Rückblickend war das Jahr 2016 ein besonders bedeutsames Jahr für die Onkologie/Hämatologie. Mit der breiten Anwendung der Immuntherapien, insbesondere der sogenannten "Checkpointinhibitoren", stehen wir am Anfang eines Umbruchs des ganzen Fachgebietes. Noch profitiert nur eine Minderheit der Patienten von dieser Therapieoption. Aber bei immer mehr Tumorarten gibt es nun Patienten mit sehr fortgeschrittenen Erkrankungen, die viele Jahre überleben werden mit guter Lebensqualität und in einigen Fällen auch mit der Chance auf Heilung. Im Folgenden wollen wir zuerst einen Blick auf die häufigsten Tumorerkrankungen werfen und dann einige spezielle Situationen beleuchten.

Viele dieser neuen Therapien weisen ein sehr großes Potenzial auf, was wir in den letzten Jahrzehnten so noch nicht erlebt haben. Es ist für die Praxis wichtig festzuhalten, dass die meisten dieser Medikamente wegen der eindrücklichen Wirksamkeit sehr früh auf den Markt kommen und insbesondere die Sicherheitsaspekte mit neuen noch kaum vertrauten Nebenwirkungen als kritisch zu betrachten sind. Es braucht hier eine enge Zusammenarbeit des behandelnden Teams und eine sorgfältige Beobachtung, Dokumentation und gegenseitige Meldung von unerwarteten Beobachtungen, welche vorwiegend durch unspezifische Immunstimulation verschiedenster Organe zustande kommen können. Dabei sind die Lunge (Pneumonitis), der Darm (Kolitis), das Integument, die Leber (Hepatitis) sowie die endokrinen Organe besonders betroffen. Bei der Beurteilung des Therapieerfolges ist zudem zu beachten, dass häufig initial eine "Pseudoprogression" auftreten kann. Hier muss die Klinik und die Bildgebung sorgfältig evaluiert werden, um einen ungerechtfertigten Therapieabbruch zu vermeiden.

Da die Dynamik der Zulassungssituation sich sehr rasch ändert, muss in jedem Fall zuerst abgeklärt werden, welche Indikationen unter welchen Ein- und Ausschlusskriterien zugelassen sind. Auch gibt es viele offene klinische Studien, die Patienten einen frühen Zugang zu den Innovationen ermöglichen, dies sollte jeweils vor Ort mit den entsprechenden Zentren geklärt werden. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über die wichtigsten aktuellen klinischen Indikationen der sogenannten Checkpointinhibitoren.

Lungenkrebs

Dass gerade auch die Raucher/Exraucher mit fortgeschrittenem Lungenkrebs von den Immuntherapeutika besonders profitieren, ist bemerkenswert und der Tatsache geschuldet, dass sie viele erworbene Mutationen aufweisen und die malignen Zellen dadurch immunologisch besser angreifbar sind. Pembrolizumab (Keytruda®) hat als Erstlinientherapie für Patienten mit fortgeschrittenem und PD-L1-positivem (> 50 % Expression) NSCLC bereits die FDA-Zulassung erhalten. In einer offenen randomisierten Phase-3-Studie mit 305 Patienten wurde eine platinbasierte Chemotherapie verglichen mit Pembrolizumab alleine, wobei ein "cross over" erlaubt war [1].

Der Unterschied im progressionsfreien Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) ist bereits jetzt wesentlich besser als alle bisherigen Erstlinientherapien und man darf gespannt sein auf die OS-Daten nach zwei bis drei Jahren. Zudem war bei Patienten im Pembrolizumab-Arm die Zeit bis zur Verschlechterung der durch den Lungenkrebs verursachten Symptome signifikant länger [2].

In der Zweit- bis Drittlinien-Therapie (auch mehrfache Vorbehandlung war möglich) hat Atezolizumab (Tecentriq®) in einer randomisierten großen Phase-3-Studie bei NSCLC-Patienten gegenüber Docetaxel (Taxotere®) bei 1.225 Patienten eine eindrückliche Überlegenheit im PFS und OS gezeigt und bereits die FDA-Zulassung erhalten [3]. Die Patienten lebten median 13,8 versus 9,6 Monate und damit 4,2 Monate länger als die mit Docetaxel-Chemotherapie behandelten Patienten. Damit ist zu den bereits in der Zweitlinientherapie zugelassenen Substanzen Nivolumab (Opdivo®) und Pembrolizumab (Keytruda®) bald eine dritte verfügbar.

Bei Patienten mit vorbehandeltem kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) zeigte insbesondere die Kombination Nivolumab (Opdivo®) mit Ipilimumab (Yervoy®) besonders gute erste Daten mit Ansprechraten von 20 % und es darf erwartet werden, dass auch hier bald zulassungsrelevante Resultate aus größeren Studien vorliegen werden [4].

HNO-Karzinome

In Analogie zu den NSCLC-Patienten zeigen auch die mit Platin vorbehandelten Patienten unter einer Nivolumab (Opdivo®)-Therapie gegenüber einer Zweitlinien-Systemtherapie (MTX, Taxotere oder Cetuximab) einen signifikanten OS-Vorteil. Nivolumab erhielt in dieser Indikation neu die Zulassung der FDA für Patienten mit einer PD-L1-Expression von > 1 % [5]. Dasselbe galt bereits für Pembrolizumab (Keytruda®), welches in einer Phase-Ib-Extensionskohorte ein klinisch signifikantes und dauerhaftes Ansprechen zeigen konnte.

Nieren- und Blasenkrebs

Für Patienten mit metastasiertem und vorbehandeltem Nierenzellkarzinom gibt es ebenso positive Daten für die Zweitlinientherapie mit Nivolumab (Opdivo®) mit einem eindrücklichen Überlebensvorteil von fast einem halben Jahr gegenüber Everolimus [6].

Der PD-L1-Antikörper Atezolizumab (Tecentriq®) ist das bisher erste und einzige Krebsimmuntherapeutikum gegen PD-L1, das von der FDA zugelassen ist für Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothelkarzinom, das während oder nach einer platinbasierten Chemotherapie progredient ist oder innerhalb von zwölf Monaten nach platinbasierter Chemotherapie fortschreitet [7].

Malignes Melanom

Die Optimierung der bereits etablierten Immuntherapeutika beim malignen Melanom geht nun rasch und paradigmatisch weiter. Es zeigt sich, dass Nivolumab dem Ipilimumab klar überlegen ist und dass die Kombination der beiden die bisher besten Resultate ergibt. Allerdings ist der Zugewinn mit 49 % PFS nach einem Jahr gegenüber 42 % PFS mit Nivolumab alleine gering, aber in beiden Situationen der Monotherapie mit Ipilimumab mit 18 % deutlich überlegen. Die Kombinationstherapie hat auch erheblich mehr Nebenwirkungspotenzial und sollte deshalb nur in speziell indizierten Situationen angewendet werden [8].

Dass diese Medikamente auch in der adjuvanten Hochrisiko-Situation bei operierten Patienten mit lokal befallenen Lymphknoten nun ihren Platz finden mit einem eindrücklichen OS-Vorteil nach fünf Jahren von 11 % (66 vs. 54 %), konnte für Ipilimumab in einer plazebokontrollierten Studie mit > 500 Patienten gezeigt werden [9].

Seltenere Indikationen

Bei Patienten mit Morbus Hodgkin, der zu 100 % PD-L1 exprimiert ist und nicht mehr anspricht auf die Standardtherapien inklusive Hochdosistherapie sowie Brentuximab-Vedotin (Adcetris®), ist Nivolumab (Opdivo®) in einem sehr hohen Prozentsatz wirksam und hat bereits die FDA- und EMA-Zulassung erhalten [10]. Auch bei Patienten mit fortgeschrittenem Merkelzellkarzinom ist Pembrolizumab in der Erstlinientherapie hochwirksam bei 26 Patienten mit einer Ansprechrate von 56 % und vier kompletten sowie zehn partiellen Remissionen [11]. Für chemotherapeutisch vorbehandelte rezidivierte Patienten hat sich der neue Checkpointinhibitor Avelumab als wirksam erwiesen.

Weitere erste positive Daten zeigen sich beim Patienten mit Mesotheliom, Thymuskarzinom und Peniskarzinom, um nur einige der Tumoren zu erwähnen, für die wir weiterhin dringend wirksame Therapien suchen. Auch für diverse gastrointestinale Tumoren finden sich bereits erste positive präliminäre Hinweise für ein Ansprechen in noch sehr kleinen Patientengruppen.

Ausblick

Die Optimierung bezüglich Dosis, Therapieintervallen, Behandlungsdauer und Langzeit-Therapiekonzepten sowie der Kombinationen und Abfolgen und besserer Patientenselektion der Checkpoint-Therapien wird nun Jahre in Anspruch nehmen und insbesondere die freie akademische klinische Forschung fordern. Auch die vielen ungelösten Sicherheitsaspekte dieser so rasch den Markt erobernden Therapien sind noch zu lösen und erfordern einen großen Aufwand an langfristig ausgelegter "Post-Marketing-Überwachung". Die Firmen müssen lernen, auch hier Mitverantwortung zu übernehmen, eine verträgliche Preisgestaltung zu akzeptieren und auch Indikationsanpassungen an die publizierte Datenlage rechtzeitig vorzunehmen. Viele Patienten werden sonst den Zugang zu diesen Therapien nicht finden und im Dschungel der Off-label-Streitereien mit den Versicherern den Kürzeren ziehen. Die von der Öffentlichkeit getragene Grundlagenforschung, welche die Erfolge dieser Medikamente erst ermöglicht hat, verbietet eine einseitige Privatisierung dieser Therapieerfolge. Diese Problematik harrt nun einer dringenden Lösung auch auf der politischen Ebene.


Literatur
1) M.Reck, N Engl J Med 2016;375:1823-33.
2) J. Brahmer, World Lung Cancer Conference, Vienna 2016,
3) A. Rittmeyer, Lancet, Dec. 2016 in press
4) SJ Antonia, Lancet Oncol 2016;17:883-895
5) RL Ferris, N Engl J Med 2016;375:1856-67.
6) RJ Motzer, N Engl J Med 2015; 373:1803-1813
7) JE Rosenberg, Lancet 2016; 387:1909–1920,
8) J.Wolchok, ASCO 2016 abstract 9505
9) A. Eggermont ESMO Kopenhagen 2016, LBA2 )
10) SM Ansell, N Engl J Med 2015; 372:311-319
11) PT Nghiem, N Engl J Med 2016; 374:2542-2552
Dieser Text basiert auf einem Vortrag, gehalten auf dem Kongress der DGHO in Leipzig am 14.10.2016.



Autor:

Prof. Dr. med. Thomas Cerny

Abteilung Onkologie/Hämatologie des Departement Innere Medizin
Kantonspital, CH-9007 St. Gallen

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (22) Seite 18-20