - sinnvoll. Bei Patientinnen mit Gestationsdiabetes sollte dies in Abstimmung mit einer diabetologischen Schwerpunktpraxis unternommen werden. Anzustreben sind häufige kleinere Mahlzeiten mit einer Kost, die reich an Kohlenhydraten und arm an Fetten und säurehaltigen Früchten bzw. Säften ist.

Alternativer Therapieversuch lohnt

Patientinnen berichten von guten Erfahrungen mit naturheilkundlichen Verfahren wie Akupunktur, Akupressur und der Einnahme von Ingwerextrakten bzw. -pulver (z.B. Zintona® 250 - 500 mg p.o.; 3 x tgl.). Allerdings liegt keine hinreichende Evidenz zur optimalen Dosis oder eventuellen Nebenwirkungen von Ingwerextrakten vor. Auch ein Tee aus 10 g Koriander und 6 g frischer Ingwerwurzel, in 1 Liter Wasser 15 - 20 Minuten lang gekocht, kann die Übelkeit lindern. Er wird lauwarm über den Tag verteilt getrunken. Bewährt hat sich auch eine Akupressur des PE-6-Punktes am Handgelenk alle vier Stunden durch die Patientin selbst oder durch Tragen eines Akupressurbands. Zum Grundrezept der Akupunktur bei HG gehören

  • Pe 6 (Neiguan, innerer Pass, Meisterpunkt der Übelkeit)
  • Du 12 (Shenzhu, Körpersäule)
  • Du 20 (Baihui, Treffpunkt aller Leitbahnen)
  • Ohrpunkte: 22 Endokrinum, 55 ShenMen

Allerdings ist eine Überlegenheit dieser Verfahren gegenüber Scheinakupunktur oder -pressur nicht bewiesen.

Ambulante medikamentöse Therapie

Eingesetzt werden Vitamin B6, Antihis­taminika und andere niedrig dosierte Antiemetika und gastrointestinal wirksame Substanzen (vgl. Übersicht 2). Auf der Basis der vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass eine generelle Vi­taminsubstitution einen positiven Effekt bezüglich der HG hat. Jedoch ist bisher nur für Vitamin B6 ein klarer Nutzen gegenüber Plazebo belegt. Bei Patientinnen mit neurologischen Symptomen wird zur Vermeidung einer Wernicke-Enzephalopathie eine hoch dosierte Thiaminsubstitution empfohlen.

Antiemetika reduzieren die Frequenz einer Nausea gegenüber Plazebo in der Frühschwangerschaft nachweislich signifikant. Jedoch schätzen Patientinnen und Ärzte das Risiko einer antiemetischen Medikation in der Schwangerschaft gerne als zu hoch ein, so Böer und Kollegen. Sie empfehlen, primär Antihistaminika wie Doxylamin oder Dimenhydrinat zu geben. Dabei ist auf eine ausreichende Dosierung zu achten. Das am meisten eingesetzte Antiemetikum zur Verbesserung der Darmmotilität, die Progesteron während der Schwangerschaft einschränkt, ist hierzulande Metoclopramid. Bei schweren Fällen können Diphenhydramin, Ondansetron oder Promethazin verordnet werden.

Über Medikation intensiv aufklären!

Bei fast allen antiemetischen Substanzen müssen die Patientinnen über auftretende Müdigkeit und vermindertes Reaktionsvermögen aufgeklärt werden. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Zulassung in der Schwangerschaft, die den meisten zur Therapie der HG eingesetzten Medikamenten fehlt. Eine tabellarische Übersicht über die Bewertung der genannten Substanzen durch die FDA und Fach­experten finden Sie auf unserer Homepage unter Leserservice/Downloads. Wie schnell die Medikation bei Sistieren der Beschwerden reduziert oder abgesetzt werden kann, ist individuell zu entscheiden. Nach der Geburt ist das in vielen Fällen rasch möglich, so dass das Stillen nicht beeinflusst wird.

Wann ist stationäre Behandlung indiziert?

Erfahrungsgemäß bessert allein das Herauslösen der Patientin aus ihrem Umfeld häufig die Beschwerden, berichten Böer und Kollegen. Unbedingt sollte eine Patientin mit Hyperemesis gravidarum Grad?II stationär aufgenommen werden, da bei ihr in der Regel nicht nur eine Exsikkose, sondern bereits ein Mangel an Kohlenhydraten, eine metabolische Ketoazidose und gesteigerte Lipolyse vorliegen. Die primäre Behandlung in der Klinik besteht in einer kompletten Nahrungskarenz, Volumen- und Elektrolytsubstitution, Gabe von Vitaminen und Antiemetika sowie einer parenteralen Gabe von Kohlenhydrat- und Aminosäurelösungen.

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Böer B et al. Geburtsh Frauenheilk 2011; 71: 26 - 37

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (8) Seite 50-53